zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 20.09.1994, 92/05/0232

VwGH vom 20.09.1994, 92/05/0232

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der H-Gesellschaft m.b.H. in B, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. R/1-B-911, betreffend Untersagung von Gesteinsabbauarbeiten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.960,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom untersagte die Bezirkshauptmannschaft als Baubehörde erster Instanz die Fortsetzung der Durchführung von Gesteinsabbauarbeiten in der Gemeinde H auf den Grundstücken Nr. 1458/16, 1458/15, 1458/14 und 1458/5. Diese Grundstücke gehören der Beschwerdeführerin, die dort einen Steinbruch betreibt. Die Bezirkshauptmannschaft begründete ihre Zuständigkeit als Baubehörde damit, daß die mit dem Betrieb des Steinbruches untrennbar verbundenen Transporttätigkeiten, die Gesteinsaufbereitung sowie die Zerkleinerung und Sortierung des Materials auch auf Grundstücken der Beschwerdeführerin in der Gemeinde B durchgeführt werden. Da sich das Vorhaben somit auf das Gebiet zweier Gemeinden erstrecke, sei die Bezirkshauptmannschaft gemäß § 116 Abs. 3 Nö Bauordnung 1976 (in der Fassung LGBl. 8200-6; im folgenden: BO) die zuständige Baubehörde. Die Untersagung begründete die Baubehörde damit, daß die Beschwerdeführerin Arbeiten im Sinne des § 93 Z. 2 BO durchführe, obwohl keine baurechtliche Bewilligung vorliege, sodaß gemäß § 109 Abs. 3 BO die Durchführung dieser Arbeiten zu untersagen gewesen sei.

In ihrer dagegen erstatteten Berufung verwies die Beschwerdeführerin auf einen am an die Gemeinde B gerichteten Antrag, worauf der Bürgermeister dieser Gemeinde mit Schreiben vom dem Ansuchen um Bestätigung der Betriebsgenehmigung Folge gegeben habe. Es liege somit eine rechtsgültige Bewilligung vor, die niemals gemäß § 68 Abs. 4 AVG aufgehoben worden sei. Die Bezirkshauptmannschaft sei unzuständig gewesen, weil die Gesteinsabbauarbeiten ausschließlich im Gemeindegebiet von H erfolgen.

Nach Durchführung einer Verhandlung an Ort und Stelle wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung als unbegründet ab. Ausgehend von der Feststellung, daß der Gesteinsabbau nur im Gemeindegebiet H erfolge, sei durch die (örtlich) zuständige Baubehörde keine Bewilligung gemäß § 121 Abs. 5 der NÖ Bauordnung 1969, LGBl. Nr. 166, erfolgt. Der gesamte Steinbruchbetrieb erstrecke sich über zwei Gemeinden, weshalb die Bezirkshauptmannschaft als Baubehörde erster Instanz zuständig gewesen sei. Gemäß Art. II der Berggesetznovelle 1990, BGBl. 255/1990 (richtig: 355/90), seien Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängig waren, nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen.

Nach Vorlage der Berufung wies die hier einschreitende Baubehörde erster Instanz mit Schreiben vom darauf hin, daß auf Grund des novellierten § 5 BergG nunmehr keine baubehördliche Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft gegeben sei und daß diese der Bergbehörde zukomme. Im Akt befindet sich eine Niederschrift, die von der Berghauptmannschaft Wien am in der Werksleitung der Beschwerdeführerin aufgenommen wurde. Die Berghauptmannschaft Wien habe auf Grund geologischer Unterlagen und chemischer Analysen festgestellt, daß der in B und H abgebaute Kalkstein zur Herstellung von Branntkalk geeignet sei. Der Verhandlungsleiter legte anhand der Berggesetznovelle 1990 die rechtlichen Grundlagen für eine Übernahme des Betriebes in die bergbehördliche Aufsicht dar.

