VwGH vom 06.03.2001, 2000/01/0402
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 205.748/13-II/04/00, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages als unzulässig (mitbeteiligte Partei: BS, geboren am , W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte reiste am in das Bundesgebiet ein. Er ist Staatsbürger der BR Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 7 AsylG ab; zugleich sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten "in die Bundesrepublik Jugoslawien" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung entschied die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wie folgt:
"In Erledigung der Berufung des B.S. ... wird der Spruch des angefochtenen Bescheides abgeändert und hat zu lauten wie folgt:
'Der Asylantrag des B.S. vom wird im Grunde des Art. 1 Abschnitt A letzter Absatz der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), BGBl. Nr. 55/1955, als unzulässig zurückgewiesen.'"
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass dem Mitbeteiligten zu einem Zeitpunkt nach der Asylantragstellung (im vorliegenden Fall erst im Berufungsverfahren) infolge der Übernahme der Staatsgewalt durch eine im Auftrag der Vereinten Nationen errichtete Verwaltung im Kosovo ein zweiter "Herkunftsstaat" im Sinne des Asylgesetzes "zugewachsen" sei. Hiezu verweist die belangte Behörde auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 99/01/0359, und vom , Zl. 2000/01/0162. Die nach Ansicht der belangten Behörde vom Asylwerber schon im verfahrenseinleitenden Antrag zumindest "erschließbar" vorzunehmende Bezeichnung seines Herkunftsstaates begrenzt aber nach Ansicht der belangten Behörde den Verfahrensgegenstand des Asylverfahrens, was nicht nur einer amtswegigen Bedachtnahme auf Sachverhaltsänderungen wie die im vorliegenden Fall eingetretene, sondern auch einer allfälligen Anpassung des Vorbringens des Asylwerbers entgegenstehen soll. Letztere wäre nach Ansicht der belangten Behörde eine Änderung des verfahrenseinleitenden Antrages, durch die "die Sache" des Verfahrens im Sinne des § 13 Abs. 8 AVG - unzulässigerweise - "ihrem Wesen nach" geändert würde. Da der Mitbeteiligte im verfahrenseinleitenden Antrag, der damaligen Sachlage entsprechend, nur seinen damaligen (einzigen) Herkunftsstaat angegeben habe, im verfahrenseinleitenden Antrag "sämtliche in Frage kommenden" Herkunftsstaaten bereits genannt sein müssten und der Mitbeteiligte nunmehr aber zwei Herkunftsstaaten habe, sei sein Antrag "einer meritorischen Behandlung nicht mehr zuführbar".
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0311, aus Anlass eines ähnlichen Bescheides der belangten Behörde bereits mit der inneren Schlüssigkeit dieser Argumentation befasst. Insoweit ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das genannte Erkenntnis zu verweisen.
3. Der Verwaltungsgerichtshof teilt aber auch die Ansicht des beschwerdeführenden Bundesministers, dass als Verfahrensgegenstand des Asylverfahrens die Gewährung von Asyl - also der in § 1 Z. 2 AsylG umschriebenen, nicht auf einen bestimmten Herkunftsstaat bezogenen Rechtsposition - anzusehen ist. Allein auf dieses Ziel hin ist der Asylantrag seinem "Wesen" nach gerichtet. Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG muss die Partei im verfahrenseinleitenden Antrag dabei nur "zu erkennen geben, in Österreich Schutz vor Verfolgung zu suchen".
3.1. Dem steht nicht entgegen, dass der Verwaltungsgerichtshof jeweils im Zusammenhang mit einer auf § 6 Z. 3 AsylG gestützten Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet schon wiederholt ausgesprochen hat, eine solche Entscheidung sei rechtmäßig, wenn die Angaben des Asylwerbers über eine Bedrohungssituation in dem von ihm als Herkunftsstaat bezeichneten Staat offensichtlich nicht den Tatsachen entsprächen und kein sonstiger Hinweis auf eine asylrelevante Verfolgungsgefahr gegeben sei (so das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0366) bzw. die Angaben des Asylwerbers insbesondere zu seiner Staatsangehörigkeit nicht glaubwürdig seien und auch keine sonstigen Hinweise auf eine Verfolgung in einem anderen (tatsächlichen) Herkunftsstaat bestünden (so das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0217). Diese von der belangten Behörde im vorliegenden Bescheid für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidungen stützen sich jeweils auf das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 98/20/0464, 99/20/0220, dem bereits deutlich zu entnehmen ist, dass die Angabe des Herkunftsstaates im Rahmen der Erfüllung der den Asylwerber treffenden Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes zu erfolgen hat und es im Falle einer zunächst wahrheitswidrigen Angabe bei entsprechender Ergänzung des Vorbringens (oder bei Vorliegen "sonstiger Hinweise") auch die Pflicht der Behörde sein kann, auf die Gefahr der Verfolgung in einem anderen - tatsächlichen - Herkunftsstaat einzugehen. Auch die Erkenntnisse vom , Zl. 98/20/0512, und vom , Zl. 2000/01/0106, verweisen in diesem Sinn auf das erwähnte Erkenntnis vom . 