VwGH vom 16.02.1984, 83/15/0011
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Raschauer und die Hofräte Dr. Seiler, Dr. Großmann, Dr. Schubert und Dr. Wetzel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Füszl, über die Beschwerde des W S in W, vertreten durch Dr. Günther Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien I, Himmelpfortgasse 14, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VI) vom , Zl. 6/1-1652/82, betreffend Umsatzsteuer für 1979, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.385,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom schrieb das Finanzamt für den 12., 13., 14. und 23. Bezirk in Wien dem Beschwerdeführer - dessen berufliche Tätigkeiten im Jahre 1979 im angefochtenen Bescheid mit ''Angestellter" und "Händler mit italienischen Benzingutscheinen'' umschrieben sind - für das genannte Jahr von einer Bemessungsgrundlage von S 2,036.034,-- unter Anwendung des Normalsteuersatzes Umsatzsteuer in Höhe von S 366.486,-- zur Zahlung vor.
Der Beschwerdeführer berief und beantragte die Aufhebung des bekämpften Abgabenbescheides. Seine finanziellen Mittel ermöglichten es ihm nicht, die angefochtene Abgabenschuld zu entrichten. Er habe dem Finanzamt in einer schriftlichen Aufstellung bekanntgegeben, daß den tatsächlich erzielten Einnahmen aus der Veräußerung der Benzingutscheine von S 180.180,--
Ausgaben in der Höhe von S 129.783,-- gegenüberstünden, sodaß der Rohertrag nur S 50.379,-- betragen habe. Diese Mittel seien zur Deckung der Lebenshaltungskosten verwendet worden.
Das Finanzamt erließ eine abweisliche Berufungsvorentscheidung, in deren Begründung es ausführte, aus der am aufgenommenen, vom Beschwerdeführer zur Kenntnis genommenen Niederschrift ergebe sich, daß Benzingutscheine im Inland (Villach) an Herrn L gegen Entgelt geliefert worden seien. Der Wert der Lieferung sei nach den auf dem Bezugsschein aufscheinenden Litermengen vereinbart worden. Pro Liter sei der zivilrechtliche Preis mit S 6,65 erklärt worden. Dies ergebe rein rechnerisch bei 400.400 l einen Bruttoumsatz von S 2,662.660,--. Die vom Beschwerdeführer erklärten Veruntreuungen und die angeblich nicht gelieferten Bezugsscheine in Abzug gebracht, ergebe bei Herausrechnung der Umsatzsteuer den im angefochtenen Bescheid festgestellten Umsatz. Die Behauptung des Beschwerdeführers, nur Einnahmen in Höhe von S 180.180,-- erzielt zu haben, dürfte auf Unkenntnis des umsatzsteuerrechtlichen Entgeltsbegriffes zurückzuführen sein. Die S 180.180,-- stellten schätzungsweise den Bruttoertrag, nicht aber das Entgelt dar.
Der Beschwerdeführer beantragte hierauf die Vorlage seines Rechtsmittels an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. In der von dieser durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung machte sein Vertreter geltend, daß im Beschwerdefall überhaupt keine umsatzsteuerpflichtige Leistung erbracht worden sei, weil der Gegenstand, hinsichtlich dessen die Übertragung der Verfügungsmacht im Inland erfolgt sei, sich immer im Ausland (Italien) befunden habe. Im übrigen hielt er fest, daß hinsichtlich der verkauften Mengen kein Streit bestehe.
Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab auch die belangte Behörde dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers nicht Folge. In der Begründung des Bescheides führte sie zum Sachverhalt aus, der Beschwerdeführer habe nach seinen eigenen Angaben Benzingutscheine für 400.400 l an Mittelsmänner weiterverkauft. In der am vor der Finanzstrafbehörde erster Instanz aufgenommenen Niederschrift habe der Beschwerdeführer auf die Frage, welchen Gewinn er bei der Abwicklung des Geschäftes erzielt habe, ausgeführt: "Ich verkaufe pro Liter um 6,65 S an L:" In rechtlicher Hinsicht legte die belangte Behörde dar, daß mit der vom Beschwerdeführer entfalteten Tätigkeit (Handel in Österreich mit italienischen Benzingutscheinen) die Voraussetzungen der §§ 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. Nr. 223 (UStG 1972), erfüllt seien. Der Benzingutschein habe grundsätzlich die Bedeutung einer Vorauszahlungsquittung. Er diene als Ausweis gegenüber den ausländischen Tankstellen über den im Ausgabeland vorausbezahlten Geldbetrag. In der Praxis habe sich die Bedeutung des Benzingutscheines über die einer Quittung dahingehend ausgedehnt, daß mit dem Benzingutschein das Recht zum Bezug einer bestimmten Menge Benzin übertragen werde. Im vorliegenden Fall kaufe der Beschwerdeführer diese Berechtigungen im eigenen Namen an und verkaufe sie wieder im eigenen Namen an seinen Abnehmer. Da er die Berechtigung zum Bezug von italienischem Benzin in Österreich übertrage, liege ein umsatzsteuerbarer und umsatzsteuerpflichtiger Vorgang vor. Bemessungsgrundlage sei das für den Erwerb der Benzingutscheine entrichtete Entgelt. Wenn der Beschwerdeführer vermeine, daß nur der "Verdienst" umsatzsteuerpflichtig sei, unterliege er einem Rechtsirrtum, denn die Provision wäre nur dann Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer, wenn der Beschwerdeführer als Agent aufgetreten wäre, also nach außen hin erkennbar in fremdem Namen und auf fremde Rechnung gehandelt hätte. Da aber aus der zitierten Aussage vom nichts Derartiges hervorgehe, sei die Berufung als unbegründet abzuweisen gewesen. Die Bemessungsgrundlage sei wie folgt ermittelt worden:
400.000 l x S 6,-- laut Benzinpreis ÖAMTC = S 2,402.400,-- (Bruttoumsatz) abzüglich Umsatzsteuer von S 366.366,-- ergebe Nettoumsatz von S 2,036.034,--.
