VwGH vom 20.02.1991, 87/13/0060
Beachte
Besprechung in:
ÖStZB 1991, 549;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des J gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. 6/3-3534/3/86, betreffend Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1979 bis 1981 sowie Vorauszahlungen an Einkommensteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1984, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Streit besteht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren,
1. ob der Beschwerdeführer als Friedhofsänger in den Streitjahren eine künstlerische und damit freiberufliche Tätigkeit ausgeübt hat und ob ihm daher der Freibetrag für üblicherweise nichtbelegbare Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 6 EStG zusteht oder ob die Einkünfte solche aus Gewerbebetrieb darstellten, für die der genannte Freibetrag nicht vorgesehen ist und die überdies der Gewerbesteuer unterliegen;
2. ob der Beschwerdeführer Anspruch auf Berücksichtigung pauschaler Reisekostensätze gemäß § 4 Abs. 5 EStG hatte.
Bezüglich des näheren Sachverhaltes wird auf das hg. Vorerkenntnis vom , Zl. 84/13/0213, verwiesen, mit dem der Gerichtshof den damals angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hat, soweit damit über Einkommensteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1979 bis 1981 sowie über Vorauszahlungen an Einkommensteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1984 abgesprochen worden war.
Der Gerichtshof begründete seine Entscheidung auszugsweise wie folgt:
"Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß die Tätigkeit eines Friedhofsängers deswegen keine künstlerische Tätigkeit darstelle, weil Gesangsdarbietungen im Rahmen von Begräbnissen nicht um der Kunst, sondern um der Stimmung willen geboten werden. Zur Untermauerung dieser Auffassung verweist sie auf die hg. Judikatur ..... dabei übersieht sie jedoch, daß sich die Gesetzeslage, auf der diese Rechtsprechung beruht, durch das Einkommensteuergesetz 1972 insofern geändert hat, als im § 22 Abs. 1 Z. 1 zweiter Satz ausdrücklich normiert wurde, daß eine freiberufliche Tätigkeit auch dann vorliegt, wenn ein Angehöriger eines freien Berufes in seinem Beruf im Rahmen von Veranstaltungen tätig wird, denen die für das Vorliegen einer freiberuflichen Tätigkeit erforderlichen Eigenschaften fehlen. ..... der Gesetzgeber wollte daher eine künstlerische Tätigkeit unabhängig vom Charakter der Veranstaltung, in deren Rahmen sie erbracht wird, als freiberufliche Tätigkeit gewertet wissen. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie auch rechtswidriger Weise nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer seine Tätigkeit aufgrund künstlerischer Begabung ausübt, was schon mit Rücksicht auf seine Beschäftigung im Zusatzchor der Wiener Staatsoper als Chorsänger nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden kann. Mit Rücksicht auf die Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift sei noch darauf hingewiesen, daß die Absolvierung eines fachspezifischen Hochschulstudiums nicht Voraussetzung für die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit ist; vielmehr kann ein solches auch durch entsprechende Begabung ersetzt werden ....."
Die belangte Behörde forderte den Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren auf mitzuteilen, welche Prüfungen er an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien abgelegt habe. Weiters möge der Beschwerdeführer nachweisen, daß er seine Tätigkeit aufgrund künstlerischer Begabung ausübe.
Der Beschwerdeführer legte daraufhin (nochmals) folgende Schriftstücke bzw. Bestätigungen vor, die er bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren vorgelegt hatte:
a) eine Charakterisierung des Beschwerdeführers (kurzgefaßter Lebenslauf) seitens einer Erzeugerfirma von Tonträgern;
b) ein Dankschreiben des ORF, aus dem die Beteiligung des Beschwerdeführers an einem "Song Contest" hervorgeht;
c) ein Schreiben der Chordirektion der Wiener Staatsoper, mit dem bestätigt wird, daß der Beschwerdeführer "aufgrund seiner stimmlichen Qualifikation und musikalischen Schulung im Zusatzchor der Wiener Staatsoper als Chorsänger beschäftigt ist";
d) eine Studienbestätigung der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, aus der hervorgeht, daß der Beschwerdeführer im Zeitraum 1965 bis 1978 verschiedene Studienrichtungen inskribiert hatte, insbesondere Komposition und Stimmbildung.
