VwGH vom 30.01.2001, 2000/14/0139
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Urtz, über die Beschwerde der IA in W, vertreten durch Dr. Hans Lesigang, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 36, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. RV 192/1-T5/00, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin die Nachsicht von Nebengebühren in der Höhe von insgesamt S 232.959,-- (Verspätungszuschläge von S 181.428,-- und Säumniszuschläge von S 48.054,-- und S 3.477,--). Diese Nebengebühren resultierten daraus, dass die Beschwerdeführerin einen Teppichhandel betrieben und die diesbezüglichen Umsätze weder erklärt noch versteuert hatte. Im Zuge abgabenbehördlicher Prüfungen wurde deshalb mit Bescheiden vom 3. März und vom Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt rund S 2,4 Mio. festgesetzt. Mangels Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Entrichtung zu den gesetzlich (Umsatzsteuer) bzw. bescheidmäßig (Verspätungszuschläge) vorgeschriebenen Fälligkeitstagen wurden die genannten Nebengebühren (Verspätungs- und Säumniszuschläge) festgesetzt.
Die Beschwerdeführerin begründete ihren Antrag auf Nachsicht der Nebengebühren im Wesentlichen mit der zwischen ihr und der A GmbH getroffenen Vereinbarung. Danach sollten der genannten Gesellschaft sowohl die Erlöse als auch die Kosten der Teppichverkäufe weiterverrechnet werden und der Beschwerdeführerin für das Zur-Verfügung-Stellen der Gewerbeberechtigung lediglich eine Provision von S 200.000,-- netto (zuzüglich Umsatzsteuer) verbleiben. Abgesehen von dieser Provision sollte auf Grund der Vereinbarung der Beschwerdeführerin aus dem Verkauf der Teppiche weder ein Gewinn noch ein Verlust entstehen, da die erlösten Verkaufspreise für die Teppiche den Einkaufspreisen der A GmbH entsprechen sollten. Dadurch wäre eine etwa anfallende Umsatzsteuer auch durch geltend zu machende Vorsteuern ausgeglichen worden. Zum Umsatzsteuerrückstand sei es nur deshalb gekommen, weil die Verrechnung der Teppiche im Innenverhältnis zur A GmbH verspätet erfolgt und teilweise noch immer ausständig sei.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen mangels Unbilligkeit der Abgabeneinhebung ab.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung und wendete u.a. ein, sie beziehe eine Alterspension von rund S 25.000, abzüglich des vom Finanzamt gepfändeten Betrages verbleibe ihr monatlich netto nur ein Betrag von S 11.551. Dieser Betrag liege knapp über dem gesetzlichen Existenzminimum. An Vermögenswerten besitze sie zwei Eigentumswohnungen, die mit grundbücherlichen Pfandrechten zu Gunsten anderer Gläubiger von S 3,438.000 und S 16,079.986 vorbelastet seien. Gegen die Nebengebührenbescheide habe keine Berufung erhoben werden können, da sie gesetzeskonform vorgeschrieben worden seien.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung im Wesentlichen mit folgender Begründung ab:
Die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten gemäß § 236 BAO setze entweder eine persönliche oder sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus. Eine persönliche Unbilligkeit ergebe sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers. Sie bestehe bei einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabenpflichtigen entstehenden Nachteil. Eine solche Unbilligkeit werde insbesondere dann vorliegen, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährde. Sie liege aber bereits auch dann vor, wenn die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich seien (z.B. Verschleuderung von Vermögenswerten). Diese Voraussetzungen würden jedoch im Beschwerdefall nicht vorliegen. Zu einer Vermögensverschleuderung komme es nicht, da das Finanzamt keine Veräußerung von Vermögensschaften der Beschwerdeführerin betreibe, sondern mit der laufenden Pensionspfändung, die unter Zugrundelegung der letzten Überweisung der pfändbaren Bezugsteile in längstens einem Jahr zu einer vollständigen Rückstandsabdeckung führe, das Auslangen finde. Der Beschwerdeführerin verbleibe ein Betrag, der geringfügig über dem gesetzlichen Existenzminimum für die Lebensführung liege. Daher könne angenommen werden, dass der verbleibende Betrag von netto S 11.557,-- zur Abdeckung der Lebensbedürfnisse ausreiche und keine existenzielle Bedrohung, die durch die Abgabeneinhebung verursacht wäre, vorliege. Durch das Ausmaß der Gesamtverschuldung (grundbücherliche Pfandrechte zu Gunsten anderer Gläubiger mit einer Forderungssumme von rund S 19,5 Mio) würde überdies eine Abgabennachsicht im beantragten Ausmaß zu keiner wesentlichen Veränderung oder gar Sanierung des Schuldenstandes führen.
