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VwGH vom 17.12.2002, 2000/14/0098

VwGH vom 17.12.2002, 2000/14/0098

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2002/15/0185 E

2003/14/0007 E

2002/15/0173 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des H B in L, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 29, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom , Zl. RV788/1-7/99, betreffend Lohnsteuer 1995 bis 1998, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer betreibt einen Gasthof. Seine Arbeitnehmer arbeiten jeweils von Dienstag bis Sonntag (Montag "Wochenruhetag"). Zuschläge für die Sonntagsarbeit behandelte der Beschwerdeführer im Rahmen der Lohnverrechnung für den Zeitraum 1995 bis 1998 als steuerfrei.

Das Finanzamt erließ einen Haftungs- und Abgabenbescheid, mit welchem es dem Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuschläge für die Sonntagsarbeit (soweit diese über das in § 68 Abs 2 EStG 1988 festgelegte Ausmaß hinausgingen) zur Haftung für Lohnsteuer heranzog. Nach dem Kollektivvertrag für das Gastgewerbe erhalte der Dienstnehmer für seinen Sonntagsdienst einen Ersatzruhetag. Somit trete der Ersatzruhetag an die Stelle des Sonntages. Aus diesem Grund könnten Überstunden an Sonntagen nur nach Maßgabe des § 68 Abs 2, nicht hingegen nach § 68 Abs 1 EStG 1988 begünstigt sein.

In der Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, im gegenständlichen Fall seien die an Sonntagen geleisteten Arbeitsstunden Überstunden gewesen. Die Zuschläge für Überstunden an Sonntagen müssten der Vorschrift des § 68 Abs 1 EStG 1988 subsumiert werden. Sie seien daher zur Gänze steuerfrei.

In einer Berufungsergänzung wird vorgebracht, der Sonntag werde von der Rechtsordnung als ein Tag aufgefasst, an welchem das gesellschaftliche Leben anders verlaufe als an den übrigen Tagen der Woche. Die Rechtsordnung gehe - etwa im Öffnungszeitengesetz, im Betriebszeitengesetz und im Arbeitsruhegesetz - von einer nur eingeschränkten Zulässigkeit von Tätigkeiten an Sonntagen aus. Nur in genau festgelegten Fällen sei die Erbringung von Arbeitsleistungen an Sonntagen gestattet. Das Gesetz stelle in § 68 EStG 1988 nicht darauf ab, ob das Arbeitsruhegesetz eine Arbeitsleistung von Dienstnehmern an Sonntagen zulasse. Ein Sonntag iSd § 68 Abs 1 EStG liege unabhängig davon vor, aus welchem Grund an diesem Tag gearbeitet werde. Ein Kollektivvertrag könne nur festlegen, was Gegenstand des Einzelarbeitsvertrages sein könnte. Das Arbeitsruhegesetz sehe eine wöchentliche Ruhezeit vor, die primär als Wochenendruhe, in den in § 4 leg. cit festgehaltenen Fällen als Wochenruhe zu konsumieren sei. Die Kollektivverträge für das Gastgewerbe sähen Wochenruhe an Stelle der Wochenendruhe vor. Im Gastgewerbe sei die Vereinbarung der Wochenruhe aufgrund einer Verordnung zu § 12 Abs 1 Z 2 Arbeitsruhegesetz zulässig. Eine solche Verordnung dürfe nur erlassen werden, wenn Freizeit- und Erholungsbedürfnisse der übrigen Bevölkerung und Erfordernisse des Fremdenverkehrs dies erforderlich machten. Der Beschwerdeführer vertrete die Auffassung, dass der Begriff der Sonntagsarbeit in § 68 Abs 1 EStG 1988 nicht dadurch berührt werde, dass unter Umständen die Wochenendruhe durch die Wochenruhe ersetzt werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In den Kollektivverträgen für Dienstnehmer im Bereich des Gastgewerbes sei festgelegt, dass die wöchentliche Normalarbeitszeit auf fünf Tage aufzuteilen sei. Diese Normierung der Fünftagewoche bedeute kein generelles Verbot des Arbeitens am sechsten Tag. Für die am sechsten Tag geleistete Arbeit gebühre aber ein Zuschlag von 50% des Grundlohnes. Die Kollektivverträge sähen einen Zuschlag von 100% für Tätigkeiten an einem Feiertag vor, auch wenn dieser auf einen Sonntag falle. Im Übrigen werde in den Kollektivverträgen kein eigener Zuschlag für Sonntagsarbeit festgelegt.

