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VwGH vom 17.06.1986, 84/05/0224

VwGH vom 17.06.1986, 84/05/0224

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Gehart, über die Beschwerde des Ing. FS in W, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Rechtsanwalt in Wien I, Seilergasse 16, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR-B XIII-28/84, betreffend die Verlängerung der Baubeginnsfrist (mitbeteiligte Partei: Dr. IE Wohnungsbaugesellschaft m.b.H. in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben vom beantragte ein Vertreter der mitbeteiligten Bauwerberin in deren Auftrag die Verlängerung der "Gültigkeitsfrist der Baubewilligung vom " hinsichtlich einer Baubewilligung für ein Bauvorhaben auf den Grundstücken Nr. 210/2 und 210/10, inneliegend in EZ. 832 des Grundbuches der Katastralgemeinde H.

Über dieses Ansuchen wurde eine mündliche Verhandlung für den anberaumt. Aus der darüber aufgenommenen Verhandlungsschrift ist zu entnehmen, daß der Vertreter der mitbeteiligten Bauwerberin persönlich erschienen war, es ist jedoch nicht zu ersehen, welche Anrainer auf Grund der ausgewiesenen Ladung erschienen bzw. nicht erschienen sind. Dementsprechend sind auch keine Stellungnahmen der Anrainer eingetragen. Der Vertreter der mitbeteiligten Bauwerberin erklärte, für das gegenständliche Bauvorhaben nicht um Wohnbauförderungsmittel angesucht zu haben.

Mit Bescheid vom versagte die Baubehörde erster Instanz gemäß § 74 der Bauordnung für Wien die beantragte Verlängerung der Baubeginnsfrist für die mit Bescheid vom bewilligte Errichtung eines Wohnhauses auf der gegenständlichen Liegenschaft. In der Begründung führte die Erstbehörde nach Wiedergabe des § 74 Abs. 1 der Bauordnung für Wien aus, auf Grund der Tatsache, daß für das gegenständliche Bauvorhaben nicht um Förderung aus öffentlichen Mitteln angesucht worden sei, sei ein Rechtsanspruch auf Verlängerung der Baubeginnsfrist nicht gegeben. Es seien zwar die geltenden Bebauungsbestimmungen für die gegenständliche Liegenschaft nach wie vor aufrecht, diese Liegenschaft liege jedoch in einem Gebiet, für das eine Bausperre gemäß § 8 Abs. 2 der Bauordnung für Wien beantragt sei, die voraussichtlich im September 1984 der beschlußfassenden Körperschaft zur Genehmigung vorgelegt werde. Auch sei festzustellen, daß das gegenständliche Bauvorhaben den der künftigen Planung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes zugrundeliegenden Bestimmungen über die Ausnutzung der Bebaubarkeit entgegenstehe, weshalb öffentliche Interessen gegen die Verlängerung der Baubewilligung sprächen.

Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Bauwerberin fristgerecht Berufung, welche damit begründet wurde, daß das Projekt zur Zeit noch den bestehenden Bebauungsbestimmungen entspräche, für dieses Bauvorhaben schon mit einer Reihe von Wohnungswerbern Verträge vor dem Abschluß stünden und die Finanzierung habe gesichert werden können. Eine Versagung der Fristerstreckung würde eine unzumutbare Härte für die Wohnungswerber und die mitbeteiligte Bauwerberin bedeuten.

Die Bauoberbehörde für Wien änderte mit Sitzungsbeschluß vom - ausgefertigt mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom selben Tag - gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides dahin ab, daß gemäß § 74 Abs. 1 der Bauordnung für Wien die Baubeginnsfrist für die mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom bewilligte Errichtung eines Wohnhauses auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft auf vier Jahre ab Rechtskraft der Baubewilligung vom verlängert wird. In der Begründung dieses Bescheides wurde nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens ausgeführt, im vorliegenden Fall bestehe kein Rechtsanspruch auf Verlängerung der Baubeginnsfrist, weil für den Bau nicht um eine Förderung aus öffentlichen Mitteln angesucht worden sei. Eine Fristverlängerung könne jedoch in Ausübung des durch § 74 Abs. 1 der Bauordnung für Wien eingeräumten Ermessens gewährt werden; dabei sei insbesondere auf Änderungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes Bedacht zu nehmen. Die belangte Behörde gehe auf Grund der Darlegungen der mitbeteiligten Bauwerberin vom Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalles aus und sei entgegen der Erstinstanz der Ansicht, daß öffentliche Rücksichten der Verlängerung der Baubeginnsfrist nicht entgegenstünden. Sie nehme dabei darauf Bedacht, daß die Verhängung einer Bausperre gemäß § 8 Abs. 2 der Bauordnung für Wien zwar beabsichtigt, im Zeitpunkt der Erlassung dieses Berufungsbescheides aber mangels Kundmachung noch nicht rechtswirksam sei, weshalb dem Ansuchen um Fristverlängerung stattgegeben werde.

