VwGH vom 23.09.1988, 85/17/0141

VwGH vom 23.09.1988, 85/17/0141

Beachte

Besprechung in:

ÖStZ 1989/92;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde 1. des Dr. EH, 2 . der AH, beide in L, beide vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in Linz, Wischerstraße 30, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. Gem-6779/1-1985-S1, betreffend zeitliche Befreiung von der Grundsteuer (mitbeteiligte Partei: Stadt L, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 9.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragten die Beschwerdeführer für die Baulichkeit (Neubau) EZ. nn KG L in L, Wstraße 41, die Grundsteuerbefreiung nach dem O.Ö.

Grundsteuerbefreiungsgesetz 1968, LGBl. Nr. 7. Die Bauführung sei am vollendet, die Benützungsbewilligung am erteilt worden. Die Bauführung sei nicht nach den Bestimmungen der Wohnbauförderungsgesetze 1954 bzw. 1968 gefördert worden.

Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz Steueramt vom wurde gemäß § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 des Grundsteuerbefreiungsgesetzes 1968 für die angeführte Liegenschaft das Verhältnis zwischen dem Wert der begünstigten Baulichkeit bzw. des begünstigten Teiles der Baulichkeit zum Wert des gesamten Grundstückes (Grund und Boden einschließlich der Gebäude) wie folgt festgesetzt:


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"Gesamter Einheitswert
S
1,425.000,--
davon entfallen auf Grund und Boden(sowie die nicht befreiten Baulichkeiten (Altbau, nicht bewohnte Fläche)
S
1,287.500,--
den zu befreienden Teil der Baulichkeit
S
137.500,--

Es verhält sich somit der zu befreiende Einheitswertanteil zum gesamten Einheitswert wie 10:100 = Wertverhältnis"

In der dagegen erhobenen Berufung stellten die Beschwerdeführer den Antrag, die Berufungsbehörde möge den Bescheid des Magistrates dahin abändern, daß bei der Festsetzung des Wertverhältnisses auch die nicht bewohnte Fläche und der Altbau des Hauses L, W-straße nn, einbezogen werde und das Wertverhältnis somit 70:100 betrage. Die Rechtsansicht der Abgabenbehörde erster Instanz, für die nicht bewohnte Fläche sei Grundsteuer zu entrichten, sei nicht stichhältig. Für die Anwendbarkeit der Befreiungsbestimmungen komme es lediglich darauf an, daß durch bauliche Maßnahmen neuer Wohnraum geschaffen werde, der zur Deckung eines Wohnungsbedarfes bestimmt sei, nicht jedoch, daß die errichteten Baulichkeiten auch tatsächlich bewohnt würden. Unklar sei auch, was die Erstbehörde mit der Formulierung "Altbau" meine.

Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde den Beschwerdeführern vorgehalten, in der Abgabenerklärung vom sei von den Abgabepflichtigen selbst angegeben worden, daß von den in der Liegenschaft W-straße nn befindlichen 16 Wohnungen lediglich im III. Obergeschoß eine 108,15 m2 große Wohnung bewohnt und damit zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnungsbedarfes bestimmt sei. Laut Bauplan sei weiters festgestellt worden, daß die übrigen Räumlichkeiten nur Einzelräume seien, jedoch keine Wohnung darstellten. In einem weiteren Vorhalt wurde seitens der Formulierung "Altbau" bemerkt, daß darunter das Erdgeschoß und das erste Obergeschoß gemeint seien. Als Neubauten seien die übrigen Obergeschosse eingestuft worden. Aus den Bauplänen sei die näher angeführte Raumaufteilung ersichtlich.

