VwGH vom 16.11.2004, 2000/17/0022
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck sowie die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde 1.) des FH und
2.) der TH, beide in M, beide vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. Gem-524014/4-1999-Wa/Gdl, betreffend
1.) Wiederaufnahme des Verfahrens und 2.) Vorschreibung einer ergänzenden Wasserleitungsanschlussgebühr (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Mattighofen, Stadtplatz 3, 5230 Mattighofen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde den Beschwerdeführern für eine näher bezeichnete, im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde gelegene Liegenschaft unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von 292 m2 eine ergänzende Wasserleitungsanschlussgebühr in der Höhe von brutto S 12.848,-- (netto S 11.680,-- + 10 % Mehrwertsteuer) gemäß § 2 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 2 der Wassergebührenordnung der mitbeteiligten Gemeinde vom vorgeschrieben.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer, in der geltend gemacht wurde, dass es sich beim erstinstanzlichen Bescheid nicht um einen Ergänzungsgebührenbescheid, sondern um eine (erstmalige) Vorschreibung einer Wasserleitungsanschlussgebühr gehandelt habe und im Wesentlichen die Verjährung der vorgeschriebenen Gebühr eingewendet wurde, gab die belangte Behörde mit Bescheid vom , Zl. Gem-524014/2-1999-Wa/Kr, mit der Begründung statt, die Wassergebührenordnung der mitbeteiligten Gemeinde vom sehe vor, dass zu den jeweiligen Gebühren Mehrwertsteuer in der Höhe von 8 % vorzuschreiben sei. Auch wenn die gesetzliche Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Baufertigstellung im Jahre 1990 nicht mehr 8 % betragen habe, sondern bereits 10 %, könnten im Beschwerdefall dennoch nicht 10 % Mehrwertsteuer vorgeschrieben werden, weil die Gebührenordnung den geringeren Satz von 8 % vorsehe.
Aus diesem Grund hob die belangte Behörde den Bescheid des Gemeinderates vom auf.
Mit Schreiben vom stellte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG den Antrag auf Wiederaufnahme des Vorstellungsverfahrens, da mit Gemeinderatsbeschluss vom eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes hinsichtlich der "Kanalanschlussgebühren" auf 10 % beschlossen worden sei und danach die Anschlussgebühr künftig in den Verordnungen inklusive Mehrwertsteuer auszuweisen sei. Eine Erhöhung der Gebühren sei nicht vorgenommen worden. Die Anwendung des Mehrwertsteuersatzes von 10 % im Bescheid des Gemeinderates vom sei daher zu Recht erfolgt. Da die Berechnung der Mehrwertsteuer weder Gegenstand des bisherigen Berufungsverfahrens noch des späteren Vorstellungsverfahrens gewesen sei, seien nur jene Beilagen zum Vorstellungsakt gegeben beziehungsweise berichtsmäßig nur jene Punkte erfasst worden, die das Verfahren selbst betroffen hätten. Die Nichterbringung des Beweises für die richtige Berechnung der Mehrwertsteuer im Vorstellungsverfahren sei daher nicht "im Verschulden der Stadtgemeinde gelegen". Bei Beachtung dieser Beweise hätte jedoch ein anders lautender Vorstellungsbescheid ergehen müssen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde unter Spruchpunkt I. dem Wiederaufnahmeantrag der mitbeteiligten Gemeinde statt und wies unter Spruchpunkt II. die Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet ab.
Dadurch, dass der Gemeinderat mit Beschluss vom eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes auf 10 v.H. vorgenommen und beschlossen habe, dass künftig in den Verordnungen die Anschlussgebühr inklusive Mehrwertsteuer auszuweisen sei, "hätte der Bescheid der Oö. Landesregierung vom , Gem-524016/3-1999-Wa (richtig wohl: Gem-524014/2- 1999-Wa/Kr), einen anderslautenden Spruch gehabt". Dem Antrag auf Wiederaufnahme sei daher stattzugeben gewesen.
Hinsichtlich des Spruchpunktes II. führte die belangte Behörde aus, dass bei nachträglichen Änderungen eines angeschlossenen Grundstückes eine ergänzende Wasserleitungsanschlussgebühr zu entrichten sei. Das unbebaute Grundstück der Beschwerdeführer sei an die örtliche Wasserleitung angeschlossen. Für diesen Anschluss sei keine Gebühr entrichtet worden. "Durch die spätere Bebauung des Grundstücks" werde "festgestellt, dass § 2 Abs. 4 lit. a der Wassergebührenordnung vom zum Tragen kommt, wonach bei nachträglicher Abänderung eines angeschlossenen Grundstückes eine Ergänzungsgebühr zu entrichten ist."
Die Verpflichtung zur Entrichtung einer ergänzenden Wasserleitungsanschlussgebühr entstehe mit dem Einlangen der Anzeige über die Vollendung der Bauarbeiten bei der Gemeinde.
