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VwGH vom 19.03.1996, 95/08/0212

VwGH vom 19.03.1996, 95/08/0212

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der W in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in B, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom , Zl. LA2 7022 B-Dr.J/S 1734141261, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Friseurin und Mutter eines am geborenen Kindes. Mit Ablauf des löste sie ihr Beschäftigungsverhältnis zur Inhaberin eines Frisiersalons in K auf und beantragte Arbeitslosengeld.

Am wurde vor dem Arbeitsmarktservice Bruck/Mur folgende (hier ohne Abkürzungen wiedergegebene) Niederschrift mit der Beschwerdeführerin aufgenommen:

"Gegenstand der Verhandlung: Lösung des Dienstverhältnisses. Habe mein Dienstverhältnis deshalb selbst gelöst, da ich niemanden mehr hatte, der mir auf meine Tochter schaute. § 11 AlVG wurde mir zur Kenntnis gebracht."

Am legte der Sachbearbeiter, der die Niederschrift aufgenommen hatte, einen Aktenvermerk an, wonach das Kind der Antragstellerin von deren Schwester betreut worden sei. Da diese zusammen mit ihrem Gatten den elterlichen Betrieb übernommen habe, sei sie nicht mehr in der Lage, das Kind zu betreuen.

Mit Bescheid vom gab das Arbeitsmarktservice Bruck/Mur dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 Z. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 AlVG mangels Arbeitswilligkeit nicht Folge.

Bei einem Beratungsgespräch am , zu dem die Beschwerdeführerin schon im März 1995 geladen worden war, soll sie - nach dem automationsunterstützt festgehaltenen, im Berufungsakt erliegenden Vermerk über das Gespräch - u.a. angegeben haben, sie habe "nun DV aufgelöst, da aufgrund der KB eine Ganztagsbeschäftigung nicht mehr möglich gewesen ist ... sucht nun Stelle im Raum Marein bis Kapfenberg ... Teilzeit 7,30 - 12 Uhr".

Am erhob die Beschwerdeführerin Berufung gegen den Bescheid vom , von dem sie angab, sie habe ihn am erhalten. Sie hob hervor, "sehr wohl arbeitswillig" zu sein. Schon in einem Beiblatt zum Antrag auf Arbeitslosengeld und auch im Gespräch am habe sie erklärt, sie habe das Dienstverhältnis lösen müssen, weil sie für ihre Tochter am NACHMITTAG keine Aufsichtsperson mehr habe. Am habe sie darauf hingewiesen, daß sie "deshalb die Ganztagsarbeit momentan nicht ausüben" könne, jedoch vormittags arbeiten könnte. Auf telefonische Anfrage habe sie am mitgeteilt, wer ihre Tochter beaufsichtigt habe und warum dies nicht mehr möglich sei. Im Beratungsgespräch am habe sie angegeben, "momentan keine Ganztagstätigkeit" ausüben zu können, jedoch im Rahmen ihrer Betreuungsplanung "dem Arbeitsmarkt für eine Teilzeitbeschäftigung, wenn möglich vormittags, zur Verfügung" zu stehen. Eine am selben Tag mit der Post bei ihr eingelangte Zuweisung einer Ganztagsbeschäftigung sei von der zuständigen Beraterin des Arbeitsmarktservice als "gegenstandslos" bezeichnet worden, weil die Beschwerdeführerin "als arbeitssuchend - vormittags - vorgemerkt" sei.

Das Arbeitsmarktservice Bruck/Mur legte diese Berufung mit dem "Kurzbericht" vor, daß "bei Aufnahme der Niederschrift sowie bei der Ergänzung niemals davon die Rede war, daß Frau W. nur vormittags oder nachmittags einer Beschäftigung nachgehen könnte".

