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VwGH vom 23.02.1982, 81/05/0038

VwGH vom 23.02.1982, 81/05/0038

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Draxler, DDr. Hauer, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde des AR in K, vertreten durch Dr. Tassilo Mayer, Rechtsanwalt in Wien I, Kohlmarkt 9, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. II/2-V-80193, betreffend Anrainereinwendungen gegen eine Bauführung; Zurückweisung einer Vorstellung (mitbeteiligte Parteien: 1) JM in R 54a und 2) Stadtgemeinde W, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.485,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der Stadtgemeinde W hatte mit Bescheid vom dem Erstmitbeteiligten dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ungeachtet der vom Beschwerdeführer gegen die Bauführung erhobenen Anrainereinwendungen, die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Bienenhütte auf dem Grundstück Nr. 15/3, inliegend in der Grundbuchseinlage EZ. 53 der Katastralgemeinde R, erteilt. Der vom Beschwerdeführer dagegen im innergemeindlichen Instanzenzug eingebrachten Berufung wurde mit dem in Ausfertigung des Sitzungsbeschlusses des Gemeinderates der Stadtgemeinde W vom ergangenen Bescheid vom keine Folge gegeben.

Gegen diesen Rechtsmittelbescheid erhob der Beschwerdeführer daraufhin im Sinne des Art. 119a Abs. 5 B-VG in Verbindung mit § 61 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 Vorstellung, doch wurde diese von der Niederösterreichischen Landesregierung mit Bescheid vom als verspätet zurückgewiesen. Die Gemeindeaufsichtsbehörde begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer dem Akteninhalt zufolge den von ihm mittels Vorstellung bekämpften Berufungsbescheid des Gemeinderates laut Rückschein am übernommen habe, die Vorstellung jedoch erst am , somit also erst nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist, überreicht worden sei.

In seiner gegen diesen Bescheid gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer in der Hauptsache Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und subsidiär (auf die Frage der Rechtmäßigkeit der dem Erstmitbeteiligten von den Baubehörden beider Instanzen erteilten Baubewilligung bezogen) auch Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes geltend. In Ausführung seiner Verfahrensrüge bringt der Beschwerdeführer vor, dass bei der Zustellung des Berufungsbescheides vom ein wesentlicher Zustellmangel unterlaufen sei, dessen Wahrnehmung durch die belangte Behörde ergeben hätte, dass die Vorstellung noch innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 61 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973, also noch rechtzeitig, eingebracht wurde. So sei es zunächst unrichtig, dass das den Berufungsbescheid enthaltende, im Postwege beförderte Schriftstück vom Beschwerdeführer selbst übernommen worden sei. Die mit datierte Übernahmsbestätigung auf dem Rückschein weise vielmehr die Unterschrift seiner Großmutter BS auf. Dazu sei es dadurch gekommen, dass der Postzusteller den Beschwerdeführer am nicht in seiner Wohnung in K 167 angetroffen und den Rückscheinbrief daraufhin in einer dem § 23 AVG 1950 widersprechenden Weise (unter Außerachtlassung der Verpflichtung zur Hinterlassung einer Hinterlegungsanzeige) der ca. 300 m vom Haus des Beschwerdeführers entfernt in K Nr. 76 wohnenden, 81 Jahre alten und schwer gehbehinderten Großmutter des Beschwerdeführers gegen Unterfertigung der Übernahmsbestätigung auf dem Rückschein ausgefolgt habe. Da BS über keinen Telefonanschluss verfüge, habe sie das von ihr übernommene behördliche Schriftstück, dessen Adressat der Beschwerdeführer war, diesem erst am folgenden Tag () anlässlich eines eher zufälligen Besuches aushändigen können. Der Berufungsbescheid vom sei dem Beschwerdeführer sohin erst am gemäß § 31 AVG 1950 mit der Wirkung tatsächlich zugekommen, so daß die Zustellung mit diesem Tag als vollzogen gelte. Hieraus aber folge, dass die Vorstellung am noch innerhalb der Frist des § 61 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 eingebracht worden sei und der von der belangten Behörde ins Treffen geführte Zurückweisungsgrund nicht vorliege.

