VfGH vom 11.10.2017, WII1/2017
Leitsatz
Stattgabe des Antrags eines Gemeinderates auf Verlustigerklärung des Mandats als Ersatzmitglied eines Gemeinderates wegen Verweigerung des Gelöbnisses in der vorgeschriebenen Form
Spruch
Dem Antrag des Gemeinderates der Gemeinde Stall wird stattgegeben. ****** ******** wird seines Mandates als Ersatzmitglied des Gemeinderates der Gemeinde Stall für verlustig erklärt.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1.Mit Eingabe an den Verfassungsgerichtshof vom stellt der Gemeinderat der Gemeinde Stall den Antrag, das Ersatzmitglied zum Gemeinderat ****** ******** seines Mandates für verlustig zu erklären. Begründend wird dazu – unter Anschluss von Beilagen – Folgendes ausgeführt:
"Im März 2015 fanden in Kärnten allgemeine Gemeinderatswahlen statt. Dabei erhielt u.a. ****** ******** ein Mandat als Ersatzgemeinderat im Gemeinderat der Gemeinde Stall. In der ersten konstituierenden Sitzung des Gemeinderates am , zu der alle gewählten Bewerber ordnungsgemäß geladen und großteils erschienen waren, führte der nach der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 neu gewählte Bürgermeister Peter Ebner gemäß § 21 Abs 2 K-AGO den Vorsitz und gelobte zunächst gemäß § 21 Abs 3 K-AGO die neu gewählten Mitglieder des Gemeinderates an. Als gewählt erklärter Bürgermeister der Gemeinde Stall legte sodann Peter Ebner vor dem Gemeinderat gemäß § 25 Abs 1 K-AGO in die Hand des Bezirkshauptmannes das im § 21 Abs 3 K-AGO vorgeschriebene Gelöbnis ab.
Der neu gewählte und angelobte Bürgermeister ließ sodann den Amtsleiter den Bewerbern zum Ersatzgemeinderat die im § 21 Abs 3 K-AGO vorgesehene Gelöbnisformel vorlesen und forderte die Bewerber auf, einzeln hervor zu treten und zu geloben.
Nach Vorlesen der Gelöbnisformel durch den Amtsleiter trat jeder einzelne der Bewerber zum Ersatzgemeinderat hervor und sprach vor dem Gemeinderat die Worte 'ich gelobe'.
Die zeitlich vor dem Bewerber ****** ******** angelobten Ersatzmitglieder reichten dem Bürgermeister die Hand, nachdem sie die Worte 'ich gelobe' gesprochen hatten. Als der gewählte Bewerber ****** ******** an der Reihe war, weigerte er sich jedoch, vorbehaltslos zu sagen 'ich gelobe'. Als der Bewerber ****** ******** an die Reihe kam, hatte er es darauf angelegt, nicht das Gelöbnis abzulegen, sondern dem Bürgermeister Missachtung zum Ausdruck zu bringen. Er trat vor, sprach jedoch nicht die Gelöbnisformel, sondern wandte sich demonstrativ vom Bürgermeister ab und begann, statt zu geloben, mit dem Bürgermeister wie folgt zu diskutieren:
Bgm. Ebner:
Wenn du nicht willst tut es mir leid, dann gibt es keine A[n]gelobung für dich, wenn du mir die Hand nicht gibst.
****** ********:
Macht auch nichts.
Bgm. Ebner:
Dann gibt es nichts.
****** ********:
Tun wir halt das nächste Mal.
Bgm. Ebner:
Ja, tut mir leid, wenn du mir die Hand nicht gibst und nicht gelobst. Hr. Bezirkshauptmann? (Anm.: Der Bürgermeister stellt dies als Frage an den Bezirkshauptmann).
****** ********:
Ich gelobe kann ich wohl sagen.
BH ********:
Ist so! (Anm.: Antwortet auf die Frage des Bürgermeisters).
