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VwGH vom 17.09.2003, 2000/20/0152

VwGH vom 17.09.2003, 2000/20/0152

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der R in G, geboren am , vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 215.407/0-V/15/00, betreffend § 6 Z 1 und 2 sowie § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige aus Benin City, reiste ihren Angaben zufolge am nach Österreich ein und stellte zwei Tage später schriftlich einen Asylantrag. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, ihr Vater sei Moslem und die Mutter - so wie die Beschwerdeführerin - Christin. Der Vater habe gewollt, dass sie einen Moslem namens Rashid heirate, was die Beschwerdeführerin als Christin abgelehnt habe. Ihr Vater habe für die Heirat bereits Geld erhalten, das er nicht mehr zurückzahlen könne. In der Folge habe dieser Mann der Beschwerdeführerin gedroht, er werde sie töten, wenn sie ihn nicht heirate. Er sei im Februar 1998 "mit einer Machete, Säure und einer Flasche" zu ihr nach Hause gekommen, habe sie attackiert und mit der Flasche, nachdem er den Flaschenhals abgebrochen habe, am Fuß verletzt. Er sei "immer wieder" in ihr Haus zurückgekommen, die Beschwerdeführerin sei "dann immer" davongelaufen und habe sich versteckt. Diese "Vorgänge" hätten bis Juni 1999 gedauert, bis die Beschwerdeführerin zu Verwandten nach Warri, wohin dieser Mann allerdings auch gekommen sei, und in der Folge nach Österreich geflüchtet sei. Bei einer Rückkehr nach Nigeria würde sie dieser Mann töten.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom gemäß § 6 Z 1 und 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, insbesondere die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria sei zulässig. Dies begründete die Erstbehörde im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin eine Verfolgung durch staatliche Stellen nicht behauptet habe. Die vorgebrachten "familiären Schwierigkeiten", die "jedoch keine Verfolgungsgefahr darstellen", seien nicht auf in die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen. Im Übrigen wäre es der Beschwerdeführerin zumutbar gewesen, sich an staatliche Behörden um Schutz zu wenden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin (unter anderem), die Erstbehörde habe ihrem Vorbringen "nicht genügend Aufmerksamkeit" beigemessen. Sie habe behauptet, von Mitgliedern der moslemischen Glaubensgemeinschaft zur Ehe gezwungen und von diesen mit dem Tode bedroht worden zu sein, sodass ihr nur die Flucht aus ihrem Heimatland "übrig" geblieben sei. Sie habe sich somit auf eine Verfolgungsgefahr "aus Gründen der Religion" gestützt, welche asylrechtlich relevant sei. Auch die Ablehnung einer bestimmten Religion "zählt zu den religiösen Gründen".

Diese Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen - nach Durchführung einer Verhandlung erlassenen - Bescheid vom gemäß § 6 Z 1 und 2 AsylG ab und stellte "gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 6 Z 1 bis 3 AsylG lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. ..."

1.Zum von der belangten Behörde primär herangezogenen § 6 Z 1 AsylG:

Bei der Prüfung, ob ein unter diese Bestimmung zu subsumierender Fall vorliegt, ist von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0326, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0531). Auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben im Asylverfahren kommt es in diesem Zusammenhang - anders als nach der Z 3 dieser Bestimmung, auf welche die Entscheidung der belangten Behörde im vorliegenden Fall allerdings nicht gestützt wurde - nicht an. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter diesen Tatbestand führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. das zuletzt erwähnte Erkenntnis vom , mwN).

Dem trägt die belangte Behörde zwar insoweit Rechnung, als im angefochtenen Bescheid dem wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin im Wesentlichen entsprechende Feststellungen getroffen werden. Das Vorliegen einer "Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention" verneint die belangte Behörde aber deshalb, weil aus näher dargestellten Gründen nicht davon ausgegangen werde, der nigerianische Staat wäre nicht gewillt oder nicht in der Lage, der Beschwerdeführerin Schutz (vor der festgestellten mehrfachen Bedrohung durch ihren "Bräutigam") zu gewähren.

Die belangte Behörde verkennt dabei aber, dass die Annahme staatlicher Schutzgewährung gegenüber der von der Beschwerdeführerin behaupteten, von nicht staatlichen Stellen (Privaten) ausgehenden Verfolgungsgefahr nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet ist, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 6 AsylG - und zwar nach keinem der dort angeführten Tatbestände - zu begründen (vgl. etwa das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0326; zur von der belangten Behörde auch angenommenen Unterschutzstellung durch die antragsgemäße Ausstellung eines Reisepasses siehe im Übrigen das Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0499). Die Beschwerdeführerin hat aber nicht nur vorgebracht, ihr drohe gegen ihren Willen die "Zwangsverheiratung", was schon für sich genommen einen schwerwiegenden Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht darstellte (vgl. dazu etwa Marx, Handbuch zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, § 75 f), sondern sie hat vor allem betont, dass sie sich dieser Heirat widersetze, weshalb sie bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte, "von diesem Mann" in Verwirklichung der bisherigen Drohungen getötet zu werden. Mit der für die Erfüllung des Tatbestandes des § 6 Z 1 AsylG geforderten Eindeutigkeit kann angesichts dieses Vorbringens jedenfalls nicht gesagt werden, dabei handle es sich nicht um "Verfolgung" im oben dargestellten Sinn (vgl. das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0071).

