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VwGH vom 23.05.1990, 86/13/0181

VwGH vom 23.05.1990, 86/13/0181

Beachte

Besprechung in:

ÖStZB 1990/440;

Betreff

U-GmbH gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 5 - 1538/2/86, betreffend Haftungs- und Zahlungsbescheid (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag sowie Säumniszuschlag für den Zeitraum bis )

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende GmbH betreibt einen Bekleidungseinzelhandel. Für die Zeit vom bis fand bei ihr eine Lohnsteuerprüfung statt, bei der der Prüfer die Auffassung vertrat, daß die vom Geschäftsführer Wilhelm N. ausgewiesenen Überstunden mangels entsprechender Aufzeichnungen steuerlich nicht anzuerkennen seien. Weiters seien die an den Geschäftsführer steuer- und beitragsfrei ausbezahlten Kilometergelder der Lohnsteuer, dem Dienstgeberbeitrag und dem Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag zu unterziehen, weil keine Fahrtenbücher vorgelegt worden seien.

Das Finanzamt schloß sich der Auffassung des Prüfers an und erließ einen entsprechenden Haftungs- und Zahlungsbescheid.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Wilhelm N. sei als Geschäftsführer beauftragt gewesen, neue Filialbetriebe aufzubauen. Die dafür benötigte Arbeitszeit sei wesentlich länger gewesen als die Normalarbeitszeit. Auch Wochenendarbeiten seien keine Seltenheit gewesen. Im Dienstvertrag sei vereinbart gewesen, daß Überstunden mit dem monatlichen Bruttogehalt abgegolten seien. Laut Aussage der Lohnverrechnerin habe N. selbstverständlich Überstundenaufzeichnungen geführt. Diese hätten auf Fahrtenbuchaufzeichnungen basiert, aus denen sich die Zahl der täglichen Überstunden genau ermitteln lasse. Unter Berücksichtigung der solchermaßen nachgewiesenen Überstunden erscheine "ein pauschaler Ansatz von 20 bzw. 30 Überstunden gerechtfertigt". Die gesondert neben dem Fahrtenbuch geführten Überstundenaufzeichnungen seien "bis dato nicht gefunden" worden. Sie seien von N. anläßlich der Beendigung seines Dienstverhältnisses für Zwecke der anschließenden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen benötigt worden und nicht mehr in das Unternehmen zurückgelangt.

Zu den ausbezahlten Kilometergeldern sei folgendes zu sagen: N. habe bis zu seinem Ausscheiden ein Fahrtenbuch geführt. Jenes über den Zeitraum Februar 1977 bis Februar 1981 werde vorgelegt. Nach dem anschließenden Fahrtenbuch werde noch gesucht. Abgesehen davon sei die Führung eines Fahrtenbuches nicht gesetzliche Voraussetzung für die unversteuerte Auszahlung von Kilometergeldern.

Der Berufung war eine Aufstellung angeschlossen, in der die Überstunden des N. auf Grundlage seiner Reisebewegungen für den Zeitraum Jänner 1979 bis Februar 1981 ermittelt worden waren.

In seiner Stellungnahme zur Berufung brachte der Prüfer vor, er habe im Zuge der Lohnsteuerprüfung die Lohnverrechnerin mehrfach aufgefordert, die Überstundenaufzeichnungen und die Fahrtenbücher des N. vorzulegen. Ihm sei jedoch gesagt worden, daß solche nicht existierten. Die im Zuge des Berufungsverfahrens vorgelegten Aufzeichnungen entsprächen nur teilweise den gesetzlichen Anforderungen. Das Fahrtenbuch sei ab 1980 "fast unleserlich geführt" und es fehlten die Anfangs- und Endstände der gefahrenen Kilometer. Die Aufstellungen betreffend die Überstunden seien nachträglich aus dem Fahrtenbuch rekonstruiert worden.

