VwGH vom 02.05.1995, 95/02/0026

VwGH vom 02.05.1995, 95/02/0026

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-220928/5/Le/La, betreffend Übertretungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: Dipl. Ing. Dr. F in L, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom wurde die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für schuldig befunden, sie habe es als Vorstandsmitglied der E-AG und somit als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher zu vertreten, daß am auf einer näher bezeichneten Baustelle

1. drei Arbeitnehmer beim Verlegen eines Niederspannungskabels auf einem bergaufführenden Ortschaftsweg die vom Hersteller angegebenen Sicherheitsbestimmungen für Ladekrane, welche gemäß Punkt 2 der Önorm 9601 einzuhalten seien, nicht beachtet hätten, indem anstelle eines stationären Kranbetriebes das Kabel während der Fahrt von der Trommel gezogen worden sei und

2. drei Arbeitnehmer entgegen § 68 Abs. 3 Bauarbeiterschutzverordnung eine ca. 500 kg schwere Kabelrolle unsachgemäß am Ladekran eines KFZ befestigt hätten, wobei die Trommel von den Anschlagketten rutschte und ein Arbeitnehmer schwer verletzt worden sei. Hiedurch sei gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften und zwar jeweils gegen § 31 Abs. 2 lit. p ANSchG, zu 1) iVm der Verordnung BGBl. Nr. 505/1981 über die Verbindlicherklärung von Önormen über Bauvorschriften für Kräne und Windwerke sowie über Betriebs- und Wartungsvorschriften iVm Punkt 2 der Önorm M 9601 bei Kränen, zu 2) iVm § 31 Abs. 1 lit. a Z. 12 und Abs. 7 ANSchG iVm § 68 Abs. 3 der Bauarbeiterschutzverordnung verstoßen worden. Über die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligte Partei wurden wegen dieser Verwaltungsübertretungen Geldstrafen in der Höhe von je

S 5.000,-- verhängt.

Aufgrund der vom Mitbeteiligten dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates vom das Straferkenntnis aufgehoben und die diesbezügliche Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

Dagegen richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Die belangte Behörde hat nach Bezugnahme auf § 31 Abs. 5 ANSchG (wonach Arbeitgeber neben ihren Bevollmächtigten strafbar sind, wenn die Übertretung mit ihrem Wissen begangen wurde, oder wenn sie bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Betriebes oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Bevollmächtigten es an der erforderlichen Sorgfalt haben fehlen lassen) Feststellungen betreffend das Bestehen eines "hierarchischen Systems" im Rahmen der Organisation der E-AG betreffend die Kontrolle der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften getroffen. Danach ist der Beschuldigte (die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) als Vorstandsmitglied für den Geschäftsbereich "Anlagenbau" zuständig; ihm untersteht der Personalleiter, dessen Aufgabe es unter anderem ist, "gesetzliche Neuerungen" weiterzugeben und besonders darauf hinzuweisen. Dem Personalleiter unterstellt ist der Leiter der Abteilung Anlagenbau in Linz, der die ihm untergebenen etwa 370 Mitarbeiter im Auftrag des Vorstandes regelmäßig über die einzelnen Arbeitnehmerschutzvorschriften in Form von jährlichen Belehrungen und Rundschreiben zu informieren hat. Die Kenntnisnahme dieser "Belehrungen und Rundschreiben" sind von den einzelnen Mitarbeitern zu bestätigen; Kontrollen der Baustellen führt er selbst nur selten durch. Dem Leiter der Abteilung Anlagenbau untersteht ein Gruppenleiter, der die einzelnen Baustellen kontrolliert. Durchschnittlich besucht er diese "einmal während ihrer Dauer; größere Baustellen besucht er öfter". Für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften auf den Baustellen ist der jeweilige Partieführer verantwortlich; dieser kann insoweit völlig selbständig Anordnungen erteilen. Der Partieführer hat normalerweise drei bis vier Leute unter sich, am hatte im konkreten Fall der Partieführer jedoch sechzehn bis siebzehn Leute zu kontrollieren, weil an diesem Tag die "ganzen Hoch- und Niederspannungskabel verzogen wurden". Für die Kontrolle der gegenständlichen Baustelle war der Vertreter des Gruppenleiters zuständig, der sie während der Dauer von drei bis vier Wochen zweimal besucht hat.

