VwGH vom 15.11.2000, 2000/08/0133
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2000-4002, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 13.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom mangels Arbeitslosigkeit gemäß § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 6 lit. a AlVG 1977 abgewiesen.
Begründet wird dieser Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer - dessen Ausscheiden aus der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung ebenso außer Frage steht wie das Vorliegen der sonstigen Leistungsvoraussetzungen - ein Entgelt aus einer politischen Tätigkeit als Bezirksrat ausübe und aus dieser Tätigkeit Bezüge von monatlich S 4.933,-- erhalte. Die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung seien in den Fällen, in denen eine politische Funktion ausgeübt werde, aus der dem Arbeitslosen ein Bezug nach dem Bundesbezügegesetz oder einem Bezügegesetz der Länder zukomme, nach den Bestimmungen des § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 6 lit. a AlVG zu beurteilen. Da der Bezug als Bezirksrat in Wien die Geringfügigkeitsgrenze von S 3.977,-- überschreite, liege Arbeitslosigkeit nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hatte - bei im Wesentlichen gleichartiger Rechtslage - bisher zweimal über die arbeitslosenversicherungsrechtliche Bedeutung von "Politikereinkünften" zu entscheiden. Er hat im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 13.308/A, im Falle eines Bürgermeisters einer niederösterreichischen Gemeinde, der eine monatliche Funktionsgebühr in der Höhe von S 8.003,-- erhalten hatte, den Anspruch auf Arbeitslosengeld bejaht. Die Ausübung der Funktion eines Bürgermeisters stelle weder eine Tätigkeit in einem Dienstverhältnis noch eine einem Dienstverhältnis gleichzuhaltende Tätigkeit dar. Sie sei aber auch nicht als selbständige oder sonstige unselbständige Erwerbstätigkeit zu werten, weil sie ihrem Typus nach nicht die Schaffung von Einkünften in Geld- oder Güterform bezwecke. Der (Bundes-)Gesetzgeber habe selbst durch Hinweis auf das Bezügegesetz in § 253a Abs. 2 ASVG durch die 44. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 609/1987, eine Wertung dahingehend vorgenommen, dass es sich (nur) bei Bezügen von obersten Organen der Vollziehung, Bürgermeistern und Mitgliedern des Stadtsenates von Städten mit eigenem Statut oder Mitgliedern von Organen der Gesetzgebung nach vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen um Bezüge handle, die einem Erwerbseinkommen aufgrund einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit entsprächen. Anhaltspunkte dafür, dass dem § 12 AlVG ein anderes Verständnis der Erwerbstätigkeit zugrunde läge, bestünden nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht. Der Oberste Gerichtshof hat sich dieser Beurteilung für die Frage der Arbeitslosigkeit iS des § 12 AlVG im Zusammenhang mit Ansprüchen nach dem Sonderunterstützungsgesetz angeschlossen (vgl. SZ 68/197; SSV-NF 7/60, 9/19 und 9/86; zur Bejahung einer Anrechnung des Bezuges auf die Sonderunterstützung vgl. hingegen
10 ObS75/98) .
Im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 14.130/A, hatte der Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen, ob neben Einkünften aus einer Tätigkeit einer Abgeordneten zum Nationalrat im Falle der Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Arbeitslosengeld zustehe. Der Verwaltungsgerichtshof hatte diese Frage - in Weiterentwicklung des erwähnten Vorjudikats vom - verneint. Die Tätigkeit einer politischen Mandatarin mit Einkünften im Sinne des Bezügegesetzes entspreche - anders als der im genannten Vorerkenntnis behandelte Typus des Gemeindemandatars im Sinne der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 - in ihrer Wertigkeit dem weiten Beschäftigungsbegriff des § 12 Abs. 1 AlVG. Der erkennende Senat hat jedoch abschließend in diesem Erkenntnis zur Vermeidung von Missverständnissen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass damit nicht ausgeschlossen sei, dass auch andere politische Mandatare, deren Bezüge im Bezügegesetz zwar nicht geregelt seien, die aber auch nicht dem Typus des Gemeindemandatars nach der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 entsprächen, eine Beschäftigung im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG ausübten und dass auch offen bleibe, ob Wertungen des Arbeitsrechtes, die Ausübung politischer Mandate betreffend, ohne weiteres auch im hier maßgebenden Zusammenhang von Bedeutung seien. Auf die nähere Begründung der zitierten Erkenntnisse wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hat die belangte Behörde die hier maßgebende Rechtsfrage, ob die Bezüge eines Bezirksrates im Sinne der Wiener Stadtverfassung ein Erwerbseinkommen im Sinne des zuletzt erwähnten Erkenntnisses darstellen, unzutreffend beurteilt:
Gemäß § 61 Abs. 3 der Wiener Stadtverfassung führen die Mitglieder der Bezirksvertretung den Titel "Bezirksrat". Bezirksräte werden aufgrund in der Wiener Stadtverfassung näher enthaltener Bestimmungen auf die Dauer von fünf Jahren gewählt und dürfen nicht gleichzeitig dem Gemeinderat angehören (§ 61a Abs. 1 letzter Satz Wiener Stadtverfassung). An der Spitze der Bezirksvertretung steht gemäß § 61b Abs. 1 der Bezirksvorsteher, der auf Vorschlag der stärksten wahlwerbenden Partei der Bezirksvertretung von der Bezirksvertretung gewählt wird und nicht der Bezirksvertretung angehören, aber zu ihr wählbar sein muss. Gemäß § 64 Abs. 1 der Wiener Stadtverfassung sind die Sitzungen der Bezirksvertretungen mindestens in jedem Vierteljahr einmal vom Bezirksvorsteher einzuberufen und unter seinem Vorsitz oder dem seines Stellvertreters abzuhalten. Die §§ 103 ff der Wiener Stadtverfassung regeln schließlich den Wirkungsbereich der Bezirksvertretungen, ihrer Ausschüsse und der Bezirksvorsteher sowie die Verwaltung von Haushaltsmitteln der Bezirke.
