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VwGH vom 30.09.1997, 95/08/0263

VwGH vom 30.09.1997, 95/08/0263

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-M 32/94, betreffend Verjährung von Verzugszinsen und Verwaltungsauslagen (mitbeteiligte Partei: L, zuletzt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom stellte die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse über Antrag des Mitbeteiligten gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG fest, daß auf dem Beitragskonto des Mitbeteiligten mit Stand vom für die Vorschreibungen Juni 1984 bis September 1984, November 1984, Dezember 1984, Februar 1985 bis November 1985 Verzugszinsen und Verwaltungsauslagen gemäß §§ 58 Abs. 1 und 3, 59, 64 Abs. 4 ASVG im Betrag von S 31.418,89 aufgelaufen seien und der Mitbeteiligte als Dienstgeber gemäß § 58 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG verpflichtet sei, diesen Betrag bei sonstiger Exekution der Beschwerdeführerin zu bezahlen.

Nach der Begründung dieses Bescheides verneinte die Beschwerdeführerin die vom Mitbeteiligten behauptete Verjährung dieser Forderung mit der Begründung, sie habe zur Hereinbringung der Beitragsrückstände samt Verzugszinsen für den Zeitraum Juni 1984 bis November 1985 laufend Exekution geführt bzw. sonstige Maßnahmen zur Hereinbringung unternommen.

Der Mitbeteiligte erhob Einspruch, in dem er unter Berufung auf § 68 Abs. 2 ASVG vorbrachte, es seien entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin exekutive Maßnahmen nicht alle zwei Jahre vorgenommen worden. Im übrigen rügte der Mitbeteiligte Begründungsmängel des erstinstanzlichen Bescheides.

Im hiezu erstatteten Vorlagebericht führte die Beschwerdeführerin näher aus, daß sie in den Jahren 1984 bis 1993 verjährungsunterbrechende Maßnahmen gesetzt habe, die in der Folge tabellarisch aufgezählt werden. Danach sind dies zwischen dem und dem Schritte im Exekutionsverfahren, wobei solche Schritte erst wieder am bis zur Bezahlung des Kapitals am fortgesetzt wurden. Als weitere verjährungsunterbrechende Maßnahmen werden von der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse in diesem Vorlagebericht ins Treffen geführt:

" Abfrage in der Datei des Hauptverbandes bezüglich Bestand eines Versicherungsverhältnisses

Außendiensterhebungen an der Adresse ..., an welcher der (Mitbeteiligte) laut ZMA seit gemeldet ist:

, , , , , , .

Abfrage in Hauptverbandsdatei

ZMA-Anfrage

Vermögensverzeichnisse nach § 47 Abs. 2 EO wurden vom Verpflichteten am , und abgelegt."

Abschließend vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß nach den Zeitpunkten der diversen Maßnahmen, die jeweils in einem kürzeren als zweijährigen Abstand gesetzt worden seien, keine Vollstreckungsverjährung eingetreten sei.

Nach Erstattung einer Gegenäußerung durch den Mitbeteiligten erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit welchem sie in Stattgebung des Einspruches des Mitbeteiligten den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG behob und feststellte, daß der Mitbeteiligte nicht verpflichtet sei, die genannten Verzugszinsen und Verwaltungsauslagen an die Beschwerdeführerin zu bezahlen. Dieser Bescheid wird - abgesehen von einer Wiedergabe des § 68 Abs. 2 ASVG - wie folgt begründet:

"Die Wiener Gebietskrankenkasse hat nun im Vorlagebericht vom eine Aufstellung von Maßnahmen bekanntgegeben, die die Verjährung unterbrochen hätten.

Die angerufene Behörde ist nun der Ansicht, daß Anfragen an den Hauptverband, ZMA-Anfragen, sowie Außendiensterhebungen keine Maßnahmen der Einbringlichmachung im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG darstellen, weshalb eine Verjährung der Forderung eingetreten ist und wie im Spruch zu entscheiden war."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 68 Abs. 2 ASVG verjährt das Recht auf Einforderung festgestellter Beitragsschulden binnen zwei Jahren nach Verständigung des Zahlungspflichtigen vom Ergebnis der Feststellung. Die Verjährung wird durch jede zum Zwecke der Hereinbringung getroffene Maßnahme, wie z.B. durch Zustellung einer an den Zahlungspflichtigen gerichteten Zahlungsaufforderung (Mahnung) unterbrochen; sie wird durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung gehemmt. Bezüglich der Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung im Falle des Konkurses oder Ausgleiches des Beitragsschuldners gelten die einschlägigen Vorschriften der Konkursordnung und der Ausgleichsordnung.