Über Aufforderung des Finanzamtes legte die Beschwerdeführerin in der Folge Reisekostenabrechnungen des N. sowie die Lohnkonten für 1979 bis 1981 vor. Weiters teilte sie mit, daß das Fahrtenbuch für den Zeitraum nach Februar 1981 sowie die Überstundenaufzeichnungen des N. nicht mehr auffindbar seien. Sowohl die Zahl der gefahrenen Kilometer als auch die Überstunden seien aber aus den Reisekostenabrechnungen rekonstruierbar.

Das Finanzamt gab der Berufung mit Berufungsvorentscheidung teilweise statt. Eine steuerbegünstigte Behandlung von Überstundenentlohnungen komme nur in Betracht, wenn die genaue Anzahl und die zeitliche Lagerung der einzelnen Überstunden eindeutig feststehe. Die Reisekostenabrechnungen, in denen keine Normalarbeitszeit ausgewiesen sei, seien nicht geeignet, laufend geführte Überstundenaufzeichnungen zu ersetzen. Darüber hinaus sei festzustellen, daß "Überstunden auf Dienstreisen grundsätzlich nicht anfallen können, weil Reisezeit nicht der eigentlichen Arbeitszeit gleichzustellen ist". Laut Lohnkonto seien monatlich gleichbleibend 30 Überstunden verrechnet worden, und zwar zehn mit einem 50%igen Zuschlag und zwanzig mit einem 100%igen Zuschlag. Dies zeige den pauschalen Charakter der Zahlungen. Es sei denkunmöglich, daß jemand das ganze Jahre hindurch gleichbleibend in jedem Monat zehn 50%ige und zwanzig 100%ige Überstunden leiste.

Im Jahr 1981 seien alle 30 monatlichen Überstunden mit einem 100%igen Zuschlag berechnet und ausbezahlt worden, obwohl laut den nachträglich beigebrachten Überstundenzusammenstellungen nur 11 Überstunden monatlich rekonstruiert worden seien.

Nur im Jahr 1979 stimme die Zusammenstellung der Überstunden mit den laut Lohnkonto ausbezahlten Überstundenentgelten überein. Außerdem seien 20 Überstunden mit einem 50%igen Zuschlag branchenüblich. Für 1979 sei daher keine Nachversteuerung vorzunehmen. Für 1980 bis 1981 könnten jedoch nur jene Überstundenzahlungen steuerbegünstigt behandelt werden, die mit einem 50%igen Zuschlag ermittelt worden seien. Jene mit einem 100%igen Zuschlag seien mit Rücksicht auf die mangelhaften und ungenauen Aufzeichnungen nachzuversteuern.

Ausbezahlte Kilometergelder seien nur dann gemäß § 26 Z. 7 EStG unversteuert zu belassen, wenn ein Fahrtenbuch ordnungsgemäß geführt werde. Fahrtenbücher seien aber nicht im Zuge der Lohnsteuerprüfung, sondern erst drei Monate später im Berufungsverfahren vorgelegt worden. Mit dem Kraftfahrzeug des H. seien neben Privatfahrten und Fahrten für die GmbH auch Fahrten für die B-GmbH & Co KG unternommen, aber nicht getrennt ausgewiesen worden. Die Kilometergelder seien daher als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu versteuern.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Vorlage ihrer Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Es sei unrichtig, daß keine Überstundenaufzeichnungen geführt worden seien. Als Zeuge dafür, daß solche Aufzeichnungen geführt worden seien, werde die Einvernahme des Rechtsanwaltes Dr. Helmut N. als Zeuge beantragt.

Weiters treffe es nicht zu, daß Reisezeiten nur als Zeiten der Arbeitsbereitschaft anzusehen seien. Vielmehr vertrete der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht, daß auch Reisezeiten als Arbeitszeiten gelten.

Schließlich sei darauf hinzuweisen, daß die Beschwerdeführerin die Komplementär-GmbH der B-GmbH & Co KG sei, und daß sämtliche betrieblichen Fahrten des Geschäftsführers N., somit auch jene für die KG, im Auftrag der Beschwerdeführerin erfolgt seien. Getrennte Aufzeichnungen seien daher nicht erforderlich gewesen.