Im gegenständlichen Fall falle die Wochenarbeitszeit der Dienstnehmer auf die Zeit von Dienstag bis Sonntag. Der Sonntag sei somit der sechste Arbeitstag, der Montag der Tag der Wochenruhe. Im gegenständlichen Fall seien daher die am Sonntag geleisteten Arbeitsstunden als Überstunden anzusehen; die mit diesen Arbeitsstunden zusammenhängenden Zuschläge (50% des Grundlohnes) seien Überstundenzuschläge.

§ 68 Abs 1 EStG normiere die Steuerfreiheit für "qualifizierte Überstunden". Als qualifizierte Überstunden mit einem Zuschlag von 100% würden solche gelten, die an Sonntagen, an Feiertagen und während der Nacht geleistet würden. Da aber den Arbeitnehmern im Gastgewerbe als Ausgleich für Sonntagsarbeit ein Wochenruhetag zustehe, trete dieser Wochenruhetag an die Stelle des Sonntages. Dies finde auch Ausdruck darin, dass die entsprechenden Kollektivverträge keine Zuschläge von 100% für Sonntagsarbeit vorsähen und somit "qualifizierte Überstunden" lediglich bei Feiertags- und Nachtarbeit anerkennen würden. Die Kollektivverträge für das Gastgewerbe normierten also eine Arbeitswoche, die vom "kalendarischen Prinzip" abweiche. Als Ruhetag würde ein Wochentag an die Stelle des Sonntages gesetzt. Durch die Kollektivverträge werde dem Sonntag der Sonderstatus genommen. "Für die steuerliche Behandlung von Zulagen und Zuschlägen im Sinne des § 68 EStG 1988 sind kollektivvertragliche Bestimmungen und Definitionen entscheidungswesentlich und nicht Bestimmungen anderer Rechtsgebiete". Somit handle es sich bei den an Sonntagen erbrachten Arbeiten um Überstunden am sechsten Arbeitstag der Woche. Zuschläge könnten daher nur nach § 68 Abs 2 EStG steuerfrei sein. Die Steuerbefreiung nach § 68 Abs 1 EStG 1988 komme nicht zur Anwendung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

§ 68 Abs 1 bis 4 EStG 1988 lautet:

"(1) Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge sind insgesamt bis 4 940 S monatlich steuerfrei.

(2) Zusätzlich zu Abs. 1 sind Zuschläge für die ersten fünf Überstunden im Monat im Ausmaß von höchstens 50% des Grundlohnes (idF BGBl. 201/1996: insgesamt höchstens jedoch 590 S monatlich) steuerfrei.

(3) Soweit Zulagen und Zuschläge durch Abs. 1 und 2 nicht erfasst werden, sind sie nach dem Tarif zu versteuern.

(4) Als Überstunde gilt jede über die Normalarbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunde. Als Normalarbeitszeit gilt jene Arbeitszeit, die auf Grund


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1.
gesetzlicher Vorschriften,
2.
von Dienstordnungen der Gebietskörperschaften,
3.
aufsichtsbehördlich genehmigter Dienst(Besoldungs)ordnungen der Körperschaften des öffentlichen Rechts,
4. der vom Österreichischen Gewerkschaftsbund für seine Bediensteten festgelegten Arbeitsordnung,
5. von Kollektivverträgen oder Betriebsvereinbarungen, die auf Grund besonderer kollektivvertraglicher Ermächtigungen abgeschlossen worden sind,
6. von Betriebsvereinbarungen, die wegen Fehlens eines kollektivvertragsfähigen Vertragsteiles (§ 4 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974) auf der Arbeitgeberseite zwischen einem einzelnen Arbeitgeber und dem kollektivvertragsfähigen Vertragsteil auf der Arbeitnehmerseite abgeschlossen wurden, festgesetzt wird oder die
7. innerbetrieblich für alle Arbeitnehmer oder bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern allgemein übliche Normalarbeitszeit. Als Überstunde gilt jedoch nur jene Arbeitszeit, die 40 Stunden in der Woche übersteigt oder durch die die Tagesarbeitszeit überschritten wird, die sich auf Grund der Verteilung einer mindestens 40stündigen wöchentlichen Normalarbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage ergibt. Als Überstundenzuschläge gelten die durch die Vorschriften im Sinne der Z 1 bis 6 festgelegten Zuschläge oder die im Sinne der Z 7 innerbetrieblich für alle Arbeitnehmer oder bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern allgemein gewährten Zuschläge."
§§ 2, 3 und 11 des ArbVG, BGBl 22/1974, lauten:
"1. Hauptstück
Kollektivvertrag
Begriff und Inhalt

§ 2. (1) Kollektivverträge sind Vereinbarungen, die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber einerseits und der Arbeitnehmer andererseits schriftlich abgeschlossen werden.

