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VwGH vom 29.06.2000, 2000/06/0020

VwGH vom 29.06.2000, 2000/06/0020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der Gemeinde S, vertreten durch Dr. W und Dr. J, Rechtsanwälte in S, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 1/02-37.243/4-2000, betreffend Berufung gegen Bescheide in einem Bauverfahren durch eine übergangene Partei (mitbeteiligte Partei: H, vertreten durch Dr. H, Mag. W KEG in M), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist Eigentümer eines Grundstücks in der beschwerdeführenden Gemeinde. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom wurde eine Baubewilligung für ein Bauprojekt auf einem Nachbargrundstück erteilt. Mit Eingabe vom ersuchte der Mitbeteiligte als Rechtsnachfolger des seinerzeitigen Eigentümers des Grundstücks um Zustellung einer Ausfertigung des Baubewilligungsbescheides vom . Der Bewilligungsbescheid sei weder seinem Rechtsvorgänger noch ihm zugestellt worden. Nach Übermittlung dreier Baubewilligungsbescheide, darunter jenes vom , erhob die mitbeteiligte Partei Berufung (in der Berufung wird jedoch auf die Zustellung der Bescheide nicht eingegangen, sondern ausgeführt, dass noch keine Zustellung erfolgt sei; unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit der Berufung im Mehrparteienverfahren auch vor der Zustellung des Bescheides an die berufende Partei wird die Zulässigkeit der Berufung behauptet).

Mit Bescheid vom wies die Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Gemeinde die Berufung als unzulässig zurück. Diese Zurückweisung wird hinsichtlich des Bescheides vom damit begründet, dass gemäß § 8a Baupolizeigesetz in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 39/1997 Nachbarn, die im Widerspruch zu § 8 Abs. 2 Baupolizeigesetz zu einer mündlichen Verhandlung nicht geladen worden seien und die auch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ohne ihr Verschulden Einwendungen nicht vorgebracht hätten (übergangene Nachbarn), nur innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Ausführung der baulichen Maßnahme nachträglich Einwendungen gegen die bauliche Maßnahme vorbringen könnten. Gemäß der Übergangsbestimmung des Art. V Abs. 5 der Novelle LGBl. Nr. 39/1997 könnten Nachbarn im Sinne des § 8a Baupolizeigesetz, wenn mit der Ausführung der baulichen Maßnahme bereits vor dem im Abs. 1 dieses Artikels genannten Zeitpunkt begonnen worden sei, Einwendungen bis längstens sechs Monate ab diesem Zeitpunkt vorbringen. Die Baupolizeigesetznovelle 1997 sei gemäß ihrem Art. V Abs. 1 am im Umfang dieser Regelung in Kraft getreten. Die Möglichkeit zur nachträglichen Wahrung der Nachbarrechte sei daher mit abgelaufen, da die baulichen Maßnahmen am Appartementhaus, gegen das sich die Berufung richte, lange vor dem Inkrafttreten der Baupolizeigesetznovelle 1997 begonnen worden seien. Die Möglichkeit zur Wahrung seiner Nachbarrechte sei für den Mitbeteiligten bereits lange vor seinem Antrag auf Bescheidzustellung vom verloren gegangen.

Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Vorstellung. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung Folge. Nach Wiedergabe des § 10 Abs. 3 und des § 11 Abs. 7 Salzburger Landbauordnung, welche im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides in Geltung gestanden waren (betreffend die Ladung zur Bauverhandlung und die Zustellung des Bescheides an jene Anrainer und sonstigen Interessenten, welche rechtzeitig Einwendungen erhoben haben), wird hiezu begründend ausgeführt, dass der Begriff Anrainer in der Salzburger Landbauordnung nicht definiert werde. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien als Anrainer die Eigentümer der zur Bauliegenschaft angrenzenden Grundstücke anzusehen, die zu der zur Verbauung vorgesehenen Liegenschaft in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stünden, dass der geplante Bau oder dessen konsensgemäße Benützung Rückwirkungen auf diese Liegenschaft ausüben könne. Dass solche Rückwirkungen tatsächlich vorlägen, sei nicht entscheidend. Es sei nicht maßgebend, ob nachteilige Wirkungen tatsächlich eintreten, sondern nur, ob mit derartigen Einwirkungen gerechnet werden müsse. Es komme auf die bloße Möglichkeit der Rechtsverletzung an, nicht auf die tatsächliche Verletzung von Rechten. Eine Beiziehung von Anrainern im vorliegenden Bewilligungsverfahren betreffend das Appartementhaus auf dem Nachbargrundstück des Grundstücks des Mitbeteiligten sei offensichtlich unterblieben. In dem von der "Berufungsbehörde neu aufzurollenden Bauverfahren" werde daher zu prüfen sein, ob gegebenenfalls eine Beeinträchtigung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte des Mitbeteiligten erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im Recht, dass die von der Beschwerdeführerin erlassenen Bescheide nicht unter Zugrundelegung einer gesetzwidrigen Rechtsansicht aufgehoben und in Bindung daran der weitere Vollzug aufgetragen werde, geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der vorliegenden Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin hat eine Replik erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine sogenannte übergangene Partei hat nach der hg. Rechtsprechung in Ermangelung des Bestehens von Sondervorschriften für den Fall des Übergehens von Parteien das - nicht befristete - Recht, die Zustellung des Bescheids der Behörde erster Instanz jenes Verfahrens, in dem die Partei übergangen wurde, zu beantragen (vgl. z.B. Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 5. Auflage, 328 ff, oder Köhler/Schwarzer, Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, Rz 28 ff zu § 19 UVP-Gesetz).

Mit § 8 a Salzburger Baupolizeigesetz in der Fassung LGBl. Nr. 39/1997 wurde jedoch in das Salzburger Baurecht eine Vorschrift betreffend übergangene Nachbarn eingeführt.

§ 8 a Salzburger Baupolizeigesetz in der genannten Fassung (nunmehr wiederverlautbart mit LGBl. Nr. 40/1997) lautet:

"Übergangene Nachbarn

§ 8 a

Nachbarn, die im Widerspruch zu § 8 Abs. 2 zu einer mündlichen Verhandlung nicht geladen wurden und sie auch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ohne ihr Verschulden Einwendungen nicht vorgebracht haben (übergangene Nachbarn), können nur innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Ausführung der baulichen Maßnahme nachträgliche Einwendungen gegen die bauliche Maßnahme vorbringen. Dies gilt auch in dem Fall, dass keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, bei Nachbarn, denen kein Bescheid zugestellt worden ist."

Art. V Abs. 5 der Novelle zum Baupolizeigesetz LGBl. Nr. 39/1997 lautet:

"(5) Übergangene Nachbarn im Sinn des § 8 a des Baupolizeigesetzes in der Fassung des Art. I können, wenn mit der Ausführung der baulichen Maßnahme bereits vor dem im Abs. 1 genannten Zeitpunkt begonnen worden ist, Einwendungen bis längstens 6 Monate ab diesem Zeitpunkt vorbringen."

Aus den wiedergegebenen Bestimmungen ergibt sich, dass der Salzburger Baurechtsgesetzgeber die Möglichkeit von Parteien, die in Verfahren, die vor dem geführt worden waren, in der einen oder anderen Weise übergangen worden sind (vgl. die ausdrückliche Bezugnahme auf Verfahren mit mündlicher Verhandlung und solche ohne mündliche Verhandlung), zur Geltendmachung von Parteirechten beschränkt hat. Dies ergibt sich auch aus den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle 1997 (vgl. die Erläuterungen bei Hauer, Salzburger Baurecht, 3. Auflage, 86), denen keine Einschränkung des Anwendungsbereiches des Art. V Abs. 5 der Novelle zu entnehmen ist. Insbesondere trifft es nicht zu, dass - wie in der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei vertreten wird - sich § 8a Sbg BauPolG nur auf die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen beziehe, nicht aber auf Anträge auf Bescheidzustellung. Wie sich dies aus dem Wortlaut der Bestimmung und auch aus den Erläuterungen zu § 8a Sbg BauPolG ergibt, sollte eine Regelung für übergangene Parteien - sowohl für Verfahren mit als auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - geschaffen werden. Da im Fall der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 42 AVG idF vor BGBl. I Nr. 158/1998 nur Nachbarn präkludiert waren, die ordnungsgemäß geladen wurden, und andererseits das wesentliche Recht des Nachbarn in einem Bauverfahren darin besteht, Einwendungen zu erheben, knüpft § 8a BauPolG einerseits an den Umstand an, dass jemand nicht zur Verhandlung geladen wurde, und sieht andererseits als Rechtsfolge die Möglichkeit der Erhebung von Einwendungen vor. Die Differenzierung, die in der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei vertreten wird, liegt aber dem Gesetz nicht zu Grunde und würde die Vorschrift auch gleichheitsrechtlich bedenklich erscheinen lassen. Die gesetzlich unter zeitlicher Beschränkung eingeräumte Möglichkeit, Einwendungen zu erheben bedeutet auch, dass nach Ablauf der eingeräumten Frist auch in Berufungen keine Einwendungen mehr erhoben werden können.

