VwGH vom 19.10.1993, 92/08/0134

VwGH vom 19.10.1993, 92/08/0134

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Ladislav, über die Beschwerde der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse in Linz, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt, L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. SV-676/3-1992, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Bund - Finanzlandesdirektion für Oberösterreich, Linz, Zollamtstraße 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) in seiner Eigenschaft als Rechtsträger der belangten Behörde Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und dem Bund (Bundesminister für Finanzen) in seiner Eigenschaft als mitbeteiligte Partei Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom sprach die Beschwerdeführerin aus, daß die Republik Österreich, Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (mitbeteiligte Partei) Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG sei und als solcher gemäß § 58 Abs. 2 ASVG verpflichtet sei, für die in den mitfolgenden Beilagen namentlich angeführten Versicherten und bezeichneten Zeiträume allgemeine Beiträge in der Höhe von S 229.908,29 zu entrichten. Begründet wurde dies damit, daß die genannten Versicherten in den angegebenen Zeiträumen aus Anlaß der Mutterschaft die ihnen nach § 24 Abs. 8 und § 46 Abs. 7 VBG 1948 gebührenden Ergänzungsbeträge erhalten hätten. Obwohl es sich bei diesen Zahlungen um Entgelt nach § 49 Abs. 1 ASVG handle, seien sie von der mitbeteiligten Partei unter Hinweis auf § 49 Abs. 3 Z 9 ASVG als nicht zum Entgelt gehörend und damit zum Teil beitragsfrei in der Sozialversicherung behandelt worden. Dies sei aber unrichtig. Denn da nach § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG nur Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht zum beitragspflichtigen Entgelt zählten, seien die von der mitbeteiligten Partei während der Zeit des Wochengeldbezuges der Versicherten erbrachten Zuschüsse beitragspflichtig. Der Begriff "Arbeitsunfähigkeit" werde beim Versicherungsfall der Mutterschaft nicht verwendet.

In dem dagegen erhobenen Einspruch wandte die mitbeteiligte Partei ein, es werde im § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG weder von Arbeitsunfähigkeit "infolge Krankheit" noch von Zuschüssen zum "Krankengeld", sondern ganz allgemein von "Arbeitsunfähigkeit" und von Ansprüchen auf laufende Geldleistungen "aus der Krankenversicherung" gesprochen. Dies lasse den Schluß zu, daß damit im § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG der Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" in einer weiteren Bedeutung verwendet werde als dies in den §§ 116 ff ASVG mit dem Gebrauch der Wendung "Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit" geschehe. Dies werde durch eine mögliche wörtliche Auslegung des Begriffes "Arbeitsunfähigkeit" unterstützt. So werde nach dem "Deutschen Wörterbuch" von Gerhard Wahring darunter verstanden, daß "jemand durch Krankheit oder ähnliches vorübergehend oder dauernd unfähig zur Arbeit ist". Der Begriff "unfähig" werde als "nicht fähig, nicht imstande (etwas zu tun), ohne die Fähigkeit (etwas zu tun)" umschrieben. Es widerspreche daher nicht den Denkgesetzen, unter "Arbeitsunfähigkeit" auch Fälle zu verstehen, bei denen ein Arbeitnehmer z.B. aufgrund eines gesetzlichen Verbots (z.B. Mutterschutzfrist) oder einer faktischen Unmöglichkeit (z.B. fehlende Eignung, Gefängnisaufenthalt) nicht in der Lage (nicht fähig, nicht imstande) sei, seine Arbeit auszuüben. Dies zeige, daß, sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, eine Interpretation des § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG in der Richtung zulässig, wenn nicht geboten sei, Zahlungen (Zuwendungen, Zuschüsse) aus Anlaß der Mutterschaft auch als Zahlungen infolge einer Art von Arbeitsunfähigkeit zu werten. Dabei handle es sich nicht um eine ausdehnende Interpretation der Ausnahmebestimmung des § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG, sondern nur um die bereits vom Gesetzgeber vorgegebene Differenzierung durch eine verschiedene (und somit zum Teil weitere) Verwendung der Bezeichnung "Arbeitsunfähigkeit".

