VwGH vom 17.10.2002, 2000/20/0503
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des WS in Wien, vertreten durch Dr. Josef Unterweger und Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 54/00, betreffend Waffenverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 12 Abs. 1 des Waffengesetzes 1996, BGBl. I Nr. 12/1997 (WaffG), der Besitz von Waffen und Munition verboten. Zur Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer seit 1976 neun rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen aufweise, unter anderem vom durch das Amtsgericht München wegen unerlaubter Einfuhr und "Handeltreiben" mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom sei der Beschwerdeführer wegen "§§ 16 Abs. 1, 16 Abs. 1 und 2/1, 14a Suchtgiftgesetz" zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Eine "gleichgerichtete" Verurteilung stamme vom Landesgericht für Strafsachen Wien vom , wonach der Beschwerdeführer gemäß "§§ 12 Abs. 1, 16 Abs. 2/1, 16/ 1 Suchtgiftgesetz sowie § 229 Abs. 1 StGB" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei. Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom (in Verbindung mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom ) sei der Beschwerdeführer abermals nach den §§ 12 Abs. 1, 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon zehn Monate bedingt nachgesehen worden seien, verurteilt worden. Diesem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin von Jänner 1996 bis Jänner 1997 Cannabiskraut in großer Menge erzeugt und besessen sowie zwischen und Cannabiskraut in einer nicht mehr näher festzustellenden Menge Anderen überlassen habe. Am sei beim Beschwerdeführer während seiner Inhaftierung in der Justizanstalt Eisenstadt eine Suchtgiftbeeinträchtigung festgestellt worden, was zur bislang letzten (einschlägigen) Verurteilung am durch das Bezirksgericht Eisenstadt wegen § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen geführt habe.
Auf Grund der Vielzahl der einschlägigen Verurteilungen nach dem Suchtgiftgesetz bzw. Suchtmittelgesetz zu teils erheblichen Haftstrafen und des offenbar auch gegebenen Rauschgiftkonsums des Beschwerdeführers sei - so die belangte Behörde weiter - die in § 12 Abs. 1 WaffG normierte Annahme gerechtfertigt. Wer über viele Jahre hinweg der Suchtgiftkriminalität "nachhänge" und sich auch von teils hohen Strafen nicht davon abbringen lasse, selbst Suchtgift im großen Rahmen herzustellen und auch zu konsumieren, stelle hinsichtlich des Besitzes von Waffen aus der Sicht des Waffengesetzes eine erhebliche Gefahrenquelle dar. Der Konsum von Suchtmitteln verfolge gerade den Zweck, eine Bewusstseinsbeeinträchtigung herbeizuführen. Angesichts des anzulegenden strengen Maßstabes sei die Besorgnis begründet, dass der Beschwerdeführer in einem derartigen Zustand von einer "ihm allenfalls zur Verfügung stehenden" Waffe einen die öffentliche Sicherheit beeinträchtigenden und zweckwidrigen Gebrauch machen könnte. Dass ein solcher Missbrauch nach der Aktenlage bisher noch nicht stattgefunden habe, sei in diesem Zusammenhang ohne rechtlicher Relevanz.
Unter Bedachtnahme auf das den Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers komme dem Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung vom - so führte die belangte Behörde in ihrer Begründung weiter aus - insofern Bedeutung zu, als im Untersuchungsbefund festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer leicht reizbar erscheine und enthemmt und äußerst aggressiv reagiert habe. Der Amtsarzt sei in seinem Gutachten zu dem Schluss gelangt, beim Beschwerdeführer bestünden offensichtlich immer wiederkehrende deutliche Aggressionstendenzen, es sei ein fallweiser Drogenabusus anzunehmen und es bestehe sohin aus medizinischer Sicht die Gefahr, dass der Beschwerdeführer durch die missbräuchliche Verwendung von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte. Von einer mangelnden Schlüssigkeit dieses Gutachtens, die in der Berufung geltend gemacht worden sei, könne keine Rede sein, zumal es den Befund, das heißt die vom Sachverständigen vorgenommene Tatsachenfeststellung, sowie das Gutachten im engeren Sinn, sohin ein auf besondere Fachkenntnisse und Erfahrungen gegründetes, auf die Vorgeschichte gestütztes sowie aus der Untersuchung des Beschwerdeführers gewonnenes Urteil, enthalte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. § 12 Abs. 1 WaffG lautet:
"Die Behörde hat einem Menschen den Besitz von Waffen und Munition zu verbieten (Waffenverbot), wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser Mensch durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte."
