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VwGH vom 13.03.1991, 87/13/0190

VwGH vom 13.03.1991, 87/13/0190

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat V) vom , Zl. 6/1-1285/1/86, betreffend Einkommensteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1984 (mitbeteiligte Partei: H), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte betreibt in mehreren Filialen einen Groß- und Kleinhandel mit "Kurz-, Galanterie- und Bijouteriewaren". Im Jahr 1984 veräußerte er eines der Verkaufslokale samt Einrichtung, jedoch ohne Warenlager um S 3,000.000,-- zuzüglich 20 Prozent Umsatzsteuer. Der Veräußerungsgewinn betrug S 2,896.322,--. Es wurde der Antrag gestellt, den Veräußerungsvorgang als steuerbegünstigte Veräußerung eines Teilbetriebes im Sinne des § 24 Abs. 1 Z. 1 EStG zu beurteilen und dementsprechend den begünstigen Steuersatz nach § 37 EStG anzuwenden.

Das Finanzamt bestritt (im Zuge einer Betriebsprüfung) das Vorliegen einer Teilbetriebsveräußerung mit der Begründung, daß das Warenlager nicht mitveräußert worden sei.

Der Mitbeteiligte erhob Berufung gegen den abweisenden Einkommensteuer- und Gewerbesteuerbescheid. Mit der begünstigten Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Teilbetrieben gemäß § 37 EStG werde dem Umstand Rechnung getragen, daß es dabei zu einer zusammengeballten Realisierung stiller Reserven komme. Sinn der Bestimmung sei es, solche außerordentliche Gewinne nicht "zum Großteil wegzuversteuern". Diese wirtschaftlichen Überlegungen seien insbesondere auch deswegen berechtigt, weil Teilbetriebsveräußerungen "zumeist zu Sanierungszwecken durchgeführt werden". Einem derartigen Zweck habe auch die vorliegende Teilbetriebsveräußerung gedient. Durch den Bau der U-Bahn sei es bei anderen Filialen zu hohen Umsatzeinbußen gekommen, die es unmöglich gemacht hätten, die Anlaufverluste der erst seit Ende 1980 eröffneten, nunmehr veräußerten Filiale aufzufangen. Mit der Veräußerung sollte eine Sanierungsmaßnahme gesetzt werden, "um den weiteren Umsatzeinbußen durch den U-Bahnbau zu begegnen". Es sei nicht einzusehen, warum bei Einzelhandelsunternehmungen die Mitveräußerung des Warenlagers Voraussetzung dafür sein solle, um eine Betriebsveräußerung bzw. Teilbetriebsveräußerung zu bejahen, während dies bei andere Betriebstypen, wie Restaurants und Produktionsunternehmungen nicht der Fall sei. Auch bei einem Einzelhandelsunternehmen könne das Warenlager problemlos vom Betriebsübernehmer nachbeschafft werden, sodaß eine reibungslose Weiterführung des Betriebes gewährleitet sei. Im übrigen habe der Mitbeteiligte in der veräußerten Filiale auch "Großhandelsumsätze in nicht unbeachtlicher Höhe getätigt".

Zu Anschaffungskosten bewertet hätten die veräußerten Wirtschaftsgüter folgende Werte gehabt:

Mietrecht S 1,968.695,--

Betriebs- und Geschäftsausstattung

(zusammengefaßt) S 368.914,70

Summe S 2,337.609,70.

Auch die immateriellen Wirtschaftsgüter, wie Standort und Kundenstock seien selbstverständlich mitveräußert worden. Demgegenüber habe das Warenlager zum Verkaufsstichtag nur einen Wert von ca. S 267.000,-- gehabt und sei daher im Verhältnis zum sonstigen übereigneten Inventar "verschwindend gering". Für die veräußerte Filiale seien eigene Grundaufzeichnungen geführt worden. Die Buchhaltung des Gesamtbetriebes sei so organisiert, daß eine separate Gewinnermittlung für jede einzelne Filiale aus der Jahresbilanz abgeleitet werden könne. Auch sei zu beachten, daß eine Mitveräußerung des Warenlagers nur unter den Einstandswerten möglich gewesen wäre und den Veräußerungsgewinn daher verringert hätte.

In seiner Stellungnahme zu der Berufung brachte der Betriebsprüfer vor, daß der Erwerber der Filiale nur an den Räumlichkeiten interessiert gewesen sei.