Die belangte Behörde holte bei der früheren Dienstgeberin der Beschwerdeführerin die Auskunft ein, mit der Beschwerdeführerin seien 16 Wochenstunden vereinbart gewesen, die am Dienstag (ganztägig), am Donnerstag (nachmittags) und allenfalls am Samstag (falls erforderlich) abgeleistet worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nicht Folge. Sie stellte die Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Niederschrift vom und in der Berufung dar, traf eine Feststellung mit dem Inhalt der von der früheren Dienstgeberin der Beschwerdeführerin erteilten Auskunft und gelangte - nach einem Hinweis auf das Erfordernis der Arbeitswilligkeit - zu folgender rechtlicher Beurteilung:

"Zur Lösung Ihres Dienstverhältnisses zum Friseur C. haben Sie angegeben, das Dienstverhältnis deshalb gelöst zu haben, weil niemand mehr auf Ihre Tochter schaut. Dabei hat es sich um keine Ganztagsbeschäftigung, sondern um eine Beschäftigung im Ausmaß von 16 Wochenstunden gehandelt. Davon, daß Sie nur vormittags oder nur nachmittags arbeiten könnten, war nicht die Rede. Haben Sie ein Dienstverhältnis im Ausmaß von

16 Wochenstunden wegen der Kindesbetreuung lösen müssen, dann steht selbst Ihre Erklärung vom , eine Teilzeitarbeit in der Regel von 7,30 Uhr bis 12,00 Uhr (was einer Wochenstundenanzahl von 22,5 entspricht) im Widerspruch. Nachdem offensichtlich zumindest im Beurteilungszeitpunkt die Ausübung einer Beschäftigung wegen der Kindesbetreuung eben nicht möglich ist, mangelt es insofern an der vom Arbeitslosenversicherungsgesetz verlangten Arbeitswilligkeit. Die rechtliche Beurteilung durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Bruck/Mur entspricht damit der Sach- und Rechtslage, sodaß wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden und Ihre Berufung abzuweisen war."

Dagegen wendet sich die Beschwerde mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge den angefochtenen Bescheid "dahingehend abändern, daß dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Arbeitslosengeld ab Antragstellung in der gesetzlichen Höhe Folge gegeben werde". Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Erledigung in erster Instanz habe der Bescheidcharakter gefehlt, sodaß die belangte Behörde die Berufung zurückzuweisen und nicht in der Sache zu entscheiden gehabt hätte. Das zugestellte Schriftstück der Behörde erster Instanz habe weder die Unterschrift des Genehmigenden noch die Unterschrift des die Ausfertigung Beglaubigenden aufgewiesen, und die Individualisierung der Begründung habe gefehlt.

Dem steht entgegen, daß der erstinstanzliche Bescheid automationsunterstützt ausgefertigt wurde. Nach § 18 Abs. 4 AVG genügte daher die "Beisetzung des Namens des Genehmigenden". Daß diese erfolgte, geht aus der im erstinstanzlichen Akt erliegenden Zweitschrift hervor und wird auch von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt. Was die Bescheidbegründung anlangt, so trifft es zu, daß die Eingabe eines individualisierenden Textes unterblieb und die durch den Bescheidcode vorgegebene Begründung daher mit dem Satzanfang "Sie sind nicht bereit,", der keine Fortsetzung fand, abrupt endete. Ein derartiger Bescheid ist zwar wegen seiner mangelhaften Begründung rechtswidrig, aber immer noch ein Bescheid (vgl. dazu den Beschluß eines verstärkten Senates vom , Zlen. 934 und 1223/73 = Slg. Nr. 9458/A (Seite 490)). Diesem Teil der Beschwerdeausführungen kann daher nicht gefolgt werden.

2. Auch dem angefochtenen Bescheid hält die Beschwerdeführerin entgegen, er lasse nicht erkennen, worauf sich die Annahme von Arbeitsunwilligkeit gründe. Die Niederschrift vom , auf die sich die Behörde stütze, gebe den Gesprächsinhalt unvollständig wieder und enthalte vor allem nicht das Anbringen der Beschwerdeführerin, "zu welchen Zeiten sie aufgrund der durchzuführenden Kinderbetreuung arbeitswillig" sei. Insoweit der Bescheid von einem Widerspruch in den Angaben der Beschwerdeführerin ausgehe, sei der Behörde ein Verstoß gegen § 13a AVG vorzuhalten. Zwischen der Auflösung des früheren Dienstverhältnisses und der nunmehrigen "Wunscharbeitszeit" von 7,30 - 12,00 Uhr bestehe auch kein Widerspruch, weil die frühere Beschäftigung der Beschwerdeführerin jeweils am Dienstag und Donnerstag auch Nachmittagsarbeiten eingeschlossen habe. Die belangte Behörde sei nicht konkret auf das Anbringen der Beschwerdeführerin eingegangen. Es sei nicht erkennbar, worin eine Arbeitsunwilligkeit liegen solle, "wenn die Beschwerdeführerin sich für 22,5 Wochenstunden arbeitswillig und -suchend meldet".

