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VwGH vom 26.02.2002, 2000/20/0233

VwGH vom 26.02.2002, 2000/20/0233

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des H B in Wien, geboren am , vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, An der Hülben 1/12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 215.690/0-X/31/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am bei der Bundespolizeidirektion Wien einen Asylantrag und begründete diesen wie folgt:

"Ich werde von einer politischen Gruppe namens graue Wölfe verfolgt. Besonders von dem Führer dieser Gruppe, O.C.S., der in Österreich ansässig ist. Diese Gruppe behauptet, dass ich von einer gegnerischen Partei sei, und bin ich aus diesem Grund von besagter Gruppe mit dem Leben bedroht. Mehr möchte ich allerdings vor dem Bundesasylamt angeben."

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am führte der Beschwerdeführer aus, O.C.S. sei Vorsitzender der türkisch-österreichischen Kulturvereine, einer Organisation, die der (türkischen) Regierungspartei MHP nahe stehe. O.C.S. gehöre zu Anhängern eines Satanskults, die Menschen psychisch beeinflussen und Alpträume verursachen könnten. Solches sei auch mit dem Beschwerdeführer passiert. Seitdem der Beschwerdeführer über die Praktiken des O.C.S. im Bekanntenkreis erzählt und sowohl das österreichische Innenministerium als auch türkische Zeitungen darüber informiert habe, werde er von Angehörigen dieser Sekte bedroht. Sollte er in die Türkei zurückkehren, "dann würden mich diese Leute sofort finden, weil sie von der Regierungspartei MHP unterstützt werden und diese würden mich töten". Die Frage, weshalb die Regierungspartei gerade ihn verfolgen sollte, beantwortete der Beschwerdeführer damit, dass er viel über diesen Satanskult erzählt "und alles aufgedeckt habe". Die Anhänger dieses Satanskults seien auch "innerhalb der türkischen Regierung sehr stark", sodass es dem Beschwerdeführer nicht möglich sei, in der Türkei zu leben. Befragt, weshalb er sich durch O.C.S. verfolgt fühle, gab der Beschwerdeführer an, dass der Genannte ein Satansanhänger sei, der ihn um eine größere Geldsumme geschädigt und den der Beschwerdeführer in der Folge bei Gericht geklagt habe.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig. Nach Wiedergabe (lediglich) der Angaben des Beschwerdeführers vom und nach Verweis darauf, dass der Beschwerdeführer nach Verhängung einer Freiheitsstrafe in Österreich bereits einmal nach Istanbul abgeschoben worden sei, stellte das Bundesasylamt das Vorbringen des Beschwerdeführers "im Wesentlichen als zu beurteilenden Sachverhalt fest". Hingegen könne nicht festgestellt werden, dass die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Drohungen einen politischen Hintergrund hätten. Die Probleme des Beschwerdeführers seien offensichtlich auf einen Streit mit seinem türkischen Landsmann O.C.S. zurückzuführen, weshalb vom Bundesasylamt der vom Beschwerdeführer "geltend gemachte politische Zusammenhang nicht erkannt werden" könne. "Selbst wenn man davon ausgehen würde", dass O.C.S. "als Mitglied der MHP" den Beschwerdeführer bedrohte, könnte eine politische Verfolgung nicht erkannt werden.

In seiner dagegen erhobenen Berufung wendete der Beschwerdeführer ein, die von O.C.S. organisierte Gruppe sei international organisiert und arbeite mit "Mafiamethoden". Nach ausgedehnten Schilderungen von beim Beschwerdeführer durch den Satanskult hervorgerufenen Alpträumen und (halluzinationsähnlichen) Vorstellungen brachte er in der Berufung vor, er sei, nachdem er (in Österreich) aus dem Gefängnis entlassen worden sei, in der Türkei von einem Polizisten, der "ein Sympathisant der Partei von O.C.S." sei und von einem "Fertigmachen" der "Moslems mit Waffengewalt" gesprochen habe, bedroht worden. Für diese und weitere verbale Attacken von Mitgliedern der Partei von O.C.S. "nach den Wahlen" machte der Beschwerdeführer mehrere Zeugen namhaft und bat um Schutz für sein Leben und seine Familie, den er in der Türkei nicht finde, weil "diese Leute derzeit an der Regierung" seien.

In einer (bei der belangten Behörde am eingelangten) Ergänzung der Berufung führte der Beschwerdeführer zu den genannten Zeugen aus, dass bei deren Einvernahme "der gesamte gesellschaftliche Aufbau, der zerstörerische Aufbau des O.C.S. und seiner Gruppe ans Tageslicht" kämen.