In ihren dazu erstatteten Stellungnahmen vom 22. März und brachten die Beschwerdeführer vor, richtig sei, daß im Zeitpunkt der Abgabenerklärung im dritten Obergeschoß des gegenständlichen Hauses eine 108,15 m2 große Wohnung bewohnt werde. Die restlichen Räumlichkeiten seien zwar "gegenwärtig noch nicht für Wohnzwecke bestimmt", jedenfalls aber zur Vermietung vorgesehen und damit zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnbedarfes bestimmt. Sie seien zur Vermietung als Garconnieren bestimmt, die im übrigen problemlos zu größeren Wohnungen zusammengelegt werden könnten. Im zweiten Obergeschoß bestünden vier Einzelzimmer sowie vier Waschräume, im dritten Obergeschoß zwei Einzelzimmer und zwei dazugehörige Waschräume, im vierten Obergeschoß fünf Einzelzimmer sowie ein weiteres Einzelzimmer mit Vorraum, Bad und WC. Es handle sich hiebei um eine abgeschlossene Wohnung.

Mit Bescheid des Stadtsenates der Stadt Linz vom wurde der Berufung keine Folge gegeben. Unter Wohnungen verstehe man eingerichtete Räume, die der Inhaber ohne wesentliche Änderung jederzeit zum Wohnen benützen könne und die ihm nach Größe und Ausstattung ein seinen Lebensverhältnissen entsprechendes Heim böten. Danach werde der Begriff der Wohnung nicht nur nach subjektiven, sondern auch nach objektiven Kriterien auszulegen sein. Nach einem Erlaß des Amtes der O.Ö. Landesregierung zum Grundsteuerbefreiungsgesetz 1975 müsse die Wohnung zur Befriedigung eines ganzjährigen Wohnungsbedarfes dienen. Seitens der Beschwerdeführer sei kein Nachweis erbracht worden, daß - abgesehen von der erwähnten Wohnung - die übrigen, neu errichteten Räumlichkeiten tatsächlich "schon jetzt" als Wohnungen zu ganzjährig gegebenen Wohnzwecken bestimmt seien.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Oberösterreichische Landesregierung die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet ab. Sie begründete dies im wesentlichen damit, in sachverhaltsmäßiger Hinsicht sei zunächst festzustellen, daß das Objekt L, Wstraße nn, aus vier Stockwerken bestehe, wobei das Erdgeschoß und der erste Stock (sogenannter Altbau) im Jahre 1953 errichtet worden seien, während die Bauführung im zweiten, dritten und vierten Stock (sogenannter Neubau) mit beendet worden sei. Wie aus den Bauplänen ersichtlich gewesen sei, seien im zweiten Obergeschoß vier Einzelzimmer, vier Waschräume, WC-Anlage und ein Heizraum, im dritten Obergeschoß zwei Einzelzimmer, zwei Waschräume, WC-Anlage und ein Heizraum sowie eine abgeschlossene Wohnung mit 108,15 m2 und im vierten Obergeschoß sechs Einzelzimmer, eines davon mit Bad und WC, situiert. Es stehe außer Streit, daß lediglich die genannte Wohnung im dritten Obergeschoß tatsächlich bewohnt werde. Nach § 1 Abs. 2 des Grundsteuerbefreiungsgesetzes 1968 müsse nicht nur die Wohnung für den Wohnungsbedarf bestimmt, sondern es müsse dieser Bedarf, d.h. eine kontinuierliche Benutzung der Wohnung auch jeweils gegeben sein. Dies sei hinsichtlich der nicht bewohnten Räumlichkeiten nicht der Fall. Da die Beendigung der Bauführung für den sogenannten Altbau im Jahre 1953 erfolgt sei, könne für diesen Teil des Objektes die Befreiungsvorschrift nicht zur Anwendung gelangen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf zeitliche Grundsteuerbefreiung verletzt. Sie beantragen, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten je eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 des in Ausführung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 157/1951 ergangenen O.Ö. Grundsteuerbefreiungsgesetzes 1968 wird für Bauten, gleichgültig, ob es sich um Neu-, Zu-, Auf-, Um- oder Einbauten handelt, durch die neuer Wohnraum geschaffen wird und deren Bauführung nach dem - bei Bauten gemeinnütziger Bau-, Wohnungs- und Siedlungsvereinigungen nach dem - beendet wurde oder beendet wird, eine zwanzigjährige vollständige Befreiung von der Grundsteuer eingeräumt.