Diese Kritik ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht berechtigt. Die belangte Behörde stützt sich auf die Erklärung der Beschwerdeführerin, "eine Teilzeitarbeit in der Regel von 7,30 Uhr - 12,00 Uhr" (ergänze: zu suchen), führt aus, daß dies 22,5 Wochenstunden bedeuten würde, und sieht darin einen Widerspruch zur Auflösung eines Dienstverhältnisses, das sich auf 16 Wochenstunden beschränkt habe. Das wäre nur schlüssig, wenn die Beschwerdeführerin die Auflösung ihres Dienstverhältnisses mit einer zu hohen Wochenstundenzahl erklärt hätte. Statt dessen hat sie aber - nach eigenen Angaben schon am und jedenfalls in der Berufung - ausgeführt, ihr fehle NACHMITTAGS eine Betreuungsperson für das Kind, sodaß sie VORMITTAGS arbeiten könne und wolle. Die belangte Behörde tut das mit der Bemerkung ab, von einer Beschränkung auf Vormittags- oder Nachmittagsarbeit sei "nicht die Rede" gewesen. Das kann sich nur auf die Aktenstücke vom (und allenfalls vom ) beziehen und geht schon deshalb ins Leere, weil eine Befragung der Beschwerdeführerin zu den zeitlichen Überschneidungen zwischen ihrem vermehrten Betreuungsaufwand und dem aufgelösten Dienstverhältnis weder aus der Niederschrift vom noch aus dem Aktenvermerk vom noch aus dem - der Beschwerdeführerin nicht vorgehaltenen - Vorlagebericht hervorgeht. Das (spätestens) in der Berufung zu diesem Thema erstattete Vorbringen der Beschwerdeführerin steht im Einklang mit den von ihr angegebenen, im angefochtenen Bescheid erwähnten Wunscharbeitszeiten und auch mit dem von der belangten Behörde erzielten Ermittlungsergebnis, die aufgegebene Beschäftigung sei an zwei Wochentagen mit Nachmittagsarbeit verbunden gewesen. Die belangte Behörde hat sich damit nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Sie hat stattdessen bei der Annahme eines "Widerspruches" gedanklich die Auflösung des Dienstverhältnisses wegen einer zu hohen Wochenstundenzahl vorausgesetzt, wovon nicht nur am und am , sondern im ganzen Verfahren nicht die Rede war. Auf dieser fehlerhaften Grundlage hat die Behörde - soweit erkennbar - den Erklärungen der Beschwerdeführerin über ihre Bereitschaft zur Annahme einer Halbtagsbeschäftigung mißtraut und stattdessen den nicht näher erläuterten Schluß gezogen, daß "offensichtlich zumindest im Beurteilungszeitpunkt die Ausübung EINER BESCHÄFTIGUNG (im Original nicht hervorgehoben) wegen der Kindesbetreuung eben nicht möglich" sei. Mit dieser durch das Fehlen nicht nur klarer Feststellungen, sondern auch nachvollziehbarer Gedankengänge gekennzeichneten Argumentation verstieß die Behörde gegen ihre Begründungspflicht gemäß §§ 58 Abs. 2 und 60 in Verbindung mit § 67 AVG. Nach § 42 Abs. 2 Z. 3 c VwGG muß dies zur Aufhebung des Bescheides führen, wenn die Behörde - bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften - zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

3. Arbeitswillig im Sinne des § 7 Abs. 1 Z. 1 AlVG ist nach § 9 Abs. 1 AlVG, wer (u.a.) bereit ist, eine ihm vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Wann eine Beschäftigung zumutbar ist, bestimmt sich nach den weiteren Absätzen des § 9 AlVG. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AlVG ist eine Beschäftigung zumutbar, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Nach § 9 Abs. 3 AlVG ist eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Orte der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten bestehen.

