VwGH vom 14.05.2003, 2000/08/0072
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/1999-1643, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am stellte der Beschwerdeführer - nach vorangegangenem Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe - einen Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe, der von der belangten Behörde im Instanzenzug mit Bescheid vom abgewiesen wurde. Begründend verwies die belangte Behörde auf die jugoslawische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und auf den Umstand, dass er während insgesamt 52 Wochen Notstandshilfe bezogen habe, somit sein Anspruch am erschöpft gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der das Verfahren mit Beschluss vom , B 1371/98, einstellte. Begründend verwies der Verfassungsgerichtshof auf die Aufhebung unter Anderem der Bestimmung des § 33 Abs. 2 lit. a AlVG in der vor dem geltenden Fassung, nach der für die Gewährung von Notstandshilfe in einem 52 Wochen übersteigenden Ausmaß die österreichische Staatsbürgerschaft vorausgesetzt wurde, und auf den Umstand, dass der angefochtene Bescheid - aus dort näher dargestellten Gründen - nicht mehr der Rechtsordnung angehöre und der Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe gemäß § 79 Abs. 47 AlVG nach Antragstellung einer neuerlichen Beurteilung zu unterziehen sei, dies ohne Anwendung jener Bestimmung, die den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft als Anspruchsvoraussetzung normierte. Die gleichzeitig mit der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom , Zl. 98/08/0223, für gegenstandslos erklärt und das Verfahren ebenfalls eingestellt.
Der Beschwerdeführer, vertreten durch den Beschwerdeführervertreter, stellte mit Schriftsatz vom bei der belangten Behörde den Antrag, seinen Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe vom neuerlich zu beurteilen. Mit Bescheid vom wies das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste den Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe wiederum ab und führte begründend nach Darstellung der Anspruchsvoraussetzungen aus, dass der Beschwerdeführer diese nicht erfülle und ihm daher Notstandshilfe nicht gewährt werden könne.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom Folge, behob den angefochtenen Bescheid und bewilligte "bei Zutreffen aller sonstigen Voraussetzungen für den Leistungsbezug ... die Nachzahlung der Notstandshilfe ab Antragstellung". Begründend verwies die belangte Behörde auf die Antragstellung vom und auf die geänderte Rechtslage, nach der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr Voraussetzung für die Gewährung von Notstandshilfe sei. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführervertreter am zugestellt.
Am stellte der Beschwerdeführer beim Arbeitsmarktservice einen Antrag auf "PV § 23" und führte im Antragsformular unter anderem an, er habe am (richtig wohl am ) bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter einen Antrag auf Gewährung einer Pension gestellt.
Mit Bescheid vom stellte das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste fest, dass dem Beschwerdeführer ab Notstandshilfe gebühre. An diesem Tag - so die Begründung - habe der Beschwerdeführer seinen Anspruch geltend gemacht.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, die Notstandshilfe sei ihm zwar vom bis (aus einer im Akt befindlichen "Auszahlungskontrolle" des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste vom ergibt sich eine Zahlung für 364 Tage in der Höhe von insgesamt S 70.798,--) und dann wieder ab dem gewährt worden, sie gebühre ihm aber auch für den Zeitraum vom bis zum . Mit Bescheid vom sei ihm "bei Zutreffen aller sonstigen Voraussetzungen für den Leistungsbezug die Nachzahlung der Notstandshilfe ab Antragstellung (Unterstreichung im Original), sohin dem bewilligt" worden.
In einem Schreiben vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer darauf hin, dass Notstandshilfe jeweils nur für einen bestimmten, 52 Wochen nicht übersteigenden Zeitraum gewährt würde und dass der Beschwerdeführer einen Kontrollmeldetermin nicht eingehalten habe, weshalb seine Vormerkung zur Vermittlung am geendet hätte. Eine persönliche Vorsprache und Antragstellung mit dem bundeseinheitlichen Antragsformular sei nach der Antragstellung am erst wieder am erfolgt.
