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VwGH vom 22.02.1993, 92/10/0404

VwGH vom 22.02.1993, 92/10/0404

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des W in L, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , Zl. Ia 909-47/1990, betreffend Übertretung nach dem Vorarlberger Sittenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am um 2.20 Uhr in einem Festzelt in S den öffentlichen Anstand verletzt, indem er die eintreffenden Gendarmeriebeamten mit den Worten "Arschlöcher, Scheißbullen, Ihr könnt"s uns am Arsch lecken" in Anwesenheit mehrerer Personen, die dies wahrnehmen konnten, beschimpfte. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach den §§ 18 Abs. 1 lit. a und 1 Abs. 1 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes, LGBl. Nr. 6/1976, begangen. Es wurde eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Darin erachtete er sich in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt, die er wie folgt bezeichnete:

"Recht auf verfassungskonforme Gesetzeslage; Verletzung des Verbots der Doppelbestrafung."

Er brachte vor, die Fehlhandlungen, die ihm von der Verwaltungsbehörde angelastet worden seien, seien ein Teil eines Verhaltens gewesen, für das er wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt vom Landesgericht Feldkirch rechtskräftig verurteilt worden sei. Wären seine Äußerungen nicht als Teil der Widerstandshandlungen gewertet worden, hätten sie den gerichtlichen Tatbestand der Ehrenbeleidung verwirklicht. Es habe sich daher um eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende Übertretung strafrechtlicher Normen gehandelt. Damit ergebe sich, daß nicht zusätzlich zum gerichtlichen Vergehen noch eine Verwaltungsübertretung vorliegen könne. Der angefochtene Bescheid lege in dankenswerter Offenheit dar, daß die §§ 18 Abs. 1 lit. a und 1 Abs. 1 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes eine Bestrafung auch für jene Fälle vorsähen, in denen bereits eine gerichtliche oder sonstige Strafzuständigkeit bestehe. Dies verstoße sowohl gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung als auch gegen das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention. Der Landesgesetzgeber dürfe keinen Tatbestand normieren, dessen Ahndung unter den Kompetenztatbestand Strafrecht falle. Die entsprechenden Bestimmungen des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes seien daher verfassungswidrig.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom , B 900/91-8 u.a., mit der Begründung ab, daß vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu § 22 VStG 1950 (vgl. VfSlg. 7926/1976, 8295/1978, 10137/1984), des Verfassungsranges der Erklärung Österreichs zu Art. 4 des 7. Zusatzprotokolles zur EMRK und des Vorbehaltes Österreichs zu Art. 5 EMRK (vgl. VfSlg. 5021/1965, 8234/1978, 10291/1984, 11569/1987, 11917/1988, 12162/1989) das Beschwerdevorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Über Antrag des Beschwerdeführers trat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom , B 900/91-10, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht, nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bestraft zu werden, in seinem Recht, nicht für EIN Delikt doppelt bestraft zu werden und in den in der ursprünglichen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof geschilderten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt. Er bringt vor, er mache dieselben Beschwerdegründe geltend wie beim Verfassungsgerichtshof. Er mache seine Beschwerdegründe zusätzlich unter einfachgesetzlichen Gesichtspunkten geltend. Er meine, daß eine verfassungskonforme Reduktion der maßgeblichen Strafnorm zum Ergebnis hätte führen müssen, daß nicht aus ein- und demselben Tatbestand zwei Bestrafungen erfolgen hätten dürfen. Die Normprüfungsanregungen an den Verfassungsgerichtshof würden als Bitte an den Verwaltungsgerichtshof, seinerseits die inkriminierten Normen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, aufrechterhalten.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes hat sich jederman so zu verhalten, daß der öffentliche Anstand nicht verletzt wird. Gemäß § 18 Abs. 1 lit. a leg. cit. begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den öffentlichen Anstand verletzt (§ 1), sofern nicht der Tatbestand einer Verwaltungsübertretung gemäß lit. b (Verletzung der Vorschriften über die Badekleidung und die Benützung von Dampfbädern) vorliegt.

Nach § 22 Abs. 1 VStG sind die Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder wenn eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt. Nach § 22 Abs. 2 leg. cit. gilt dasselbe bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gerichte zu ahndenden strafbaren Handlungen.

§ 30 Abs. 1 VStG bestimmt, daß dann, wenn einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last liegen, die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen sind, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch eine und dieselbe Tat begangen worden sind.