(2) Durch Kollektivverträge können geregelt werden:


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1.
Die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien;
2.
die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer;
3. die Änderung kollektivvertraglicher Rechtsansprüche gemäß
Z 2 der aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmer;
4.
Maßnahmen im Sinne des § 97 Abs. 1 Z 4;
5.
Art und Umfang der Mitwirkungsbefugnisse der Arbeitnehmerschaft bei Durchführung von Maßnahmen gemäß Z 4 und von Maßnahmen im Sinne des § 97 Abs. 1 Z 9;
6.
gemeinsame Einrichtungen der Kollektivvertragsparteien;
7.
sonstige Angelegenheiten, deren Regelung durch Gesetz dem Kollektivvertrag übertragen wird."
"Verhältnis zu anderen Rechtsquellen

§ 3. (1) Die Bestimmungen in Kollektivverträgen können, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen sind, sofern sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt, nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind oder Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt sind.

(2) Bei der Prüfung, ob eine Sondervereinbarung im Sinne des Abs. 1 günstiger ist als der Kollektivvertrag, sind jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen."

"Normwirkung

§ 11. (1) Die Bestimmungen des Kollektivvertrages sind, soweit sie nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien regeln, innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereiches unmittelbar rechtsverbindlich.

(2) Enthält der Kollektivvertrag keine Vorschrift über seinen Wirksamkeitsbeginn, so beginnt seine Wirkung mit dem auf die Kundmachung im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung'' folgenden Tag. "

Die Rechtssetzungsbefugnis der Kollektivvertragspartner beschränkt sich auf die in § 2 Abs 1 Z 2 bis 7 ArbVG angeführten Bereiche (Strasser, ArbVG-Kommentar, § 11 Rz 4). Zwingendes Gesetzesrecht geht jedem Kollektivvertragsrecht vor (Strasser, aaO, § 3 Rz 23). Ein Kollektivvertrag vermag sohin den vom Gesetzgeber vorgegebenen Inhalt einer steuerlichen Norm nicht zu verändern.

Es steht im gegenständlichen Fall außer Streit, dass es sich bei den Zuschlägen, welche im angefochtenen Bescheid als steuerpflichtig behandelt worden sind, um Überstundenzuschläge handelt und dass sie für an Sonntagen erbrachte Arbeitsleistungen bezahlt worden sind. Strittig ist ausschließlich die Frage, ob diese Zuschläge mit Sonntagsarbeit iSd § 68 Abs 1 EStG 1988 zusammenhängen.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde stellt § 68 Abs 1 EStG 1988 - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - nicht darauf ab, ob die Zuschläge ein Ausmaß von 100% des Grundlohnes erreichen. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 68 Abs 1 EStG 1988 ist die (bis zu einem im gegenständlichen Fall nicht erreichten Betrag reichende) Steuerfreiheit der Zuschläge nur davon abhängig, dass sie u.a. Sonntagsarbeit oder die mit dieser Arbeit zusammenhängende Überstunden abgelten.

Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen auf die Auffassung, Kollektivvertragsrecht könne den normativen Inhalt des § 68 Abs 1 EStG 1988 verändern. Dieser Auffassung ist rechtsirrig. Abgesehen davon, dass es ausgeschlossen ist, dass zwingende gesetzliche Regelungen durch Kollektivverträge eine inhaltliche Änderung erfahren, gehören steuerliche Belange gar nicht zu dem durch § 2 Abs 1 ArbVG vorgegebenen Regelungsgehalt von Kollektivverträgen. Kollektivvertragsrecht vermag den normativen Inhalt des § 68 Abs 1 EStG 1988 nicht zu verändern. Die belangte Behörde hat, da die beschwerdegegenständlichen Überstundenzuschläge unzweifelhaft Arbeitsleistungen an Sonntagen betreffen, zu Unrecht die Anwendung des § 68 Abs 1 EStG 1988 unterlassen.

Dahingestellt kann bleiben, ob - wie dies die belangte Behörde meint - die durch § 68 Abs 1 EStG 1988 normierte Steuerfreiheit der Zuschläge für Sonntagsarbeit im Wege der Analogie (zusätzlich auch) auf Zuschläge für Arbeitsleistungen an arbeitsrechtlich geregelten Zeiten der Wochenruhe bzw der Ersatzruhe anzuwenden ist.

Die belangte Behörde hat somit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II 501/2001. Die Pauschalgebühr für den Schriftsatzaufwand beinhaltet bereits die Mehrwertsteuer. Die Umrechnung der Stempelgebühr beruht auf § 3 Abs 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl I 72/2000.

Wien, am