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VwGH vom 07.11.1996, 95/06/0239

VwGH vom 07.11.1996, 95/06/0239

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, in der Beschwerdesache der H in B und anderer Unterzeichner der Bürgerinitiative "L", vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in B, gegen den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend die Parteistellung in einem Verfahren nach dem Bundesstraßengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Antrag der Beschwerdeführer vom auf Zuerkennung der Parteistellung im Verfahren betreffend die Trassenverordnung der Bundesstraße S 18 wird gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 46 Abs. 4 UVP-Gesetz abgewiesen.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Erlaß vom hat der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten das öffentliche Auflageverfahren hinsichtlich der S 18 Bodenseeschnellstraße gemäß § 4 Abs. 5 des Bundesstraßengesetzes 1971 für den Zeitraum vom 21. Juni bis angeordnet.

Mit Schriftsatz vom haben die Beschwerdeführer beim Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten den Antrag gestellt, ihnen im Verordnungsverfahren gemäß § 4 BStG 1971 über die Bodenseeschnellstraße S 18 Parteistellung gemäß § 19 Abs. 4 UVP-Gesetz, BGBl. Nr. 697/1993, zuzuerkennen. Dieser Antrag ist spätestens am bei der belangten Behörde eingelangt, denn diese hat mit Schreiben vom auf diesen Antrag geantwortet und ausgeführt, daß die vom Landeshauptmann von Vorarlberg im Rahmen der Auftragsverwaltung des Bundes durchzuführende Zusammenfassung und Prüfung des Ergebnisses des Anhörungsverfahrens für die vorgenannten Straßenabschnitte nach Ablauf der Auflagefrist in Kenntnis der einzelnen Eingaben und Stellungnahmen erfolgen werde. Die Ausführungen der Beschwerdeführer seien daher dem Landeshauptmann von Vorarlberg zur Kenntnis und Überprüfung übermittelt worden. Damit sei sichergestellt, daß die Überlegungen der Beschwerdeführer bzw. Ausführungen in den Entscheidungsprozeß einfließen würden. Da das gegenständliche Verfahren vor dem eingeleitet worden sei, finde das Umweltverträglichkeitsprüfungs-Gesetz keine Anwendung.

Die Beschwerdeführer haben zunächst beim Verfassungsgerichtshof eine Bescheidbeschwerde eingebracht, die dieser mit Beschluß vom , B 1956/94, mit der Begründung zurückgewiesen hat, daß das Schreiben der belangten Behörde vom keinen Bescheid darstelle.

Am haben die Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht, weil über ihren Antrag vom nicht entschieden worden sei. In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wurde vorgebracht, daß die Beschwerdeführer mit Schreiben vom den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ersucht hätten, über den Antrag vom abzusprechen. Dieses Schreiben wurde am eingeschrieben zur Post gegeben.

Mit Verfügung vom hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 2 VwGG das Vorverfahren eingeleitet und die belangte Behörde aufgefordert, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen oder bekanntzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Die belangte Behörde hat mit ihrer Gegenschrift vom die Verwaltungsakten vorgelegt, in denen sich die Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführer grundsätzlich bestätigt findet. In der Sache hat die belangte Behörde ausgeführt, das UVP-Gesetz sei nicht anzuwenden, ein Feststellungsbescheid über die Parteistellung der Beschwerdeführer sei nicht zu erlassen gewesen, da ein derartiger Feststellungsbescheid lediglich in Ausnahmefällen rechtmäßigerweise gefordert werden könne, eine solche Ausnahmesituation liege jedoch hier nicht vor, weshalb die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Beschluß eines verstärkten Senates vom , Slg.Nr. 9.458/A, ausgesprochen, daß die Partei eines Verfahrens Anspruch auf die Erledigung ihres Antrages hat, auch wenn diese Erledigung nur in Form einer Zurückweisung erfolgen kann. Der Beschwerdefall gibt keinen Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen. Da über den Antrag der Beschwerdeführer auf Feststellung ihrer Parteistellung nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurde, wurde die auf § 27 VwGG gestützte Säumnisbeschwerde zu Recht eingebracht. Da die belangte Behörde innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof festgesetzten Frist von drei Monaten nicht entschieden hat, ist der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung in der Sache selbst berufen.

