VwGH vom 30.05.1995, 95/05/0042
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. R/1-V-94042/00, betreffend eine Baubewilligung und einen Abtragungsauftrag (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde L, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung von zwei Folientunneln und einem Kleingewächshaus auf dem Grundstück Nr. 5900/5, KG L, versagt. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer der Abbruchauftrag für die konsenslos errichteten Folientunnel und das Kleingewächshaus binnen drei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides erteilt.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung führte der Beschwerdeführer aus, es sei keine Bewilligungspflicht gegeben, außerdem fehle die Begründung, warum nicht nachträglich die Baubewilligung erteilt werden könne. In einem Gutachten des Amtssachverständigen des Gebietsbauamtes IV vom führte dieser aus, bei dem errichteten Kleingewächshaus handle es sich um eine handelsübliche Aluminiumkonstruktion mit einer Grundrißabmessung von ca. 3 x 2 m, einer Firsthöhe von ca. 2,50 m und mit einfacher Verglasung, die durch eine Schiebetür zugänglich sei. Die Konstruktion sei auf Waschbetonplatten, welche auf der bloßen Erde aufgelegt worden seien, ohne ersichtliche Befestigung aufgestellt. Die Konstruktion der Folientunnel bestehe aus in die Erde versenkten flexiblen Kunststoffrohren, über die eine lichtdurchlässige Kunststoffhaut gespannt worden sei. Die Kunststoffhaut sei im Bodenbereich durch Eingraben verankert worden. Der nordwestliche der beiden Tunnel sei an den Enden mit je einer aus Brettern (für die Tragkonstruktion) und Folien (für die Füllung) gefertigten Tür verschlossen. Der andere Tunnel könne durch Herablassen der Folien abgeschlossen werden. Die Tunnel seien je ca. 18 m lang und ca. 2,5 m breit. Die Stichhöhe betrage ca. 2,5 m. Bei den zwei Folientunneln sowie dem Kleingewächshaus handle es sich um Konstruktionen, die mehr als die Hälfte ihrer Außenflächen umschlossen und von Menschen begehbare überdachte Räume darstellten. Solche Baulichkeiten würden laut § 2 Z. 5 der Niederösterreichischen Bauordnung als "Gebäude" bezeichnet, wobei die im Gesetzestext enthaltene Aufzählung von Beispielen (Stall, Hütte, Scheune, Mobilheim, Traglufthalle) als Hinweis auf eine eher breitgefaßte Beurteilung des Begriffes zu werten seien. Es könne daher abschließend gesagt werden, daß die Bewilligungspflicht im Hinblick auf den § 92 Abs. 1 Z. 1 der NÖ Bauordnung für die zu beurteilenden und bereits errichteten Objekte gegeben sei.
Dieses Gutachten wurde dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht. Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters abgewiesen, gleichzeitig wurde die Frist für die Beseitigung der konsenslos errichteten Folientunnel und des Kleingewächshauses mit längstens vier Monaten nach Rechtskraft des Bescheides festgesetzt. Das Gutachten des Gebietsbauamtes IV wurde der Berufungsentscheidung ebenso beigelegt wie eine Stellungnahme des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom . In der Begründung des Berufungsbescheides wurde ausgeführt, aus dem dem Bescheid angeschlossenen Gutachten der Abteilung IV sowie der Stellungnahme des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung gehe eindeutig hervor, daß die Bewilligungspflicht gemäß § 92 Abs. 1 Z. 1 der Niederösterreichischen Bauordnung gegeben sei und ein derartiges Vorhaben gemäß § 19 Abs. 2 des NÖ Raumordnungsgesetzes auf den dafür im Flächenwidmungsplan als "Grünland-Gärtnerei" gewidmeten Grundstücken errichtet werden dürfe.
Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Vorstellung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen. Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens wurde im wesentlichen ausgeführt, im Flächenwidmungsplan der Gemeinde sei für das gegenständliche Grundstück die Widmungs- und Nutzungsart "Bauland-Wohngebiet" im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 1 des NÖ Raumordnungsgesetzes ausgewiesen. Es handle sich um einen Betrieb, der das zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigungen sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen könne. Bei einer Gärtnerei seien sowohl durch die Intensität der Bearbeitungsmaßnahmen unzumutbare Lärmbelästigungen als auch durch Dünge- und Spritzmitteleinsatz sonstige Geruchsbelästigungen bzw. sogar schädliche Einwirkungen auf die Umgebung nicht auszuschließen. Bei einer Gärtnerei handle es sich entgegen dem Vorbringen des Vorstellungswerbers auch nicht um einen Betrieb zur Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfes.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung des Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 92 Abs. 1 Z. 1 der NÖ Bauordnung 1976 in der von der Berufungsbehörde anzuwendenden Fassung LGBl. 8200-9 bedürfen Neu-, Zu- und Umbauten von Gebäuden einer Bewilligung der Baubehörde; nach Z. 2 dieser Bestimmung bedarf die Errichtung anderer Bauwerke und Anlagen, durch welche Gefahren für Personen und Sachen entstehen oder das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt oder Rechte der Nachbarn verletzt werden könnten, einer Bewilligung der Baubehörde. Gemäß § 2 Z. 5 leg. cit. ist ein Bauwerk ein Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und mit dem Boden kraftschlüssig verbunden ist; enthält ein Bauwerk ein Dach und wenigstens zwei Wände, kann es von Menschen betreten werden und ist es dazu bestimmt, Menschen, Tiere oder Sachen zu schützen, dann ist es ein Gebäude, ansonsten ist es eine bauliche Anlage.
Ein Kleingewächshaus der hier zu beurteilenden Art ist ein Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und aus Gründen der Sturm- und Kippsicherheit mit dem Boden kraftschlüssig verbunden sein muß. Es erfüllt auch alle Kriterien des § 2 Z. 5, zweiter Halbsatz NÖ Bauordnung und ist daher als Gebäude zu definieren. Daß es zur Vermeidung von allfälligen Gefahren nicht eine erforderliche zusätzliche Verbindung mit dem Boden aufweist, führt nämlich nicht zu dem Ergebnis, daß ein an sich bewilligungspflichtiges Bauwerk, wenn es entgegen der baurechtlichen Vorschrift und den Gesetzen der Technik errichtet wird, nicht mehr der Bewilligungspflicht unterliegt und die Baubehörde jede Ingerenz auf das zu errichtende Bauwerk verlieren würde, während eine solche dann gegeben wäre, wenn das Bauwerk ordnungsgemäß ausgeführt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/06/0147, und die dort angeführte Vorjudikatur).
In der Stellungnahme der Niederösterreichischen Landesregierung vom war ausgeführt worden, Folientunnel bzw. Gewächshäuser seien im Bauland-Wohngebiet nicht zulässig, die errichteten Baulichkeiten entsprächen dem typischen Erscheinungsbild einer Gärtnerei und seien demnach im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 1 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 weder für den täglichen Bedarf der im "Bauland-Wohngebiet" wohnenden Bevölkerung dienlich noch hinsichtlich allfälliger Emissionen als im "Bauland-Wohngebiet" unbedenklich zu qualifizieren. Baulichkeiten der erwähnten Art wären demnach auf Grundstücken zulässig, die als "Grünland-Gärtnerei" im Sinne des § 19 Abs. 2 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 gewidmet seien.
Aus dem Gutachten des Gebietsbauamtes IV vom geht hervor, daß auch die 18 m langen und ca. 2,5 m breiten und ebenso hohen Folientunnel erschließbar und betretbar sind. Der Schlußfolgerung des Sachverständigen, daß auch diese Anlage dem Gebäudebegriff des § 2 Z. 5 NÖ BO entspricht, kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Zusammengefaßt kann daher festgestellt werden, daß schon die Baubehörden zutreffend vom Vorliegen einer Bewilligungspflicht der baulichen Anlagen ausgegangen sind, eine Rechtsansicht, der sich schließlich auch der Beschwerdeführer offensichtlich angeschlossen hat, da er diesbezügliche Baubewilligungsansuchen eingebracht hat.