Ein von den genannten Kriterien unabhängiges Recht des Arbeitslosen zur sanktionslosen Ablehnung einer Beschäftigung wegen ihres AUSMASSES ist dem Gesetz ebensowenig entnehmbar wie eine Differenzierung danach, ob der Arbeitslose in der Vergangenheit Ganztags- oder Teilzeitbeschäftigungen ausgeübt hat. Ein Arbeitsloser muß daher zur Annahme einer (die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden und Arbeitslosigkeit daher ausschließenden) Teilzeitbeschäftigung bereit sein, um das Erfordernis der Arbeitswilligkeit zu erfüllen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 88/08/0162 = Slg. Nr. 12.986/A). Er muß aber umgekehrt auch bereit sein, Vollarbeit anzunehmen (vgl. "grundsätzlich" Frank, DRdA 1958, 119 (120); für den Wunsch nach einer Halbtagsbeschäftigung M. Harrer, DRdA 1988, 469 (475)).

Für den Fall einer Kollision mit rechtlich anerkannten Pflichten und im besonderen für betreuungspflichtige Mütter ist letzteres zum Teil bestritten worden. Frank bezeichnete es als "nicht vertretbar und auch lebensfremd, von einer Arbeitslosen, die persönlich durch die Betreuung eines Kleinkindes gebunden ist, die uneingeschränkte Bereitschaft für eine Vollarbeit zu verlangen", und trat dafür ein, den Betreuungspflichten "nicht zuletzt aus Billigkeitserwägungen auch in der Arbeitslosenversicherung Rechnung zu tragen". § 9 Abs. 3 AlVG sei diesbezüglich in "teleologischer Interpretation" auch auf Beschäftigungen am Wohn- oder Aufenthaltsort anwendbar (aaO 120 ff).

In einer späteren Untersuchung schlug Frank eine entsprechende Gesetzesänderung vor. Er verwies dazu auf den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 1963. Der Verwaltungsgerichtshof habe darin ausgeführt, die gesetzliche Regelung in § 9 Abs. 2 und 3 AlVG stehe einer Berücksichtigung von Betreuungspflichten bei Beschäftigungen am Wohn- oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen entgegen. Dies erscheine vor allem wegen der Verschiedenbehandlung von Entfernungen innerhalb einer größeren Stadt einerseits und zwischen zwei Nachbarorten andererseits als "problematisch", und es müsse "jedenfalls zur Erwägung gestellt werden, ob die dargestellte Gesetzesregelung den heute gegebenen Verhältnissen tatsächlich sinnvoll Rechnung" trage. Im besonderen sei darauf zu verweisen, daß die Betreuungspflichten nicht nur sittliche, sondern auch rechtliche seien und der Gesetzgeber auf die besonderen Gegebenheiten während des ersten Lebensjahres des Kindes durch die Bestimmungen über den Karenzurlaub und das Karenzurlaubsgeld selbst Bedacht genommen habe (DRdA 1966, 18 f, mit wörtlicher Wiedergabe der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes).

Im Anschluß an Frank vertrat auch Schrammel die Auffassung, es "wäre nicht vertretbar, von einer Arbeitslosen, die durch die Betreuung eines Kindes rechtlich gebunden ist, die uneingeschränkte Bereitschaft für eine VOLLARBEIT zu verlangen, wenn dadurch die Versorgung des Kindes gefährdet würde". Dem Arbeitslosenversicherungsrecht könne "keinesfalls" entnommen werden, daß Wertungen, die der Gesetzgeber in einem anderen Rechtsbereich artikuliert habe - z.B. im Familienrecht - völlig unberücksichtigt bleiben müßten (in Tomandl (Hrsg), Grundlegende Rechtsfragen der Arbeitslosenversicherung (1981), 47 f). Schrammel beschrieb aber auch die Gesetzeslage mit den Worten, auf die Betreuung der Familienangehörigen sei "KEINE RÜCKSICHT ZU NEHMEN, wenn dem Arbeitslosen eine Beschäftigung an seinem Wohnort angeboten wird" (aaO 46; im Original ohne Hervorhebung).