Dem hielt der Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom entgegen, dass er anlässlich eines Kontrolltermines am von einer Beraterin informiert worden sei, dass keine weiteren Termine einzuhalten wären, weil der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit einen Pensionsantrag gestellt habe. Ein Kontrolltermin sei daher nicht versäumt worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung stellte sie die Rechtslage sowie das bisherige Verwaltungsgeschehen dar und führte zusammengefasst aus, dass auf Grund des Antrages vom Notstandshilfe für 52 Wochen zuerkannt worden sei. Eine weitere Gewährung sei nur nach persönlicher Antragstellung mit dem bundeseinheitlichen Antragsformular möglich; eine Antragstellung sei erst wieder am erfolgt. Weitere Kontrollmeldetermine seien ab deshalb nicht vorgeschrieben worden, weil deren Versäumung keine Folgen gehabt hätte. Eine Anleitung zur Stellung eines Antrags auf Weitergewährung von Notstandshilfe ohne aktuellen Leistungsbezug würde die Manuduktionspflicht überspannen, "zumal Sie ab der erstinstanzlichen Antragsabweisung anwaltlich vertreten waren".
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom , B 1902/99, abgelehnt und die Beschwerde über Antrag des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In der Beschwerdeergänzung macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer und - wie aus der Begründung des angefochtenen Bescheides hervorgeht - auch die belangte Behörde gehen davon aus, dass die regionale Geschäftsstelle nicht nur über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe als Pensionsvorschuss ab (im stattgebenden Sinne) abgesprochen hat, sondern auch (in einem ablehnenden Sinne) über Leistungsansprüche des Beschwerdeführers betreffend Notstandshilfe aus Zeiträumen vor dem : die Zuerkennung solcher Leistungen für die Zeit vor dem strebt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auch ersichtlich an. Gegen eine solche Deutung des erstinstanzlichen Bescheides spricht aber nicht nur dessen Spruch im Zusammenhang mit seiner Begründung, sie verbietet sich auch aus folgenden Gründen:
Der Beschwerdeführer stellte am einen Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe, der zunächst mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der nunmehr belangten Behörde vom abgewiesen wurde. Das Verfahren endete schließlich mit den Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1371/98, bzw. des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 98/08/0223, in deren Folge die belangte Behörde mit Bescheid vom den erstinstanzlichen Bescheid behob und "Bei Zutreffen aller sonstigen Voraussetzungen für den Leistungsbezug ... die Nachzahlung der Notstandshilfe ab Antragstellung" gewährte.
Damit hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer - das Vorliegen von Notlage im gesamten Zeitraum vorausgesetzt - die Nachzahlung der Notstandshilfe ab ohne zeitliche Begrenzung zuerkannt.
Nach der Rechtsprechung entfaltet die Rechtskraft einer solchen zeitraumbezogenen Entscheidung mit einem nicht datumsmäßig befristeten, somit in die Zukunft offenen Abspruch ihre Wirkung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides sowie darüber hinaus bis zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage (vgl. die ständige Rechtsprechung, etwa das Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0124, mit Hinweis auf die Vorjudikatur).
In Fällen, in denen die bekämpfte Abweisungsentscheidung nicht nur für einen bestimmten Zeitraum ergangen ist, ist der Antragsteller auch mit Blick auf die gesetzliche Befristung der Zuerkennung der Notstandshilfe mit jeweils 52 Wochen nicht dazu verpflichtet, während der Weiterverfolgung eines solchen Anspruchs auf Notstandshilfe im Rechtsmittelweg bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts weitere solche Anträge auf Zuerkennung von Notstandshilfe vor der regionalen Geschäftsstelle nach Ablauf der jeweiligen gesetzlichen Frist von 52 Wochen zu stellen, weil diese Frist bis zu einer die Notstandshilfe erstmals zuerkennenden Entscheidung bloß fiktiven Charakter hat und ihr Lauf auch vom Arbeitslosen fiktiv gar nicht beurteilt werden kann (man denke nur an mögliche Unterbrechungen des Bezuges, die nicht zu einer Verkürzung der Anspruchsdauer führen). Die uneingeschränkte Weiterverfolgung des Anspruches während dieser Verfahren ersetzt vielmehr die weiteren Antragstellungen, sofern das Verfahren bis zur erstmaligen Zuerkennung die Dauer von 52 Wochen überschreitet. Aus diesen Gründen kommt eine Beschränkung der Zuerkennung von Notstandshilfe auf 52 Wochen dann nicht mehr in Betracht, wenn als Ergebnis eines solchen Verfahrens die Notstandshilfe rückwirkend auf Grund eines Antrages zuzuerkennen ist, der schon länger als 52 Wochen zurückliegt.