Im Kopf des angefochtenen Bescheides wird die "Magistratsdirektion der Stadt Wien - Rechtsmittelbüro" angeführt. Die Einleitung des Spruches des angefochtenen Bescheides nennt als entscheidende Behörde die Bauoberbehörde für Wien. Die Fertigung dieses Bescheides lautet: "Für den Magistratsdirektor: Dr. M.... Obersenatsrat".

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Es wurden die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde macht der Beschwerdeführer geltend, aus dem angefochtenen Bescheid sei nicht eindeutig erkennbar, ob er von der Bauoberbehörde für Wien oder der Magistratsdirektion der Stadt Wien erlassen worden sei. Dem angefochtenen Bescheid liege anscheinend eine Beschlußfassung der Bauoberbehörde für Wien zugrunde, doch sei er von der Magistratsdirektion ausgefertigt. Auch sei dieser Bescheid mit der Fertigungsklausel "Für den Magistratsdirektor" ausgestattet, was der Bestimmung des § 138 Abs. 8 der Bauordnung für Wien, in der Fassung des Art. I der Bauordnungsnovelle 1984, LGBl. Nr. 30, widerspreche.

Der Ansicht, der angefochtene Bescheid sei von einer unzuständigen Behörde erlassen worden, kann sich der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen nicht anschließen:

Gemäß § 138 Abs. 1 der Bauordnung für Wien, in der Fassung der Bauordnungsnovelle 1984, besteht die Bauoberbehörde aus folgenden Mitgliedern: " .... b) dem Landesamtsdirektor ... oder den von ihnen bestellten Vertretern". Entsprechend dem Abs. 8 dieser Gesetzesstelle obliegt es dem Landesamtsdirektor oder dem von ihm bestellten Vertreter, die Bescheide der Bauoberbehörde zu unterfertigen.

Wie in dem als Gegenschrift bezeichneten Schriftsatz unter Hinweis auf Art. 108 B-VG zu Recht geltend gemacht wird, hat für die Bundeshauptstadt Wien der Magistratsdirektor auch die Funktion des Landesamtsdirektors, so daß gegen eine Unterfertigung "Der Magistratsdirektor" und - falls der von diesem bestellte Vertreter in der Bauoberbehörde den Bescheid unterfertigt - "Für den Magistratsdirektor" keine Bedenken bestehen. Dem Einleitungssatz des mit Berufungsbescheid überschriebenen angefochtenen Bescheides ist zu entnehmen, daß die Bauoberbehörde für Wien in ihrer Sitzung am entschieden hat. Dem steht auch nicht entgegen, daß dieser Bescheid auf Schreibpapier ausgefertigt wurde, zumal es der § 138 Abs. 4 der Bauordnung Bauordnungsnovelle 1984, wonach sich diese Behörde ihre Geschäftsordnung selbst gibt, freisteht, sich als Hilfsapparat des mit dem Amt der Landesregierung identen Magistrates zu bedienen.

Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde ist daher nicht gegeben.

Gemäß § 74 Abs. 1, dritter Satz, der Bauordnung für Wien kann unter anderem die Baubeginnsfrist in begründeten Ausnahmefällen verlängert werden, wenn öffentliche Rücksichten nicht entgegenstehen. Dabei ist gemäß dem Satz 4 der genannten Gesetzesstelle insbesondere auf Abänderungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes Bedacht zu nehmen. Auf die Verlängerung der Baubeginnsfrist besteht zufolge des nächsten Satzes ein Rechtsanspruch, wenn der Bauwerber glaubhaft macht, daß für den Bau um eine Förderung aus öffentlichen Mitteln angesucht worden ist und die Voraussetzungen für die Zuteilung solcher Mittel gegeben sind, die Entscheidung der hiefür zuständigen Stellen aussteht und die Baulinie, Straßenfluchtlinie und Verkehrsfluchtlinie nicht abgeändert oder aufgelassen worden ist.