Demgegenüber verwies die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme zum Einspruch darauf, daß der Gesetzgeber überall dort, wo er von "Arbeitsunfähigkeit" spreche, diesen Ausdruck immer nur im Zusammenhang mit einer Krankheit verwende. Beim Versicherungsfall der Mutterschaft werde hingegen dieser Begriff nicht gebraucht.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge und sprach aus, daß die mitbeteiligte Partei nicht verpflichtet sei, allgemeine Beiträge in der Höhe von S 229.908,29 zu entrichten. In der Bescheidbegründung wird nach zusammenfassender Darstellung des bisherigen Ganges des Verwaltungsgeschehens und nach Zitierung des § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG sowie der §§ 24 Abs. 8 und 46 Abs. 7 VBG 1948 ausgeführt, die Überschrift des § 57 ASVG spreche generell von "Beitragspflicht während einer Arbeitsunfähigkeit" und laute: "Für die Dauer einer durch Krankheit hervorgerufenen gemeldeten Arbeitsunfähigkeit oder eines Anspruches auf Wochengeld sind allgemeine Beiträge nur zu entrichten, wenn und solange der (die) Versicherte während einer solchen Zeit Entgelt im Sinne des § 49 fortbezieht." Unter "Arbeitsunfähigkeit" werde hiemit sowohl die durch Krankheit hervorgerufene Arbeitsunfähigkeit als auch der Anspruch auf Wochengeld subsumiert. Nach Auffassung der belangten Behörde sei § 57 ASVG in engem Zusammenhang mit § 49 ASVG zu sehen. Der Umstand, daß sowohl in der Überschrift des § 57 ASVG als auch in § 49 Abs. 3 Z. 9 leg. cit. allgemein von "Arbeitsunfähigkeit" gesprochen werde, spreche für die Annahme, daß dieser Ausdruck in der zuletzt genannten Bestimmung bewußt allgemein gehalten worden sei. Wie die mitbeteiligte Partei zutreffend anführe, spreche für diese Annahme auch der Umstand, daß nicht die Bezeichnung "Gewährung von Krankengeld", sondern "Gewährung von Geldleistungen aus der Krankenversicherung" gewählt worden sei. Gemäß § 117 ASVG würden als "Leistungen der Krankenversicherung" unter anderem nach Z. 3 aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit Krankengeld und nach Z. 4 lit. d aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft Wochengeld gewährt. Hätte der Gesetzgeber in § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG nur den Fall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gemeint, hätte er mit Sicherheit in der Textierung "Krankengeld" gewählt. Die belangte Behörde sei daher der Ansicht, daß die generellen Ausdrücke in § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG "Arbeitsunfähigkeit" und "Geldleistungen aus der Krankenversicherung" bewußt gewählt worden seien und darunter nicht nur die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, sondern auch jene infolge eines Anspruches auf Wochengeld wie in § 57 ASVG zu verstehen seien. Dafür spreche auch der Umstand, daß in diesen beiden Fällen Zuschüsse des Dienstgebers an den Dienstnehmer für die Zeit des Anspruches auf laufende Geldleistungen aus der Krankenversicherung gewährt würden. Daraus folge im Beschwerdefall, daß die gemäß § 24 Abs. 8 VBG 1948 als Ergänzung zu den Barleistungen des Sozialversicherungsträgers auf die vollen Bezüge gewährten Zuschüsse gemäß § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG nicht als beitragspflichtiges Entgelt gemäß § 49 Abs. 1 und 2 leg. cit. gälten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes gegen die Interpretation des § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG im Zusammenhang mit § 57 leg. cit. wendet. Was zunächst die Überschrift betreffe, werde auf § 113 ASVG verwiesen. Auch diese Bestimmung stehe unter dem Überbegriff "Strafbestimmungen", der Beitragszuschlag stelle aber trotzdem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Strafe dar. Im übrigen unterscheide § 57 Abs. 1 ASVG inhaltlich ausdrücklich zwischen "einer durch Krankheit hervorgerufenen Arbeitsunfähigkeit" und dem "Anspruch auf Wochengeld". Außerdem werde darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber überall dort, wo er von Arbeitsunfähigkeit spreche, diesen Ausdruck immer nur im Zusammenhang mit einer Krankheit verwende (§§ 116 und 117, 40 Abs. 1, 90 Abs. 1, 90a Abs. 1 und 2, 120 Abs. 1 Z. 2 ASVG). Hingegen werde dieser Begriff beim Versicherungsfall der Mutterschaft nicht verwendet. Das ASVG kenne einen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Mutterschaft nicht. Ein solcher Versicherungsfall wäre auch nicht notwendig und sogar unsinnig. Denn die Mutterschaft stelle keine Krankheit dar und führe in der Regel auch zu keiner Arbeitsunfähigkeit im Sinne der allgemeinen Bedeutung dieses Wortes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 44 Abs. 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende auf volle Schilling gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt nach § 44 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. bei den pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6.