Mit Bescheid vom erteilte die Berghauptmannschaft Wien der Beschwerdeführerin die Bewilligung zur wesentlichen Änderung und die Bewilligung zum Betrieb (Benützung) der "Steinbrech- und Sortieranlage" auf dem Grundstück Nr. 1458/5 (eines der gegenständlichen Grundstücke) der Katastralgemeinde H unter gleichzeitiger Vorschreibung von Bedingungen bzw. Auflagen.

Gegen den abweisenden baubehördlichen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem aus § 121 BO erfließenden Recht verletzt, daß ihr Steinbruch nicht und schon gar nicht durch eine Landesbehörde untersagt werde; weiters in ihrem Recht, daß rechtskräftige Bescheide nur nach den §§ 68 ff AVG aufgehoben werden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift; die Beschwerdeführerin replizierte und legte ein Schreiben der Berghauptmannschaft Wien vom vor, wonach unter anderem auch hinsichtlich der hier gegenständlichen Grundstücke Gewinnungsbewilligungen auf Grund der Bestimmungen des § 238 Abs. 1 bis 5 BergG 1975 in der Fassung der Berggesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 355, mit Wirkung vom ex lege als erteilt gelten; die Grundstücke gelten gemäß § 176 Abs. 1 BergG 1975 als Bergbaugebiet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hatte im Erkenntnis vom , Zl. 94/06/0099, eine Vorschreibung gemäß § 50a des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes, betreffend die Unterlassung der Entnahme von Schottermaterial, zu behandeln. Er sprach aus, daß geprüft werden müsse, auf welche mineralische Rohstoffe sich der Schotterabbau beziehe. Sollte der Schotterabbau Mineralien betreffen, die dem Berggesetz unterlägen, so bleibe kein Raum zur Anwendung des § 50a ROG.

Diese Frage ist im vorliegenden Fall geklärt, weil im bergrechtlichen Verfahren festgestellt wurde, daß der abgebaute Kalkstein zur Herstellung von Branntkalk geeignet sei. "Kalk" war jedoch in der Aufzählung der mineralischen Rohstoffe in den §§ 3 bis 5 des Berggesetzes 1975, BGBl. Nr. 259, nicht enthalten; Schäffer nennt in seinem Aufsatz zum Berggesetz 1975, ZfV 1976, 3 ff, 5, "Kalk" als Beispiel für "sonstige mineralische Rohstoffe" gemäß § 6 BergG 1975. Durch die Berggesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 355, wurde die Aufzählung im § 5 um Kalkstein, soweit er sich zur Herstellung von Branntkalk oder als Einsatzstoff bei der Zementherstellung oder als Zuschlagsstoff bei metallurgischen Prozessen eignet, erweitert. Derartiger Kalkstein ist somit ein grundeigener mineralischer Rohstoff; gemäß § 2 Abs. 1 BergG 1975 gilt das Berggesetz für das Aufsuchen und Gewinnen derartiger Rohstoffe.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Verfahren G 171/91 einzelne Bestimmungen der Berggesetznovelle 1990 auf ihre Übereinstimmung mit den Kompetenzbestimmungen des B-VG geprüft. In dem das Verfahren abschließenden Erkenntnis vom wurde die Ausweitung auf die Tätigkeit "Lagern" im § 132 BergG als vom Begriff "Bergwesen" nicht erfaßt aufgehoben. Der Begriff erfasse ja nicht nur die auf das Gewinnen von Mineralien abzielenden, sondern auch andere die Erdkruste nutzende Tätigkeiten, die mit Mitteln und Methoden erfolgen, die sonst für das Gewinnen von Mineralien typisch sind ("Bergbau"). Nicht zum Bergwesen zählten Tätigkeiten, die keine speziellen bergbautechnischen Kenntnisse, Mittel und Methoden erforderten. Die mit dieser Novelle erfolgte Neukategorisierung mineralischer Rohstoffe und die damit verbundene Erweiterung der von den Bergbehörden - also in unmittelbarer Bundesverwaltung - zu besorgenden Angelegenheiten sei kompetenzrechtlich unbedenklich. Gemäß Art. II Abs. 1 leg. cit. trat die Berggesetznovelle 1990 am in Kraft. § 258 letzter Satz in der Fassung dieser Novelle sieht vor, daß die Genehmigungen nach dem gewerblichen Betriebsanlagenrecht für nunmehr als Bergbauanlagen geltende Betriebsanlagen aufrecht bleiben.

