VwGH vom 09.10.2001, 2000/05/0069

VwGH vom 09.10.2001, 2000/05/0069

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde

1. der Mag. Slavka Terziyska-Stoytcheva, 2. des Krassimir Stoytcheff, beide in Perchtoldsdorf, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 17/16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-V-99155/00, betreffend Erteilung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Perchtoldsdorf, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind je zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes Nr. 2468/1 der Liegenschaft EZ 4606, Grundbuch 16121 Perchtoldsdorf, Sonnbergstraße 55-59, mit einer Gesamtfläche von

4.338 m2. Auf diesem Grundstück ist ein Einfamilienhaus, baubehördlich bewilligt mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom , sowie eine Garage (verbaute Fläche ca. 390 m2) errichtet; mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom wurde hiefür die Bewohnungs- und Benützungsbewilligung erteilt, "nachdem der Bauwerber nunmehr die Auswechslungspläne, die hiemit genehmigt werden, vorgelegt hat".

Das vorgenannte Grundstück liegt im Bauland Wohngebiet. Nach dem bestehenden Bebauungsplan sind für dieses Grundstück zur Sonnbergstraße (Ostseite) eine Baufluchtlinie mit einem 3 m breiten Bauwich und an der Westseite des Grundstückes eine Baufluchtlinie mit einem Bauwich von 42 m angeordnet. Im Bebauungsplan ist für dieses Grundstück als Bebauungsweise entweder offene oder gekuppelte Bauweise, als Bebauungshöhe Bauklasse I oder Bauklasse II und als Bebauungsdichte 25 % der Fläche des Bauplatzes angegeben.

Mit Eingabe vom , bei der Baubehörde eingelangt am , wurde von den Beschwerdeführern die Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit Tiefgarage auf dem vorgenannten Grundstück beantragt. Der von der Baubehörde beauftragte Sachverständige Dipl. Ing. H.R. hat im Rahmen der Vorprüfung in seinem Gutachten vom ausgeführt, "dass das Bauvorhaben (aus bau- und brandschutztechnischer Sicht) für den abgesteckten Beurteilungsrahmen den Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1996 und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen und gültigen Verordnungen sowie dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan inklusive Bebauungsvorschriften der Marktgemeinde Perchtoldsdorf entspricht und die Anforderungen des § 43 NÖ BO 1996 erfüllt".

Mit Schreiben vom teilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde den Beschwerdeführern, gestützt auf das Gutachten des Dipl.- Ing. Dr. Techn. L.P. vom , mit, dass das eingereichte Bauvorhaben sowohl hinsichtlich seiner überbauten Grundfläche als auch im Volumen des Baukörpers deutlich von der Struktur des Umgebungsbereiches abweiche. Es könne somit bei dem geplanten Bauvorhaben nicht von einer harmonischen Einfügung des Bauwerkes in seine Umgebung gesprochen werden. Das Bauvorhaben widerspreche somit den Bestimmungen des § 56 NÖ Bauordnung 1996. In dem von der Baubehörde erster Instanz herangezogenen erwähnten Gutachten des Dipl.-Ing. Dr. Techn. L.P. wurde ausgeführt, dass das eingereichte Bauvorhaben sowohl hinsichtlich seiner überbauten Grundfläche als auch im Volumen des Baukörpers deutlich von der Struktur des Umgebungsbereiches abweiche. Die Grundrissfläche des Objektes von 852 m2 liege um rund 80 % über dem Durchschnittswert der Umgebung von rund 185 m2. Das geplante Bauvolumen übersteige mit seinen

7.670 m3 den Durchschnittswert der Umgebung von rund 1.310 m3 um rund 83 %; sogar der Maximalwert von rund 2.770 m3 werde noch um rund 53 % überschritten. Es könne somit bei dem geplanten Bauvorhaben nicht von einer harmonischen Einfügung des Bauwerkes in seine Umgebung gesprochen werden.

Die Beschwerdeführer legten ein Gegengutachten des Architekten Mag. W.H. vom vor, in welchem ausgeführt wurde, dass die Umgebung keine Einheit bilde, vielmehr eine große Bandbreite in den einzelnen Werten der untersuchten Strukturen festzustellen sei. Das untersuchte Bauwerk füge sich in die Umgebung harmonisch ein.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom wurde der Antrag der Beschwerdeführer um Erteilung der Baubewilligung abgewiesen.

Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom als unbegründet abgewiesen. Sowohl die Kubatur als auch die bebaute Fläche des Bauvorhabens bedeute eine derart gravierende "Überschreitung der Umgebung", dass allein durch den Baukörper eine derart flächenbeherrschende Situation entstehe, die die gesamte Harmonie des Orts- und Straßenbildes in der Sonnbergstraße zerstören würde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde beauftragte ihren Amtssachverständigen mit der Erstellung eines Ortsbildgutachtens zur Frage, ob sich das gegenständliche Bauvorhaben in seine Umgebung harmonisch einfüge. Der Sachverständige kam zum Schluss, dass das Bauvorhaben eine Massigkeit erreiche, die jegliche Ausgewogenheit zum Bestand vermissen lasse. Darüber hinaus würde die Abschrägung des nördlichen Eckbereiches des Baukörpers ein Element darstellen, welches städtebaulich bei Eckbauplätzen gerechtfertigt erscheine, im vorliegenden Fall jedoch die gestalterische Unausgewogenheit noch unterstreiche, weil dem Gesamtobjekt eine diagonale Wertigkeit im Grundriss gegeben werde, welche sich nicht mit einem gegenüber liegenden Baukörper, z.B. im Kreuzungsbereich eines Straßenraumes, widerspiegle, sondern auf eine Grundstücksecke gerichtet sei, in der sich der Müllraum und die Abfahrtsrampe zur Garage befinde. Darüber hinaus steigere dieses architektonische Element noch den optischen Zusammenhang zwischen straßenseitiger und gartenseitiger Fassade, sodass diese von Norden her betrachtet noch dominanter erscheinen würden, weil sie optisch "zusammengehängt" seien. Die belangte Behörde führte in der Begründung des angefochtenen Bescheides, ausgehend von diesem Gutachten aus, das vorliegende Projekt erfülle zwar die Festlegungen im Bebauungsplan der Marktgemeinde Perchtoldsdorf hinsichtlich der Bauklasse, der Bebauungsweise und der Bebauungsdichte. Daraus könne aber nicht abgeleitet werden, dass sich dieses Projekt in seine Umgebung harmonisch einfüge, zumal der Bebauungsplan für dieses Gebiet keine Regelungen zur Ortsbildgestaltung enthalte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Erteilung der Baubewilligung verletzt. Sie machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Marktgemeinde - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 56 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 (BO) in der im Hinblick auf die Einleitung des Baubewilligungsverfahrens hier anzuwendenden Rechtslage vor der Novelle LGBl. 8200-3 (siehe Art. II Abs. 2 der Novelle LGBl. 8200-3) haben sich Bauwerke, die einer Bewilligung nach § 14 bedürfen oder nach § 15 der Baubehörde anzuzeigen sind, in ihre Umgebung harmonisch einzufügen.

Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen ist das Bauwerk auf seine harmonische Einfügung in die Umgebung zu prüfen, wo noch kein Bebauungsplan gilt oder dieser Bebauungsplan entweder keine oder keine anderen Regeln zur Ortsbildgestaltung enthält.

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle ist die Umgebung jener Bereich, der vom Standort des geplanten Bauwerks optisch beeinflusst werden wird. Harmonie ist jene optische Wechselbeziehung, die sich - unabhängig von Baudetails, Stilelementen und Materialien - durch eine zeitgemäße Interpretation des ausgewogenen Verhältnisses der gebauten Struktur sowie der dabei angewandten Gestaltungsprinzipien und dem geplanten Bauwerk ergibt.

Gemäß Abs. 4 dieser Gesetzesstelle ist bei der Beurteilung nach Abs. 2 auszugehen von

"der Gestaltungscharakteristik bzw. Struktur des Baubestandes der Umgebung,

der Charakteristik der Landschaft, soweit sie wegen des Standorts des geplanten Bauwerks in die Umgebung einzubeziehen ist und

den charakteristischen gestalterischen Merkmalen des geplanten Bauwerks".

Für das zu bebauende Grundstück der Beschwerdeführer gilt der Bebauungsplan der mitbeteiligten Marktgemeinde. Gemäß § 77 Abs. 2 BO gilt ein nach den §§ 3, 7 und 8 der NÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969, oder den §§ 4 bis 7 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200, erlassener Bebauungsplan als Bebauungsplan nach den §§ 68 bis 72 dieses Gesetzes.

