VfGH vom 24.02.2020, WII1/2020

VfGH vom 24.02.2020, WII1/2020

Leitsatz

Stattgabe des Antrags eines Gemeinderates auf Verlustigerklärung eines Gemeinderatsmandates auf Grund Fernbleibens des Mitglieds von Sitzungen des Gemeinderates ohne triftigen Grund

Spruch

Dem Antrag des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein wird stattgegeben. ************* wird seines Mandates als Mitglied des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein für verlustig erklärt.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.************* wurde am als Mitglied des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein angelobt und in weiterer Folge zum Obmann des Kontrollausschusses gewählt. Im Jahr 2019 blieb er jeweils ohne Angabe eines Verhinderungsgrundes sechs von insgesamt sieben Sitzungen des Gemeinderates fern, nämlich der 1. Sitzung vom 21. Februar, der 2. Sitzung vom 27. März, der 4. Sitzung vom 11. Juli, der 5. Sitzung vom 26. September, der 6. Sitzung vom 7. November sowie der 7. Sitzung vom 19. Dezember. In diesem Zeitraum nahm er auch an keinen Sitzungen der Ausschüsse, deren Mitglied er ist, teil.

2.Mit Schreiben des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Radenthein vom wurde ************* unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 31 Abs 1 litc K-AGO aufgefordert, an der nächsten Gemeinderatssitzung (vom ) teilzunehmen.

3.Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Radenthein, vertreten durch den Bürgermeister, hat unter Bezugnahme auf § 31 Abs 1 litc K-AGO am den am beschlossenen (vgl die Niederschrift der 7. Sitzung des Gemeinderates am ) Antrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt, mit dem begehrt wird, "************* seines Gemeinderatsmandates für verlustig zu erklären." Begründend wird dazu Folgendes ausgeführt:

"Herr ************* wurde im Rahmen der Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl im März 2015 als Kandidat der Liste ************* in den Gemeinderat der Stadtgemeinde Radenthein gewählt und als solcher in der konstituierenden Sitzung am auch angelobt.

In weiterer Folge wurde er auf Basis des § 26 Abs 4 K-AGO zum Kontrollausschussobmann gewählt.

Herr ************* hat im Jahr 2019 nur an einer Gemeinderatssitzung von insgesamt sieben Sitzungen teilgenommen. Im Zusammenhang mit dem Fernbleiben von den restlichen sechs Sitzungen erfolgte eine Bekanntgabe der Verhinderung nicht bzw nur über Umwege durch den stellvertretenden Fraktionsobmann auf dessen Annahme hin und ohne Bekanntgabe eines Grundes.

Die diversen Versuche einer persönlichen und telefonischen Kontaktaufnahme durch die Verwaltungsmitarbeiter bzw die Parteikollegen blieben überwiegend erfolglos. Vereinzelt gab es mündliche Zusagen, in Zukunft den Verpflichtungen wieder nachzukommen, die jedoch weder im Zusammenhang mit dem Mandat als Gemeinderat noch in der Funktion als Kontrollausschussobmann, eingehalten wurden.

Zudem hat Herr ************* im Sommer 2019 die Leitung eines [Lebensmittel]-Marktes in Kirchberg in der Steiermark übernommen, so dass auch anzunehmen ist, dass er seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in Kärnten hat.

Auch auf die, mittels eingeschriebenen Brief, zugestellte Aufforderung nach § 27 Abs 3 K-AGO vom , zur nächsten Gemeinderatssitzung zu erscheinen und seinen Verpflichtungen als Kontrollausschussobmann nachzukommen, gab es keine Reaktion. In diesem Schreiben wurde auf die Konsequenz nach § 31 Abs 1 litc K-AGO hingewiesen.

Zur Gemeinderatssitzung am Donnerstag, dem ist Herr ************* wieder nicht erschienen, so dass der Gemeinderat gemäß § 31 Abs 2 K-AGO verpflichtet war, einen entsprechenden Beschluss zur Stellung des Antrages auf Erklärung des Mandatsverlustes an den Verfassungsgerichtshof zu stellen."

4.Mit einem an ihn gerichteten, am rechtswirksam zugestellten Schreiben des Verfassungsgerichtshofes vom wurde ************* der vorliegende Antrag des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein mit dem Bemerken übermittelt, dass es ihm frei stehe, binnen drei Wochen eine schriftliche Gegenäußerung zu erstatten. Davon machte er jedoch keinen Gebrauch.

5.Der Verfassungsgerichtshof hat am die nach § 19 Abs 4 VfGG vorgesehene öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der den Parteien Gelegenheit gegeben worden ist, ihre Standpunkte zu Sachverhaltsaspekten und Rechtsfragen darzulegen. ************* hat an der Verhandlung trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung weder persönlich teilgenommen noch hat er sich vertreten lassen.