Die Verhängung eines Waffenverbotes dient der Verhütung von Gefährdungen der in § 12 Abs. 1 WaffG bezeichneten Art und setzt nicht voraus, dass es schon zu einem missbräuchlichen Verwenden von Waffen durch den Betroffenen gekommen ist. Es genügt, wenn konkrete Umstände vorliegen, durch die die im Gesetz umschriebene Annahme für die Zukunft gerechtfertigt erscheint. Bei Beurteilung dieser Frage ist nach dem Schutzzweck des Waffengesetzes ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0425, mwN).
2. Die belangte Behörde stützt die Erlassung des Waffenverbotes gegen den Beschwerdeführer auf dessen - oben (dem angefochtenen Bescheid folgend) dargestellte - Suchtgiftdelinquenz in Verbindung mit den Schlussfolgerungen des Chefarztes der Bundespolizeidirektion Wien in dem im Berufungsverfahren erstatteten Gutachten vom . Dieses Gutachten, das von der belangten Behörde eingeholt wurde, nachdem der Beschwerdeführer in der gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom erhobenen Berufung - so wie bereits in der vor dessen Erlassung erstatteten Stellungnahme vom - die Unschlüssigkeit der über Ersuchen der Erstbehörde am vorgenommenen amtsärztlichen Beurteilung bemängelt hatte, hat folgenden Inhalt:
"Vorgeschichte:
Laut Aktenlage bestehen mehrmalige Vorstrafen wegen Übertretungen nach dem SG-Gesetz, unter anderem vom Amtsgericht München (1985) infolge unerlaubter Einfuhr und Handel treiben mit Betäubungsmitteln. Weiters bestehen Vorstrafen wegen schwerer Sachbeschädigung.
Laut Aktenlage wurde am von den Beamten der Justizanstalt Eisenstadt eine Suchtgiftbeeinträchtigung festgestellt (Cannabis positiv). Am wurde von der Behörde ein Waffenverbot erlassen. Nach 2-maliger erfolgloser Ladung wurde der Genannte am amtsärztlich im Koat 10 bezüglich Waffenverbotes untersucht. Bereits bei der damaligen Untersuchung zeigten sich Dissimulations- und Aggressionstendenzen, sodass das Waffenverbot damals medizinisch begründet wurde.
Untersuchungsbefund:
175 cm große männliche Person, 56 kg schwer, in leicht
reduziertem Allgemeinzustand.
Heutiger RR 142/92, Puls 78/min.
Bei der Befragung ist er zeitlich und örtlich orientiert, jedoch fallweise sehr aggressiv. Zu Beginn des Gespräches gibt er an, dass er schon länger nichts mehr mit Drogen zu tun hat. Er wohne dzt. mit seiner Lebensgefährtin auf einem Bauernhof. Den Suchtgiftkonsum vom November 1998 in der Justizanstalt Eisenstadt übergeht er. Wie auch bei der ersten amtsärztlichen Begutachtung vom , ist der Genannte auch heute leicht reizbar und reagiert dann enthemmt und äußerst aggressiv. Es besteht ein Fingertremor. Derzeit befindet er sich laut eigenen Angaben in keinerlei medizinischer Behandlung. Er nimmt auch keine Medikamente ein. Er gibt an, dass er nie etwas mit Waffen zu tun gehabt habe und er auch dies in Zukunft nicht vor habe. Es gehe ihm jedoch ums Prinzip. Er fühle sich durch das erlassene Waffenverbot diskriminiert. Immer wenn das Gespräch auf 'die Behörde' kommt, reagiert er sofort mit Aggression.
Ärztliche Beurteilung (Gutachten):
Sowohl aufgrund der Anamnese als auch aufgrund der Erhebung des heutigen Befundes, bestehen bei dem Genannten offensichtlich immerwiederkehrende deutliche Aggressionstendenzen. Weiters ist aufgrund der Vorgeschichte ein rezidivierender Suchtgiftmissbrauch (sowie Handel) erhebbar. Infolge der klinischen Untersuchung ist ein fallweiser Drogenabusus anzunehmen, sodass bei dem Betreffenden aus medizinischer Sicht die Gefahr besteht, dass er durch missbräuchliche Verwendung von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte."