2.Zur Hilfsbegründung nach § 6 Z 2 AsylG:

Auch bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG vorliegt, ist - wie bei der Z 1 leg. cit. - von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen offensichtlich nicht entnehmen lässt, dass die geltend gemachte Verfolgung auf einen der in Art. 1 Abschnitt 1 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) "zurückzuführen ist" (vgl. jüngst etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0100).

Die Anwendung dieser Gesetzesstelle begründete die belangte Behörde damit, dass die Beschwerdeführerin "nicht einmal ansatzweise" behauptet habe, es wäre versucht worden, ihre Religionszugehörigkeit zu ändern, bzw. sie wäre "mittels Eheschließung" gezwungen worden, zu konvertieren. Die Beschwerdeführerin habe wiederholt erwähnt, sie hätte durch die Drohungen des "ausgewählten Bräutigams" zur Ehe gezwungen werden sollen, wobei in diesem Zusammenhang aber kein religiöser, sondern ein wirtschaftlicher Aspekt betont worden sei, nämlich dass der zukünftige Ehegatte vor allem wegen des zuvor geleisteten "Heiratsgeldes" zur Eheschließung gedrängt habe. Im Übrigen bleibe festzuhalten, dass es sich bei dem von der Beschwerdeführerin erstatteten Vorbringen, ihr Vater hätte für sie gegen ihren Willen einen zukünftigen Ehemann unterschiedlichen Religionsbekenntnisses ausgewählt, welcher in der Folge "auch" aus wirtschaftlichen Erwägungen auf die in Aussicht gestellte Eheschließung bestanden habe, um ein in Nigeria übliches gesellschaftliches Phänomen handle.

Die belangte Behörde verkennt bei dieser, den "wirtschaftlichen Aspekt" für die behauptete Verfolgung in den Vordergrund stellenden Argumentation, dass die von der Beschwerdeführerin befürchtete Tötung wegen der Weigerung, die gegen ihren Willen vom Vater und dem in Aussicht genommenen Ehemann beschlossene Heirat einzugehen, zunächst auch unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung zu sehen gewesen wäre. Bei einer Verfolgung wegen des Geschlechtes kann aber von vornherein nicht im Sinne des § 6 Z 2 AsylG gesagt werden, sie sei "offensichtlich" nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0497, das unter Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0496, und auf weitere Quellen auch im vorliegenden Zusammenhang relevante Ausführungen unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe enthält; vgl. auch das einen ähnlichen Sachverhalt wie hier - die Folgen für die Weigerung, eine von der Familie traditionellerweise verlangte "Zwangsheirat" einzugehen - betreffende Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0503, und das Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0281, die sich ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 6 Z 2 AsylG mit geschlechtsspezifischer Verfolgung von Frauen auseinandersetzen; siehe schließlich zum Ganzen das schon erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0071). Im Übrigen scheint unter Bedachtnahme auf die Befürchtung der Beschwerdeführerin, sie habe als Christin die Heirat mit einem Moslem abgelehnt, nicht ausgeschlossen, dass die behauptete Verfolgung - wie schon in der Berufung mit dem Hinweis auf den Konventionsgrund "Religion" vorgebracht wurde - (auch) auf der der Beschwerdeführerin (zumindest) unterstellten Ablehnung der Religionszugehörigkeit ihres in Aussicht genommenen Ehemannes beruht (vgl. auch in diesem Zusammenhang das bereits mehrfach erwähnte Erkenntnis vom ). Die Ansicht der belangten Behörde, dass dieser Konventionsgrund im vorliegenden Zusammenhang nur dann gegeben wäre, wenn die Beschwerdeführerin auch zur Konversion gezwungen werden sollte, greift daher zu kurz. Gleiches gilt - insbesondere unter dem "Offensichtlichkeitskalkül" des § 6 AsylG - für die Auffassung, es handle sich "um ein in Nigeria übliches gesellschaftliches Phänomen", weil es hier - wie bereits oben hervorgehoben wurde - nicht nur um die "Zwangsverheiratung" an sich geht, sondern um die für die Weigerung angedrohte und bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchtete Todesfolge.

3.Zum Ausspruch nach § 8 AsylG:

Schließlich belastete die belangte Behörde auch diesen Spruchteil mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Einerseits hat die belangte Behörde nämlich den diesbezüglichen Spruch ihrer Entscheidung ausdrücklich auf § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG beschränkt (vgl. dazu etwa die Nachweise in dem Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0150), und andererseits ist sie in der diesen Spruchteil betreffenden Begründung mehrfach davon ausgegangen, dass es einer "durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung" im Zielstaat bedürfe (vgl. dazu die Nachweise in dem zu einem ähnlich begründeten Bescheid der belangten Behörde ergangenen Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0419).

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am