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VwGH vom 25.06.1992, 92/09/0056

VwGH vom 25.06.1992, 92/09/0056

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des Dr. N in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (Senat 3a) vom , ohne Zahl, betreffend Einleitung eines Disziplinarverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Oberrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle war zuletzt das Bezirkspolizeikommissariat X, derzeit ist er am Bezirkspolizeikommissariat Y tätig.

Am erfolgte eine Überprüfung zahlreicher vom Beschwerdeführer bearbeiteter Verwaltungsstrafakten (Verkehrsstrafsachen) durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien, deren Ergebnis in dem Vorwurf an den Beschwerdeführer bestand, ca. 50 solcher Akte mangelhaft bearbeitet zu haben. In diesen Fällen sei es teils zu ungerechtfertigten Strafherabsetzungen, teils zu mehr als großzügigen Verfahrenseinstellungen gekommen. Nachdem dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben worden war, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, erließ die belangte Behörde auf Grund der gegen den Beschwerdeführer erstatteten Disziplinaranzeige den nunmehr angefochtenen Bescheid vom , der dem Beschwerdeführer am zugestellt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 ein Disziplinarverfahren einzuleiten, weil er verdächtig sei, "die ihm gemäß § 43 Abs. 1 und Abs. 2 und § 44 Abs. 1 BDG 1979 obliegenden Dienstpflichten dadurch verletzt zu haben, daß er bei der Bearbeitung von etwa 50 Verwaltungsstrafakten die erforderliche Sorgfalt teils durch nicht gerechtfertigte Einstellung von Verfahren, teils durch zu großzügige und damit ungerechtfertigte Herabsetzung von Strafen, außer acht gelassen habe". Dieser Vorwurf gehe auf eine Überprüfung durch die Bundespolizeidirektion Wien am zurück. Der Beschwerdeführer habe sich dahin verantwortet, daß er stets bestrebt gewesen sei, die Verfahren möglichst ökonomisch und bürgernahe abzuwickeln. Ferner habe er sich auf den großen Arbeitsanfall und auf die triste Personalsituation berufen. Nach Auffassung der belangten Behörde könne auf Grund des bisherigen Ermittlungsergebnisses der Verdacht einer Verletzung von Dienstpflichten durch den Beschwerdeführer nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Der Senat sei sich aber durchaus der Problematik bewußt, die sich aus dem enormen Arbeitsanfall und der zweifelsfrei nicht ganz einfachen Personalsituation ergebe. Mit dem Einleitungsbeschluß sei somit keine Schuldzuweisung verbunden, er gehe vielmehr auf "den immerhin gegebenen Verdacht einer Dienstpflichtverletzung und die drohende Gefahr der Verjährung" zurück. Vor einer Entscheidung über das tatsächliche Vorliegen von Dienstpflichtverletzungen sei der Sachverhalt noch zu ergänzen, so etwa durch Vorlage der Unterlagen über eine beabsichtigte (negative) Leistungsfeststellung für den Beschwerdeführer. Auf Grund des derzeitigen Ermittlungsstandes könne die Bandbreite des dem Beschwerdeführer anzulastenden Fehlverhaltens durchaus von für disziplinarrechtliche Veranlassungen nicht ausreichenden Unzulänglichkeiten bis zu nicht tolerierbaren Dienstpflichtverletzungen reichen. Eine mangelhafte Aktenbearbeitung sei nämlich bei Beachtung eines Mindestmaßes an Sorgfalt sicher grundsätzlich geeignet, Zweifel an der Erfüllung von Dienstpflichten zu begründen. Es sei aber allgemein bekannt, daß gerade die Konzeptsbeamten der Bundespolizeidirektion Wien einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt seien, weshalb realistischerweise eine optimale Bearbeitung aller Akten und eine akribische Verfahrensabwicklung nur sehr schwer durchführbar bzw. überhaupt unmöglich seien. Dem Senat erscheine es nicht möglich, alle offenen Fragen erst im Rahmen einer Verhandlung abzuklären. Vielmehr werde es Aufgabe der Bundespolizeidirektion Wien sein, den Sachverhalt bestmöglich aufzubereiten und der belangten Behörde so eine geeignete Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Der vorliegende Beschluß stelle somit weder eine Vorverurteilung des Beschwerdeführers dar, noch beinhalte er eine Schuldzuweisung, sondern sei lediglich als verfahrensrechtlich notwendiger Schritt zu werten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht verletzt, daß gegen ihn nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 91 BDG 1979 ist der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, nach diesem Abschnitt (d.h. nach dem 9. Abschnitt des BDG 1979) zur Verantwortung zu ziehen.