Dies sei anlässlich des Ansuchens um Benützungsbewilligung im Jahr 1990 erfolgt. Gemäß § 153 LAO betrage die Verjährungsfrist 5 Jahre und beginne mit dem Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei, also mit Beginn des Jahres 1992. Gemäß § 155 LAO werde die Verjährung durch jede Geltendmachung des Anspruches oder jede zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen und beginne mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Unterbrechung eingetreten sei, neu zu laufen. Das im Jahr 1995 zur Erhebung der Wasseranschlussgebühr an die Beschwerdeführer gerichtete Schreiben der mitbeteiligten Gemeinde, in welchem als Berechnungsgrundlage eine Fläche von 292 m2 angegeben worden sei, sei eine nach außen erkennbare Amtshandlung, die die Verjährung unterbrochen habe.
Da somit im Beschwerdefall Verjährung noch nicht eingetreten sei, sei eine ergänzende Wasserleitungsanschlussgebühr in der vom Gemeinderat festgesetzten Höhe vorzuschreiben gewesen.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich sowohl gegen Spruchpunkt I. als auch gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Im Vorstellungsverfahren über die gegenständliche Wasserleitungsanschlussgebühr war das AVG anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/17/0013).
Gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Bei den in dieser Bestimmung bezeichneten "Tatsachen und Beweismitteln" muss es sich um neu hervorgekommene, d.h. um solche handeln, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden. Mit "Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, nicht etwa Rechtsänderungen oder spätere Gutachten über Tatsachen, mit "Beweismittel" Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8, Rz 588).
Ein Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid zugrundegelegt wurde. Eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht kann niemals einen Wiederaufnahmsgrund nach dieser Bestimmung darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 2054/A).
Nachträglich sich ergebende rechtliche Bedenken gegen die Richtigkeit eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides bilden keinen Wiederaufnahmsgrund (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2300/77).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das nachträgliche Erkennen, es seien im abgeschlossenen Verfahren Verfahrensmängel oder gar eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen, ebenso wenig einen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG bildet wie etwa das nachträgliche Bekanntwerden von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes, aus denen sich ergibt, dass die von der Behörde im abgeschlossenen Verfahren vertretene Rechtsauffassung verfassungs- oder gesetzwidrig war (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/17/0257, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 84/10/0072).
Die mitbeteiligte Gemeinde stützte ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Vorstellungsverfahrens auf eine durch den Beschluss des Gemeinderates vom erfolgte Novellierung der maßgeblichen Rechtslage, welche offenkundig von der belangten Behörde nicht berücksichtigt worden war. Dieser Argumentation folgte die belangte Behörde, indem sie dem gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag stattgab.
Hiebei übersieht die belangte Behörde jedoch - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in den Erkenntnissen vom und vom in den sachverhaltsmäßig im Wesentlichen mit dem vorliegenden Beschwerdefall übereinstimmenden hg. Verfahren zu den Zlen. 2000/17/0012 und 2000/17/0024 dargelegt hat -, dass der Beschluss des Gemeinderates vom nicht ein auf der Tatsachenebene eingetretenes Ereignis ist, sondern Teil der von der Behörde anzuwendenden Rechtslage. Als ein der rechtlichen Ebene zuzuordnendes Element scheidet der genannte Beschluss jedoch - entsprechend der zitierten ständigen Rechtsprechung - von vornherein als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG aus.
Die Bewilligung der Wiederaufnahme aus dem Grunde der Nichtbeachtung des Gemeinderatsbeschlusses vom war daher auch im vorliegenden Fall rechtswidrig, weshalb Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.
2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Durch die Aufhebung eines angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof tritt das Verfahren in jene Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte (§ 42 Abs. 3 VwGG).
Dies führt im Beschwerdefall dazu, dass zufolge der Aufhebung des die Wiederaufnahme bewilligenden Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides vom Weiterbestehen des rechtskräftigen Vorstellungsbescheides vom auszugehen ist.
Die Rechtskraft dieses der Vorstellung der Beschwerdeführer stattgebendenden Bescheides der belangten Behörde vom stand daher einem neuerlichen Abspruch über die Vorstellung entgegen.
Da die Abweisung der Vorstellung der Beschwerdeführer somit unter Missachtung der Rechtskraftwirkung des Bescheides vom erfolgte, erweist sich auch Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II. Nr. 333/2003, insbesondere auf deren § 3 Abs. 2. Die von den Beschwerdeführern entrichtete Pauschalgebühr in der Höhe von S 2.500,-- war dabei gemäß § 3 Abs. 2 Z 3 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, mit EUR 181,68 in Ansatz zu bringen. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den geltend gemachten Schriftsatzaufwand für eine zweite Beschwerde, da sich die Beschwerde nicht gegen zwei Bescheide richtet, sondern gegen einen in zwei Spruchpunkte gegliederten Bescheid.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes
nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am