Aufgrund § 3 Abs. 1 Z. 16 des Gesetzes, mit dem die Bezüge der Organe des Landes und der Gemeinde Wien geregelt werden, LGBl. Nr. 42/1997, steht einem Mitglied der Bezirksvertretung (welches weder Bezirksvorsteher, noch dessen Stellvertreter, noch Klubobmann einer Bezirksvertretung ist) ein monatlicher Bezug von 4,9 % der "Bemessungen gemäß § 2" zu.
Gemäß § 2 des zitierten Gesetzes ist Bemessungsgrundlage für die Bezüge der Organe der Ausgangsbetrag gemäß § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre, BGBl. I Nr. 64/1997.
Die belangte Behörde bringt mit ihrer Begründung, sie habe das Vorliegen von Arbeitslosigkeit "nach den Bestimmungen des § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 6 lit. a AlVG zu beurteilen", soferne dem Arbeitslosen ein Bezug "nach dem Bundesbezügegesetz oder einem Bezügegesetz der Länder" zukomme, der Sache nach zum Ausdruck, dass schon die Einordnung eines Bezuges in das Bundesbezügegesetz oder das Bezügegesetz eines Bundeslandes eine solche Mandatsausübung zu einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG mache. Demgegenüber hat sich der Verwaltungsgerichtshof - wie sich aus dem vorzitierten Hinweis im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 14130/A, ergibt - keineswegs an der Bezeichnung bestimmter Gesetze oder an der Kennzeichnung bestimmter Einkünfte orientiert, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Bundesgesetzgeber durch die in § 253a Abs. 2 ASVG vorgenommene Regelung eine Bewertung der Bezüge des Bundesbezügegesetzes vorgenommen habe, die auch für das Arbeitslosenversicherungsrecht maßgebend sei, und dass dies auch für vergleichbare landesgesetzliche Regelungen gelte. Mit vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen hat der Verwaltungsgerichtshof auf die inhaltliche Vergleichbarkeit, nicht aber die bloße Bezeichnung als Bezügegesetz abgestellt, wie dies die belangte Behörde misszuverstehen scheint.
Die Tätigkeit eines Bezirksrates ist - wie sich aus den einschlägigen Bestimmungen der Wiener Stadtverfassung zweifelsfrei ergibt - Ausübung eines politischen Mandates und daher weder eine selbständige noch eine unselbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 AlVG. Ob die Ausübung einer solchen Tätigkeit Arbeitslosigkeit ausschließt, hängt daher - ganz im Sinne der zitierten Vorerkenntnisse - davon ab, ob diese Tätigkeit in ihrer Wertigkeit einer Erwerbszwecken (dh der fortlaufenden Schaffung von Einkünften in Geld oder Güterform) dienenden Tätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG entspricht, wie dies im Falle der Abgeordneten zum Nationalrat im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 14.130/A, der Fall gewesen ist.
Sowohl die Bestimmungen der Wiener Stadtverfassung über die zeitliche Mindestinanspruchnahme von Mitgliedern der Bezirksvertretung (eine Sitzung vierteljährlich), aber auch die im Wiener Bezügegesetz vorgesehene geringe Höhe des Bezuges von 4,9 % der Bemessungsgrundlage des Bundesbezügegesetzes (dies führt im gegenständlichen Fall zu monatlichen Einkünften im hier maßgebenden Zeitraum von S 4.933,--) sprechen gegen eine solche Annahme. Hinzu kommt, dass der Landesgesetzgeber für Mitglieder der
Bezirksvertretung (anders als für die in § 3 Abs. 1 Z. 1 bis 14
des Wiener Bezügegesetzes genannten Organe) weder eine Bezugsfortzahlung im Sinne des § 5 des Wiener Bezügegesetzes bei Ausscheiden aus der Funktion , noch ihre Einbeziehung in die Pensionsversicherung nach dem Wiener Bezügegesetz (vgl. § 15 Abs. 1 leg. cit.) oder in die Krankenfürsorge der Stadt Wien (vgl. § 13 Abs. 1 leg. cit.) vorgesehen hat. Aus all dem ergibt sich eine Bewertung der Tätigkeit eines Bezirksrates im Sinne der Wiener Stadtverfassung, die dem Amt eines Bürgermeisters einer niederösterreichischen Gemeinde im Sinne des Erkenntnisses vom , Slg. Nr. 13.308/A, näher steht und mit den im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 14.130/A, als anspruchsschädlich beurteilten Tätigkeiten nicht vergleichbar ist. Die Mandatsausübung eines Bezirksrates ist daher keine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 AlVG; sie steht daher für sich allein genommen der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, jedoch der Höhe nach begrenzt durch den hinter den Pauschalsätzen der genannten Verordnung zurückbleibenden Kostenbemessungsantrag des Beschwerdeführers.
Wien, am