VwGH vom 19.06.2002, 2000/15/0053
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. H. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. U. Zehetner, über die Beschwerde des Dr. H in H, vertreten durch Kaan, Cronenberg & Partner, Rechtsanwälte in 8018 Graz, Kalchberggasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom , Zl. RV 196/1-8/99, betreffend Umsatzsteuer 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer betreibt eine Dialysestation, für welche eine Betriebsbewilligung nach dem Steiermärkischen Krankenanstaltengesetz erteilt worden ist. Für das Jahr 1997 nahm er für die Umsätze aus dem Betrieb der Dialysestation den ermäßigten Steuersatz von 10 vH gemäß § 10 Abs. 2 Z 15 UStG 1994 (Umsätze von Kranken- und Pflegeanstalten) in Anspruch. Davon abweichend behandelte das Finanzamt diese Umsätze als solche aus ärztlicher Tätigkeit, welche nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 (unecht) steuerbefreit sind und erkannte deswegen die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht an. Da der Beschwerdeführer Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis gelegt hatte, wurde die Umsatzsteuer gemäß § 11 Abs. 12 UStG in Höhe der ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge festgesetzt.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung u. a. mit der Begründung ab, dass für den Leistungsempfänger das Leistungsangebot einer Facharztpraxis, spezialisiert auf Dialyse, vorliege. Die Personalstruktur mit dem Beschwerdeführer als ärztlichem Leiter an der Spitze, gefolgt von einem angestellten Arzt und unterstützt von diplomiertem Krankenpflegepersonal und Stationsgehilfen sowie einer Bürokraft, sei einerseits durch den Bewilligungsbescheid des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung zwingend gefordert und andererseits durch die Eigenart der erbrachten Behandlungsleistung bedingt. Die Behandlung und Betreuung der Patienten durch nichtärztliches Personal (elf diplomierte Krankenschwestern, drei Stationsgehilfinnen, eine Sekretärin) würde zahlenmäßig keinen derartigen Stellenwert einnehmen, dass man die Dialyseleistungen als "Umsätze einer Krankenanstalt" qualifizieren könne. Ebenso käme es auf die permanenten Behandlungszeiten von Montag bis Samstag von 6.00 bis 22.00 Uhr (auch an Feiertagen) nicht an, da dadurch eine entsprechende Auslastung der äußerst kostenintensiven Geräteausstattung gewährleistet und den Bedürfnissen der Patienten entgegengekommen würde. Auch aus der Mitgliedschaft zur Kammer der gewerblichen Wirtschaft sowie aus der Pflichtversicherung nach dem gewerblichen Sozialversicherungsgesetz könne nicht auf das Vorliegen von Umsätzen einer Krankenanstalt geschlossen werden. Dasselbe gelte für die bestehende Errichtungs- und Betriebsbewilligung als selbstständiges Ambulatorium nach dem Steiermärkischen Krankenanstaltengesetz. Vielmehr würden in solchen Ambulatorien gerade Personen behandelt, die keiner Anstaltspflege bedürften, sodass die ärztliche Leistung im Vordergrund stehe und eine Pflegeleistung, wie sie mit einem stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus verbunden sei, in solchen Ambulatorien gerade nicht erbracht werde.
Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte deren Behandlung ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom , B 1424/99).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Durch den angefochtenen Bescheid erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht verletzt, dass die in der Dialysestation erzielten Umsätze als solche einer Kranken- und Pflegeanstalt gemäß § 10 Abs. 2 Z 15 UStG 1994 mit dem damit verbundenen Recht des Vorsteuerabzuges behandelt werden und nicht, wie von der belangten Behörde als Umsätze eines Arztes gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994.
Streitpunkt unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Rechtsverletzung (Versagung des Vorsteuerabzuges) bildet somit die Frage, ob die Umsätze aus dem Betrieb einer Dialysestation, die in der Betriebsform eines selbstständigen Ambulatoriums nach dem Steiermärkischen Krankenanstaltengesetz betrieben wird, als - unecht - steuerfreie "Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt" im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 (idF BGBl. Nr. 756/1996) zu qualifizieren sind.
§ 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 beruht auf Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) - im Folgenden: 6. Richtlinie. Diese Bestimmung sieht u. a. eine Steuerbefreiung vor für
"c) die Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin,
die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden;"
Die Befreiungsbestimmung der 6. Richtlinie stellt somit auf die Heilbehandlungen im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe ab. Aus österreichischer Sicht ist in diesem Sinne davon auszugehen, dass - soweit es um ärztliche Behandlungen geht - nur solche Tätigkeiten von der in Rede stehenden Befreiungsbestimmung der Richtlinie erfasst sind, die durch das Ärztegesetz 1984, BGBl. Nr. 373/1984 (im Folgenden: ÄrzteG 1984), bzw. durch das Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 (im Folgenden: ÄrzteG 1998), abgedeckt sind.
Dieses Verständnis der Befreiungsbestimmung ist - in richtlinienkonformer Interpretation - auch der Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 beizumessen.