II.Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen der Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung – K-AGO, LGBl 66/1998 idF LGBl 71/2018, lauten auszugsweise wie folgt:

"7. Abschnitt

Stellung der Mitglieder des Gemeinderates

§27

Pflichten

(1) […]

(2) Die Mitglieder des Gemeinderates sind im besonderen verpflichtet, zu den Sitzungen des Gemeinderates und der Ausschüsse, deren Mitglieder sie sind, rechtzeitig zu erscheinen und daran bis zum Schluß teilzunehmen. Ist ein Mitglied verhindert, dieser Verpflichtung hinsichtlich der Sitzungen des Gemeinderates nachzukommen, so hat es dies - ausgenommen bei unvorhersehbaren Ereignissen - dem Gemeindeamt unter Angabe des Grundes so rechtzeitig bekanntzugeben, daß die Einberufung eines Ersatzmitgliedes noch möglich ist.

(3) Der Bürgermeister hat ein Mitglied des Gemeinderates, das seine besonderen Pflichten (Abs2) verletzt, schriftlich unter Hinweis auf die Rechtsfolgen (§31 Abs 1 litc) zum Erscheinen bei der nächsten Sitzung aufzufordern.

[…]

[…]

§31

Mandatsverlust

(1) Ein Mitglied des Gemeinderates ist seines Mandates für verlustig zu erklären, wenn es

a) das vorgeschriebene Gelöbnis (§21 Abs 3, 5 und 6) verweigert;

b) nach erfolgter Wahl nach der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 die Wählbarkeit verliert oder wenn nachträglich ein Grund bekannt wird, der seine Wählbarkeit gehindert hätte;

c) durch zwei Monate den Eintritt in den Gemeinderat schuldhaft verzögert hat oder es während eines ununterbrochenen Zeitraumes von zwei Monaten den Sitzungen des Gemeinderates oder der Ausschüsse, deren Mitglied es ist, ohne triftigen Grund ferngeblieben ist.

(2) Der Gemeinderat hat den Antrag auf Mandatsverlust an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, wenn er einen der Fälle des Abs 1 für gegeben erachtet.

[…]

[…]

8. Abschnitt

Aufgaben und Geschäftsführung des Gemeinderates

[…]

§35

Sitzungen des Gemeinderates

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind vom Bürgermeister nach Bedarf, mindestens aber viermal im Jahr, einzuberufen. Der Bürgermeister ist verpflichtet, eine Sitzung innerhalb einer Woche einzuberufen, wenn ein Mitglied des Gemeindevorstandes oder wenigstens ein Viertel der Mitglieder des Gemeinderates dies unter Vorschlag der Tagesordnung verlangen. Die Sitzung ist innerhalb von drei Wochen anzuberaumen. Der Bürgermeister hat die vorgeschlagenen Tagesordnungspunkte jedenfalls in die Tagesordnung aufzunehmen; er kann diesen Punkten jedoch weitere Punkte anfügen.

(2) Die Einberufung zu den Sitzungen ist den Mitgliedern des Gemeinderates unter Bekanntgabe der Tagesordnung mindestens eine Woche, in dringenden Fällen mindestens 24 Stunden vor der Sitzung gegen Nachweis zuzustellen. Ersatzzustellung im Sinne des § 16 des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, zuletzt in der Fassung BGBl I Nr 40/2017, ist zulässig. Die Einberufung kann auch in jeder anderen technisch möglichen Weise, insbesondere elektronisch, übermittelt werden, wenn das Mitglied des Gemeinderates dieser Übertragungsart schriftlich zugestimmt hat. […]

[…]

[…]

15. Abschnitt

Aufgaben und Geschäftsführung der Ausschüsse

[…]

§77

Geschäftsführung

(1) Die Sitzungen des Ausschusses sind vom Obmann nach Bedarf einzuberufen. Der Obmann ist verpflichtet, eine Sitzung einzuberufen, wenn dies von einem Mitglied des Ausschusses oder vom Bürgermeister mit Vorschlag der Tagesordnung verlangt wird. § 35 Abs 1 vorletzter Satz und § 98 gelten sinngemäß. Zeit, Ort und Tagesordnung der Sitzung des Ausschusses sind gleichzeitig mit der Einberufung allen Mitgliedern des Gemeinderates bekannt zu geben.

[…]"

III.Erwägungen

1.Zur Zulässigkeit des Antrags:

1.1.Gemäß Art 141 Abs 1 erster Satz litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof – soweit einfachgesetzlich nicht eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht vorgesehen ist (vgl Art 141 Abs 1 erster Satz litj B-VG) – auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. Ein solcher Antrag kann auf einen gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper gegründet werden (Art141 Abs 1 zweiter Satz B-VG). Von dieser Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes erfasst ist unter anderem die Entscheidung über den Verlust des Mandates als Mitglied eines Gemeinderates (vgl zB VfSlg 15.950/2000, 18.497/2008, 19.983/2015; und WII2/2016; , WII1/2017), der in Art 117 Abs 1 lita B-VG als "allgemeiner Vertretungskörper" definiert wird. Eine bestimmte Frist für die Einbringung eines Antrages auf Verlustigerklärung eines Mandates gemäß Art 141 Abs 1 litc B-VG ist nicht vorgesehen (vgl auch § 71 Abs 1 VfGG).

