VwGH vom 30.06.1992, 92/05/0067
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Degischer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 64-43/91/Str, betreffend Übertretung der Bauordnung für Wien, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 13. und 14. Bezirk, vom wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 128 Abs. 1 der Bauordnung für Wien eine Geldstrafe von S 4.000,-- (Ersatzarreststrafe von 4 Tagen) verhängt. Das Straferkenntnis wurde an den Beschwerdeführer persönlich zugestellt und nicht an den während des erstinstanzlichen Verfahrens mehrfach eingeschrittenen Rechtsanwalt, der sich auf eine in einem anderen Strafverfahren ausgewiesene Vollmacht berufen hat. Mit Schriftsatz vom erhob der bevollmächtigte Anwalt im Namen des Beschwerdeführers Berufung gegen dieses Straferkenntnis. Ein Vorbringen dahingehend, daß der erstinstanzliche Bescheid dem Vertreter des Beschwerdeführers tatsächlich zugekommen sei, ist der Berufung nicht zu entnehmen. Das erstinstanzliche Straferkenntnis wurde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom mit einer den Inhalt nicht berührenden Ergänzung des Spruches bestätigt. Der Berufungsbescheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Selbst die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift ein, es bleibe unbestritten, daß der Beschwerdeführer bereits im erstinstanzlichen Verfahren vertreten und das erstinstanzliche Straferkenntnis daher an diesen Vertreter zuzustellen gewesen wäre. Stattdessen sei diese Zustellung unmittelbar an den Beschwerdeführer selbst erfolgt. Die belangte Behörde führt in ihrer Gegenschrift weiters aus, ein derartiger Zustellmangel gelte gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz des Zustellgesetzes als geheilt, wenn dem Vertreter das Schriftstück tatsächlich zukomme. Sie bezieht sich auf zwei Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 84/10/0189 und 84/10/0196, aus welchen hervorgehe, daß das Übergehen des ausgewiesenen Vertreters bei der Bescheidzustellung saniert worden sei, wenn der ausgewiesene Vertreter anläßlich der Berufung einschreite.
§ 9 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, lautet:
"Zustellungsbevollmächtigter
(1) Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist."
Mit der Auslegung dieser Bestimmung hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt befaßt. So hat er in seinen Erkenntnissen vom , Zl. 86/17/0120, und vom , Zl. 90/10/0035, ausgesprochen, daß ein Zustellungsfehler im Anwendungsbereich des Zustellgesetzes als geheilt gilt, wenn und sobald der dem Vertretenen zu Unrecht übermittelte Bescheid dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt. In seinem Erkenntnis vom , Zl. 85/18/0349, hat der Gerichtshof ausgesprochen, daß weder die bloße Kenntnisnahme eines Straferkenntnisses noch die private Anfertigung einer Fotokopie davon bewirkt, daß das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des § 9 Abs. 1 des Zustellgesetzes tatsächlich zugekommen ist. Im Erkenntnis vom , Slg. NF Nr. 11.615/A, wurde ausgeführt, daß dann, wenn entgegen ausgewiesenem Vollmachtsverhältnis das erstinstanzliche Straferkenntnis an den Beschuldigten selbst zugestellt wird, die Einbringung der Berufung dagegen durch den ausgewiesenen Rechtsanwalt noch nicht erweise, daß das Straferkenntnis dem Rechtsanwalt tatsächlich zugekommen sei. Auch in seinem Erkenntnis vom , Zl. 88/18/0371, führte der Gerichtshof aus, daß eine Heilung eines Zustellmangels nur dann vorliegt, wenn der Bescheid dem Vertreter "tatsächlich zugekommen" ist, und hat gefolgert, daß im Verwaltungsverfahren Anhaltspunkte dafür hervorkommen müssen, daß der Bescheid "auch tatsächlich zugekommen ist".
Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, da die Berufung des Vertreters des Beschwerdeführers keinerlei Hinweise dahingehend enthielt, ob diesem das Straferkenntnis tatsächlich zugekommen sei oder nicht, daß die belangte Behörde die Frage zu klären hatte, ob das an den Beschwerdeführer persönlich adressierte erstinstanzliche Straferkenntnis dem Vertreter des Beschwerdeführers tatsächlich zugekommen ist. Da sie keinerlei Ermittlungen zur Klärung dieses Fragenkomplexes durchgeführt hat und von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der durch die Aktenlage nicht gedeckt war, kann sie sich zum Beschwerdevorbringen, es sei dem Vertreter des Beschwerdeführers das erstinstanzliche Straferkenntnis tatsächlich nicht zugekommen, auch nicht auf das aus § 41 Abs. 1 VwGG ableitbare Neuerungsverbot berufen.
Die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift herangezogenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zlen. 84/10/0189 und 84/10/0196, können für die Rechtmäßigkeit des in Beschwerde gezogenen Bescheides schon deshalb nicht ins Treffen geführt werden, weil sie sich auf Fälle beziehen, in welchen der Rechtsanwalt erst anläßlich der Erhebung der Berufung gegen das Straferkenntnis der Behörde erster Instanz einschritt, während im Beschwerdefall der bevollmächtigte Rechtsanwalt schon im erstinstanzlichen Verfahren eingeschritten ist.
Da im Verwaltungsstrafverfahren keine Hinweise dafür hervorgekommen sind, daß dem bevollmächtigten Rechtsanwalt das erstinstanzliche Straferkenntnis tatsächlich zugekommen ist und im Zusammenhang mit dem in dieser Hinsicht unbestritten gebliebenen Beschwerdevorbringen, wonach dem bevollmächtigten Vertreter das Straferkenntnis tatsächlich NICHT zugekommen ist, auch nicht davon ausgegangen werden kann, daß dies der Fall war, durfte die belangte Behörde keine Sachentscheidung fällen. Da sie dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.