Das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit verneinte die belangte Behörde ebenfalls. Eine solche Unbilligkeit liege nur vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten sei. Dies sei dann nicht der Fall, wenn die Steuervorschreibung bloß eine allgemeine Auswirkung genereller Normen darstelle. Zudem könnten Unbilligkeiten der Abgabenfestsetzung, die nicht auf die besondere Situation des Einzelfalles zurückzuführen seien oder mit Hilfe der zustehenden Rechtsmittel nicht bekämpft worden seien, nicht im Nachsichtsverfahren nachgeholt bzw. behoben werden. Das Argument der Beschwerdeführerin, sie hätte "in wirtschaftlicher Betrachtungsweise" mit Ausnahme der Provision keine Umsätze zu erklären oder Umsatzsteuerzahllasten zu entrichten gehabt, gehe ins Leere, da die zur Nachsicht beantragten Nebengebühren durch die mangelnde Abgabe von Abgabenerklärungen und die mangelnde Entrichtung von Abgaben verursacht worden seien. Die Frage der Möglichkeit zur Geltendmachung von Vorsteuern stelle sich dabei gar nicht. Hinsichtlich der Säumniszuschläge liege eine sachliche Unbilligkeit auch deswegen nicht vor, da die Säumniszuschlagsbelastungen, die allein wegen einer nicht fälligkeitsgerechten Abgabenentrichtung eingetreten seien, mit dem durch Literatur und Rechtsprechung bekundeten Willen des Gesetzgebers übereinstimmen würden. Schließlich liege auch hinsichtlich der Verspätungszuschläge keine sachliche Unbilligkeit vor: Erscheine der Beschwerdeführerin die Festsetzung der Verspätungszuschläge nach den besonderen Verhältnissen ihres Falles als unbillig, so hätte die gleiche Begründung bereits in einem Rechtsmittelverfahren gegen die Ermessensausübung bei Festsetzung des Zuschlages - was allerdings versäumt worden sei - durchaus Erfolg haben können. Die Versäumung der Einbringung eines Rechtsmittels gegen die Abgabenfestsetzung, ohne dass dafür berücksichtigungswürdige Gründe geltend gemacht worden seien, sei der Beschwerdeführerin anzulasten.
Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerdeführerin bekämpft ausdrücklich die Ermessensübung der belangten Behörde. Sie führt insbesondere aus, dass die Nebengebührenbelastungen in einem unbilligen Verhältnis zu der "materiell-rechtlichen und meritorischen Steuerschuld" stünden. Auch ein "formal richtiger Außenstand" solle dahingehend überprüft werden, ob das formale Ergebnis auch recht und billig im Sinne des meritorischen Ergebnisses sei. Zudem widerspreche es "Treu und Glauben", dass die Nebengebührenbelastung ein Sechsfaches der - schlussendlich nur mit einem Betrag von S 40.000,-- geschuldeten - Umsatzsteuer ausmache.
Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerdeführerin zunächst, dass eine im Rahmen der Erledigung eines Nachsichtsansuchens zu treffende Ermessensentscheidung der Behörde gemäß § 236 BAO zur Voraussetzung hat, dass die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Die Frage der Beurteilung der Unbilligkeit der Einziehung ist sohin keine Ermessensfrage. Erst die Bejahung der Unbilligkeit kann in weiterer Folge zur Ermessensentscheidung führen (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2442f und die dort zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern das Nachsichtsansuchen mangels Unbilligkeit, somit aus Rechtsgründen, abgewiesen.
Soweit das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen ist, dass damit auch das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit geltend gemacht wird, kommt ihm vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls keine Berechtigung zu.
Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die begehrte Nachsicht gestützt werden kann (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 95/15/0031).
Der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Sachverhalt - zu einer Umsatzsteuerschuld sei es in den betreffenden Voranmeldungszeiträumen im Wesentlichen nur auf Grund "verspäteter Weiterverrechnung" gegenüber der A GmbH gekommen - lässt eine Unbilligkeit in der Einhebung der Verspätungs- und Säumniszuschläge nicht erkennen. Zum einen handelt es sich dabei um Umstände, die ausschließlich in der Sphäre der Beschwerdeführerin gelegen sind, zum anderen wird damit in keiner Weise dargetan, warum die Beschwerdeführerin bei der gegebenen Sachlage daran gehindert war, Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben bzw. einen Antrag auf Stundung der (von der Beschwerdeführerin) als "vorläufig" angesehenen Umsatzsteuerschuld einzubringen.
Dass das Umsatzsteuergesetz die rechtzeitige Offenlegung von Umsätzen sowie die fristgerechte Entrichtung der geschuldeten Umsatzsteuer ungeachtet der vom Unternehmer damit verbundenen Gewinnerwartungen vorsieht, liegt im Wesen der Umsatzsteuer als allgemeine Verkehrssteuer und vermag für sich jedenfalls keine atypische Belastung der Beschwerdeführerin zu begründen.
Das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit macht die Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mehr geltend und ist eine solche für den Verwaltungsgerichtshof aus den von der belangten Behörde aufgezeigten Gründen (vgl. in diesem Sinne u.a. das hg. Erkenntnis vom , 99/15/0161) auch nicht zu erkennen.
Da sohin bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am