In der gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes erhobenen Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor:
Laut Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom , Zl. 265.133-10a/73, sei die Veräußerung von Gutscheinen, die zum späteren Bezug von Waren nach freier Wahl berechtigten, kein steuerbarer Vorgang nach § 1 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972. Durch die Hingabe des Gutscheines werde noch keine Lieferung ausgeführt, vielmehr erfolge erst mit der Verschaffung der Verfügungsmacht über die Waren, auf die sich die Gutscheine beziehen, eine Lieferung an diejenige Person, an die die Gegenstände tatsächlich ausgefolgt würden. Es sei davon auszugehen, daß die in Rede stehenden Benzingutscheine vom italienischen Benzinklub "ACI" dem ÖAMTC übergeben würden und dieser sie an seine Mitglieder verkaufe. Der ÖAMTC agiere in dieser Funktion als privatrechtliches Unternehmen im Sinne des § 2 UStG 1972 und bediene sich zur Absicherung gegen allfällige Risken der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nach derzeitiger Praxis und Lehre sei der Handel des ÖAMTC mit Benzingutscheinen keinesfalls umsatzsteuerbar. Beim Verkaufspreis von S 6,-- pro Liter, den der ÖAMTC an seinen Verkaufsstellen verlangt habe, sei keine österreichische Umsatzsteuer inkludiert gewesen, sodaß es dem System der in Österreich geltenden Allphasenbruttoumsatzsteuer (?) widersprechen würde, wenn ausschließlich der Beschwerdeführer zur Umsatzsteuer verpflichtet wäre.
Die belangte Behörde habe aber auch außer acht gelassen, daß selbst im Falle des Vorliegens eines grundsätzlich steuerbaren Verfügungsgeschäftes die Lieferung oder sonstige Leistung nicht im Inland ausgeführt worden wäre und daher in Österreich keine Umsatzsteuerpflicht entstanden sei. Gemäß § 3 Abs. 7 UStG 1972 werde eine Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befinde. Im vorliegenden Fall sei der Gegenstand italienisches Superbenzin gewesen, das sich ausschließlich außerhalb des Bundesgebietes befunden habe. Nach einhelliger Auffassung von Lehre und Judikatur sei bei der Übergabe der Verfügungsmacht an beweglichen Dingen durch handelsrechtliche Traditionspapiere (Orderlagerscheine, Ladescheine, Konnossemente) für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung entscheidend, wo sich der Gegenstand der Lieferung zum Zeitpunkt der Übergabe der Traditionspapiere befinde. Hingegen sei der Ort, wo die Traditionspapiere übergeben werden, ohne Relevanz. Der Unterschied zwischen diesen handelsrechtlichen Traditionspapieren und den in Rede stehenden Gutscheinen sei der, daß erstere der symbolischen Übergabe im Sinne des § 427 ABGB dienten und dem Inhaber unmittelbar das Eigentum an den bezughabenden Sachen übertragen, während die Gutscheine lediglich ein obligatorisches Recht auf einen Warenbezug verschaffen. Da somit bei Traditionspapieren der Konnex zwischen diesen und der bezughabenden Ware wesentlich enger sei als bei Gutscheinen, sei argumento minori ad maiorem bei Übertragung von Gutscheinen für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung als Ausführungsort der Lieferung der Ort maßgeblich, wo sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befinde. Da sich das gegenständliche Superbenzin jedoch niemals in Österreich befinde, liege kein im Inland steuerbarer Rechtsvorgang vor.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in der erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit sich der Beschwerdeführer auf den oben zitierten Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom beruft, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, daß dieser Erlaß mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt für den Verwaltungsgerichtshof keine im Beschwerdefall anzuwendende Rechtsnorm darstellt. Außerdem übersieht der Beschwerdeführer, daß der Erlaß die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung von zwei anders gelagerten Vorgängen zum Gegenstand hat: Es ist dies zum einen der Verkauf von Gutscheinen (Geschenkbons, Geschenkmünzen), die zum späteren Bezug von Waren nach freier Wahl berechtigen, zum anderen die Einlösung der Gutscheine unter Ausfolgung der gewählten Ware. Die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Finanzen geht nun dahin, daß der erstgenannte Vorgang, der, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, zwischen dem zur späteren Einlösung verpflichteten Unternehmen und dem Erwerber