Aufgrund dieser Feststellungen ging die belangte Behörde davon aus, daß eine Mangelhaftigkeit des Kontrollsystems insoweit vorliege, als die Gruppenleiter die Baustellen zu wenig oft kontrollierten. Dieser Mangel habe sich jedoch nicht auf die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung ausgewirkt. Zu dieser sei es nämlich deshalb gekommen, weil dem Partieführer am anstatt der üblichen drei bis vier Arbeitnehmer sechzehn bis siebzehn Arbeitnehmer zugeteilt worden seien. Damit sei "der an Ort und Stelle Verantwortliche offensichtlich überfordert" gewesen, insbesondere da an mehreren Abschnitten, die voneinander räumlich getrennt waren, gearbeitet worden sei. Die Fehlleistung des für die Arbeitseinteilung Verantwortlichen könne jedoch nicht dem Vorstandsdirektor angelastet werden, da "auch bei einem perfekt funktionierenden Kontrollsystem eine solche Fehlleistung eines Gruppenleiters nicht dem an der Spitze der Hierarchie stehenden Verantwortlichen bekannt geworden wäre".

Es entspricht allerdings der ständigen hg. Rechtsprechung

(vgl. etwa die Erkenntnisse vom ,

Zlen. 94/02/0440, 0441 und vom , Zl. 94/02/0422), daß von der Behörde von Amts wegen zu ermitteln ist, ob der Arbeitgeber (bzw. in den Fällen des § 9 VStG das dort genannte Organ) es etwa bei der Beaufsichtigung des Bevollmächtigten an der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen, wobei dem Arbeitgeber dabei die Verpflichtung obliegt, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Ob der Arbeitgeber persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit ist, hängt im Einzelfall davon ab, ob er sich (entsprechend dieser Mitwirkungspflicht) darauf zu berufen vermag, daß er Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen. Dabei reicht die bloße Erteilung von Weisungen nicht hin, entscheidend ist deren wirksame Kontrolle, wobei vom Arbeitgeber das bezügliche Kontrollsystem darzulegen ist. Von der Darlegung eines solchen Kontrollsystems durch den Mitbeteiligten im Verwaltungsverfahren kann allerdings keine Rede sein, zumal selbst stichprobenartige Besuche keine ausreichende Kontrolle im beschriebenen Sinne bilden (vgl. die zitierten hg. Erkenntnisse vom , vom sowie weiters vom , Zl. 94/02/0381 und etwa vom , Zlen. 94/02/0258, 0259). Dabei fällt auch ins Gewicht, daß die belangte Behörde in Hinsicht auf die Person des Mitbeteiligten keine Feststellungen getroffen hat, inwieweit dieser, obwohl an der Spitze des "Kontrollsystems" stehend, überhaupt in dieses entsprechend eingebunden war.

Die belangte Behörde hat nun - ebenso wie der Mitbeteiligte in seiner Gegenschrift - darauf hingewiesen, daß auch bei einem "perfekten" Kontrollsystem der konkrete Verstoß infolge des Verhaltens der Arbeitnehmer nicht hätte verhindert werden können. Sie verkennt dabei jedoch, daß ein ausreichendes Kontrollsystem verhindert hätte, daß der für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften an der konkreten Baustelle Verantwortliche durch die Arbeitseinteilung überlastet worden wäre. Er hätte somit die Möglichkeit gehabt, ein gegen § 19 Arbeitnehmerschutzgesetz gerichtetes Verhalten der Arbeitnehmer zu unterbinden.

Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, indem sie das Strafverfahren wegen mangelnden Verschuldens des Mitbeteiligten eingestellt hat. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.