Gemäß § 83 ASVG gelten die Bestimmungen über Eintreibung und Sicherung, Haftung, Verjährung und Rückforderung von Beiträgen entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.

Daraus ergibt sich zunächst, daß die Einhebungsverjährung im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG jedenfalls dann eintritt, wenn durch länger als zwei Jahre keine "zum Zwecke der Hereinbringung getroffenen Maßnahmen" gesetzt werden.

Strittig ist im Beschwerdefall, welche Maßnahmen verjährungsunterbrechend sind, sieht man vom im Gesetz angeführten Beispiel der Zustellung einer an den Zahlungspflichtigen gerichteten Zahlungsaufforderung (Mahnung) ab. Die belangte Behörde geht - wie allerdings erst aus ihrer Gegenschrift, nicht aber schon aus der Begründung des angefochtenen Bescheides hervorgeht - davon aus, daß nur solche Maßnahmen die Verjährung im Sinne der genannten Gesetzesstelle unterbrechen würden, die "der Hereinbringung der Beitragsschuld unmittelbar dienen". Dies treffe für Anfragen an die Datei des Hauptverbandes bezüglich eines Versicherungsverhältnisses, Erhebungen und ZMA-Anfragen nicht zu. Dementgegen vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß es nicht darauf ankomme, ob "die Amtshandlung konkret geeignet ist, den angestrebten Erfolg, nämlich die Durchsetzung des Anspruches zu erreichen". Es genüge vielmehr, daß "die Amtshandlung nach außen in Erscheinung tritt und erkennbar den Zweck verfolgt, den Anspruch gegen einen bestimmten Abgabeschuldner durchzusetzen".

Nach dem insoweit unstrittigen Sachverhalt hat die Beschwerdeführerin bis exekutive Maßnahmen jeweils in einem kürzeren als einem zweijährigen Abstand gesetzt. Größere Abstände klaffen zwischen dem und und dem und dem . Zwischen dem und dem liegen neben einer Abfrage in der Datei des Hauptverbandes vom Außendiensterhebungen an der damals letzten Wohnadresse des Mitbeteiligten (erstmals am , letztmals am ). Zwischen dem und dem liegt eine neuerliche Abfrage in der Datei des Hauptverbandes am und eine Anfrage beim Zentralmeldeamt am vor. In der Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin überdies eine Außendiensterhebung vom , bei der der Mitbeteiligte persönlich angetroffen worden sei, sowie - ebenfalls abweichend vom Vorlagebericht - eine "Gewerbepfändung", die am bewilligt worden sei.

Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde erstmals Betreibungsschritte behauptet, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides weder vorgebracht waren, noch aktenkundig gewesen sind, steht der Bedachtnahme auf dieses Vorbringen das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens entgegen.

Vor dem Hintergrund des von der belangten Behörde als erwiesen angenommenen Vorbringens der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren und unter Bedachtnahme auf die zweijährige Frist des § 68 Abs. 2 ASVG wäre somit der angefochtene Bescheid nur dann nicht rechtswidrig, wenn der Auffassung der belangten Behörde, "Anfragen an den Hauptverband, ZMA-Anfragen, sowie Außendiensterhebungen" seien keine Maßnahmen der Einbringlichmachung im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG, beizupflichten wäre.

Dieser Auffassung kann jedoch - insoweit in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen - nicht gefolgt werden:

Zunächst ergibt sich aus dem Wortlaut des § 68 Abs. 2 ASVG im Vergleich zu jenem des § 68 Abs. 1 ASVG, der die Feststellungsverjährung regelt, daß unter "zum Zwecke der Hereinbringung getroffenen Maßnahmen" im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG nicht nur jene Maßnahmen zu verstehen sind, die dem Verpflichteten auch zur Kenntnis gelangt sind. Dieses in § 68 Abs. 1 ASVG für die Feststellungsverjährung ausdrücklich normierte Erfordernis fehlt nämlich in § 68 Abs. 2 ASVG (so auch das Erkenntnis vom , Zl. 93/08/0201).