Außerdem erklärte sich der Beschwerdeführer bereit, dem Berufungssenat eine Musikkassette zur Verfügung zu stellen.
Die belangte Behörde ersuchte den Beschwerdeführer daraufhin, die Musikkassette vorzulegen und mitzuteilen, welche Gesangstücke er auf Friedhöfen singe und ob er allein oder gemeinsam mit anderen Sängern auftrete.
Der Beschwerdeführer teilte der belangten Behörde mit, daß die Vorlage einer Musikkassette auf urheberrechtliche Schwierigkeiten stoße. "Am leichtesten wäre es, einer Gesangsdarbietung während eines Begräbnisses beizuwohnen". Er singe gemeinsam mit anderen Sängern "in Form eines Soloquartettes".
Die belangte Behörde wies die Berufung abermals ab.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde geht zunächst von der unrichtigen Annahme aus, der Verwaltungsgerichtshof habe im Vorerkenntnis zum Ausdruck gebracht, daß die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel "allein nicht qualifiziert genug" seien, um die Tätigkeit des Beschwerdeführers als künstlerische Tätigkeit werten zu können. Nichts davon läßt sich dem zitierten Erkenntnis entnehmen. Der Gerichtshof hat die belangte Behörde auf die geänderte Rechtslage aufmerksam gemacht und festgestellt, daß sie aufgrund verkannter Rechtslage "rechtswidriger Weise" nicht geprüft habe, ob der Beschwerdeführer seine Tätigkeit aufgrund künstlerischer Begabung ausübe, "was schon mit Rücksicht auf seine Beschäftigung im Zusatzchor der Wiener Staatsoper als Chorsänger nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden kann". Darüber, ob die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel für die unterlassene Prüfung ausreichend waren oder nicht, wird im Erkenntnis keine Aussage getroffen. Möglicherweise ist die belangte Behörde deswegen der Ansicht, daß der Gerichtshof die Beweismittel für unzureichend gehalten habe, weil er anderenfalls selbst die Feststellung hätte treffen können, daß der Beschwerdeführer eine künstlerische Tätigkeit ausübe.
Mit einer solchen Annahme würde die belangte Behörde allerdings das Wesen der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof verkennen. Diese beschränkt sich nämlich darauf, rechtswidrige Verwaltungsakte aufzuheben, ohne selbst die festgestellten Mängel zu beheben. So obliegt es dem Gerichtshof auch nicht, eine Beweiswürdigung nachzuholen, die die belangte Behörde rechtswidriger Weise unterlassen hat. Die Beweiswürdigung unterliegt vielmehr nur der nachprüfenden Kontrolle durch den Gerichtshof auf ihre Schlüssigkeit und Übereinstimmung mit den Denkgesetzen. Einer solchen Kontrolle hält der angefochtene Bescheid nicht stand:
Die Auseinandersetzung der belangten Behörde mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismitteln erschöpft sich in der Feststellung, daß der Beschwerdeführer keine Prüfung abgelegt habe - eine Feststellung, die der Gerichtshof ausdrücklich als nicht allein entscheidend bezeichnet hat -, und in der Behauptung, daß in den Beweismitteln keine Aussagen darüber getroffen würden, "ob eine derartige Begabung vorliegt, die es rechtfertigt von einem Künstler in einem Kunstfach zu sprechen".