In dem über diese Beschwerde eingeleiteten Vorverfahren legte die belangte Behörde die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung beantragte. In der Begründung dieses Antrages wird ausgeführt, dass wiederholt im vorangegangenen Bauverfahren behördliche Schriftstücke vom Beschwerdeführer unbeanstandet an BS zugestellt worden seien und daher auch im aufsichtsbebehördlichen Verfahren kein Anhaltspunkt für die Annahme bestanden habe, es sei bei der Zustellung des Bescheides vom ein Mangel unterlaufen. Im übrigen bedeute das Beschwerdevorbringen insoweit eine Neuerung. Die Richtigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers habe daher im Vorstellungsverfahren weder überprüft noch beurteilt werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 22 Abs. 1 AVG 1950 hat die Zustellung schriftlicher Ausfertigungen in der Wohnung, in der gewerblichen Betriebsstätte, im Geschäftsraum oder am Arbeitsplatz der Person, der zugestellt werden soll (Empfänger), und bei Anwälten und Notaren in deren Kanzlei zu erfolgen; eine außerhalb dieser Räume vorgenommene Zustellung ist nur gültig, wenn die Annahme des Schriftstückes nicht verweigert wurde. Wird der Empfänger in der Wohnung ........ nicht angetroffen, so kann gemäß § 23 Abs. 1 AVG 1950 an jeden daselbstbefindlichen, dem Zusteller bekannten erwachsenen Angestellten oder zur Familie gehörigen Hausgenossen des Empfängers zugestellt werden. Werden auch solche Personen nicht angetroffen, so kann - der Regelung des § 23 Abs. 2 leg. cit. zufolge - das zuzustellende Schriftstück dem in demselben Hause wohnenden Vermieter oder einer von diesem bestellten, ebenda wohnenden Aufsichtsperson eingehändigt werden, wenn diese Personen zur Annahme bereit sind. Ist die Zustellung auf dem in den Abs. 1 bis 3 vorgesehenen Wege nicht möglich, so ist gemäß § 23 Abs. 4 AVG 1950 das zuzustellende Schriftstück, wenn die Zustellung durch die Post zu vollziehen war, bei dem zuständigen Postamt zu hinterlegen. Diese Hinterlegung ist durch eine schriftliche Anzeige und nach Tunlichkeit auch durch mündliche Mitteilung an die Nachbarn bekannt zu machen. Die Anzeige ist in den für die Wohnung bestimmten Briefkasten einzuwerfen, oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstür zu befestigen.

Im Beschwerdefall wurde der den Berufungsbescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde W vom enthaltende Rückscheinbrief - wie sich aus den Verwaltungsakten - eindeutig ergibt - am 20. Oktober 1980 entgegen der diesbezüglichen Sachverhaltsannahme der belangten Behörde nicht vom Beschwerdeführer, sondern von dessen Großmutter BS übernommen. Des weiteren steht gleichfalls anhand der Akten des Verwaltungsverfahrens fest, dass sich der Beschwerdeführer selbst in seiner an die belangte Behörde gerichteten, am persönlich überreichten Vorstellung ausdrücklich darauf berufen hat, dass ihm der Bescheid des Gemeinderates am zugestellt worden sei.

Bei einer derartigen Sachlage hätte die Behörde auf dem Boden der oben dargestellten rechtlichen Situation ungeachtet der Tatsache, dass im Bauverfahren möglicherweise schon früher unterlaufene Zustellmängel gleicher Art vom Beschwerdeführer unbeanstandet geblieben sind, jedenfalls Ermittlungen zur Klarlegung anstellen müssen, ob die Berufungsentscheidung des Gemeinderates als gesetzmäßig zugestellt angesehen werden konnte. Keinesfalls aber hätte die Behörde bei der ihr vorgelegenen Sachlage ohne Durchführung weiterer Erhebungen und ohne Anhörung der Partei von der Annahme der verspäteten Einbringung der Vorstellung ausgehen und demgemäß mit einer Zurückweisung vorgehen dürfen. Dies umsoweniger, als die Feststellung der Richtigkeit der Beschwerdebehauptungen zu dem Schluss hätten führen müssen, dass eine am überreichte Vorstellung als noch rechtzeitig im Sinne des § 61 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung eingebracht zu gelten hätte.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ähnlich gelagerten Fällen schon wiederholt ausgesprochen hat (vgl. hiezu u.a. die Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 5380/A, vom , Zl. 669/73, und vom , Z 1. 133/75), hat die Rechtsmittelbehörde das Risiko einer Bescheidaufhebung dann zu tragen, wenn sie von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung dem Rechtsmittelwerber aber vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hat. Da dies sinngemäß auch für die mittels Vorstellung angerufene Gemeindeaufsichtsbehörde zu gelten hat und dem Beschwerdevorbringen betreffend die Nichtwahrnehmung des behaupteten Zustellmangels durch die belangte Behörde auch nicht das Neuerungsverbot entgegensteht (siehe hiezu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 2367/A), war im Beschwerdefall - auch hier hat die Behörde ohne weiteres die Tatsache der Fristversäumnis unterstellt - infolge Wesentlichkeit des unterlaufenen Verfahrensfehlers der angefochtene Bescheid allein aus den aufgezeigten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 aufzuheben.

Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I und III Abs. 2 der Verordnung vom , BGBl. Nr. 221, über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Wien, am