Unter einer "zum Zwecke der Hereinbringung getroffenen Maßnahme" ist aber - entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde in der Gegenschrift - nicht nur eine solche Maßnahme zu verstehen, die der Hereinbringung der Beitragsschuld "unmittelbar" dient, da für eine solche Differenzierung zwischen "unmittelbar" und "mittelbar" dienenden Maßnahmen der Gesetzeswortlaut keinen Anhaltspunkt bietet. Maßgeblich ist ausschließlich der Zweck der Maßnahme:

Als verjährungsunterbrechende Maßnahme im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG ist jede Maßnahme anzusehen, die objektiv mit dem Zweck der Hereinbringung der offenen Forderung in Einklang gebracht werden kann, mit anderen Worten, diesem Zwecke dient. Dient eine Maßnahme dem Zweck der Hereinbringung, dann ist zu vermuten, daß sie zu diesem Zwecke getroffen wurde. Voraussetzung ist lediglich, daß die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, daß sie eine Maßnahme in bezug auf die konkrete Forderung gegen den Zahlungspflichtigen setzen wollte, mit anderen Worten, die Setzung einer solchen konkreten Maßnahme auch später noch nach der Aktenlage nachvollziehbar ist.

Ob eine Maßnahme der Hereinbringung einer offenen Forderung dient, hängt von der Beurteilung im Einzelfall ab. Ist - wie hier - die Anschrift des Verpflichteten nicht bekannt (oder der Verpflichtete an der bekannten Anschrift nicht erreichbar), so dienen all jene Maßnahmen der Hereinbringung der offenen Forderung, die der Feststellung des tatsächlichen Aufenthaltsortes des Verpflichteten (zum Zwecke, die exekutive Einbringung der Forderung auf geeignete Weise fortsetzen zu können) dienen. Aus diesem Grunde ist andererseits ein Mahnschreiben an den Verpflichteten keine zweckdienliche Maßnahme, wenn es nicht an die der Behörde bekannte Anschrift des Verpflichteten, sondern an eine unrichtige Adresse gerichtet ist (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 93/08/0201).

Sowohl die Außendiensterhebungen der Beschwerdeführerin als auch Anfragen beim Zentralmeldeamt zur Feststellung der Anschrift des Verpflichteten dienten im Beschwerdefall somit der Hereinbringung der offenen Forderung und haben daher verjährungsunterbrechende Wirkung im Sinne des § 68 Abs. 2

ASVG.

Dies trifft aber auch für eine Abfrage in der Datenbank des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger zu, wenn diese auf solche Weise im Akt dokumentiert ist, daß daraus verläßlich entnommen werden kann, wann sie durchgeführt wurde. Im Beschwerdefall trifft dies zumindest auf die Abfrage vom (deren datierter Ausdruck aktenkundig ist) zu. Eine solche Abfrage dient nämlich offensichtlich der Feststellung eines allfälligen Dienstgebers zum Zwecke der Einleitung einer Gehaltsexekution; auch eine solche Abfrage hat daher verjährungsunterbrechende Wirkung im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG.

Der Umstand, daß der Mitbeteiligte zu näher genannten Zeitpunkten auch Offenbarungseide abgelegt hat, deren Protokolle sich im Akt befinden, ist bei Beurteilung der Verjährung im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG hingegen nicht maßgebend, da verjährungsunterbrechende Wirkung nur Handlungen und Maßnahmen der betreibenden, nicht aber auch solchen der verpflichteten Partei beigemessen werden kann. Eine verjährungsunterbrechende Maßnahme wäre daher allenfalls ein Ansuchen der Beschwerdeführerin an das Exekutionsgericht, allfällige Vermögensverzeichnisse nach § 47 Abs. 2 EO zur Verfügung zu stellen bzw. eine unmittelbare Erhebung beim Exekutionsgericht, ob bereits die eidliche Angabe des Vermögens erfolgt ist.

Da somit die belangte Behörde aufgrund ihrer unrichtigen Rechtsauffassung zur Annahme der Verjährung im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG gelangt ist, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.