VwGH vom 22.04.1993, 92/09/0377
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des Landesarbeitsamtes Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS.04/22/00114/92, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (mitbeteiligte Partei: I in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W; weitere Partei:
Bundesminister für Arbeit und Soziales), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (mP) wurde im Verwaltungsstrafverfahren als die gemäß § 9 VStG zur Vertretung der P-Gesellschaft m.b.H. (Ges.m.b.H.) nach außen Berufene und damit auch für Verstöße der Ges.m.b.H. gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) Verantwortliche behandelt.
Im Februar und im März 1991 kam es zu insgesamt fünf Anzeigen des nunmehr beschwerdeführenden Landesarbeitsamtes Wien (LAA) gegen die mP wegen zahlreicher Verstöße gegen § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG durch Beschäftigung von Ausländern zu verschiedenen Zeitpunkten in den Jahren 1990 und Anfang 1991. Auf Grund dieser Anzeigen forderte der Magistrat der Stadt Wien als Strafbehörde erster Instanz die mP am mit folgendem Wortlaut zur Rechtfertigung auf:
"Es wird Ihnen zur Last gelegt, folgende Verwaltungsübertretungen begangen zu haben:
Sie haben es als handelsrechtliche Geschäftsführerin und somit als das zur Vertretung nach außen berufene Organ im Sinne des § 9 VStG der P-Gesellschaft m.b.H. zu verantworten, daß diese Gesellschaft an folgenden Tagen folgende ausländische
Arbeitskräfte ... an folgenden Orten beschäftigt hat, für die
weder eine Beschäftigungsbewilligung erteilt, noch ein Befreiungsschein ausgestellt wurde:"
Daran schließt sich in Anlehnung an die erstatteten Anzeigen die Aufzählung der einzelnen Ausländer mit Vor- und Zunamen, Geburtsdaten, Staatsbürgerschaft, fast durchgehend auch unter Anführung der von ihnen ausgeübten Tätigkeit sowie jeweils unter Angabe der kalendermäßig bestimmten Beschäftigungstage, aber ohne Bezeichnung des Ortes ihrer jeweiligen Beschäftigung.
Diese Aufforderung ließ die mP unbeantwortet.
Daraufhin erließ der Magistrat das Straferkenntnis vom , in welchem die der mP vorgeworfene Tat wortgleich wie in der Aufforderung zur Rechtfertigung umschrieben wurde. Dafür wurde die mP gemäß § 28 Abs. 1 AuslBG zu Geldstrafen von S 20.000,-- je beschäftigten Ausländer, insgesamt zu S 440.000,-- (im Nichteinbringungsfalle zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Wochen) und zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Begründend berief sich der Magistrat auf die vom LAA erstatteten Anzeigen sowie darauf, daß die mP trotz Androhung der Rechtsfolgen der ihr zugestellten Aufforderung zur Rechtfertigung keine Folge geleistet habe. Dieser Bescheid enthielt ferner eine Rechtsmittelbelehrung wie gegen eine Strafverfügung (Hinweis auf die Möglichkeit eines Einspruches, nicht aber auf eine Berufung und auf die Notwendigkeit eines darin enthaltenen begründeten Berufungsantrages).
Hierauf erhob die mP gegen das Straferkenntnis vom einen nicht weiter begründeten Einspruch.
Mit Schreiben des Magistrats vom wurde die Rechtsmittelbelehrung richtiggestellt und die mP gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgefordert, binnen zwei Wochen einen begründeten Berufungsantrag nachzureichen, wobei sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, daß diese Frist mündlich um eine Woche verlängert worden ist.
Innerhalb der so verlängerten Frist ergänzte die mP mit Schreiben vom ihre Berufung dahin, daß für alle personellen Angelegenheiten der Dienstnehmer der Ges.m.b.H. Herr P zuständig sei. Außerdem seien die Ausländer nur mit behördlichen Bewilligungen beschäftigt worden; zum Nachweis dafür legte die mP zahlreiche Urkunden vor. In einer bereits vom Rechtsanwalt der mP verfaßten Berufungsergänzung vom beantragte die mP ferner die Einvernahme von Zeugen und wies insbesondere auch "auf die fehlenden Tatorte im Straferkenntnis vom " hin. Weiters werde die Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz und der belangten Behörde geltend gemacht. Die Ges.m.b.H. habe ihren Sitz in G (NÖ). Außerdem seien die Strafbestimmungen des AuslBG verfassungswidrig.
