VwGH vom 20.06.2002, 2000/06/0085
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde des Ing. E in F, vertreten durch Dr. Norbert Stelzer, Rechtsanwalt in 8280 Fürstenfeld, Hauptstraße 15, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. 03- 12.10 F 19 - 00/20, betreffend Nachbareinwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. S in F; 2. Stadtgemeinde Fürstenfeld, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gegenstand des vorliegenden Bauverfahrens ist der Antrag der Rechtsvorgängerin des Erstmitbeteiligten auf Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer überdeckten Terrasse, eines Geräteraumes und einer Kleingarage auf dem Grundstück Nr. 685/21, KG F. Das Grundstück des Erstmitbeteiligten Nr. 685/23, KG F, grenzt südwestlich unmittelbar an das Baugrundstück. Der vom Bauansuchen umfasste Geräteraum ist in einer Länge von ca. 3,70 m unmittelbar an dieser Grundgrenze gelegen.
Im ersten Rechtsgang wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom die im gemeindebehördlichen Verfahren erteilte Baubewilligung aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Stadtgemeinde Fürstenfeld verwiesen. Maßgeblicher Aufhebungsgrund war, dass die im Bebauungsgrundlagenbescheid gemäß § 18 Abs. 1 Stmk. BauG festgelegten Bebauungsgrundlagen (u.a. betreffend die Bebauungsweise) gegenüber den Nachbarn keine verbindliche Wirkung entfalteten. Die Nachbarn könnten daher im Baubewilligungsverfahren Einwendungen, etwa betreffend die Einhaltung von Abständen, wie im vorliegenden Falle, erheben, obwohl im Bebauungsgrundlagenbescheid gemäß § 18 Abs. 1 Stmk. BauG eine geschlossene Bebauungsweise festgelegt worden sei. Demzufolge hätte sich die belangte Behörde mit den Einwendungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsbestimmungen inhaltlich auseinander setzen müssen.
Die dagegen von der Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 97/06/0255, als unbegründet abgewiesen.
Im zweiten Rechtsgang wurde die im gemeindebehördlichen Verfahren erteilte Baubewilligung mit Bescheid der belangten Behörde vom neuerlich aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Stadtgemeinde Fürstenfeld verwiesen. Maßgeblicher Aufhebungsgrund dieser Entscheidung war der Umstand, dass das von der Berufungsbehörde eingeholte Gutachten des Arch. Dipl. Ing. F.O. vom dem Beschwerdeführer nicht in Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden sei.
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde in der Folge der Berufung des Beschwerdeführers "Folge gegeben", der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben und über die Angelegenheit neuerlich dahingehend entschieden, dass die nachträgliche Baubewilligung für die plan- und beschreibungsgemäße Errichtung einer überdeckten Terrasse, eines Geräteraumes und einer Kleingarage auf der Parzelle Nr. 685/21, KG wie sie in näher angeführten Einreichunterlagen ausgewiesen sei, erteilt wurde und die Einwendungen des Beschwerdeführers im Einzelnen als unbegründet abgewiesen (so die Einwendung betreffend eine Verletzung der Abstandsbestimmungen) bzw. in einem Fall als unzulässig zurückgewiesen wurden.
Die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass - wie sich dies aus dem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten des Amtssachverständigen Dipl. Ing. R.B. vom ergebe - mit dem konsenslos errichteten Gebäude an der Grenze zum Grundstück (des Beschwerdeführers) Nr. 685/23 kein Widerspruch zur dort bestehenden Bebauungsweise gegeben sei. Die dort bestehende "Verbauungsweise" (gemeint offensichtlich: "Bebauungsweise") ermögliche es, dass an die errichtete Brandwand sowohl in gekuppelter wie auch in geschlossener Bauweise angebaut werden könne. Es werde von Seiten des Amtssachverständigen keine Notwendigkeit gesehen, ausschließlich eine der in § 4 Z. 17 Stmk. Baugesetz angeführten Bebauungsweisen vorzuschreiben, wenn dies etwa in einem dem § 18-Verfahren entsprechenden Bebauungsplan-Verfahren sehr wohl möglich gewesen wäre. Der Sachverständige habe auch begründet, warum keine der Definitionen des § 4 Z. 17 Stmk. BauG ausschließlich auf den vorliegenden Fall zutreffe. Einerseits weil eine Vermischung der offenen Bebauungsweise auf ein und demselben Grundstück (Nr. 685/21) mit der bereits bestehenden geschlossenen und/oder gekuppelten grundsätzlich nicht zulässig wäre, darüber hinaus eine halboffene Bebauung mit einseitig an die Grundgrenze angebauten baulichen Anlagen eine wesentliche Schlechterstellung des hinteren Nachbarn (des Beschwerdeführers) gegenüber dem vorderen Nachbarn an der M-Straße wäre. Im Falle eines Bauvorhabens in diesem Bereich müsste er den gesamten notwendigen Gebäudeabstand auf seinem Grundstück einhalten. Dies sei aber weder fachlich notwendig noch wünschenswert. Auch eine ausschließlich gekuppelte Bebbauungsweise würde den Vorstellungswerber unnötigerweise hindern, im Falle eines Bauvorhabens auf dem Grundstück Nr. 685/23 mit dem bestehenden Gebäude auf der Baufläche .518 einen Zusammenschluss herstellen zu dürfen, weil dies eine geschlossene Bebauung ergeben würde. Zu den einzelnen Einwendungen in der Vorstellung werde auf die in der Folge wiedergegebenen Ausführungen des Amtssachverständigen verwiesen (die im Folgenden im Einzelnen wiedergegeben ist). Abschließend wird festgestellt, dass das Gutachten des Amtssachverständigen schlüssig und nachvollziehbar sei und eindeutig ersichtlich sei, dass durch den angefochtenen Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde Rechte des Vorstellungswerbers nicht verletzt worden seien.
