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VwGH vom 26.05.1992, 88/05/0178

VwGH vom 26.05.1992, 88/05/0178

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und den Vizepräsidenten Dr. Jabloner sowie die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde der SF in X, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR-B XIX-28/88, betreffend die Versagung einer Bewilligung nach § 71 der Bauordnung für Wien, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom versagte der Wiener Magistrat der Beschwerdeführerin gemäß § 71 der Bauordnung für Wien die Baubewilligung für folgende Bauten auf den Grundstücken 526/2, 523/2 und 523/3, KG X:

1. Die Herstellung einer abgedeckten Terrasse im Ausmaß von 3.00 x 3.30 m mit einer Wetterschutzwand auf Gst. 526/2 in der rechten Abstandsfläche, von der E-Straße gesehen.

2. Die Herstellung einer 3.00 x 3.30 m großen gedeckten Terrasse mit einer Wetterschutzwand auf Gst. 523/2 und 523/3 in der linken Abstandsfläche, von der E-Straße gesehen.

Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß auf Grund der geltenden Flächenwidmung

Grünland-Erholungsgebiet-Kleingartengebiet und der sich daraus ergebenden Zweckbestimmung der Grundstücke, sowie auf Grund der örtlichen Gegebenheiten, welche die Situierung gedeckter Terrassen an anderer Stelle unter Einhaltung der Abstandsvorschriften zulasse, ein begründeter Ausnahmefall nicht vorliege. Auch der Amtssachverständige der der MA 19 (Architekturabteilung des Wiener Magistrates) habe sich im Hinblick auf § 85 der Bauordnung für Wien (BO) und des § 9 Abs. 1 des Wiener Kleingartengesetzes, wonach die in Rede stehenden gedeckten Terrassen der im Flächenwidmungsplan beabsichtigten Stadtgestaltung widersprechen, gegen die Erteilung der Ausnahmegenehmigung ausgesprochen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Terrassen könnten schon deshalb nicht störend in Erscheinung treten, weil man sie nur bei größtem Bemühen ausfindig machen könne, sei schon deshalb nicht zielführend, da sonst alle nicht auf den ersten Blick in Erscheinung tretenden, jedoch einer gesetzlichen Bestimmung widersprechenden Baulichkeiten einen begründeten Ausnahmefall für eine Bewilligung gemäß § 71 BO darstellten. Eine Bewilligung nach dieser Gesetzesstelle komme aber auch schon deshalb nicht in Betracht, weil die Erteilung der Ausnahmegenehmigung dazu führen könnte, daß die Behörde, wollte sie sich nicht dem Vorwurf einer willkürlichen Handhabung des Ermessens aussetzen, auch in gleichartigen Fällen eine Ausnahmegenehmigung erteilen müßte.

Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wies die Bauoberbehörde für Wien mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der maßgeblichen Rechtslage erachtete die Berufungsbehörde einen sachlich begründeten Ausnahmefall hier als nicht gegeben. Begründend ging die Verwaltungsbehörde zunächst davon aus, daß es unter Verletzung der Abstandsvorschriften zur Errichtung der Terrasse kommen soll. Daß die Beschwerdeführerin auch Eigentümerin des benachbarten Kleingartenloses sei, stelle keinen Ausnahmefall dar, der es rechtfertigen würde, eine Baubewilligung gemäß § 71 BO für die Errichtung einer gedeckten Terrasse in der Abstandsfläche zu erteilen. Zweck der Abstandsbestimmungen sei es, eine lockere Verbauung der Kleingartenflächen zu gewährleisten. Würde man den Umstand, daß die Beschwerdeführerin Eigentümerin zweier benachbarter Kleingartenlose sei, als einen Ausnahmefall anerkennen, der die Erteilung einer Baubewilligung gemäß § 71 BO rechtfertigen würde, müßte man einen solchen Ausnahmefall auch dann als gegeben ansehen, wenn verschiedene Loseigentümer Bauführungen bis zur Nachbargrenze zustimmen. Damit wäre aber eine den Bestimmungen des Wiener Kleingartengesetzes entsprechende Verbauung der Kleingartenlose von vornherein unmöglich gemacht. Eine Baubewilligung nach § 71 BO sei daher mit dem Schutzzweck der Abstandsvorschrift des Wiener Kleingartengesetzes nicht in Einklang zu bringen. Regelungszweck der Norm sei nicht nur die Gewährleistung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes des Anrainers auf Freihaltung des Seitenabstandes, sondern auch die Gewährleistung einer lockeren Verbauung der Kleingartenflächen. Die vom Gesetz vorgesehene lockere Verbauung der Kleingartenfläche wäre aber schlechthin nicht verwirklichbar, wenn Fälle wie der in Rede stehende typischerweise Ausnahmefälle wären. Die Baubehörde erster Instanz habe daher zu Recht die angestrebte Bewilligung versagt.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt die Beschwerdeführerin, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Sie erachtet sich in ihren Rechten auf Erteilung einer Baubewilligung gemäß § 71 BO und Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens verletzt.