Die belangte Behörde gab der Berufung teilweise (im Ausmaß der Berufungsvorentscheidung) statt. Im übrigen wies sie die Berufung ab. Die Begründung entsprach im wesentlichen jener der Berufungsvorentscheidung.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. ÜBERSTUNDENVERGÜTUNGEN:

§ 68 Abs. 1 EStG 1972 sieht unter anderem für Überstundenzuschläge einen Freibetrag von monatlich S 5.070,-- sowie für die den Freibetrag übersteigenden Beträge einen begünstigten Steuersatz von 15 v.H. vor. Gemäß Abs. 3 der zitierten Bestimmung gilt als Überstunde jede über die Normalarbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunde.

Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Begünstigung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß Anzahl und zeitliche Lagerung aller einzelnen vom Dienstnehmer geleisteten Überstunden genau feststehen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 14/1727/78, und die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Eine Ausnahme von diesem Erfordernis besteht bei einer Pauschalabgeltung der Überstundenleistung in bestimmter Höhe (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 83/13/0054). Da im Beschwerdefall unbestritten keine derartige Pauschalvereinbarung getroffen wurde, kommt dem Nachweis jeder einzelnen erbrachten Überstunde entscheidendes Gewicht zu.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, daß entsprechende Überstundenaufzeichnungen laufend geführt, später aber in Verlust geraten seien. Zum Nachweis dafür sei die Einvernahme des Rechtsanwaltes Dr. Helmut N., der Lohnverrechnerin Theresia L., des Steuerberaters Dkfm. Manfred F. und des neuen Geschäftsführers Alfred O. als Zeugen beantragt worden. Die belangte Behörde habe diese Zeugen nicht einvernommen und damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Die Beschwerdeführerin verkennt, daß die Gefahr des Verlustes von Aufzeichnungen, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Steuerbegünstigungen nachzuweisen, denjenigen trifft, der zur Nachweiserbringung verhalten ist. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Berufung ausdrücklich bekanntgegeben, daß die "Überstunden-Nachweise ... bis dato nicht gefunden werden" konnten.

Abgesehen davon, daß die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren lediglich die Einvernahme des Rechtsanwaltes Dr. Helmut N. und des ehemaligen Geschäftsführers N. nicht jedoch die der übrigen genannten Zeugen beantragt hat, waren derartige Einvernahmen deswegen entbehrlich, weil das ursprüngliche Vorhandensein von Überstundenaufzeichnungen - nur darüber hätten die Zeugen Auskunft geben können - am späteren Verlust dieser Urkunden und damit am Verlust des für die begünstigte Besteuerung der Überstundenzuschläge erforderlichen Beweismittels nichts geändert hätte.

Die Beschwerdeführerin weist auf "Fahrtenbücher" und Reisekostenabrechnungen hin, aus denen zumindest ein Teil der geleisteten Überstunden rekonstruierbar gewesen sei.

Dem ist entgegenzuhalten, daß aus den erwähnten Aufzeichnungen nur die zeitliche Lagerung verschiedener Dienstreisen des N. zu entnehmen sind, daß sie aber keinerlei Aufschluß darüber geben, ob und in welchen dieser Zeiträume tatsächlich eine über die Normalarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit zu erblicken war. Insbesondere ist der Schluß verfehlt, daß alle Arbeitszeiten, die außerhalb der üblichen Büroarbeitszeit lagen, Überstunden darstellten. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß die Normalarbeitszeit auch Tageszeiten umfassen kann, innerhalb derer üblicherweise nicht gearbeitet wird (z.B. bei freier Zeiteinteilung, wie sie gerade bei leitenden Angestellten vereinbart sein kann, weiters bei gleitender Arbeitszeit oder bei Einarbeitung normaler Arbeitszeit zur Erlangung eines Freizeitausgleiches).