Nach Abs. 2 erster und zweiter Satz dieser Gesetzesstelle in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 56/1987 gilt die Befreiung gemäß Abs. 1 nur, soweit Wohnungen mit höchstens 150 m2 Nutzfläche geschaffen werden, die zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnungsbedarfes bestimmt sind. Nicht zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnungsbedarfes bestimmt sind Wohnungen und Baulichkeiten, die nur zur Deckung des Wohnungsbedarfes während des Wochenendes, des Urlaubes, der Ferien oder eines sonstigen nur zeitlichen Wohnungsbedarfes bestimmt sind.

Nach § 2 leg. cit. sind von der Befreiung wiederhergestellte Wohnhäuser ausgenommen, die unter die Befreiungsbestimmungen des Grundsteuerbefreiungsgesetzes vom , LGBl. Nr. 53, fallen. Gemäß § 3 Abs. 1 erster Satz des Gesetzes umfaßt die Befreiung bei Neubauten, durch die ausschließlich Wohnraum im Sinne des § 1 Abs. 1 geschaffen wird, die gesamte Baulichkeit, im übrigen jedoch nur die auf begünstigte Bauführung entfallenden Teile. Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. ist auf die Dauer der Befreiung die Berechnungsgrundlage (der Steuermeßbetrag) in dem Verhältnis zu kürzen, in welchem der Wert der begünstigten Baulichkeit bzw. des begünstigten Teiles der Baulichkeit zum Wert des gesamten Grundstückes (Grund und Boden einschließlich der Gebäude) steht. Das Verhältnis gemäß § 3 Abs. 3 ist nach der Vorschrift des § 6 Abs. 2 erster Satz leg. cit. in einem Hundertsatz bescheidmäßig festzusetzen.

Zutreffend erblicken die Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, daß die belangte Behörde in Übereinstimmung mit den Gemeindebehörden der Ansicht ist, die geschaffenen Wohnräume müßten kontinuierlich zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnungsbedarfes dienen, während das Gesetz lediglich davon spricht, daß sie hiezu bestimmt sein müßten. Die vom Gesetz gewählte Formulierung läßt klar erkennen, daß die bloße (in der Außenwelt in Erscheinung getretene) Zweckwidmung genügt, ohne daß es erforderlich wäre, daß dies bereits im Zeitpunkt des Antrages oder des Befreiungsbescheides aktualisiert sein müßte. Anders wäre es, wenn der Gesetzgeber das Wort "dienen" verwendet hätte; dann käme es in erster Linie auf den (tatsächlichen) Gebrauch der Räume an (Erkenntnis vom , S 1g.Nr. 1678/F). Offenbar aus diesem Grunde wurden im Gesetz vom , LGBl. Nr. 56, mit dem das Grundsteuerbefreiungsgesetz 1968 geändert wird, im § 1 Abs. 2 erster und zweiter Satz jeweils die Worte "bestimmt sind" durch das Wort "dienen" ersetzt, auch wenn in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, Beilage 100/1987 zum kurzschriftlichen Bericht des O.Ö. Landtages, XXIII. Gesetzgebungsperiode, lediglich von "Auslegungsdifferenzen" bzw. von einer "Präzisierung" die Rede ist.