Die Beschwerdeführer machen in der Beschwerde zunächst geltend, nach § 46 Abs. 1 und 4 UVP-Gesetz erscheine es zunächst klar, daß den Beschwerdeführern keine Parteistellung zukomme, da das Auflageverfahren betreffend die Trassenverordnung vor dem eingeleitet worden sei. Nunmehr gebe es allerdings konkrete Anhaltspunkte, daß die Bestimmungen über das Inkrafttreten des § 46 Abs. 1 und 4 UVP-Gesetz nicht rechtswirksam seien. Das EWR-Abkommen sei am in Kraft getreten. Gemäß Z. 11 des Protokolls 1 über horizontale Anpassungen ergäben sich die Fristen und Daten für das Inkrafttreten und die Durchführung der Rechtsakte, auf die Bezug genommen werde, aus dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens und der Übergangsregelung (Fassung des Art. 7 Anpassungsprotokoll BGBl. Nr. 910/1993). Betreffend die Richtlinie 85/337 EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung seien keine besonderen Übergangsregelungen vorhanden, sodaß die UVP-Richtlinie mit umzusetzen gewesen sei. Wohl sei der innerstaatliche Umsetzungsakt (Umweltverträglichkeitsprüfungs-Gesetz, BGBl. Nr. 697/1993) fristgerecht gesetzt worden, die Inkrafttretensklausel nach § 46 Abs. 1 und 4 leg. cit. stehe allerdings mit dem durch das EWR-Abkommen vorgegebenen Umsetzungs- und daher Inkrafttretenszeitpunkt im offenkundigen Widerspruch; dazu wurde auf das , verwiesen.

Für den Beschwerdefall bedeutsam ist der Umstand, daß das EWR-Abkommen am in Kraft getreten ist (BGBl. Nr. 909/1993). Das Bundesgesetz über die Prüfung der Umweltverträglichkeit und Bürgerbeteiligung (Umweltverträglichkeitsprüfungs-Gesetz - UVP-G), BGBl. Nr. 697/1993, ist gemäß seinem §§ 46 Abs. 1 am in Kraft getreten, sofern in den folgenden Absätzen des § 46 nichts anderes bestimmt ist. Für die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für Straßenbauvorhaben nach dem Bundesstraßengesetz (§ 24 UVP-G) sieht § 46 Abs. 4 leg. cit. vor, daß eine solche nicht zu erfolgen hat, wenn das nach dem Bundesstraßengesetz vorgesehene Anhörungsverfahren bis zum eingeleitet wurde.

Aufgrund dieser Bestimmungen über das Inkrafttreten des UVP-Gesetzes stellen sich die Vorschriften dieses Gesetzes gegenüber dem EWR-Abkommen als die späteren Normen dar.

Bei der Beurteilung des Verhältnisses von EWR-Recht zu den Vorschriften des UVP-Gesetzes geht es nicht um die Frage, welche Wirkung das EWR-Abkommen auf früheres innerstaatliches Recht ausgeübt hat (hier ist von Derogation auszugehen, vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/16/0192, und das ), sondern um die Frage, ob den Vorschriften des EWR-Abkommens (wie den Vorschriften des EG-Rechtes aufgrund des Beitrittes Österreichs zur EU) gegenüber innerstaatlichen Recht auch ein Vorrang dahingehend zukommt, daß das EWR-Recht auch einen Anwendungsvorrang gegenüber späterem, entgegenstehenden innerstaatlichen Recht genießt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 95/06/0246, ausgeführt hat, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, kommt unmittelbar anwendbarem EWR-Recht gegenüber den nach dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens erlassenen innerstaatlichen Regelungen kein Anwendungsvorrang zu. § 46 Abs. 4 UVP-Gesetz betreffend den zeitlichen Geltungsbereich der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Erlassung einer Trassenverordnung nach § 4 Bundesstraßengesetz 1971 ist daher im Beschwerdefall als geltendes innerstaatliches Recht, welches auch nicht durch das EWR-Abkommen verdrängt wird, anzuwenden.

Gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 lit. a und Abs. 2 Z. 2 UVP-G sind vor Erlassung einer Verordnung gemäß § 4 BStG 1971 für die Festlegung der Trassen von Autobahnen und Schnellstraßen nur die für die Umweltverträglichkeitsprüfung notwendigen Ermittlungen im UVP-Verfahren durchzuführen, ein konzentriertes Genehmigungsverfahren findet nicht statt; folgende Bestimmungen sind sinngemäß anzuwenden: § 1, § 2 (mit einer Modifikation), § 4, § 5 Abs. 4 bis 6 und §§ 6 bis 14. In der Bestimmung des § 24 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. ist somit § 19 leg. cit. NICHT ANGEFÜHRT, woraus sich ergibt, daß Bürgerinitiativen im Verordnungsverfahren gemäß § 4 BStG KEINE PARTEISTELLUNG zukommt. Hingegen normiert die Verfassungsbestimmung des Abs. 5 des § 24 UVP-G, daß der Verfassungsgerichtshof über eine Gesetzwidrigkeit von Verordnungen gemäß Abs. 1 auf Antrag der im § 19 Abs. 3 und 4 genannten Parteien erkennt. Wegen der mangelnden Parteistellung im Verfahren betreffend die Erlassung der Trassenverordnung ist die Anfechtungsmöglichkeit der betreffenden Verordnung eingeräumt. Damit ergibt sich, daß im Beschwerdefall einerseits das UVP-Gesetz nicht anzuwenden ist, und daß andererseits, selbst wenn es anwendbar wäre, eine Parteistellung betreffend die Erlassung einer Trassenverordnung nicht vorgesehen ist.

Mangels Anwendbarkeit dieses Gesetzes war somit der Antrag der Beschwerdeführer auf Zuerkennung der Parteistellung abzuweisen. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie ist insofern entsprochen, als den Beschwerdeführern Gelegenheit gegeben wurde, sich vor Durchführung des Projektes dazu zu äußern, weil, wie schon dem Schreiben der belangten Behörde vom zu entnehmen ist, mit der Eingabe vom , mit der nicht nur ein Antrag auf Zuziehung als Partei, sondern auch eine gesamte Stellungnahme zum beabsichtigten Straßenbauvorhaben abgegeben wurde, die je Eingabe vom dem Landeshauptmann von Vorarlberg zur Kenntnis und Überprüfung übermittelt wurde, um sicherzustellen, daß die Überlegungen und Ausführungen in den Entscheidungsprozeß einfließen können.

An dieser Beurteilung ändert auch nichts, daß mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union aufgrund des Vertrages über den Beitritt des Königreiches Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreiches Schweden zur Europäischen Union vom (Beitrittsvertrag), BGBl. Nr. 45/1995, mit das gesamte EU-Recht - Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht - in die österreichische Rechtsordnung inkorporiert wurde. Wenngleich Österreich damit auch die Verpflichtung zur Umsetzung der genannten Richtlinie 85/337/EWG mit (ungeachtet der schon vorher bestehenden Verpflichtung nach dem EWR-Abkommen) übernommen hat und aufgrund der im Rahmen des Gemeinschaftsrechtes bestehenden Vorrangwirkung unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtes die Vorschriften dieser Richtlinie gegebenenfalls auch unmittelbar in der österreichischen Rechtsordnung anwendbar wären, erübrigt sich im Beschwerdefall eine dahingehende Prüfung im Hinblick darauf, daß über das in Rede stehende Straßenprojekt das Auflageverfahren im Juni 1994 eingeleitet wurde. Wie aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes geschlossen werden kann, ist für die Frage der Anwendung der genannten EG-Richtlinie maßgebend, ob das jeweilige Verfahren, in welchem allenfalls eine Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend der Richtlinie durchzuführen wäre, zum Zeitpunkt des Ablaufes der Umsetzungsfrist bereits eingeleitet war (vgl. das , und im gleichen Sinne wie hier den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes vom , 4 B 254.95, Natur und Recht 1996, 405). Auch aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt sich daher nicht die Notwendigkeit, über den Wortlaut des § 46 Abs. 4 UVP-Gesetz hinaus von der Anwendbarkeit etwaiger unmittelbar anwendbarer Normen der UVP-Richtlinie der EG im Beschwerdefall auszugehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.