Die für die Rekonstruktion von geleisteten Überstunden herangezogenen Aufzeichnungen von betrieblich veranlaßten Reisen des N. sind daher nicht geeignet, die zum Nachweis von Überstunden erforderlichen Aufzeichnungen zu ersetzen. Gleiches gilt für die Ausführungen der Beschwerdeführerin, die sich mit dem Ausmaß der Arbeitsbelastung des Geschäftsführers N. befassen. Denn der Umstand allein, daß die gesamte Arbeitsbelastung eines Arbeitnehmers eine über die Normalarbeitszeit hinaus benötigte Arbeitszeit glaubhaft macht, führt noch nicht dazu, daß der Nachweis der einzelnen Überstunden, insbesondere auch ihrer zeitlichen Lagerung, als erbracht anzusehen wäre.

Wenn die belangte Behörde dennoch einen Teil der behaupteten Überstunden als glaubhaft angesehen und diesbezüglich die Steuerbegünstigung des § 68 EStG gewährt hat, so kann sich die Beschwerdeführerin durch diese Vorgangsweise nicht beschwert erachten.

2. KILOMETERGELDER:

Gemäß § 26 Z. 7 lit. a EStG 1972 gehören die vom Arbeitgeber aus Anlaß einer Dienstreise bezahlten Kilometergelder nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn der Weg der Dienstreise mehr als 2 Kilometer beträgt und soweit die den Bundesbediensteten gewährten Sätze nicht überschritten werden.

Der belangten Behörde ist zuzustimmen, wenn sie die vorgelegten, als Fahrtenbuch bezeichneten Aufzeichnungen nicht als ordnungsgsgemäß geführtes Fahrtenbuch anerkannt hat. Weisen sie doch weder die jeweiligen Anfangs- und Endkilometerstände noch die Gesamtzahl der gefahrenen Kilometer und die Abgrenzung zu privat gefahrenen Kilometern bzw. zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf, die zwar als beruflich bedingt anzusehen sind, aber keine Dienstreisen im Sinne des § 26 Z. 7 EStG darstellen. Weiters fällt auf, daß die Eintragungen zum Teil unleserlich sind und keine Unterschrift aufweisen.

Dessenungeachtet erweist sich der angefochtene Bescheid in diesem Punkt als inhaltlich rechtswidrig. Der für die Behandlung von Kilometergeldern als Reisewegvergütungen im Sinne des § 26 Z. 7 lit. a EStG erforderliche Nachweis des Vorliegens einer Dienstreise und der Anzahl der dabei zurückgelegten Kilometer kann nämlich nicht nur durch ordnungsgemäße Führung und Vorlage eines Fahrtenbuches, sondern auch durch andere Aufzeichnungen erbracht werden. Insbesondere eignen sich dazu auch Reisekostenabrechnungen, die die erforderlichen Angaben enthalten. Solche Reisekostenabrechnungen lagen der belangten Behörde vor (32 Abrechnungen für 1979, 18 Abrechnungen für 1980 und 21 Abrechnungen für 1981). Die Gesamtzahl der dabei gefahrenen Kilometer wurde von der Beschwerdeführerin zusammengestellt und mit 14.385 ausgewiesen. Anstatt sich mit dem Inhalt dieser Reisekostenabrechnungen auseinanderzusetzen, hat die belangte Behörde lediglich auf die Unvollständigkeit des Fahrtenbuches hingewiesen. Sie ist daher offensichtlich von der unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen, daß nur im Wege eines ordnungsgemäß geführten Fahrtenbuches, nicht aber auch durch ordnungsmäßige Reisekostenabrechnungen der Nachweis von Reisewegvergütungen im Sinne des § 26 Z. 7 EStG erbracht werden kann.

Da sich der angefochtene Bescheid somit in diesem Punkt als rechtswidrig erweist, war er zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, weil eine Trennung der im Haftungsweg geltend gemachten bzw. mit Zahlungsbescheid vorgeschriebenen, mehrere Jahre betreffenden Abgaben nicht möglich war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom , BGBl. Nr. 206.