Die dem seinerzeitigen Berufungsbescheid der belangten Behörde beigegebene Bedingung des "Zutreffens aller weiteren Voraussetzungen" kann daher aus diesen Gründen rechtskonform auch nur auf die materiellen Anspruchsvoraussetzungen in diesem Zeitraum, nicht aber auf das Erfordernis einer zwischenzeitigen weiteren Antragstellung bezogen werden. Unter der Bedingung (und nach Maßgabe) des Zutreffens aller weiteren Voraussetzungen stehen dem Beschwerdeführer daher Ansprüche auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom bis (Tag der Zustellung des Bescheides) jedenfalls, über diesen Zeitraum hinaus bis zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage, zu. Eine solche Änderung kann dadurch eintreten, dass gerechnet ab dem Datum der Zuerkennung ein durch 52 Wochen teilbarer Bezugszeitraum endet (dies war hier nicht der Fall) oder dass ein Anspruch auf Pensionsvorschuss entsteht. Die Rechtskraft des Berufungsbescheides der belangten Behörde endete daher erst mit Ablauf des .
Hätte die Behörde erster Instanz daher über Zeiträume vor dem abgesprochen, so hätte sie in die Rechtskraft des Berufungsbescheides der belangten Behörde vom eingegriffen. Eine Deutung dieses Bescheides dahin, dass auch Zeiträume vor dem Gegenstand des neuerlichen Verfahrens gewesen wären, verbietet sich daher von vornherein. Damit erweist sich der angefochtene Bescheid im Ergebnis insoweit als frei von Rechtsirrtum, als darin die Berufung des Beschwerdeführers, mit welcher dieser ausschließlich Ansprüche geltend machte, die Zeiträume vor dem betroffen haben, abgewiesen wurde.
Wurde die Notstandshilfe dem Beschwerdeführer trotz des für den in Frage stehenden Zeitraum positiven Bescheides nicht ausbezahlt, steht ihm der Weg offen, seinen Anspruch gemäß
Artikel 137 B-VG beim Verfassungsgerichtshof geltend zu machen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 14.419).
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen, weil über die in Rede stehenden Ansprüche des Beschwerdeführers bereits in einem anderen Verfahren rechtskräftig entschieden worden ist; die Ansprüche waren nicht Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsverfahrens.
Regt der Beschwerdeführer - wie in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde - an, der Verwaltungsgerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung der §§ 35 und 46 AlVG wegen deren Verfassungswidrigkeit stellen, ist er auf den genannten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom zu verweisen, in dem dieser keine dahin gehenden Bedenken geäußert hat.
Insgesamt erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Zur Begründung dieses Antrages verwies er auf näher genannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), nach der Ansprüche nach dem AlVG als "civil rights" zu beurteilen seien, was gemäß Artikel 6 MRK eine Verpflichtung zur Anhörung des Beschwerdeführers in einer mündlichen Verhandlung mit sich bringe.
Es kann dahin stehen, ob der im Beschwerdefall in Rede stehende Anspruch auf Gewährung von Notstandshilfe als "civil right" im Sinne der MRK zu beurteilen ist, weil im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündliche Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich ist:
Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Artikel 6 Abs. 1 MRK dem entgegen steht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom , 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der MRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem Umstand, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgend eine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/07/0083).
Dieser Fall liegt aber hier vor, weil der Sachverhalt (im Übrigen ohnehin im Sinne des Beschwerdeführers, der daher materiell durch die vorliegende Entscheidung nicht beschwert sein kann) geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind. Es wurden in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung verlangt hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am