3.2. Nicht anders sind auch die Erkenntnisse zu verstehen, in denen sich der Verwaltungsgerichtshof mit dem Begriff des "Herkunftsstaates" im Sinne des § 8 AsylG auseinander gesetzt hat (vgl. dazu jetzt Feßl, ZUV 4/2000, 10 (14)). Die belangte Behörde verweist in dieser Hinsicht auf das (von dem erwähnten Autor offenbar übersehene) Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0561, dem aber - ebenso wie der daran anschließenden Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 98/20/0512, 99/20/0250, und vom , Zl. 99/20/0203) - für die hier zu behandelnde Frage nur zu entnehmen ist, dass die Behörde den in § 8 AsylG vorgesehenen Ausspruch aus prozessökonomischen Gründen in Bezug auf denjenigen Staat (oder, wie hinzuzufügen ist, diejenigen Staaten) zu fällen hat, in Bezug auf den (bzw. die) sie sich bei der Entscheidung über die Asylgewährung mit der Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 7 AsylG befassen musste. Diese Verknüpfung der Art nach verschiedener Verfahrensgegenstände führt in hier nicht näher zu erörternde Detailprobleme, aber nicht zu einer regionalen Begrenzung des Gegenstandes des Asylverfahrens (oder gar des "Wesens" dieses Gegenstandes im Sinne des § 13 Abs. 8 AVG).
3.3. In dem erwähnten Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0561, hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Bedeutung der Verfolgungsbehauptung des Asylwerbers für die Ermittlungspflichten der Behörde auf das Erkenntnis vom , Zl. 98/02/0044, verwiesen (einen Zusammenhang mit diesem Vorerkenntnis sieht - offenbar unabhängig von dem Erkenntnis vom - auch Feßl, a.a.O.). Darin wird bei der Behandlung der Frage der Zulässigkeit einer Schubhaft unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Aufenthaltsbeendigung gemäß § 21 AsylG die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber des AsylG habe bei der Definition des Herkunftsstaates als desjenigen Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitze, oder in dem er - im Falle der Staatenlosigkeit - seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe (§ 1 Z. 4 AsylG), "erkennbar nicht an Fälle gedacht", in denen ein Doppelstaatsbürger nur in einem seiner Heimatstaaten verfolgt zu werden behaupte. Der Begriff des "Herkunftsstaates" sei für solche Fälle daher "teleologisch dahin zu reduzieren, dass er nur den Staat bezeichnet, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt und in dem er behauptet, verfolgt zu werden".
Diese von Rohrböck (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Rz 158a und 632a) kritisierte Ansicht ist für die im Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0561, getroffenen Aussagen nicht wesentlich und als Teil von Überlegungen zur Begründung der These, ein Asylwerber dürfe "trotz des Wortlautes des § 21 Abs. 2 erster Satz Asylgesetz ... in seinen Heimatstaat (der nicht Herkunftsstaat ist)" abgeschoben werden, durch das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 99/20/0406, überholt (auf die gemäß § 21 Abs. 2 AsylG für ein Abstellen auf den Herkunftsstaat allein in Frage kommende Zurückweisung an der Grenze beziehen sich die Ausführungen im Erkenntnis Zl. 98/02/0044 nicht). Aus asylrechtlicher Sicht ist überdies anzumerken, dass ein Asylantrag nicht wegen der Schutzbereitschaft desjenigen von zwei Heimatstaaten, der den Asylwerber nicht verfolgt, abzuweisen sein könnte, wenn die im genannten Erkenntnis vom geäußerte Ansicht, dass es sich bei diesem Heimatstaat nicht um einen "Herkunftsstaat" im Sinne des Gesetzes handle, für den Bereich des § 7 AsylG Gültigkeit hätte. Dass einem Asylwerber, der nur in einem von zwei Heimatstaaten verfolgt zu sein behauptet, idR kein Asyl zu gewähren ist, gründet sich nur darauf, dass auch der andere Heimatstaat ein "Herkunftsstaat" und in die Prüfung der Voraussetzungen des § 7 AsylG daher einzubeziehen ist (vgl. in diesem Zusammenhang die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/01/0122, und vom , Zl. 2000/01/0126). Eine Beschränkung des Gegenstandes des Asylverfahrens (und nicht nur - bei Fehlen sonstiger Hinweise - der Ermittlungspflichten der Behörde) durch die Verfolgungsbehauptung des Asylwerbers ergibt sich daher auch in diesem Zusammenhang nicht. Dass eine solche Beschränkung zu Folgeproblemen im Zusammenhang mit der Rechtskraftwirkung einer abweisenden Entscheidung führen und letztlich sogar ein gleichzeitiges Nebeneinander mehrerer Asylverfahren desselben Asylwerbers als möglich erscheinen lassen müsste, sei nur mehr der Vollständigkeit halber angemerkt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-30931