Die belangte Behörde gab der Berufung statt. Sie beurteilte die Veräußerung der Filiale als Teilbetriebsveräußerung, berücksichtigte gemäß § 24 Abs. 4 EStG einen anteiligen Freibetrag von S 13.260,-- und besteuerte den Veräußerungsgewinn gemäß § 37 EStG mit einem Steuersatz von 29,36 Prozent; außerdem schied sie den Veräußerungsgewinn aus der Gewerbesteuerbemessungsgrundlage aus.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist unter der Veräußerung eines Teilbetriebes die Veräußerung eines organisch in sich geschlossenen Teiles eines Gewerbebetriebes zu verstehen, der es auf Grund seiner Geschlossenheit ermöglicht, die gleiche Erwerbstätigkeit fortzusetzen. Dabei ist es erforderlich, daß zumindest die wesentlichen Grundlagen des Teilbetriebes an den Erwerber veräußert werden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2020/76, 175/80, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Übereinstimmend mit dem Mitbeteiligten vertritt die belangte Behörde die Auffassung, daß die Mitveräußerung des Warenlagers bei Veräußerung der Filiale eines Einzelhandelsunternehmens dann nicht Voraussetzung dafür ist, den Veräußerungsvorgang als Teilbetriebsveräußerung zu beurteilen, wenn das Warenlager "ohne Probleme kurzfristig wiederbeschafft werden kann". Damit verkennt die belangte Behörde den Inhalt des Begriffes "Teilbetriebsveräußerung", der nicht darauf abstellt, ob der Erwerber die für die Betriebsfortführung erforderlichen Wirtschaftsgüter problemlos von DRITTER SEITE nachbeschaffen könnte, sondern ob ihm ALLE jene Wirtschaftsgüter, die vor der Veräußerung wesentliche Bestandteile des Teilbetriebsvermögens waren, vom Veräußerer überlassen werden. Daß aber das Warenlager eines Einzelhandelsbetriebes wesentlicher Bestandteil des Betriebsvermögens, d.h. für die Betriebsführung unerläßlich ist, kann wohl nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden.

Der beschwerdeführende Präsident ist daher im Recht, wenn er das Vorliegen einer Teilbetriebsveräußerung mit dem Argument bestreitet, daß das Warenlager der Filiale nicht mitveräußert wurde. Unter diesen Umständen kann es dahingestellt bleiben, ob der beschwerdeführende Präsident auch mit seinem weiteren Vorbringen im Recht ist, daß die Filiale mit Rücksicht auf ihre Verbindung mit den übrigen Filialen auch vor ihrer Veräußerung nicht die Merkmale eines Teilbetriebes aufgewiesen habe.

Ebenso ist es unmaßgeblich, ob in der veräußerten Filiale neben dem Einzelhandel auch Großhandelsumsätze getätigt wurden.

Der Mitbeteiligte bringt vor, mit dem begünstigen Steuersatz des § 37 EStG verfolge der Gesetzgeber das Ziel, die zusammengeballte Aufdeckung stiller Reserven, wie sie bei der Veräußerung eines Betriebes oder Teilbetriebes eintritt, nicht der vollen Einkommensteuerprogression zu unterwerfen, weil es sich dabei um das Ergebnis einer mehrjährigen Tätigkeit handle.

Diese Überlegung ist zwar richtig, ändert aber nichts daran, daß der Gesetzgeber nicht für alle atypischen Zusammenballungen von Einkünften in einem Jahr die begünstigte Besteuerung nach § 37 EStG vorgesehen, sondern die begünstigten außerordentlichen Einkünfte taxativ aufgezählt hat. Auch bei der Veräußerung von Teilen eines Betriebsvermögens können stille Reserven realisiert werden, deren Größenordnung durchaus der einer Betriebsveräußerung entspricht, ohne daß deswegen eine begünstigte Besteuerung zum Tragen käme. Es mag auch zutreffen, daß im Warenlager eines Einzelhandelsunternehmens nur relativ geringe stille Reserven enthalten sind, weil der Buchwert eines Warenlagers bei annähernd stabilen Geldwertverhältnissen regelmäßig den Wiederbeschaffungskosten entspricht. Dadurch geht aber die Eigenschaft des Warenlagers als wesentliche Grundlage eines Einzelhandelsbetriebes nicht verloren.

Schließlich weist der Mitbeteiligte noch darauf hin, daß, wenn schon keine Teilbetriebsveräußerung, so doch zumindest eine "Teilbetriebsaufgabe" vorliege. Er übersieht dabei, daß auch für eine Teilbetriebsaufgabe Voraussetzung ist, daß ALLE wesentlichen Grundlagen des Teilbetriebes in einem einheitlichen Vorgang an Dritte veräußert oder ins Privatvermögen übernommen werden und daß die Zurückbehaltung wesentlicher Grundlagen des Teilbetriebes im verbleibenden Betrieb einer Teilbetriebsaufgabe entgegensteht (vgl. auch Schubert-Porkorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuerhandbuch 2, Seite 570).

Da die belangte Behörde somit zu Unrecht von der Veräußerung eines Teilbetriebes durch den Mitbeteiligten ausgegangen ist, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.