Unter Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen, gegenüber dem Beschwerdeführer am erlassenen Bescheid vom die Berufung gemäß § 6 Z 2 AsylG als unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG neuerlich fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Türkei zulässig sei. Zur Begründung verwies sie auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesasylamtes, dessen Feststellungen und rechtliche Beurteilung sie "zur Gänze übernehme". Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe sich erübrigt, weil es "eine Überspannung" der Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung wäre, wenn man "vereinzelte verbale Attacken eines einzelnen Polizisten der hier vorliegenden Art" als eine unter die Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierende Verfolgungsgefahr qualifizieren würde. Im gegenständlichen Fall liege "ganz offenkundig" ein "primärer privatfehdebezogenes Vorbringen" des Beschwerdeführers und auch bei Einbeziehung des genannten "Splitters" (gemeint: die Äußerung des Polizisten) keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Für einen "sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr" im Sinne des § 6 AsylG finde sich kein Anhaltspunkt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge gemäß § 3 leg. cit. als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach § 6 Z 2 AsylG dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 6 Z 2 AsylG aus, weil sich der Beschwerdeführer nach ihrer Auffassung im Wesentlichen durch O.C.S. verfolgt fühle und diese "Privatfehde" keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle. Damit übersieht sie zunächst, dass das Argument, die Verfolgung gehe von Privatpersonen aus, nicht geeignet ist, eine auf § 6 AsylG gestützte Entscheidung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0214 mwN).

Vor allem lässt die belangte Behörde aber außer Acht, dass der Beschwerdeführer bereits bei seiner Befragung durch das Bundesasylamt am vorgebracht hat, der ihn verfolgende O.C.S. stehe als Vorsitzender eines näher genannten Kulturvereines der türkischen Regierungspartei nahe und er werde auch von Angehörigen einer den Satanskult praktizierenden Sekte verfolgt, die von der türkischen Regierungspartei nicht nur unterstützt werde sondern in der Regierung sogar Anhänger habe. Wegen der Aufdeckung des Satanskults werde der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen daher auch von der Regierungspartei verfolgt. Damit hat der Beschwerdeführer aber zweifellos einen politischen Hintergrund seiner (angeblichen) Verfolgung behauptet. Im vorliegenden Fall, in dem die belangte Behörde ihre Entscheidung auf § 6 Z 2 AsylG stützt, kann nun der Glaubwürdigkeitsgehalt dieses (als auch des auf die Bedrohung durch einen türkischen Polizisten bezogenen) Vorbringens des Beschwerdeführers (ebenso wie der in der Gegenschrift der belangten Behörde vertretene Standpunkt, die vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgung entspringe seiner schon fast krankhaften Vorstellungswelt) dahingestellt bleiben. Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG vorliegt, ist nämlich von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und - auf deren Grundlage - zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen entnehmen lässt. Fragen nach der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers stellen sich bei Beurteilung des Asylantrages nach § 6 Z 2 AsylG nicht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0294).

Davon ausgehend kann der Ansicht der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr sei "offensichtlich nicht" auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen, jedenfalls dann nicht beigepflichtet werden, wenn man auch das eingangs erwähnte, mit der Einbringung des Asylantrages erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde "von einer politischen Gruppe namens graue Wölfe verfolgt" und von besagter Gruppe wegen seiner (unterstellten) Zugehörigkeit zu einer gegnerischen Partei mit dem Leben bedroht, berücksichtigt (was allerdings sowohl das Bundesasylamt als auch die belangte Behörde unbeachtet ließen).

Das Beschwerdevorbringen erweist sich aber auch insoweit zutreffend, als die belangte Behörde angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Zum erwähnten, vom Beschwerdeführer mit der Einbringung seines Asylantrages erstatteten Vorbringen über eine Verfolgung durch eine politische Gruppe namens "grauer Wölfe" hat das Bundesasylamt den Beschwerdeführer nicht weiter befragt und darauf, wie erwähnt, in seinem Bescheid, dessen Feststellungen und rechtliche Beurteilung die belangte Behörde "zur Gänze" übernahm, in keiner Weise Bezug genommen. Der belangten Behörde war es daher schon von vornherein verwehrt, von der Durchführung der im Gesetz vorgeschriebenen Berufungsverhandlung gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (wegen "geklärten" Sachverhaltes) abzusehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0223). Schließlich durfte die belangte Behörde auch in Anbetracht des (neuen) Vorbringens im Berufungsverfahren, das der Beschwerdeführer durch Beweisanbote zu bescheinigen suchte, ihre Entscheidung nicht ohne Durchführung einer Verhandlung treffen (vgl. aus vielen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0424).

Der angefochtene Bescheid war aus den angeführten Gründen wegen (der prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, da dem Beschwerdeführer einerseits in Bezug auf die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG Verfahrenshilfe gewährt wurde und andererseits die beantragte Umsatzsteuer im Pauschalbetrag der zitierten Aufwandersatzverordnung bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
UAAAE-34293