Dirschmied meinte, es sei "auf die bedingte Vermittlungsfähigkeit von Frauen mit Sorgepflichten für einen Angehörigen (BMAS III/145.601-14/1961) sowie die Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Kleinkindern Bedacht zu nehmen" (AlVG, 1. Auflage (1980), 54, und 2. Auflage (1990), 74; vgl. nun den Erlaß vom über die Vermittlungsfähigkeit bei Arbeitslosigkeit wegen Kinderbetreuung, ARD 4466/18/93; Ullrich/Ehrenreich, AlVG, Erläuterungen zu § 9 Abs. 1 und 2). Eine Neuregelung der Zumutbarkeitsbestimmung sei nicht notwendig (ZAS 1988, 37 (47, 49), ohne spezielle Bezugnahme auf das hier behandelte Problem). "§ 9 Abs. 2 AlVG" grenze die Zumutbarkeit in fünffacher Weise ein; aus "dem Gesetz" sei "ein Gesundheits- und Sittlichkeitsschutz, ein Berufsschutz, ein FAMILIENSCHUTZ und ein Entgeltschutz" abzuleiten (DRdA 1993, 442 (450), im Original ohne Hervorhebung).

Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof auch nach dem von Frank zitierten Tätigkeitsbericht davon ausgegangen, daß eine Berücksichtigung von Betreuungspflichten bei Beschäftigungen am Wohn- oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen eine Gesetzesänderung voraussetzen würde. Er hat in zwei jüngeren Entscheidungen bekräftigt, auf die Versorgung von Familienangehörigen sei nur bei einer Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes Bedacht zu nehmen (Erkenntnisse vom , Zl. 86/08/0167, und vom , Zl. 86/08/0194), und dies zuletzt in drei weiteren Erkenntnissen mit Hinweisen auf die Bestimmungen über die Sondernotstandshilfe und zum Teil auch auf Leistungen der Sozialhilfe wiederholt (Erkenntnisse vom , Zlen. 94/08/0221 und 94/08/0231, sowie Erkenntnis vom selben Tag, Zlen. 94/08/0252, 95/08/0001). Dabei wurde auch ausgesprochen, die Berücksichtigung der Versorgungspflichten komme auch bei auswärtigen Beschäftigungen nicht uneingeschränkt, sondern nur insoweit in Frage, als eine Beeinträchtigung im Verhältnis zu einer Beschäftigung im Wohn- oder Aufenthaltsort gegeben sei (Zlen. 94/08/0252, 95/08/0001).

Kann wegen der Kindesbetreuung KEINE (die Geringfügigkeitsgrenze übersteigende) Beschäftigung angenommen werden, so ist die Arbeitswilligkeit auch nach Frank und Schrammel zu verneinen, und es kommen - mit den dafür jeweils geltenden Beschränkungen - nur familienpolitisch orientierte Leistungen in Betracht, wie sie in der Form der Sondernotstandshilfe auch das Arbeitslosenversicherungsgesetz vorsieht. Vom Erfordernis der Arbeitswilligkeit wird dabei (in § 39 Abs. 1 AlVG) ausdrücklich abgesehen. Für Leistungen der Arbeitslosenversicherung, für die die Arbeitswilligkeit eine Tatbestandsvoraussetzung ist, ist aber daran festzuhalten, daß die Bereitschaft zu einer bloß die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden, etwa halbtägigen Beschäftigung nicht ausreicht und bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Beschäftigung am Wohn- oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen auf Betreuungspflichten nicht Rücksicht zu nehmen ist. Das ergibt sich aus dem Gesetz, weil es in § 9 Abs. 2 AlVG die Zumutbarkeitskriterien für die hier in Betracht gezogenen Fälle vollständig definiert ("zumutbar ist eine Beschäftigung, die ... ") und aus § 9 Abs. 3 AlVG hervorgeht, daß Versorgungspflichten mitbedacht und in § 9 Abs. 2 AlVG daher nicht versehentlich übergangen wurden.

