VwGH vom 17.11.1995, 95/02/0248
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-04/04/00780/94, betreffend Übertretung des KJBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer als ein gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der J-AG mit einem näher angeführten Sitz in Wien als Arbeitgeberin für schuldig befunden, er habe es zu verantworten, daß durch diese Gesellschaft in ihrer weiteren Betriebsstätte im Standort Knittelfeld mehrere Verstöße gegen das KJBG begangen worden seien und zwar zu 1) nach § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 2, zu 2) nach § 15 Abs. 1, zu 3) nach § 16, zu 4) und
5) nach § 17 Abs. 1, zu 6) nach § 14 Abs. 1 und zu 7) nach § 14 Abs. 2. Es wurden Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Die vom Beschwerdeführer behauptete Unzuständigkeit der belangten Behörde im Zusammenhang mit dem Tatort (vgl. § 51 Abs. 1 VStG idF vor der Novelle BGBl. Nr. 620/1995) liegt nicht vor. Es entspricht nämlich der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 92/18/0366), daß in einem Fall wie dem vorliegenden, wo das gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ zur Verantwortung gezogen wird, der Sitz der Unternehmensführung als Tatort anzusehen ist, welcher sich im übrigen aus dem Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses hier ohne weiteres entnehmen läßt. Eine andere Frage ist allerdings, daß dann, wenn (vgl. die unten stehenden Ausführungen) richtigerweise der Filialleiter als verantwortlicher Beauftragter zur Verantwortung zu ziehen gewesen wäre, der Standort der Filiale als Tatort anzusehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/11/0113), was aber nicht die Unzuständigkeit des als Berufungsbehörde eingeschrittenen unabhängigen Verwaltungssenates, sondern jene der eingeschrittenen Erstbehörde (sofern nicht Sitz des Unternehmens und Standort der Filiale ident sind) bewirkt.
Im übrigen ist der Beschwerde Erfolg beschieden:
Zu den Spruchpunkten 6) und 7) (Übertretungen nach § 14 Abs. 1 und 2 KJGB:
Gemäß § 14 Abs. 1 KJGB gilt als Überstunde jede Arbeitsleistung, die über die nach § 11 Abs. 1 und 3 festgelegte Wochenarbeitszeit hinausgeht. Nach Abs. 2 dieses Paragraphen gebührt für Überstunden den Jugendlichen ein Zuschlag. Er beträgt 50 v.H. des auf die Zeit der Überstundenleistung entfallenden Normallohnes (Lehrlingsentschädigung).
Mit diesen Vorschriften wird eine bestimmte Verhaltenspflicht gegenüber dem Normadressaten nicht auferlegt; § 14 KJBG enthält sohin keine Übertretungsnorm, ein Verstoß dagegen ist daher nach § 30 KJBG nicht strafbar (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/19/0093, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).
Zu den übrigen Verstößen gegen das KJBG:
Der Beschwerdeführer behauptet, für die in Rede stehende Filiale sei ein Filialleiter bestellt, welcher verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG sei.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird dazu ausgeführt, dieser hätte (anstelle des Beschwerdeführers) nur bestraft werden können, wenn eine diesbezügliche Zustimmungserklärung vor dem Tatzeitpunkt beim zuständigen Arbeitsinspektorat eingelangt sei und es sich bei ihm - wie im § 23 (Abs. 2) des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gefordert - um einen leitenden Angestellten handle. Die Einreihung des Filialleiters in die "vierte Führungsebene" der in Rede stehenden Aktiengesellschaft schließe seine "Anerkennung" als leitenden Angestellten aus.
Damit verkennt die belangte Behörde die Rechtslage: Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Zl. 94/02/0470, ausführlich dargelegt, weshalb es nach der Vorschrift des § 23 Abs. 2 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 nicht ausgeschlossen ist, auch einen Filialleiter rechtswirksam zum verantwortlichen Beauftragten zu bestellen, sofern ihm eine entsprechende Anordnungsbefugnis (ein entsprechender Verantwortungsbereich) übertragen werden kann, was sohin nicht bedeutet, daß der Filialleiter für "alle" Verstöße im Zusammenhang mit der betreffenden Filiale verantwortlich gemacht werden kann.
Im vorliegenden Beschwerdefall wurde der Filialleiter Manfred P. unter anderem für die "Einhaltung aller die Filiale betreffenden Verwaltungsvorschriften mit Ausnahme von Fragen betreffend die Antragstellung und Erlangung der Gewerbeberechtigung, der Betriebsanlagengenehmigung und der Baubewilligung" zum verantwortlichen Beauftragten bestellt (vgl. zu einem derartigen Verantwortungsbereich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/18/0498, dasselbe Unternehmen betreffend). Die dem Beschwerdeführer zu den Punkten 1) bis 5) vorgeworfenen Verstöße gegen das KJBG, betreffend die Nichteinhaltung von arbeitszeitrechtlichen Vorschriften, sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes von dem erwähnten Verantwortungsbereich des Filialleiters umfaßt, der im Lichte des zitierten hg. Erkenntnisses vom , Zl. 94/02/0470, auch übertragen werden konnte. Soweit die belangte Behörde im übrigen in der Gegenschrift darauf verweist, aus der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bestellungsurkunde lasse sich nicht entnehmen, "wer wann wen wozu" bestellt habe, so ergibt sich aus der Anzeige des Arbeitsinspektorates vom (worin auch auf die in Kopie angeschlossene diesbezügliche Bestellungsurkunde verwiesen wird), daß der Filialleiter Manfred P. als verantwortlich Beauftragter gemäß § 9 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften gemäß § 23 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 bestellt worden sei (wobei allerdings die unrichtige Auffassung vertreten wurde, ein Filialleiter könne kein leitender Angestellter im Sinne der zitierten Bestimmung sein). Da die rechtswirksame Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften die schriftliche Mitteilung an das zuständige Arbeitsinspektorat voraussetzt (§ 23 Abs. 1 erster Satz Arbeitsinspektionsgesetz 1993), wäre es der belangten Behörde im Hinblick auf die zitierte Mitteilung in der Anzeige oblegen, bei allfälligen Zweifeln Rücksprache mit dem Arbeitsinspektorat zu halten.
Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.