Das LAA nahm am und am zur Berufung der mP Stellung, und zwar insbesondere zum behaupteten Vorliegen von die mP entlastenden Beschäftigungsbewilligungen, wobei das LAA den Strafantrag hinsichtlich einzelner im erstinstanzlichen Straferkenntnis aufscheinender Ausländer "zurückzog".
Mit Eingabe vom legte die Beschwerdeführerin zum Nachweis der Verantwortlichkeit des P für die Personalangelegenheiten der Ges.m.b.H. einen Dienstvertrag vom vor.
Schließlich nahm das LAA noch am zu Fragen der Konkretisierung des Bescheidspruches insbesondere in der Frage des Tatortes Stellung, wobei es anregte, die belangte Behörde möge nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens das bei ihr angefochtene Straferkenntnis ergänzen und bestätigen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom behob die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG das Straferkenntnis des Magistrates vom und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG ein.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides habe infolge der fehlenden Angabe der jeweiligen Tatorte nicht der Vorschrift des § 44a Z. 1 VStG entsprochen. In der vorliegenden Verwaltungsstrafsache sei die erste Verfolgungshandlung mit der erstinstanzlichen Aufforderung zur Rechtfertigung vom erfolgt, die aber ebenfalls keine Angaben zum Tatort enthalten habe. Da der Akteninhalt der mP auch nicht auf sonstige Weise innerhalb der Verjährungsfrist zur Kenntnis gebracht worden sei, sei es der belangten Behörde verwehrt, den fehlenden Tatort (allenfalls die fehlenden Tatorte) in seinem bescheidmäßigen Abspruch zu ergänzen. Abgesehen davon sei der Aktenlage nicht zweifelsfrei zu entnehmen, wo die der mP zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen begangen worden seien. Die Angabe in den Anzeigen, Tatort sei der Firmensitz der Ges.m.b.H. in Wien n1, stehe im Widerspruch mit einem Erhebungsbericht vom , wonach an dieser Adresse kein Betrieb und kein Hinweis auf eine gewerbliche Tätigkeit gefunden worden sei. Eine Ergänzung der fehlenden Tatortangaben durch die belangte Behörde verbiete sich auch deshalb, weil durch die bloßen Tatzeitangaben im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses die mP rechtlich nicht davor geschützt sei, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies folge auch aus den widersprüchlichen Angaben über den Firmensitz in Wien n1 einerseits und in G (NÖ) andererseits. Aus diesen Rechtsschutzüberlegungen sei das an Tatort- und Tatzeitangabe zu stellende Erfordernis in bezug auf den erstinstanzlichen Spruch als nicht erfüllt zu erachten. Dies gründe sich insbesondere auch auf die Ausführungen des LAA in seiner Stellungnahme vom . Der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses sei somit auf Grund der fehlenden Angaben zum Tatort als nicht ausreichend konkretisiert bzw. individualisiert zu werten. Überdies sei festzuhalten, daß die belangte Behörde mangels jedweder Tatortangabe im Spruch des bei ihr angefochtenen Straferkenntnisses ihre eigene örtliche Zuständigkeit zur Sachentscheidung nicht nach der Regel des § 51 Abs. 1 VStG habe prüfen können, sondern vielmehr gezwungen gewesen sei, diese hilfsweise über eine Analogie zu § 56 Abs. 3 VStG in Anspruch zu nehmen.
Da innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist keine dem Gesetz entsprechende Tatanlastung vorgenommen worden sei, habe das Verfahren in Stattgebung der Berufung gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG eingestellt werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde (§ 28a AuslBG), in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Nach Auffassung des LAA steht die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, hat aber auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.
Die mP hat sich in ihrer Gegenschrift der Rechtsansicht der belangten Behörde angeschlossen und beantragt die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, daß weder der Aufforderung zur Rechtfertigung vom noch dem erstinstanzlichen Bescheid ein Hinweis auf einen Tatort zu entnehmen ist.