In der dagegen erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet. Auch eine Rechtsvorgängerin des Erstmitbeteiligten hat eine Gegenschrift vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 13 Abs. 1 Stmk. BauG, LGBl. Nr. 59/1995, sind Gebäude entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinandergebaut, muss ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt (Gebäudeabstand). Gemäß § 13 Abs. 2 leg. cit. muss jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschoße, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand). Gemäß § 13 Abs. 3 leg. cit. hat der Nachbar, wenn ein Gebäude an der Grundgrenze steht, soferne durch einen Bebauungsplan oder durch Bebauungsrichtlinien nichts anderes bestimmt ist oder Gründe des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes nicht entgegenstehen, die Wahlmöglichkeit, entweder an die Grundgrenze anzubauen oder den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Weist das Gebäude an der Grenze Öffnungen (Fenster, Türen und dgl.) auf, so ist der erforderliche Gebäudeabstand einzuhalten.
Gemäß § 18 Abs. 1 Stmk. BauG hat die Behörde auf Antrag, sofern Bebauungspläne nicht erforderlich sind oder Bebauungsrichtlinien nicht bestehen, mit Bescheid näher angeführte Bebauungsgrundlagen festzulegen (u.a. die Bebauungsweise gemäß Z. 2). Ferner kann die Behörde die Bauflucht- und Baugrenzlinien sowie Vorgaben über die Firstrichtung und Dachform unter Berücksichtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes festlegen. Gemäß § 18 Abs. 4 leg. cit. tritt der Bescheid außer Kraft:
"1. nach Ablauf von zwei Jahren ab Rechtskraft, sofern nicht um eine Baubewilligung angesucht oder ein Bauvorhaben angezeigt wird;
2. mit Rechtskraft der Entscheidung über ein Ansuchen um Baubewilligung oder über eine Bauanzeige."
Gemäß § 18 Abs. 6 sind die Festlegungen für das Bauverfahren - unabhängig von abweichenden Regelungen in Flächenwidmungsplänen, Bebauungsplänen oder Bebauungsrichtlinien - verbindlich.
Der Beschwerdeführer wendet sich in verschiedener Hinsicht gegen das von der belangten Behörde herangezogene Gutachten des Dipl. Ing. B. und erachtet dieses Gutachten nicht als schlüssig und nachvollziehbar, wie dies die belangte Behörde festgestellt habe.
Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Dem Beschwerdeführer kommt gemäß der hg. Judikatur (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 99/06/0080) im Hinblick auf in einem Bebauungsgrundlagenbescheid gemäß § 18 Stmk. BauG getroffene Festlegungen ein Mitspracherecht zu, insoweit diese Festlegungen ein Nachbarrecht im Sinne des § 26 Abs. 1 Stmk. BauG berühren. Insoweit kann der Nachbar im Baubewilligungsverfahren Fragen der Rechtmäßigkeit von diesbezüglichen Festlegungen im Bebauungsgrundlagenbescheid gemäß § 18 Abs. 1 Stmk. BauG geltend machen. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren rechtzeitig die Verletzung im Recht auf Abstand durch die Festlegung der geschlossenen Bebauungsweise in dem Bescheid gemäß § 18 Stmk. BauG bekämpft. Die Baubehörden hatten insoweit die Rechtmäßigkeit dieser Festlegung zu überprüfen.
Wie dies der Verwaltungsgerichtshof in dem angeführten Erkenntnis ausgesprochen hat, sind Kriterien für diese Festlegung insbesondere die in § 18 Abs. 1 letzter Satz Stmk. BauG 1995 angeführte Berücksichtigung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes und der sich aus § 28 Stmk. ROG ergebende inhaltliche Maßstab für die Erlassung von Bebauungsplänen, nämlich eine den Raumordnungsgrundsätzen entsprechende Entwicklung der Struktur und Gestaltung des im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Baulandes anzustreben. Mit dem letzteren Kriterium wird weiters auf die in § 3 Stmk. ROG verankerten Raumordnungsgrundsätze verwiesen. Weder das von der belangten Behörde herangezogene Gutachten (dies schon deshalb, weil die gutachterliche Beauftragung gar nicht dahin lautete; der Auftrag ging dahin, "zu prüfen, ob die Errichtung des Gebäudes der Rechtsvorgängerin des Erstmitbeteiligten an der Grundgrenze zulässig sei, dies vor allem unter Berücksichtigung der bereits in diesem Gebiet errichteten Gebäude"), noch die belangte Behörde selbst haben die Frage geprüft, ob die Baubehörde bei der Festlegung der geschlossenen Bebauungsweise das ihr gemäß § 18 Abs. 1 Stmk. BauG eingeräumte Planungsermessen im Lichte dieser Kriterien im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat. Dieser Verfahrensmangel muss jedenfalls als wesentlich beurteilt werden. Die im gemeindebehördlichen Verfahren erstatteten Gutachten (vom und ) haben auf den im § 3 Abs. 1 Stmk. ROG enthaltenen Grundsatz der Berücksichtigung der Gegebenheiten abgestellt und im Gutachten vom wurde zutreffend auf den raumordnungsrechtlichen Grundsatz des § 3 Abs. 1 Stmk. ROG zur Gänze hingewiesen, dennoch haben sich auch diese Gutachten und auch die Gemeindebehörden nicht entsprechend mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Baubehörde im Bebauungsgrundlagenbescheid an Hand der aufgezeigten Kriterien ihr Planungsermessen betreffend die an der Grundgrenze des Beschwerdeführers festgelegte geschlossene Bebauungsweise im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am