Daß der Gesetzgeber im § 9 Abs. 2 AlVG nicht nur Minimalerfordernisse im Rahmen einer umfassenden, auch andere Gesichtspunkte einschließenden Zumutbarkeitsprüfung regeln wollte, zeigt sich auch an der Vorgeschichte dieser Bestimmung. Sowohl § 6 Abs. 2 AlVG 1920 als auch § 279 Abs. 2 GSVG 1935 sahen im Zusammenhang mit der jeweils in Abs. 1 verankerten Verpflichtung des Arbeitslosen, eine ihm zugewiesene "entsprechende Beschäftigung" anzunehmen, wortgleich vor, als "entsprechend" sei "JEDE Beschäftigung anzusehen, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in dem erlernten Berufe nicht wesentlich erschwert". Noch die Regierungsvorlage zum AlVG 1949 enthielt im Zusammenhang mit der (anstelle der erwähnten Verpflichtung) nun vorgesehenen Definition der Bezugsvoraussetzung "Arbeitswilligkeit" im Sinne einer Bereitschaft (u.a.) zur Annahme einer "zumutbaren Beschäftigung" die Formulierung, "zumutbar" sei "JEDE" Beschäftigung, die die aus den Vorgängerbestimmungen übernommenen Voraussetzungen erfülle (747 BlgNR 5. GP, 2). Der Ausschuß für soziale Verwaltung nahm in diesem Absatz eine Änderung vor, die im Ausschußbericht erwähnt wurde (Ausschluß einer Verkürzung des im Satz 2 normierten Berufsschutzes durch Verordnung), und ersetzte zugleich - ohne Erwähnung im Ausschußbericht - das Wort "jede" durch das Wort "eine" (927 BlgNR 5. GP, 3 und 8). Im Plenum führte der Berichterstatter aus, die Änderungen (u.a.) in dieser Bestimmung bedeuteten "eine Verbesserung gegenüber dem Wortlaut der Regierungsvorlage" (stPNR 5. GP, 114. Sitzung, Seite 3254). Hätte die hier beschriebene Änderung eine inhaltliche sein und die Bedeutung der Zumutbarkeitskriterien berühren sollen, so wäre dies wohl erwähnt, mit Sicherheit aber deutlicher formuliert worden (etwa durch Beifügung des Wortes "nur", was eine Deutung im Sinne von Minimalerfordernissen ermöglicht hätte).

4. Für die Beschwerdeführerin folgt daraus, daß ihr im speziellen gesetzlichen Sinn des § 9 Abs. 2 AlVG an ihrem Wohn- oder Aufenthaltsort auch Vollarbeit zumutbar war und sie nur bei Bereitschaft zur Annahme auch einer Ganztagsbeschäftigung die Bezugsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit erfüllen konnte (vgl. dazu das den Wunsch nach einer Halbtagsbeschäftigung betreffende Erkenntnis vom , Zl. 86/08/0167). Betreuungspflichtige Mütter sind (wie andere Arbeitslose) nicht daran gehindert, gegenüber den Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice den Vermittlungswunsch nach einer Teilzeitarbeit zu äußern. Kommt es aber zur Vermittlung einer nach § 9 AlVG zumutbaren Ganztagsarbeit am Wohn- oder Aufenthaltsort, so führt die Verweigerung oder Vereitelung der Annahme einer solchen Beschäftigung ohne Rücksicht auf Betreuungspflichten zum befristeten Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe (§ 10 Abs. 1 und § 38 AlVG). Erklärt ein Arbeitsloser - nach entsprechender Belehrung - grundsätzlich, daß er eine Ganztagsarbeit im Falle der Vermittlung einer solchen nicht annehmen werde, so ist der Antrag auf Arbeitslosengeld mangels Arbeitswilligkeit ohne konkretes Arbeitsangebot abzuweisen oder der schon bewilligte Bezug des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe einzustellen (vgl. zum insofern eingeschränkten Anwendungsbereich des § 10 AlVG Schrammel, aaO 43, die Erkenntnisse vom , Zlen. 94/08/0231 und 94/08/0235, sowie das Erkenntnis vom selben Tag,