Nun haben die Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren wiederholt behauptet, daß - abgesehen von der oben erwähnten Wohnung - die übrigen Wohneinheiten zur Vermietung als Garconnieren bestimmt sind. Sie haben mit Recht auch darauf hingewiesen, daß auch Garconnieren zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnungsbedarfes bestimmt sind, zumal sie nicht unter den Ausnahmenkatalog des § 1 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. in der Fassung vor der erwähnten Novelle fallen. Die Gemeindebehörden haben, ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, diese Behauptung der Beschwerdeführer nicht geprüft, die Aufsichtsbehörde hat diesen sekundären Verfahrensmangel nicht zum Anlaß der Aufhebung des Bescheides des Stadtsenates genommen und damit ihren Bescheid selbst mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Wenn die Beschwerdeführer freilich weiters meinen, der angefochtene Bescheid sei auch insofern rechtswidrig, als die belangte Behörde das O.Ö. Grundsteuerbefreiungsgesetz 1948, LGBl. Nr. 53, nicht angewandt habe, so ist ihnen zu erwidern, daß die im Rahmen der Verfahrensrüge aufgestellte Behauptung, das gegenständliche, von den Beschwerdeführern wiederaufgebaute Haus sei im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört worden, eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung darstellt. Voraussetzung der Anwendung des genannten Gesetzes ist jedoch nach dessen § 1, daß die betreffenden Wohnhäuser durch Kriegseinwirkung zerstört oder beschädigt worden sind und nach dem wiederhergestellt wurden oder wiederhergestellt werden. Davon abgesehen, haben die Beschwerdeführer auch ausdrücklich die Grundsteuerbefreiung nach dem Gesetz LGBl. Nr. 7/1968 beantragt, dessen Anwendung gemäß dessen oben zitiertem § 2 ausgeschlossen wäre, wenn das Wohnhaus unter die Befreiungsbestimmungen des Gesetzes LGBl. Nr. 53/1948 fiele.

Im fortgesetzten Verfahren wird weiters zu prüfen sein, ob und inwieweit es sich bei den sogenannten Garconnieren bzw. Einzelräumen um Wohnungen im Sinne des § 1 Abs. 2 und § 3 Abs. 1 des Grundsteuerbefreiungsgesetzes 1968 handelt. Unter einer "Wohnung" versteht man einen in sich abgeschlossenen Teil des Gebäudes, der der Befriedigung des Wohnbedürfnisses des Wohnungsinhabers und seiner Familie im weitesten Sinne zu dienen bestimmt ist. Das Wohnbedürfnis umfaßt den Aufenthalt in den Wohnräumen, das Schlafen, Kochen und Essen, die Möglichkeit der Unterbringung und Aufbewahrung von Kleidung, Wäsche usw. (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 4839/F, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung, sowie das Erkenntnis vom , Zl. 2327/76). Nach der heutigen Auffassung über modernes Wohnen muß aber auch weiters darauf Bedacht genommen werden, daß eine neu errichtete Wohnung, die als solche angesprochen werden soll, innerhalb des Wohnverbandes ein Klosett enthält (vgl. auch hiezu das Erkenntnis vom , Slg. Nr. 4839/F, sowie Dorazil-Wittmann, Das Grundsteuerrecht in Österreich2, S. 203).

Dem Akteninhalt ist nun nicht mit völliger Klarheit zu entnehmen, ob und inwieweit die genannten Einzelzimmer im Sinne dieser Rechtsprechung abgeschlossene, vollständige Wohneinheiten darstellen. Nur für solche könnte jedoch die Grundsteuerbefreiung im Sinne der genannten Bestimmungen gewährt werden. Auf die von den Beschwerdeführern erwähnte Möglichkeit, mehrere dieser Räume zusammenzulegen, kommt es hingegen nicht an, weil nur die im Zeitpunkt des Ansuchens gegebene "Bestimmung" der Räume maßgebend sein kann.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß sich der nach Auffassung des Bescheides erster Instanz zu befreiende Einheitswertanteil (S 137.500,--) zum gesamten Einheitswert (S 1,425.000,--) keineswegs wie 10:100 verhält.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 243.

Hinsichtlich des oben erwähnten, unveröffentlichten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Wien, am