Im vorliegenden Beschwerdefall wird mehrfach auf das Vorhandensein derartiger gewerberechtlicher Bewilligungen verwiesen. Anläßlich der Verhandlung vor der Baubehörde erster Instanz am wurde ein Feststellungsbescheid der Gewerbebehörde vom erörtert. Der im Akt erliegende Übersichtsplan vom (bzw. November 1961) enthält den Vermerk der Bezirkshauptmannschaft, daß sich der zuletzt genannte Bescheid darauf beziehe. Dieser Plan weist unter anderem die hier gegenständlichen Grundstücke in einem rot schraffierten Gebiet aus, bei welchem es sich nach der Legende des Planes um das laut Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom genehmigte Abbaugebiet handle. Während also bis der Betrieb der gegenständlichen Anlage einer gewerberechtlichen Genehmigung bedurfte, fällt der Betrieb der Anlage seit dem - entsprechend § 74 Abs. 4 Gewerbeordnung 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988 - unter die Kompetenz der Bergbehörde.

Die Baubehörde erster Instanz hat ihren Untersagungsbescheid auf die Tatsache gestützt, daß der Kubaturunterschied des Steinbruches zwischen den Vermessungen am und am insgesamt 765.926 cbm betragen habe; sie folgerte daraus, daß Arbeiten im Sinne des § 93 Z. 2 BO vorgenommen werden. Diese Tätigkeit erfüllt aber auch den Tatbestand des § 1 Z. 2 BergG 1975.

Die Beschwerdeführerin meint nun, das Landesrecht dürfe der nunmehr bestehenden bundesrechtlichen Regelung nicht in der Weise entgegenstehen, daß das Landesrecht die Ausübung von Tätigkeiten, die gemäß Art. 10 Abs. 1 Z. 10 B-VG unter die Bundeskompetenz fallen und von der Bundesgesetzgebung für zulässig erklärt werden können, gänzlich untersagt. Die landesgesetzliche Regelung stelle sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität bundesgesetzlicher Regelungen dar; die Beschwerdeführerin verweist in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 10292, und meint, dieser Mangel hafte den Bestimmungen des § 109 Abs. 3 BO und § 93 Z. 2 BO an.

Diese verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung - wohl nur - des § 93 Z. 2 BO vermag der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Erwägungen nicht zu teilen:

§ 93 Z. 2 BO lautet:

"Andere bewilligungspflichtige Vorhaben einer Bewilligung der Baubehörde bedürfen außer den im § 92 aufgezählten Fällen:

2.a) die Anlage und die Erweiterung von Steinbrüchen,

Sand-, Kies- und Lehmgruben sowie deren Ausfüllung, die Anlage und die Erweiterung von Schlacken-, Schutt- und Müllhalden sowie

b) andere Abgrabungen und Anschüttungen von mehr als einem halben Meter Höhe, soweit dadurch das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt werden könnte; ..."

§ 1 Abs. 2 BO lautet:

"(2) Durch dieses Gesetz werden andere Zuständigkeiten nicht berührt, wie z.B. die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes für Bundesstraßen, Bergbau-, Eisenbahn- und Luftfahrtanlagen, öffentliche Schiffahrtsanlagen und militärische Anlagen. Nicht berührt werden auch jene Vorschriften, wonach für Baulichkeiten zusätzliche Bewilligungen erforderlich sind (z.B. nach dem Gewerbe-, Wasser-, Naturschutz- und Arbeitnehmerschutzrecht)."