Das Gegenteil ist der Fall: In den vorgelegten
Beweismitteln werden in Wahrheit folgende Aussagen getroffen:
"Dem 26-jährigen Künstler war eine Karriere bereits
vorgezeichnet. ..... bedeutende Professoren, wie Dr. N und M
nahmen sich des großen Talentes an ..... (der Beschwerdeführer)
ist vielleich nach U das größte Talent, das unser Land seit
langem hervorbrachte ..... Entdeckt wurde der junge Künstler
bei der TV-Show "Die große Chance" ....." (Charakterisierung
durch die Erzeugerfirma von Tonträgern).
"Es wird hiemit bestätigt, daß ..... der Beschwerdeführer
aufgrund seiner stimmlichen Qualifikation und musikalischen Schulung im Zusatzchor der Wiener Staatsoper als Chorsänger beschäftigt ist" (Chordirektion der Wiener Staatsoper)."
Eine Erklärung dafür, wieso diesen Beweismitteln KEINE Aussagen über eine künstlerische Begabung des Beschwerdeführers entnommen werden können, bleibt die belangte Behörde schuldig.
Weiters verkennt die belangte Behörde das Ausmaß ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsfindung (§ 115 BAO). Das Angebot des Beschwerdeführers, eine gesangliche Darbietung im Rahmen eines Begräbnisses anzuhören, hat die belangte Behörde mit dem Bemerken abgetan, es handle sich dabei um kein "ernstgemeintes Angebot ..... dem näherzutreten es der Senat ablehnte". Sie übersieht dabei, daß gemäß § 166 BAO als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht kommt, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des Einzelfalles zweckdienlich ist. § 182 BAO führt als Beweismittel ausdrücklich die Vornahme eines Augenscheines an. Die Feststellung, ob eine Tätigkeit als künstlerisch zu qualifizieren ist, kann regelmäßig nur anhand der geschaffenen Werke bzw. - bei reproduzierender Kunst - anhand der Reproduktion beurteilt werden. Zweifel darüber, ob eine gesangliche Darbietung künstlerisches Niveau erreicht, können grundsätzlich nur durch sachverständiges Anhören der Darbietung ausgeräumt werden. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Gerichtshof nicht finden, warum das "Angebot" des Beschwerdeführers, eine seiner gesanglichen Darbietungen anzuhören, nicht ernstgemeint gewesen sein sollte.
Schließlich verweist der Gerichtshof noch auf seine Rechtsprechung, wonach die Tätigkeit eines Friedhofsängers durchaus eine künstlerische Tätigkeit sein kann (vgl. insbesondere das Erkenntnis vom , Zl. 86/13/0101) sowie auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 89/14/0022, worin zum Ausdruck gebracht wird, daß die Abgabenbehörde verpflichtet ist, bei bestehenden Zweifeln am künstlerischen Gehalt musikalischer Darbietungen unter Umständen auch von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Da die belangte Behörde weder die ihr vorgelegten Beweismittel in schlüssiger Weise gewürdigt, noch - für den Fall, daß diese Beweismittel ihres Erachtens nicht ausgereicht hätten - den vom Beschwerdeführer angebotenen, der Wahrheitsfindung durchaus dienlichen Beweis durch Augenschein aufgenommen oder von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid mit Verfahrensmängeln behaftet, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der Beschwerdeführer erklärt sich auch durch die Nichtanerkennung pauschaler Reisekostensätze gemäß § 4 Abs. 5 EStG beschwert. Dazu genügt ein Hinweis auf das Vorerkenntnis, in dem der Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, daß diesbezüglich keine Rechtsverletzung vorlag. Der Beschwerdeführer hat im fortgesetzten Verfahren keine Tatsachen vorgebracht, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten. Die Ausführungen in der Beschwerde, bei seinen Reisen lege der Beschwerdeführer bis zu hundert Kilometer zurück, fallen unter das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot und sind daher unbeachtlich.
In der Frage der rechtlichen Beurteilung der Einkünfte des Beschwerdeführers als Friedhofsänger erweist sich der angefochtene Bescheid jedoch, wie bereits gesagt, als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom , BGBl. Nr. 206, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebühren nur in der Höhe zu ersetzen sind, in der sie für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung erforderlich waren.