Zlen. 94/08/0252, 95/08/0001). Für ein anderes Vorgehen in einem derartigen Fall "teilweise eingeschränkter Arbeitswilligkeit (z.B. nur stundenweise, Heimarbeit, etc.)" (Ullrich/Ehrenreich, aaO; vgl. auch Schrammel, aaO 48 f) bietet das Gesetz keine Grundlage. Führt die Auslegung nicht zum Ergebnis, daß die eingeschränkte Arbeitsbereitschaft ausreicht, so fehlt es an der gesetzlichen Bezugsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit.

Die Beschwerdeführerin hat in der Berufung erklärt, sie habe das Dienstverhältnis lösen müssen, weil sie nachmittags keine Aufsichtsperson mehr für ihre Tochter habe. Sie könne Ganztagsarbeit "momentan" nicht ausüben, stehe dem Arbeitsmarkt aber im Rahmen ihrer Betreuungsplanung für eine Teilzeitbeschäftigung, wenn möglich vormittags, zur Verfügung. Die erfolgte Zuweisung zu einer Ganztagsarbeit (an einem anderen als dem Wohn- oder Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin) sei von der zuständigen Beraterin des Arbeitsmarktservice für "gegenstandslos" erklärt worden, weil die Beschwerdeführerin "als arbeitssuchend - vormittags - vorgemerkt" sei. Diese Ausführungen enthalten wohl Hinweise darauf, daß die Beschwerdeführerin auf dem Standpunkt stehe, "momentan" keine Ganztagsbeschäftigung ausüben zu können. Sie gehen aber davon aus, daß dies der "Betreuungsplanung" in bezug auf die Beschwerdeführerin nicht widerspreche, und beruhen erkennbar auf der Annahme, die Bereitschaft zu einer Ganztagsarbeit werde gar nicht erwartet. Das ist zu berücksichtigen, weil sich die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit trotz der objektiven Hindernisse, die die Annahme von Vollarbeit erschweren können, nicht losgelöst vom Willen des Arbeitslosen beurteilen läßt. Erklärungen, die vom Fehlen entsprechender Anforderungen ausgehen, sind daher keine ausreichende Entscheidungsgrundlage. Im vorliegenden Fall gilt dies auch für die Ausführungen in der Beschwerde, weil der angefochtene Bescheid deutlich impliziert, daß die in Zweifel gezogene Bereitschaft zu einer Vormittagsarbeit der belangten Behörde genügt hätte. Wie ein gegenteiliger Vorhalt beantwortet worden wäre, kann aufgrund der schon vorliegenden Erklärungen nicht beurteilt werden. Dazu kommt noch, daß im Fall der Beschwerdeführerin vor allem Beschäftigungen außerhalb ihres Wohnortes in Betracht zu kommen scheinen, deren Zumutbarkeit sich - in dem schon dargestellten eingeschränkten Sinn - auch nach § 9 Abs. 3 AlVG bestimmt. Auch die aufgegebene Beschäftigung wurde nicht am Wohn- oder Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin ausgeübt. Das ist ebenfalls zu berücksichtigen, weil auch eine von konkreten Vermittlungsversuchen losgelöste, nur auf Erklärungen des Arbeitslosen gestützte Beurteilung seiner Arbeitsbereitschaft sich auf Arbeit beziehen muß, deren Vermittlung als möglich erscheint. Ohne die mangelhaft begründete Annahme, die Beschwerdeführerin stehe für eine Beschäftigung überhaupt nicht zur Verfügung, hätte die belangte Behörde daher zu einem anderen Bescheid kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein Anspruch auf den Ersatz von Umsatzsteuer aus dem Schriftsatzaufwand besteht nach diesen Vorschriften nicht.