Damit hat der Landesgesetzgeber zur Abgrenzung des Aufgabenbereiches der Baubehörden die wichtigsten Verwaltungsmaterien, die in den Kompetenzbereich des Bundes fallen, in denen dieses Gesetz nicht angewendet werden soll, sowie die wichtigsten Verwaltungsmaterien, bei denen neben der baubehördlichen eine weitere Bewilligung einer anderen Behörde notwendig ist, angeführt (Hauer-Zaussinger, NÖ Bauordnung4, 37). Daher konnten vor dem keine Bedenken dagegen bestehen, daß (neben der gewerbebehördlichen Bewilligung) eine baurechtliche Genehmigung für die Anlage und Erweiterung des gegenständlichen Steinbruches vorgesehen war. Aber auch die Ausweitung der Anwendung des Berggesetzes durch Erweiterung der Liste der grundeigenen mineralischen Rohstoffe läßt nach wie vor einen landesgesetzlichen Regelungsbereich für die in § 93 Z. 2 BO genannten Auflagen offen: Durch die Formulierung "ausschließliche Zuständigkeit" wollte der Gesetzgeber eine Zuständigkeit der Baubehörde in Angelegenheiten des Bergwesens ausschließen. Dort dagegen, wo der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz "Bergwesen" nicht ausschöpfte, sollte offensichtlich der Baubehörde eine Zuständigkeit eingeräumt werden. Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe, die nicht unter den Kompetenztatbestand "Bergwesen" fällt, ist vom Berggesetz nicht erfaßt und bedarf daher nach wie vor - unbeschadet anderer Genehmigungen - der baurechtlichen Bewilligung gemäß § 93 Z. 2 BO.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , B 942/91, die Kompetenz des Landesgesetzgebers zu unmittelbar der Wassernutzung dienenden Bauten beurteilt. Eine ähnliche salvatorische Klausel in § 1 Abs. 3 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz hat für den Verfassungsgerichtshof deutlich gemacht, daß der Landesgesetzgeber keine Anordnungen treffen wollte, die über die Kompetenz des Landes hinausgehen, was ihm eine Reduktion einer Bestimmung der Steiermärkischen Bauordnung auf jenen Bereich ermöglichte, als es sich um Bauten handle, die nicht unmittelbar, sondern bloß mittelbar der Wassernutzung dienten. Eine derartige Reduktion und damit verfassungskonforme Interpretation ist auch für § 93 Z. 2 im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 BO geboten.

Daraus folgt, daß zurecht im Jahre 1990 eine Baubehörde in Vollziehung der Bauordnung eingeschritten ist; die belangte Behörde hatte aber bei ihrer Berufungsentscheidung die Änderung der Rechtslage durch Wegfall der Rechtsgrundlage für das Einschreiten der Baubehörden zu beachten und hätte den angefochtenen Bescheid aufheben müssen (VfSlg. 3285). Hingegen war im Entscheidungszeitpunkt der Berufungsbehörde nicht mehr wesentlich, ob ein Anwendungsfall des § 116 Abs. 3 BO vorlag oder ob die seinerzeit 1970 vom Bürgermeister der Gemeinde B erteilte Bewilligung sich auf das gesamte Bauvorhaben erstreckte.

Die belangte Behörde verwies zur Untermauerung ihres Standpunktes auf den Art. II Abs. 3 der Berggesetznovelle 1990, wonach im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängige Verfahren nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen seien. Daß der Bundesgesetzgeber damit nicht Verfahren meinen konnte, die auf Grund landesgesetzlicher Regelungen außerhalb des Bundesvollziehungsbereiches abgewickelt werden, ergibt sich schon aus kompetenzrechtlichen Erwägungen, daher konnte sich diese Übergangsregelung nicht auf Bauverfahren beziehen.

Da also die belangte Behörde entgegen der Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG die seit bestehende Rechtslage nicht berücksichtigte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.