§ 44a lit. a VStG bestimmt, daß der "Spruch" (§ 44 Abs. 1 Z. 6 VStG), wenn er nicht auf Einstellung lautet, "die als erwiesen angenommene Tat" zu enthalten hat. Das heißt, daß die Tat im Spruch so eindeutig umschrieben sein muß, daß kein Zweifel darüber besteht, wofür der Täter bestraft worden ist. Der zitierten Rechtsvorschrift ist also dann entsprochen, wenn
a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, daß er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44a lit. a VStG genügt oder nicht genügt, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder als rechtswidrig erscheinen läßt. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu messendes sein (Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 85/02/0053 = Slg. 11894/A).
Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, daß das Fehlen jeder Tatortangabe im Spruch einen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 88/08/0191, und vom , Zl. 90/19/0048). Ausnahmen von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung dort zugelassen, wo - wie in weiten Bereichen des Arbeitnehmerschutzes - im Zweifel der Sitz des Unternehmens als Tatort anzusehen ist und mit Rücksicht auf die sonst angeführten Sachverhaltselemente, wie etwa die örtliche Bezeichnung der Filiale, in welcher (z.B.) die Arbeitszeitüberschreitung "begangen" wurde, kein Zweifel übrig bleibt, auf welchen konkreten Tatvorwurf abgestellt wird (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 91/19/0289, und vom , Zl. 92/18/0045).
Auch im Falle von Übertretungen gegen § 28 AuslBG wie im Beschwerdefall ist im Zweifel der Sitz des Unternehmens des Arbeitgebers der Tatort, denn dort wird in der Regel die gegebenenfalls nach diesem Gesetz verpönte Beschäftigung (§ 2 Abs. 1 AuslBG) ausländischer Arbeitskräfte eingegangen, bzw. wäre von dort aus die allenfalls erforderliche Beschäftigungsbewilligung zu beantragen. Der Umstand allein, daß im erstinstanzlichen Bescheidspruch der Sitz des Unternehmens der Ges.m.b.H. als Tatort nicht genannt wurde, rechtfertigt daher die von der belangten Behörde verfügte Einstellung des Verfahrens noch nicht; auch ist es grundsätzlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Berufungsbehörde, einen allenfalls fehlerhaften Abspruch der ersten Instanz richtigzustellen oder zu ergänzen (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 92/09/0206, und vom , Zl. 92/09/0054).
Derartige Überlegungen, wie sie naturgemäß auch der Beschwerde weitgehend zugrunde liegen, können indes dann nicht zielführend sein, wenn es nach der Lage des Falles bereits an einer tauglichen, den Eintritt der Verfolgungsverjährung unterbrechenden Verfolgungshandlung fehlt. Bereits eine derartige Verfolgungshandlung muß einen bestimmten (strafbaren) Sachverhalt zum Gegenstand haben; dies erfordert, daß sie sich auf alle der Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente bezieht. Dazu zählt im Sinne der oben wiedergegebenen Judikatur die Nennung des Tatortes, wofür jedoch die Erschließbarkeit des Unternehmenssitzes aus der Adressierung der jeweiligen behördlichen Erledigung nicht ausreicht (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 90/19/0088, und die dort angeführte Vorjudikatur). Der Verwaltungsgerichtshof vermag mit Rücksicht darauf, daß Ermittlungen bzw. Feststellungen über den Ort des Unternehmenssitzes nicht erfolgt sind, dem LAA auch darin nicht zu folgen, daß dann, wenn feststeht, wer der Arbeitgeber ist, damit auch der Tatort feststeht.
Im Beschwerdefall ist innerhalb der gemäß § 28 Abs. 2 AuslBG einjährigen Verjährungsfrist gegen die mP keine im Sinne dieser Ausführungen taugliche Verfolgungshandlung gerichtet worden, denn weder die Aufforderung zur Rechtfertigung noch das erstinstanzliche Straferkenntnis noch sonstige dafür geeignet erscheinende Verfahrensschritte enthielten die Angabe eines Tatortes oder auch nur eine diese Angabe ausnahmsweise entbehrlich machende örtliche Umschreibung der der mP vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen.
Da somit an die mP innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist keine dem Konkretisierungsgebot in örtlicher Hinsicht entsprechende Verfolgungshandlung gerichtet worden ist, wurde die Einstellung des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG von der belangten Behörde zu Recht verfügt, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.
Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz an die mP gründet sich auf die §§ 47 Abs. 3 und 48 Abs. 3 Z. 1 und 2 VwGG iVm Art. I C Z. 7 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.