1.2.Gemäß § 31 Abs 2 K-AGO hat der Gemeinderat den Antrag auf Mandatsverlust an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, wenn er einen der Gründe des Abs 1 leg. cit. für den Verlust des Mandates als Mitglied oder Ersatzmitglied des Gemeindesrates einer Kärntner Gemeinde für gegeben erachtet. Zur Fassung eines Beschlusses über die Stellung eines solchen Antrages gemäß Art 141 Abs 1 litc B-VG ist nach § 37 Abs 1 K-AGO die Anwesenheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Gemeinderates inklusive des Bürgermeisters oder seines Stellvertreters und gemäß § 39 Abs 1 K-AGO die Mehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich. Wird ein solcher Beschluss gefasst, hat der Bürgermeister namens des Gemeinderates den entsprechenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof einzubringen (vgl auch § 71 Abs 1 letzter Satz VfGG). Eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht über den Mandatsverlust ist nach der K-AGO dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht vorgelagert.

1.3.Der vorliegende, vom Bürgermeister der Stadtgemeinde Radenthein namens des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein eingebrachte Antrag ist von einem entsprechenden Beschluss des Gemeinderates gedeckt. In der – ordnungsgemäß einberufenen – Sitzung des Gemeinderates vom hat der Bürgermeister den Gemeinderat über das Vorliegen eines gesetzlich vorgesehenen Grundes für den Verlust des Mandates des ************* als Mitglied des Gemeinderates informiert. Der Gemeinderat hat in der Folge bei Anwesenheit von mehr als zwei Dritteln der 26 Mitglieder des Gemeinderates inklusive Bürgermeister mehrheitlich (mit 24 Stimmen) dem Antrag des Bürgermeisters, beim Verfassungsgerichtshof die Verlustigerklärung des Mandates des ************* zu beantragen, zugestimmt.

1.4.Der Antrag des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein ist sohin zulässig.

2.In der Sache

2.1.Auf Grund des Vorbringens der Parteien und der vorgelegten Unterlagen sowie der Ergebnisse der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom geht der Verfassungsgerichtshof vom unter Punkt I. dargelegten Sachverhalt aus. Das Fernbleiben des ************* von der mündlichen Verhandlung steht der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegen (§23 VfGG).

2.2.Dem Antrag des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein ist aus den nachstehenden Erwägungen stattzugeben:

Nach § 31 Abs 2 K-AGO hat der Gemeinderat den Antrag auf Mandatsverlust an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, wenn er einen der Fälle des Abs 1 leg. cit. für gegeben erachtet. Gemäß § 31 Abs 1 litc zweiter Fall K-AGO ist ein Mitglied des Gemeinderates seines Mandates für verlustig zu erklären, wenn es während eines ununterbrochenen Zeitraumes von zwei Monaten den Sitzungen des Gemeinderates oder der Ausschüsse, deren Mitglied es ist, ohne triftigen Grund ferngeblieben ist. Nach § 27 Abs 2 K-AGO hat ein Gemeinderatsmitglied seine Verhinderung und deren Grund dem Gemeindeamt rechtzeitig bekanntzugeben.

************* ist unter anderem der Sitzung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein vom sowie den drei darauffolgenden Sitzungen bis inklusive jener vom jeweils ohne Bekanntgabe eines Verhinderungsgrundes ferngeblieben – in diesem Zeitraum hat er auch an keinen Sitzungen der Ausschüsse, deren Mitglied er ist, teilgenommen. Er ist damit jedenfalls iSd § 31 Abs 1 litc K-AGO "während eines ununterbrochenen Zeitraumes von zwei Monaten den Sitzungen des Gemeinderates […] ohne triftigen Grund ferngeblieben".

Somit ist davon auszugehen, dass ************* durch seine unbegründete Abwesenheit von Sitzungen des Gemeinderates den in § 31 Abs 1 litc zweiter Fall K-AGO vorgesehenen Grund für den Verlust seines Mandates als Mitglied des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein gesetzt hat, weshalb spruchgemäß zu entscheiden ist.

IV.Ergebnis

Dem Antrag ist daher stattzugeben.

************* ist seines Mandates als Mitglied des Gemeinderates der Stadtgemeinde Radenthein für verlustig zu erklären.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:WII1.2020
Schlagworte:
Gemeinderecht, Gemeinderat, VfGH / Mandatsverlust

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