Gemäß § 68 Abs. 1 BO hat von den Ergebnissen der Grundlagenforschung ausgehend und auf Grund des örtlichen Raumordnungsprogrammes, insbesonders seiner Zielsetzung, der Bebauungsplan die Regeln für die Bebauung und die Verkehrserschließung festzulegen. Dabei ist auf die Ortsbildgestaltung und die Umwelt Rücksicht zu nehmen.

Gemäß § 69 Abs. 1 sind im Bebauungsplan für das Bauland festzulegen:


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1.
die Straßenfluchtlinien,
2.
die Bebauungsweise und
3.
die Bebauungshöhe.
Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen dürfen im Bebauungsplan neben den in Abs. 1 vorgesehenen Regelungen für das Bauland festgelegt werden:
...
3. die harmonische Gestaltung (§ 56) der Bauwerke in Ortsgebieten,
4. Baufluchtlinien,
...
6. Bebauungsdichte
...
Auch die NÖ Bauordnung 1976 enthielt ähnliche Regelungen für die Erstellung von Bebauungsplänen. Gemäß § 3 Abs. 2 letzter Satz leg. cit. ist bei Festlegung des Bebauungsplans auf die Erfordernisse einer hohen Wohnqualität und der Verkehrserschließung sowie auf die Pflege des Orts- und Landschaftsbildes Rücksicht zu nehmen.
Bei Erstellung eines Bebauungsplanes ist (war) daher dem Verordnungsgeber ein umfassendes Instrumentarium an die Hand gegeben, auf die Größe eines Baukörpers Einfluss zu nehmen. Hat der Verordnungsgeber von dem im § 69 BO festgeschriebenen umfassenden Instrumentarium unter Bedachtnahme auf die Ortsbildgestaltung und die Umwelt Gebrauch gemacht - dies ist im Hinblick auf die Anordnung des § 68 Abs. 1 letzter Satz BO mangels gegenteiliger Anhalspunkte anzunehmen -, ist davon auszugehen, dass der Bebauungsplan insoweit auch Regeln zur Ortsbildgestaltung im Sinne des § 56 Abs. 2 BO enthält, welche den Anwendungsbereich des § 56 BO im Baubewilligungsverfahren reduzieren (vgl. hiezu zur insoweit vergleichbaren Rechtslage der O.ö. Bauordnung das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/05/0148). Hat daher - wie hier - der Bebauungsplan für einen Bauplatz (mangels gegenteiliger Anhaltspunkte geht der Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdefall für das hier zu bebauende Grundstück von einem Bauplatz im Sinne des § 11 Abs. 1 Z. 4 BO aus) neben den Straßenfluchtlinien, der Bebauungsweise und der Bebauungshöhe auch die Baufluchtlinien und die Bebauungsdichte festgelegt, ist bei einer fallbezogenen Prüfung der Frage, ob sich ein Bauvorhaben gemäß § 56 Abs. 1 BO harmonisch in seine Umgebung einfügt, im Baubewilligungsverfahren davon auszugehen, dass der Baubewilligungswerber grundsätzlich das Recht hat, im Rahmen der Festlegungen des Bebauungsplanes sein Bauvorhaben zu verwirklichen. Hat der Verordnungsgeber durch Baufluchtlinien, Bebauungsweise, Bebauungsdichte und Bebauungshöhe die Bebauung eines bestimmten Bauplatzes geregelt, hat er insoweit auch auf die Ortsbildgestaltung und die Umwelt Rücksicht und damit auf die zulässige Größe eines Baukörpers auf diesem Bauplatz unter dem Gesichtspunkt der Ortsbildgestaltung abschließend Einfluss genommen. Die Prüfung, ob sich ein Bauvorhaben gemäß § 56 BO harmonisch in die Umgebung einfügt, hat sich diesfalls im Wesentlichen auf die charakteristischen gestalterischen Merkmale (Gestaltungscharakteristik) des geplanten Bauwerks wie z. B. Proportionen (Gliederung) und Bauformen (äußere Gestaltung) im Allgemeinen und bezüglich der Struktur des Baubestandes auf dessen Lage und Anordnung zu den Grundstücksgrenzen bzw. im Verhältnis zu den Bauwerken in der Umgebung zu beschränken.
Da die Baubehörden und die belangte Behörde dies verkannten und im Beschwerdefall bei Prüfung des beschwerdegegenständlichen Vorhabens unter dem Gesichtspunkt des § 56 BO im Wesentlichen vom Baukörpervolumen (Massigkeit) des Bauvorhabens ausgingen und die Anordnungen im Bebauungsplan für nicht entscheidungserheblich angesehen haben, ist der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am