3.1. Vorweg ist klarzustellen, dass die von der belangten Behörde - ohne nähere Beschreibung der zugrunde liegenden Tathandlungen - erwähnten Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen unerlaubter Einfuhr, Erzeugung und Besitz von Suchtgift sowie wegen Drogenhandels, die zum Teil lange zurückliegen, im vorliegenden Fall für sich genommen keine ausreichende Grundlage für die Erlassung eines Waffenverbotes darstellen, zumal in diesem Zusammenhang kein Verhalten des Beschwerdeführers mit "waffenrechtlichem Bezug" festgestellt wurde, das eine Prognose im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG rechtfertigen würde (vgl. demgegenüber den dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0191, zugrundeliegenden Sachverhalt; anders noch das zu § 12 Abs. 1 WaffG 1986 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 96/20/0420).
3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0153, unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt, dass ein "chronischer Alkoholüberkonsum" für sich allein ein Waffenverbot nicht zu rechtfertigen vermöge. Vielmehr seien in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Verhängung eines Waffenverbotes nur dann angenommen worden, wenn zum Alkoholkonsum noch zusätzliche Gefährdungsmomente hinzutraten, so z. B. wenn sich die Person nach dem Genuss von Alkohol wiederholt aggressiv gezeigt habe.
3.3. Diese Überlegungen gelten aber auch für einen "fallweisen Drogenabusus" - auf das Vorliegen einer Suchtkrankheit hat die belangte Behörde das Waffenverbot nicht gestützt (vgl. auch insoweit die Ausführungen im bereits zitierten Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0425) -, und zwar jedenfalls dann, wenn es sich wie vorliegend um den Konsum von Cannabiskraut handelt. Das dürfte die belangte Behörde aber ohnehin erkannt haben, wenn sie zur Begründung des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Waffenverbotes auch die Ausführungen des Chefarztes über die "immer wiederkehrenden deutlichen Aggressionstendenzen" des Beschwerdeführers einbezieht.
4.1. Zunächst ist in Bezug auf dieses, oben wiedergegebene Gutachten jedoch zu bemängeln, dass ihm nicht zu entnehmen ist, warum der Sachverständige von einem "fallweisen Drogenabusus" (bzw. von einem "rezidivierenden Suchtgiftmissbrauch") ausgeht. Aber auch der angefochtene Bescheid lässt eine nachvollziehbare Begründung für die dieser Annahme des Sachverständigen folgende Feststellung vermissen. Im Gutachten und im angefochtenen Bescheid wird nur der Konsum von Cannabis in der Justizanstalt Eisenstadt im November 1998 erwähnt, auf den allein sich die Annahme eines nicht bloß einmaligen Drogenmissbrauchs aber nicht stützen lässt. Bei der für ein Waffenverbot erforderlichen Zukunftsprognose wurde auch jede Auseinandersetzung mit der Behauptung des Beschwerdeführers unterlassen, er habe schon länger mit Drogen nichts mehr zu tun. Darüber hinaus kann den Ausführungen des Sachverständigen nicht entnommen werden, mit welchen medizinischen Folgen der angenommene "Suchtgiftmissbrauch" - bezogen auf den Beschwerdeführer - im Einzelnen verbunden wäre.
4.2. In diesem Gutachten ist aber vor allem nicht nachvollziehbar dargestellt, weshalb der Sachverständige von "offensichtlich immer wiederkehrenden deutlichen Aggressionstendenzen" ausgeht, wird doch zur Begründung nur ganz allgemein auf die "Anamnese" und die "Erhebung des heutigen Befundes" verwiesen. Geht man davon aus, dass eine körperliche oder verbale Bedrohung des Amtsarztes oder dritter Personen bei der Befragung am in den Ausführungen des Amtsarztes jedenfalls Erwähnung gefunden hätte, so bleibt völlig offen, worin die "enthemmten" und "äußerst aggressiven" Reaktionen des Beschwerdeführers bestanden haben sollen. Welches konkrete Verhalten des Beschwerdeführers somit die Annahme gerechtfertigt erscheinen lässt, er werde Waffen - nach der Aktenlage besitzt er solche nicht und hat zu diesen auch keinen Zugang - entgegen seiner Erklärung, er werde auch in der Zukunft nichts mit Waffen zu tun haben, im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG missbräuchlich verwenden, kann weder dem Gutachten noch dem darauf gestützten, angefochtenen Bescheid in nachvollziehbarer Weise entnommen werden.
5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am
Fundstelle(n):
WAAAE-34557