Nach § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

Nach § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG gelten als Entgelt im Sinne des Abs. 1 und 2 nicht:

"Zuschüsse des Dienstgebers, die für die Zeit des Anspruches auf laufende Geldleistungen aus der Krankenversicherung gewährt werden, sofern diese Zuschüsse weniger als 50 v.H. der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, wenn aber die Bezüge aufgrund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Regelungen nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erhöht werden, weniger als 50 v.H. der erhöhten Bezüge betragen."

Der Abs. 1 des mit "Beitragspflicht während einer Arbeitsunfähigkeit" überschriebenen § 57 ASVG lautet:

"Für die Dauer einer durch Krankheit hervorgerufenen gemeldeten Arbeitsunfähigkeit oder eines Anspruches auf Wochengeld sind allgemeine Beiträge nur zu entrichten, wenn und solange der (die) Versicherte während einer solchen Zeit Entgelt im Sinne des § 49 fortbezieht."

Gemäß § 24 Abs. 8 bzw. § 46 Abs. 7 VBG 1948 gebühren weiblichen Vertragsbediensteten bzw. weiblichen Vertragslehrern

"für die Zeit, während der sie nach § 3 Abs. 1 bis 3 und § 5 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes 1979, BGBl. Nr. 221, nicht beschäftigt werden dürfen, keine Bezüge, wenn die laufenden Barleistungen des Sozialversicherungsträgers für diese Zeit die Höhe der vollen Bezüge erreichen; ist dies nicht der Fall, so gebührt ihnen eine Ergänzung auf die vollen Bezüge. Die Zeit, für die nach den angeführten Bestimmungen ein Beschäftigungsverbot besteht, gilt nicht als Dienstverhinderung im Sinne des" § 24 Abs. 1 bzw. § 46 Abs. 2 VBG 1948.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist allein strittig, ob die von der mitbeteiligten Partei gewährten Zuschüsse nach § 24 Abs. 8 bzw. § 46 Abs. 7 VBG 1948, die unstrittig weniger als 50 v.H. der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Beginn des jeweiligen Beschäftigungsverbotes betrugen, dem § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG zu subsumieren sind.

Diese Frage ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch dann, wenn man diese Zuschüsse


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entgegen der Auffassung von Mahr (Die Ruhensbestimmungen des § 166 Abs. 1 Z. 2 ASVG,ZAS 1992, 46 f, mit weiteren Schrifttums- und Judikaturhinweisen) - an sich als Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG wertet, aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zu bejahen. Die Beschwerdeausführungen vermögen demgegenüber angesichts der bloßen Verwendung des Ausdruckes "Arbeitsunfähigkeit" in § 49 Abs. 3 Z. 9 ASVG und der Überschrift des § 57 ASVG nicht zu überzeugen. Durch die Ablehnung der von der Beschwerdeführerin vertretenen einschränkenden Interpretation der in diesen beiden Bestimmungen verwendeten Ausdrücke "Arbeitsunfähigkeit" wird
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in Übereinstimmung mit der von Mahr, wenn auch in anderem Zusammenhang, nämlich der Ablehnung einer Wertung dieser Zuschüsse als Entgelt nach § 49 Abs. 1 ASVG, vertretenen Auffassung (Ruhensbestimmung, ZAS 1992, 47) - auch die verfassungsrechtlich bedenkliche Auslegung des § 57 ASVG vermieden, bei funktionsgleichen Leistungen im Mutterschaftsfall die Beitragspflicht davon abhängig zu machen, ob die Leistung überwiegend von der Krankenversicherung oder vom Dienstgeber gewährt wird.

Aus den angeführten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991, hinsichtlich der mitbeteiligten Partei begrenzt durch das Kostenbegehren.