Das Grundstück Nr. 5900/5, KG L, liegt nach dem Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom Juli 1983 im Bauland-Wohngebiet. Da sich der Regelungsinhalt von Flächenwidmungsplänen nach den im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Gemeinderates geltenden Bestimmungen des Raumplanungsgesetzes richtet (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/06/0070), war für die Zulässigkeit der beantragten Bauten in bezug auf die Flächenwidmung das NÖ Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. Nr. 8000-1, heranzuziehen. Im Jahre 1983 hatte § 16 Abs. 1 Z. 1 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. Nr. 8000-1 in der Stammfassung, folgenden Wortlaut:
"Wohngebiete, die für Wohngebäude und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude sowie für Betriebe bestimmt sind, welche in Wohngebäuden untergebracht werden können und keine, das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen können."
Mit seinem Erkenntnis vom , G 134, 143/87-8, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "in Wohngebäuden untergebracht werden können und" mit Ablauf des aufgehoben. Diese Aufhebung ist auch im Beschwerdefall zu berücksichtigen, sodaß, wovon auch die Baubehörden und die belangte Behörde ausgegangen sind, als Beurteilungsmaßstab § 16 Abs. 1 Z. 1 ROG mit folgendem Wortlaut heranzuziehen ist:
"Wohngebiete, die für Wohngebäude und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude sowie für Betriebe bestimmt sind, welche keine, das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen können."
Dem vorgelegten Verwaltungsakt können keine Feststellungen dahingehend entnommen werden, welche Pflanzen im Kleingewächshaus und in den zwei Folientunneln gezogen werden, sodaß eine abschließende Beurteilung, ob diese Gebäude dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienen, nicht möglich ist. Für den Verwaltungsgerichtshof gilt aber auch nicht als "offenkundige Tatsache", daß "Gärtnereien", deren Betriebsgebäude offensichtlich nur aus einem Kleingewächshaus und zwei 18 m langen Folientunneln bestehen, solche Betriebe seien, die das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- und Geruchsbelästigungen sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen könnten. Erhebungen betreffend das Ausmaß der Lärm- und Geruchsbelästigungen sowie der schädlichen Einwirkungen von Betriebstypen vergleichbarer Größenordnung wurden nicht vorgenommen. Der Feststellung der belangten Behörde, "bei einer Gärtnerei sind sowohl durch die Intensität unzumutbare Lärmbelästigungen, als auch durch Dünge- und Spritzmitteleinsatz sonstige Geruchsbelästigungen bzw. sogar schädliche Einwirkungen auf die Umgebung nicht auszuschließen", vermag der Verwaltungsgerichtshof in dieser Allgemeinheit nicht beizutreten, läßt sie doch jeden Bezug auf die vorliegende Größenordnung und die Art der Bearbeitungsmaßnahmen vermissen.
Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht auszuschließen ist, daß bei Durchführung der erforderlichen Erhebungen schon die Gemeindebehörden bzw. die Aufsichtsbehörde zu dem Schluß gelangt wären, daß die beantragten Gebäude in keinem Widerspruch zur Widmungsart Bauland-Wohngebiet stehen.
Da die belangte Behörde die Ergänzungsbedürftigkeit des gemeindebehördlichen Verfahrens in bezug auf die beantragte nachträgliche Erteilung der Baubewilligung verkannt hat, belastete sie ihrerseits ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die Baubehörde hat den Abbruchauftrag auf § 113 Abs. 2 Z. 3 der NÖ Bauordnung gestützt. Nach dieser Bestimmung hat die Baubehörde den Abbruch eines Bauwerks anzuordnen, wenn für das Bauwerk keine baubehördliche Bewilligung vorliegt und a) die fehlende Bewilligung nicht erteilt werden darf, weil das Bauvorhaben nicht zulässig ist oder b) der Eigentümer den für die fehlende Bewilligung erforderlichen Antrag nicht innerhalb der von der Baubehörde bestimmten Frist ab Zustellung der Aufforderung hiezu eingebracht hat. Im Beschwerdeverfahren kommt nur die Bestimmung des § 113 Abs. 2 Z. 3 lit. a leg. cit. in Betracht, da der Beschwerdeführer rechtzeitig um die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung angesucht hat. Da wegen des oben angeführten Verfahrensmangels keine abschließende Beurteilung dahingehend möglich ist, ob die fehlende Bewilligung nicht erteilt werden darf, erweist sich auch der Abbruchauftrag als rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Mit der Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos geworden.