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VwGH vom 10.03.1994, 94/19/0601

VwGH vom 10.03.1994, 94/19/0601

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 4.318.923/2-III/13/92, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Asylwesens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Zaires, nicht Flüchtling sei.

Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies die belangte Behörde mit Bescheid vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach Ausweis der Verwaltungsakten wurde der erstinstanzliche Bescheid dem sich zu diesem Zeitpunkt in Schubhaft befindlichen Beschwerdeführer am im Beisein eines Dolmetschers für die französische Sprache persönlich ausgefolgt. Gleichzeitig wurde mit ihm eine Niederschrift aufgenommen, in der es unter anderem heißt:

"Nachdem ich jetzt schon so lange in Haft bin und sich durch die Einbringung einer Berufung gegen diesen Bescheid meine Haftzeit bis zur Entscheidung über die Berufung noch verlängern würde, verzichte ich, eine Berufung einzubringen." Gegen Schluß der Niederschrift findet sich noch der Hinweis: "Bei meinem Berufungsverzicht im Hinblick auf den negativen Asylbescheid bleibe ich jedoch. Diese Niederschrift wurde mir in französisch übersetzt und ich habe den Inhalt verstanden."

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer einen Willensmangel bei Abgabe des Berufungsverzichtes geltend und führte aus, dieser sei durch den anwesenden Beamten ausgelöst worden, der ihn dahingehend belehrt habe, daß das Erheben eines Rechtsmittels aussichtslos und er im Falle einer Berufung bis zur Beendigung des Verfahrens in Schubhaft verbleiben müsse.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Einvernahme am - um mögliche Mißverständnisse auszuschalten - unter Beiziehung eines Dolmetschers zweimal über den von ihm erklärten Berufungsverzicht befragt worden sei, wobei er ausdrücklich seinen auf einen Berufungsverzicht gerichteten Willen kundgetan habe. Anders als bei einem dem § 51 Abs. 4 VStG unterliegendem Sachverhalt - diese Bestimmung erkenne einem von einem Beschuldigten während seiner Anhaltung abgegebenen Berufungsverzicht keine Wirksamkeit zu - könne im Fall der Verhängung der Schubhaft, der ein rein sichernder, nicht aber pönaler Charakter zukomme, von einem Beschuldigten und von der Anwendbarkeit des VStG nicht gesprochen werden. Das Verfahren sei daher gemäß dem AVG zu führen gewesen, welches aber eine dem § 51 Abs. 4 VStG entsprechende Bestimmung nicht kenne.

Gemäß § 63 Abs. 4 AVG ist eine Berufung nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Berufung verzichtet hat. Der Berufungsverzicht ist somit eine von der Partei vorgenommene Prozeßhandlung, der die Wirkung anhaftet, daß eine von der Partei eingebrachte Berufung einer meritorischen Erledigung nicht zugeführt werden darf. Ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht kann auch nicht mehr zurückgenommen werden. Allerdings ist nach der hg. Judikatur (vgl. die

hg. Erkenntnisse vom , Zl. 89/01/0005, und vom , Zl. 88/01/0188) das Vorliegen eines Berufungsverzichtes besonders streng zu prüfen. Auch ist ein anläßlich der Unterzeichnung eines Berufungsverzichtes vorliegender Willensmangel, wenn er tatsächlich bestanden hat, zugunsten des Beschwerdeführers zu beachten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/02/0332).

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die in § 51 Abs. 4 VStG normierte Unwirksamkeit eines während einer Anhaltung erklärten Berufungsverzichtes auch für den Bereich der Schubhaft zu gelten hat, nicht darauf an, ob der Schubhaft pönaler Charakter mangelt. Allerdings ist - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - auf das die Schubhaft betreffende Verfahren nicht das VStG, sondern das AVG anzuwenden, welches zwar eine derartige Regelung der Unwirksamkeit eines während einer Anhaltung abgegebenen Berufungsverzichtes nicht enthält. Wesentlich ist aber, daß im Sinne der Erläuternden Bemerkungen zur mit BGBl. Nr. 516/1987 vorgenommenen Neufassung des § 51 Abs. 4 VStG (133 Bgl NR, 17. GP) auch in nicht dem VStG unterliegenden Verfahren darauf zu achten ist, daß jeder Druck auf einen - aus welchem Grund immer - Festgenommenen, während der Verwahrung auf die ihm zustehenden Rechtsmittelmöglichkeiten zu verzichten, unterbleibt.

Im vorliegenden Fall behauptete der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung das Vorliegen eines Willensmangels, ausgelöst durch eine falsche Rechtsbelehrung eines Beamten der Bundespolizeidirektion Graz. Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid dazu ausführt, ein Willensmangel sei deshalb auszuschließen, weil der Beschwerdeführer "von der Behörde im Rahmen derselben Niederschrift unter Beiziehung eines Dolmetschers zweimalig befragt und zweimal ausdrücklich die Willenserklärung abgegeben habe, auf eine Berufung zu verzichten", so übersieht sie, daß der Beschwerdeführer keineswegs angegeben hat, über die Willenserklärung an sich geirrt zu haben, sondern über Umstände, die im Vorfeld des Willensentschlusses liegen, und für seine Entscheidung zur Abgabe des Berufungsverzichtes wesentlich gewesen seien. So ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen, daß ein solcher Irrtum über die Folgen und Rechtswirkungen der Einbringung bzw. Nichteinbringung einer Berufung auch durch mehrmalige Befragung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die belangte Behörde wäre daher angesichts des Berufungsvorbringens verhalten gewesen, durch geeignete Ermittlungen zu erforschen, ob Willensmängel seitens des Beschwerdeführers anläßlich der Unterzeichnung der Verzichtserklärung vorgelegen sind, um Feststellungen darüber zu treffen, welche Umstände den Beschwerdeführer zur Abgabe des Berufungsverzichtes veranlaßt haben. Die belangte Behörde hat zwar eine Stellungnahme des die Einvernahme vom durchführenden Amtsorganes eingeholt, diese aber nicht dem Parteiengehör unterzogen.

Da nach der Aktenlage nicht auszuschließen ist, daß der Beschwerdeführer tatsächlich durch eine irreführende bzw. unvollständige Rechtsbelehrung falsche Vorstellungen über die Folgen und Möglichkeiten einer Berufung oder die Erklärung über den Rechtsmittelverzicht unter dem Druck der Haft abgegeben hatte, die belangte Behörde jedoch entsprechende Ermittlungen in diese Richtung nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat, ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.