Über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 71 der Wiener Bauordnung trägt die Überschrift "Bewilligung für Bauten vorübergehenden Bestandes" und hat folgenden Wortlaut:

"§ 71. Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Baulichkeit den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, kann die Behörde auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen. Für sie gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist. Der Bewilligung dürfen durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen, es sei denn, daß der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt hat oder gemäß § 42 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes als der Bewilligung zustimmend anzusehen ist."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung eines Ansuchens um Erteilung einer Baubewilligung gemäß § 71 BO von der Behörde zunächst zu untersuchen, ob vom Antragsteller für die Erteilung einer solchen Ausnahmebewilligung angeführte oder auch aus seinem Vorbringen im Zusammenhang mit der jeweils gegebenen Situation erkennbare besondere Gründe vorliegen, weil andernfalls eine Abstandnahme von den Vorschriften der Bauordnung in keinem Fall als gerechtfertigt angesehen werden könnte (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Slg. N.F. Nr. 5881/A, vom , Zl. 1031/65, u.a.).

Die Beschwerdeführerin will nun einen Ausnahmegrund darin sehen, daß es ihr im Interesse einer möglichst schonenden Verbauung der Liegenschaft zweckmäßig erschienen sei, die überdachten Terrassen in die Abstandsfläche zu bauen, wodurch dem öffentlichen Interesse, im Kleingartengebiet eine möglichst lockere Bebauung vorzunehmen, wesentlich besser gedient sei. Von außerhalb der Grundstücksflächen könnten die überdachten Terrassen kaum eingesehen werden, worauf sie insbesondere hingewiesen habe. Keinesfalls habe die Beschwerdeführerin zum Ausdruck bringen wollen, daß dann, wenn ein subjektiv-öffentliches Recht von Anrainern nicht verletzt werde, bereits ein genehmigungswürdiger Ausnahmefall vorliege. Im konkreten Fall könne nun gerade der Schutzzweck einer lockeren Verbauung gar nicht verletzt worden sein. Der maßgebliche optische Gesamteindruck werde eben nicht nur von der Einhaltung der Bauvorschriften bestimmt, sondern auch von anderen Kriterien, die von Fall zu Fall ganz unterschiedlich seien, wie etwa Lage und Gestalt des zu bebauenden Grundstückes, bereits vorhandene Verbauung in der Nachbarschaft und Bepflanzungen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin einen Ausnahmefall im Sinne des § 71 BO nicht zu erblicken. Der Zweck der Abstandsbestimmungen des Wiener Kleingartengesetzes besteht nicht nur darin, eine bestimmte lockere Verbauung der Kleingartenflächen zu gewährleisten, sondern auch darin, in einer bestimmten Art und Weise die Bebauung der Kleingartenflächen vorzunehmen, und zwar unter Freihaltung bestimmter Abstände. Die Abstandsvorschrift dient also vor allem der Art der Bebauung und nicht nur dem Interesse des Anrainers an der Freihaltung von Grundflächen entlang seiner Grundgrenze. Angesichts der konkreten Rechtsnormen vermag der Verwaltungsgerichtshof die Behauptung, die von der Beschwerdeführerin vorgenommene Bebauung würde dem öffentlichen Interesse im Kleingartengebiet an einer möglichst lockeren Bebauung wesentlich besser dienen als die gesetzlichen Bestimmungen, nicht als einen Ausnahmegrund zu beurteilen, könnte doch mit einer solchen Behauptung die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen schlechthin ad absurdum geführt werden, was nicht der Sinn einer Ausnahmeregelung sein kann. Im übrigen hat der Amtssachverständige der zuständigen Architekturabteilung des Wiener Magistrats die Beurteilung der Beschwerdeführerin in seinem Gutachten vom nicht geteilt. Auch die Einsehbarkeit vermag nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einen Ausnahmegrund darzustellen, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, daß die bei den Verwaltungsakten erliegenden Fotos durchaus den Eindruck vermitteln, daß Einsichtsmöglichkeiten jedenfalls gegeben sind. Lagen aber besondere Gründe für die Bejahung eines Ausnahmefalles nicht vor, so war es entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht Aufgabe der Baubehörde, weitere Prüfungen dahingehend vorzunehmen, ob es sich um schwerwiegende Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen handle. Für die belangte Behörde bestand daher keine Veranlassung, weitere Ermittlungen durchzuführen.

Auf Grund der dargelegten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff. VwGG sowie auf die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.