Zunächst ist festzuhalten, daß die mitbeteiligte Bauwerberin auf die Verlängerung der Baubewilligungsfrist schon deshalb keinen Rechtsanspruch hatte, weil sie bei der mündlichen Verhandlung vom selbst angegeben hat, für das gegenständliche Bauvorhaben nicht um Wohnbauförderungsmittel angesucht zu haben. Die Baubehörde erster Instanz ist im vorliegenden Beschwerdefall davon ausgegangen, der Verlängerung der Baubeginnsfrist für das seinerzeit bewilligte Bauvorhaben stünden öffentliche Rücksichten entgegen (geplante Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes), und erachtete es offensichtlich nicht für erforderlich zu prüfen, ob es sich um einen "begründeten Ausnahmefall" handelt. Die belangte Behörde ging anderseits auf Grund des Berufungsvorbringens der mitbeteiligten Bauwerberin davon aus, es liege ein begründeter Ausnahmefall vor, dem öffentliche Rücksichten nicht entgegenstünden. Weiters ging sie davon aus, Einwendungen der Anrainer seien als präkludiert anzusehen, weil die Niederschrift über die mündliche Verhandlung keine Einwendungen von Anrainern enthalten habe.

In dem als Gegenschrift bezeichneten, vom Vertreter des Landesamtsdirektors in der Bauoberbehörde unterfertigten Schriftsatz vom wurde zugestanden, daß in der Verhandlungsschrift vom die Einwendungen des Beschwerdeführers als Nachbar nicht protokolliert wurden, weshalb die belangte Behörde veranlaßt worden sei, anzunehmen, Nachbarn hätten gegen die von der mitbeteiligten Partei beantragte Fristverlängerung keine Einwendungen erhoben. Aufgrund dieser mit den Beschwerdeausführungen übereinstimmenden Erklärung geht der Verwaltungsgerichtshof von der Unrichtigkeit des in der Niederschrift bezeugten Vorganges, der Beschwerdeführer habe bei der mündlichen Verhandlung keine Einwendungen erhoben, aus.

Dem Nachbarn steht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Mitspracherecht bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen zur Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer Baubewilligung zu (vgl. dazu das vom Beschwerdeführer zitierte, zur vergleichbaren Regelung der früheren Bauordnung für Innsbruck ergangene Erkenntnis vom , Slg. N. F. Nr. 8134/A, sowie das zum vergleichbaren § 51 Abs. 3 der OÖ Bauordnung 1976 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 85/05/0140). Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich ausgesprochen, daß auf Grund der Darlegungen der mitbeteiligten Bauwerberin vom Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalles für die Verlängerung der Baubeginnsfrist auszugehen sei. In der Berufung der mitbeteiligten Bauwerberin wird jedoch nur behauptet, daß "Verträge vor dem Abschluß stehen und die Finanzierung gesichert werden konnte". Abgesehen davon, daß die Frage der Sicherung der Finanzierung nur im Falle der Verlängerung der Bauvollendungsfrist nachzuweisen ist, ist dieses Berufungsvorbringen nicht geeignet, die Annahme eines begründeten Ausnahmefalles für die Verlängerung der Baubeginnsfrist zu rechtfertigen (vgl. dazu das zum § 74 Abs. 1 der Bauordnung für Wien ergangene Erkenntnis vom , Zl. 83/05/0179, Baurechtssammlung, Nr. 206). Dazu kommt, daß es die belangte Behörde unterlassen hat darzutun, weshalb sie ohne nähere Ermittlungen nur auf Grund des Berufungsvorbringens der mitbeteiligten Bauwerberin zum Ergebnis gekommen ist, daß ein begründeter Ausnahmefall gegeben sei. Jedenfalls hätte die Behörde anhand konkreter Feststellungen dartun müssen, aus welchen im Sinne des Gesetzes (siehe Art. 130 Abs. 2 B-VG) meßbaren Erwägungen sie sich veranlaßt gesehen hat, von dem ihr im § 74 Abs. 1 der Bauordnung für Wien eingeräumten Ermessen zum Vorteil der mitbeteiligten Bauwerberin Gebrauch zu machen. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich weiters, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zum Vorbringen der mitbeteiligten Partei über das Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalles kein Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG 1950 gewährt hat.

Da der angefochtene Bescheid auf Grund seiner mangelhaften Begründung einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich ist, keine entsprechenden Feststellungen getroffen wurden und nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der Verletzung des Parteiengehörs zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Als Ersatz für Stempelgebühren konnten nur je S 120,-- für drei Ausfertigungen der Beschwerde, S 120,-- für die Vollmachtsurkunde und S 30,-- für eine zur Rechtsverfolgung erforderliche Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zuerkannt werden.

Wien, am