VwGH vom 21.06.1957, 1294/55
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Rat Dr. Seibt als Vorsitzenden und die Räte Dr. Donner, Dr. Strau, Dr. Krzizek und Dr. Lehne als Richter, im Beisein des Landesgerichtsrates Dr. Linzmeier als Schriftführer, über die Beschwerde der TM in W gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Sch. Zl.I - 22872, betreffend Kriegsopferversorgung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom wurde dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Anspruch auf Witwenrente nach dem am verstorbenen Ehegatten gemäß § 34 KOVG im wesentlichen mit der Begründung nicht stattgegeben, dass der Tod des Vorgenannten die Folge eines Verkehrsunfalles und nicht die mittelbare oder unmittelbare Folge einer Dienstbeschädigung gewesen sei. Gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin Berufung ein, welche von der belangten Behörde mit Bescheid vom als verspätet eingebracht zurückgewiesen wurde, da der erstinstanzliche Bescheid nachweislich und ordnungsgemäß am zugestellt, die Berufung jedoch erst am zur Post gegeben worden war. Am beantragte die Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete diesen Antrag damit, sie habe ihrem Anwalt, der die Berufung verfasst habe, über ausdrückliches und mehrfaches Befragen mit aller Bestimmtheit als Zustellungsdatum den angegeben. Diese Angabe sei auf eine Gedächtnisstörung zurückzuführen. Die Gedächtnisstörung sei die Folge eines latenten Geisteszustandes, der vor mehr als einem Jahr eine mehrmonatliche Behandlung in der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" notwendig gemacht habe. Die Gedächtnisstörung sei ein unvorhergesehenes Ereignis, sodass die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben seien. Dieser Antrag wurde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides heißt es, eine gerichtliche Entmündigung der Beschwerdeführerin wegen Handlungsunfähigkeit sei nicht behauptet worden. Die vorgebrachten Umstände allein reichen jedoch nicht aus, die Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin in Zweifel zu ziehen. Die Beschwerdeführerin wäre daher nicht in der Lage, ihr "Unverschulden" im Sinne des Gesetzes glaubhaft zu machen, denn der Irrtum im Datum der Bescheidzustellung gehe zu ihren Lasten, weil darin eine Unterlassung der nötigen Aufmerksamkeit zu erblicken sei. Diese Unterlassung sei als Verschulden zu werten, welches nicht von den an die Unterlassung geknüpften Rechtsfolgen zu exculpieren vermöge. Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, das sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden behindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nach Abs. 2 der gleichen Gesetzesstelle binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernieses zu stellen. Im Falle der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen (§ 71 Abs. 3 AVG). Aus dem Zusammenhalt dieser gesetzlichen Vorschriften ergibt sich, dass es sich bei einem Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG um einen Vorgang in der Außenwelt handeln muss, der binnen einer bestimmten Zeit die Partei des Verwaltungsverfahrens hindert, eine Frist wahrzunehmen oder an einer Verhandlung teilzunehmen. Dieser Vorgang in der Außenwelt muss aber so beschaffen sein, dass er diese Wirkung nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr ausübt. Denn andernfalls würde die Frist zur Einbringung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu laufen beginnen. Als ein Ereignis der Außenwelt, das die Rechtsfolgen des § 71 AVG auszulösen vermag, ist zweifellos auch eine Erkrankung (des Körpers oder des Geistes) anzusehen. Diese Erkrankung muss aber den Antragsteller in einen solchen Zustand versetzen, der es ihm unmöglich macht, sich während der Zeit mit seinen Angelegenheiten entsprechend zu befassen (vgl. den von den gleichen Grundgedanken getragenen hg. Beschluss vom , Zl. 1342/47). Von einem solchen Zustand kann aber im vorliegenden Falle nicht gesprochen werden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist dahin zusammenzufassen, dass sie durch ihre auf einer Geisteskrankheit beruhenden Gedächtnisstörung außer Stande war, ihrem Vertreter den richtigen Tag der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides anzugeben. Es liegt daher ein Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vor, der einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht zu stützen vermag (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom , Slg.N.F.Nr. 253/F). Die Gedächtnisstörung und der dadurch bedingte Irrtum über den Zustellungszeitpunkt ist aber weder ein unvorhergesehenes noch ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG. Unvorhergesehen deswegen nicht, weil die Beschwerdeführerin wusste, dass sie an Gedächtnisstörungen leidet, unabwendbar deswegen nicht, weil der Zustellungstag durch Akteneinsicht feststellbar war. Im übrigen ist auch die einwöchige Antragsfrist des § 71 Abs. 2 AVG versäumt. Denn im Zeitpunkte der Einbringung der Berufung (am ) war die Beschwerdeführerin keinesfalls mehr gehindert, die Berufung einzubringen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde jedoch erst am der Post zur Beförderung übergeben. Ist aber das Beschwerdevorbringen so zu verstehen, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkte der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides infolge ihres Geisteszustandes außer Stande war, den Rechtsvorgang der Zustellung gehörig wahrzunehmen, so würde der erstinstanzliche Bescheid erst in dem Zeitpunkte als zugestellt anzusehen sein, in dem die Beschwerdeführerin die Zustellung wahrgenommen hat. Denn eine Zustellung an eine Person, die infolge ihrer Geistes- oder Gemütsverfassung außer Stande ist, den Zustellungsvorgang wahrzunehmen, ist eine mangelhafte Zustellung. Der darin gelegene Mangel hat aber zufolge § 31 AVG die Wirkung, dass der Bescheid erst in dem Zeitpunkte als zugestellt gilt, in dem er der Partei tatsächlich zugekommen ist, d. h. in dem die Partei von der Zustellung des Bescheides Kenntnis genommen hat. Dadurch würde sich unter Umständen die Berufungsfrist entsprechend verlängern. Nun hat aber die Beschwerdeführerin das Vorliegen eines solchen Zustandes im Zeitpunkte der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides nicht behauptet.
Da sich die Beschwerde sohin als unbegründet erwies, musste sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 abgewiesen werden.
Wien, am