Aus den §§ 22 und 30 VStG ergibt sich, daß eine von einer Verwaltungsbehörde zu ahndende strafbare Handlung auch dann von dieser Behörde zu verfolgen ist, wenn die Tat gleichzeitig unter einen gerichtlich strafbaren Tatbestand fällt, es sei denn, das Gesetz normiert ausdrücklich eine Ausnahme von diesem Grundsatz oder es läge sonst ein Fall bloß scheinbarer Konkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) vor (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Slg. 8295, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/10/0405).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, das ihm von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zur Last gelegte Verhalten gesetzt zu haben. Das Vorarlberger Sittenpolizeigesetz enthält auch keinen Vorbehalt des Inhalts, daß der Straftatbestand des § 1 Abs. 1 nur zur Anwendung gelange, wenn die Tat nicht gerichtlich zu verfolgen sei. Es liegt auch kein sonstiger Fall einer Scheinkonkurrenz - etwa zum gerichtlich strafbaren Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 267 StGB) oder der Beleidigung (§ 115 StGB) - vor (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Slg. NF 2199/A und vom , Zl. 1759/67).

Der Verwaltungsgerichtshof teilt nicht die Bedenken des Beschwerdeführers gegen die Verfassungsmäßigkeit der §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 1 lit. a des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes.

Österreich hat anläßlich der Ratifizierung des 7. Zusatzprotokolles zur MRK die Erklärung abgegeben, daß sich Art. 4 dieses Zusatzprotokolles nur auf Strafverfahren im Sinne der Österreichischen Strafprozeßordnung beziehe. Art. 4 des zit. Zusatzprotokolles, welcher im innerstaatlichen Bereich im Verfassungsrang steht, kommt daher im Zusammenhang mit Verwaltungsstrafverfahren von vornherein nicht zum Tragen, sodaß sich eine nähere Erörterung des Inhalts des Art. 4 erübrigt.

Zum Einwand des Beschwerdeführers, die §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 1 lit. a seien "kompetenzwidrig", genügt es, darauf hinzuweisen, daß nach Art. 15 Abs. 1 und 2 B-VG i.d.F. der B-VG-Novelle 1974, BGBl. Nr. 444, Angelegenheiten der Wahrung des öffentlichen Anstandes in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache sind, wobei diese Kompetenz auch die Erlassung von durch Verwaltungsbehörden zu ahndenden Strafbestimmungen umfaßt (vgl. hiezu auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur B-VG-Novelle 1974, 1982 Blg NR XIII. GP, S. 17 f).

Der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung (Art. 94 B-VG) bedeutet, daß jede Vollzugsbehörde entweder als Gerichtsbehörde oder als Verwaltungsbehörde organisiert sein muß, ein Instanzenzug von einer Verwaltungsbehörde an ein Gericht - oder umgekehrt - unzulässig ist, kein Weisungsverhältnis zwischen den Organen der Gerichtsbarkeit und jene der Verwaltung bestehen darf und alle Aufgaben der Vollziehung vom einfachen Gesetzgeber - unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Schranken - strikte entweder der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung übertragen werden müssen (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österr. Bundesverfassungsrechts, 7. Aufl., Rz 556).

Die §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 1 lit. a des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes berufen die Verwaltungsbehörden nicht zu einer Entscheidung in einer Angelegenheit, die in die Zuständigkeit der Gerichte fällt. Die Verwaltungsbehörden haben vielmehr nach den angeführten Bestimmungen menschliches Verhalten unter anderen Aspekten zu beurteilen als die Gerichte etwa in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die §§ 115 bzw. 267 StGB. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ist daher in den §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 1 lit. a des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung zu erblicken.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich somit nicht veranlaßt, der Anregung des Beschwerdeführers zu folgen und beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung der §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 1 lit. a des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes zu stellen.

Da die Unterstellung des vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltens sowohl unter gerichtlich strafbare Tatbestände als auch unter die Bestimmungen der §§ 1 Abs. 1 und 18 Abs. 1 lit. a des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, geht der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Einwand ins Leere, das Vorarlberger Sittenpolizeigesetz müsse verfassungskonform dahingehend interpretiert werden, daß im Falle einer gerichtlichen Verurteilung keine Bestrafung nach § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 18 Abs. 1 lit. a des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes mehr erfolgen dürfe.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die Beschwerde unbegründet ist, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.