des Gutscheines abgewickelt wird und auch als Ausgabe der Gutscheine gegen Entgelt bezeichnet werden kann, keinen steuerbaren Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972 darstellt. Erst mit der Verschaffung der Verfügungsmacht über die Waren, für welche die Gutscheine in Zahlung gegeben werden, erfolgt, wie im Erlaß weiter ausgeführt wird, eine Lieferung, und zwar an jene Person, an welche die Gegenstände tatsächlich ausgefolgt werden. An den Erwerber der Gutscheine wird nur dann eine Lieferung bewirkt, wenn dieser gegen Einlösung der Gutscheine selbst Waren bezieht. Es mag nun dahingestellt bleiben, ob es einen wesentlichen Unterschied bildet, daß im Beschwerdefall die Gutscheine nicht auf Geldbeträge, sondern auf eine bestimmte Ware lauten. Jedenfalls liegt die Sache auch insofern anders, als es sich im Beschwerdefall nicht um eine entgeltliche Ausgabe, sondern um den Verkauf bereits ausgegebener Gutscheine handelt. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung eines solchen zwischen Ausgabe und Einlösung eines Gutscheines eingeschalteten Veräußerungsvorganges ist aber nicht Gegenstand des genannten Erlasses.
Nicht zielführend ist auch die weitere, auf § 3 Abs. 7 UStG 1972 ausgerichtete Argumentation des Beschwerdeführers. Nach der zitierten Bestimmung wird eine Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. Der Beschwerdeführer hat jedoch dadurch, daß er Benzingutscheine verkauft hat, nicht in Italien befindliches Superbenzin an seinen Geschäftspartner geliefert. Ein solcher Liefervorgang findet erst anläßlich der Einlösung des Gutscheines bei einer hiezu verpflichteten Tankstelle in Italien statt. Der Beschwerdeführer kann sich daher nicht auf die obige Gesetzesbestimmung berufen.
Die Umsätze des Beschwerdeführers waren sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG 1972. Der Begriff der sonstigen Leistungen umfaßt dieser Vorschrift zufolge nicht nur aktives Verhalten des Unternehmers, sondern auch die passiven Verhaltensweisen des Unterlassens einer Handlung und des Duldens einer Handlung oder eines Zustandes.
Da die Besteuerung nach § 1 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972 auf Inlandsleistungen gerichtet ist, müssen auch die von einem Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens gegen Entgelt bewirkten sonstigen Leistungen daraufhin untersucht werden, ob sie im Inland ausgeführt worden sind oder nicht. Die allgemeine Regelung über die Zuordnung sonstiger Leistungen zum Inland enthält § 3 Abs. 11 UStG 1972. Danach wird eine sonstige Leistung im Inland ausgeführt, wenn der Unternehmer ausschließlich oder zum wesentlichen Teil im Inland tätig wird oder wenn der Unternehmer eine Handlung im Inland oder einen Zustand im Inland duldet oder eine Handlung im Inland unterläßt. (Der folgende Satz ist für den Beschwerdefall nicht von Bedeutung.)
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bestand im vorliegenden Fall der umsatzsteuerrechtlich entscheidende Leistungsinhalt darin, daß der Beschwerdeführer auf die Einlösung der Benzingutscheine zugunsten seines Geschäftspartners verzichtet hat. Er hat damit eine sonstige Leistung in der Form des Unterlassens einer Handlung (Einlösung der Benzingutscheine) bewirkt. Da für die örtliche Zuordnung unterlassenen Handelns der Ort maßgebend ist, wo der Unternehmer andernfalls tätig geworden wäre (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 1756/F), und im Beschwerdefall die Einlösung der Benzingutscheine durch den Beschwerdeführer in Italien zu erfolgen gehabt hätte, ist davon auszugehen, daß die strittigen Umsätze im Ausland ausgeführt wurden. Ohne rechtliche Bedeutung ist es dagegen, daß die Vertragsabschlüsse im Inland erfolgt waren (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2362/64).
Aus Obigem ergibt sich, daß die gegenständlichen Leistungen des Beschwerdeführers zu Unrecht der Umsatzsteuer unterzogen wurden. Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 lit. f VwGG 1965 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 203/1982 abgesehen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Mit dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand ist auch die Umsatzsteuer abgegolten. Als Ersatz für die Stempelgebühren waren S 325,-- (S 300,-- Eingabengebühr für drei Ausfertigungen der Beschwerde und S 25,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuzusprechen. Das Mehrbegehren war daher abzuweisen.
Wien, am