Aus dem Umstand, dass § 8 a des Baupolizeigesetzes 1997 am in Kraft getreten ist, folgt nicht - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift vertritt -, dass diese Regelung auf Fälle, die der Salzburger Landbauordnung "unterliegen", nicht anwendbar wäre. Es ist weder dem Wortlaut der Bestimmung noch den Materialien zu entnehmen, dass der Landesgesetzgeber die Übergangsbestimmung für übergangene Parteien in Art. V Abs. 5 der Novelle nur auf Verfahren ab einem bestimmten Zeitpunkt beschränken wollte. Eine solche Auslegung wäre auch in gleichheitsrechtlicher Hinsicht problematisch und ist daher im Zweifel nicht zu wählen. Die Bezugnahme auf "übergangene Nachbarn im Sinn des § 8 a des Baupolizeigesetzes" bedeutet keine Einschränkung auf Verfahren, die bereits nach dem Baupolizeigesetz geführt wurden. Es gehen daher auch die diesbezüglichen Ausführungen in der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei ins Leere. Zu den darin enthaltenen verfassungsrechtlichen Bedenken ist darauf hinzuweisen, dass die Einräumung einer Frist für übergangene Parteien ab Inkrafttreten des Gesetzes verfassungsrechtlich zulässig ist (vgl. auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaats und des Rückwirkungsverbots ähnlich , Aprile).

Da innerhalb der in Art. V Abs. 5 der angeführten Novelle vorgesehenen Frist von der Möglichkeit des Mitbeteiligten, seine Parteirechte hinsichtlich des Baubewilligungsverfahrens aus dem Jahre 1973 geltend zu machen, kein Gebrauch gemacht worden war, erfolgte die Zurückweisung der Berufung durch die letztinstanzliche Gemeindebehörde zu Recht. Die Aufhebung des mit Vorstellung bekämpften Bescheides durch die belangte Behörde verletzt somit die Beschwerdeführerin im geltend gemachten Recht.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass vor der Antragstellung auf Bescheidzustellung durch § 42 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 § 8 a Salzburger Baupolizeigesetz zum Teil derogiert wurde (vgl. § 82 Abs. 7 AVG). (Insofern teilt der Verwaltungsgerichtshof die in der Replik der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, dass keine Derogation eingetreten sei, nicht; eine Regelung über die Beschränkung der Geltendmachung von Nachbarrechten durch übergangene Parteien ist eine Regelung des Verfahrensrechts; soweit § 42 AVG nF diesbezüglich Regelungen enthält, hat er § 8a Sbg BauPolG derogiert; da der Anwendungsbereich des § 8a Sbg BauPolG jedoch weiter ist als die Regelung des § 42 AVG - und etwa auch im Fall des Übergehens durch Nichtzustellung des erstinstanzlichen Bescheides zum Tragen kommt - wurde § 8a Sbg BauPolG nicht zur Gänze derogiert.)

Da das Recht zur Geltendmachung von Parteienrechten von übergangenen Parteien zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 42 AVG in der genannten Fassung - wie in der Replik zutreffend festgehalten wird - bereits untergegangen war, ist nicht der Frage nachzugehen, welchen Einfluss § 42 AVG in Fällen, in denen noch die Möglichkeit zur Geltendmachung von Parteienrechten bestanden hätte, ausgeübt hat.

In einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem das Recht zur Erhebung von Einwendungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 42 AVG nach der landesgesetzlichen Regelung für übergangene Parteien bereits erloschen war, kann sich durch das Inkrafttreten der Neufassung des § 42 AVG keine Änderung hinsichtlich der Möglichkeit zur Geltendmachung von Parteienrechten ergeben.

Da somit die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, indem sie den bei ihr bekämpften Bescheid wegen Verletzung von Rechten des Mitbeteiligten aufgehoben hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Auf das Vorbringen in der Beschwerde betreffend den Bescheid vom und den Bescheid vom war daher nicht mehr einzugehen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am