Gemäß § 2 ÄrzteG 1984 bzw. § 3 ÄrzteG 1998 ist die selbstständige Ausübung des ärztlichen Berufes ausschließlich Ärzten für Allgemeinmedizin und approbierten Ärzten sowie Fachärzten vorbehalten. Die selbstständige Ausübung des ärztlichen Berufes besteht in der eigenverantwortlichen, auf medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen begründeten Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird, gleichgültig, ob solche Tätigkeiten freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt werden. Selbstständig im Sinne der genannten Bestimmung bedeutet, dass der berufsausübende Arzt gegenüber jedermann weisungsfrei ist (Erich Feil, Wolfgang Feil, Ärztegesetz und einschlägige Nebenbestimmungen, 1994, Rz 2 zu § 3).
Im Sinne der Vorschriften der §§ 45, 49 Abs. 2 und § 56 ÄrzteG 1998 (diese entsprechen den §§ 19, 22 Abs. 2 und § 29 ÄrzteG 1984) besteht für die freiberuflich tätigen Ärzte die Verpflichtung, ihren Beruf persönlich und unmittelbar, also ohne Unterstützung durch einen oder mehrere angestellte Ärzte, auszuüben. Für die Ordinationsstätte eines solchen Arztes ist daher gemäß § 45 ÄrzteG 1998 (bzw. § 19 ÄrzteG 1984) auch nur das Anmeldesystem vorgesehen, während für die Errichtung und den Betrieb von Krankenanstalten gemäß § 3 Krankenanstaltengesetz (im Folgenden: KAG) die Erteilung einer Bewilligung vorgesehen ist.
Zur Abgrenzung, ob die Tätigkeit eines Arztes noch unter das Ärztegesetz fällt oder bereits unter das KAG, ergibt sich aus der diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (hg. Erkenntnis vom , 92/11/0141) etwa Folgendes:
"Entscheidend für die in Rede stehende Abgrenzung ist (...) das kumulative Vorliegen zweier Voraussetzungen, nämlich der Möglichkeit der gleichzeitigen Behandlung mehrerer Personen einerseits und des Bestehens einer Organisation, die jener einer Anstalt entspricht, andererseits."
Auf die Frage, worin eine solche Organisation besteht, gibt das Krankenanstaltenrecht Auskunft. Zu den Voraussetzungen einer Anstalt kann demzufolge unter anderem die Bestellung eines Stellvertreters des ärztlichen Leiters in der Person eines geeigneten Arztes gehören, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, dass mindestens zwei Ärzte der Krankenanstalt zur Verfügung stehen (vgl. hg. Erkenntnis vom , 89/18/0138, VwSlg 13.102 A).
Der Verfassungsgerichtshof sieht als unterscheidendes Merkmal zwischen Ambulatorien und den Ärztepraxen bei ersteren eine organisatorische Einrichtung, während nach dem ÄrzteG bei Ordinationen die medizinische Eigenverantwortlichkeit des behandelnden Arztes gegenüber dem Patienten maßgeblich ist. Überdies liegt bei Ambulatorien der (Behandlungs-)Vertrag nicht (nur) mit dem Arzt, sondern (auch) mit dieser Einrichtung, die unter sanitätsbehördlicher Aufsicht steht, vor. In der Regel weisen Krankenanstalten auch eine Anstaltsordnung auf, der sowohl die Patienten als auch die Ärzte unterliegen (vgl. Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 198/90, VfSlg 13.023).
Die streitgegenständliche Betätigung des Beschwerdeführers besteht im Betrieb einer Dialysestation. Diese verfügt laut Feststellungen der belangten Behörde über 15 Dialyseplätze, sodass 15 Dialysepatienten gleichzeitig behandelt werden können. Die Dialysestation steht unter der ärztlichen Leitung des Beschwerdeführers bzw. dessen Stellvertreters. Für die Betreuung der Patienten steht zahlreiches nichtärztliches Personal - nämlich elf diplomierte Krankenschwestern, drei Stationsgehilfinnen und eine Sekretärin - zur Verfügung. Die Organisationsstruktur ermöglicht Behandlungszeiten von Montag bis Samstag von 6.00 bis 22.00 Uhr (auch an Feiertagen). Aus der dem Akt beiliegenden Betriebsbewilligung als selbstständiges Ambulatorium nach dem Steiermärkischen Krankenanstaltengesetz geht hervor, dass auch eine Anstaltsordnung vorliegt.
Der Betrieb der genannten Dialysestation fällt nach den - oben dargestellten - Kriterien somit nicht mehr unter das ÄrzteG. In umsatzsteuerlicher Hinsicht folgt daraus, dass diese Tätigkeit nicht unter die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs 1 Z 19 UStG 1994 fällt. Die belangte Behörde hat sohin, indem sie einen Anwendungsfall dieser Befreiungsbestimmung angenommen und damit den Vorsteuerabzug versagt hat, die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am