Nach § 94 Abs. 1 BDG 1979 darf der Beamte wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht 1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder

2. innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde.

Nach § 123 Abs. 1 BDG 1979 hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission nach Einlangen der Disziplinaranzeige die Disziplinarkommission zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag der Disziplinarkommission durchzuführen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben Ermittlungen der Disziplinarbehörde vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens das Ziel, zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind, oder ob allenfalls offenkundige Gründe für eine sofortige Verfügung der Einstellung des Disziplinarverfahrens (§ 118 Abs. 1 BDG 1979) vorliegen. Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ein Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen gegeben erscheinen lassen. Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung, er setzt die Kenntnis von Tatsachen voraus, aus denen nach der Lebenserfahrung auf ein Vergehen geschlossen werden kann. Die Disziplinarkommission muß bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob ein bestimmter Beamter eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. Ebensowenig muß im Einleitungsbeschluß das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden. Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist in erster Linie darin gelegen, dem beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, was insbesondere für die Frage einer allfälligen Verjährung von ausschlaggebender Bedeutung ist (vgl. zu diesen Ausführungen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 90/09/0192, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt der Beschwerdeführer gegen den im Beschwerdefall ergangenen Einleitungsbeschluß vor, die belangte Behörde habe ungeprüft gelassen, seit wann die Bundespolizeidirektion Wien bereits in Kenntnis von den behaupteten Dienstpflichtverletzungen des Beschwerdeführers gewesen sei; eine solche Überprüfung hätte zu einer Einstellung des Disziplinarverfahrens wegen Verjährung (§ 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979) führen müssen. Mit diesem Vorbringen läßt der Beschwerdeführer allerdings außer acht, daß nur OFFENKUNDIGE Gründe für eine sofortige Verfügung der Einstellung des Disziplinarverfahrens gemäß § 118 Abs. 1 BDG 1979 der Einleitung des Disziplinarverfahrens entgegenstehen. Bei der gegebenen Sachlage, die auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt wird, war keinesfalls offenkundig Verjährung gegeben, weil die belangte Behörde vom Beginn der Verjährungsfrist mit Kenntnis vom Ergebnis der Überprüfungshandlungen vom ausgehen konnte.

Als Rechtswidrigkeit des Inhaltes macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe in der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst darauf hingewiesen, daß ein Verschulden des Beschwerdeführers an den behaupteten Dienstpflichtverletzungen nicht feststellbar sei. Auch damit irrt der Beschwerdeführer, denn die belangte Behörde hat wohl darauf hingewiesen, daß mit der Verfahrenseinleitung keine Schuldzuweisung verbunden sei, sie hat aber nicht ausgeschlossen, daß die Schuld des Beschwerdeführers im nachfolgenden Disziplinarverfahren erwiesen werden könnte. Da sich die Erwägungen der Disziplinarkommission im Einleitungsbeschluß regelmäßig im bloßen Verdachtsbereich bewegen, was rechtlich für die Verfahrenseinleitung auch ausreicht, hat die belangte Behörde mit ihrem Hinweis darauf, daß mit der Einleitung noch keine Schuldzuweisung verbunden sei, nicht mehr ausgesagt als rechtlich ohnehin selbstverständlich ist. Eine Rechtswidrigkeit kann daher darin, daß eine abschließende Beurteilung der subjektiven Tatseite im Einleitungsbeschluß unterblieben ist, keinesfall gelegen sein.

Da dem angefochtenen Bescheid die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtswidrigkeit somit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.