Mit der über Vorhalt des Bürgermeisters, er wolle nicht geloben, gegebenen Antwort 'ich gelobe kann ich wohl sagen', hat der Bewerber neuerlich nur gegenüber dem Bürgermeister Missachtung ausgedrückt und nicht vor dem Gemeinderat die Worte 'ich gelobe' ohne Beschränkungen oder Vorbehalte[…] gesprochen (§21 Abs 6 K-AGO), denn er steckte sich, seitdem er zur Gelobung vorgetreten war, demonstrativ die Hand in die Hosentasche und stand derart provokativ stillschweigend vor dem Gemeinderat, ohne die vorgeschriebene Formel 'ich gelobe' zu sagen.
Obiger Sachverhalt wurde bestätigt im Verfahren der Staatsanwaltschaft Klagenfurt […]. Im Verfahren hatte ****** ******** behauptet, nicht er habe sich geweigert zu geloben, sondern der Bürgermeister habe sich amtsmissbräuchlich geweigert, ihn anzugeloben, das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
In den Gemeinderatssitzungen vom und wurde dieser Vorfall und die weitere Vorgangsweise besprochen und beschloss der Gemeinderat bei seiner Sitzung vom mehrstimmig, die Antragstellung gemäß Artikel 141 Abs 1 litc [B-VG] beim Verfassungsgerichtshof." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
2.Das betroffene Ersatzmitglied des Gemeinderates, ****** ********, hat als Gegenpartei zum Antrag des Gemeinderates der Gemeinde Stall eine Äußerung erstattet, in der die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung des Antrages begehrt wird. Dazu wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"Um als gewählter Volksvertreter ein Mandat im Gemeinderat zu erhalten, ist es im Sinne der K-AGO notwendig, dass die jeweils gewählte Person vom Bürgermeister nach der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 angelobt wird.
Diesbezüglich haben die Bewerber zum Ersatzgemeinderat die im § 21 Abs 3 K-AGO vorgesehene Gelöbnisformel vorzulesen und in die Hand des Bürgermeisters die Worte 'Ich gelobe' zu sprechen.
[…] Im Zuge der konstituierenden Gemeinderatssitzung am war der Antragsgegner anwesend. Er litt zu diesem Zeitpunkt allerdings an einer Gelenksentzündung, weshalb es für ihn schwer war, die rechte Hand rasch zu bewegen.
Noch bevor der Antragsgegner die Hand dem Bürgermeister reichen konnte, wandte sich der Bürgermeister vom Antragsgegner ab und vermein[te] 'Wenn du mir die Hand nicht reichst, kann ich dich nicht angeloben'.
Hiedurch hat nicht der Antragsgegner die Angelobung verweigert, sondern wurde dem Antragsgegner vom Bürgermeister die Angelobung verweigert. Dies bestätigte sich auch durch das Verhalten des Bürgermeisters am , als dieser dem Antragsgegner vor mehreren Personen mitteilte 'Solange ich Bürgermeister bin, werde ich dich niemals angeloben'.
[…]
[…] Zudem hat der Antragsgegner selbst nach dem Vorbringen der Antragstellerin ein Gelöbnis abgelegt. Dementsprechend wurde vom Antragsgegner dargelegt 'Ich gelobe kann ich wohl sagen'.
In dieser Äußerung ist keinerlei Vorbehalt oder Beschränkung angegeben.
Dementsprechend wurden vom Antragsgegner auch die Worte 'Ich gelobe' ohne Beschränkung oder Vorbehalt im Sinne des § 21 Abs 6 K-AGO ausgesprochen.
Schon alleine aus diesem Grund wurde das Gelöbnis ordnungsgemäß ausgesprochen, weshalb eine Angelobung stattzufinden gehabt hätte.
Bei ordnungsgemäßer Angelobung liegen allerdings die Voraussetzungen nach Artikel 141 B-VG nicht vor, weshalb der Antrag der Antragstellerin abzuweisen ist.
[…]
[…] Doch selbst für den Fall, dass keine korrekte Angelobung stattgefunden hätte – was ausdrücklich bestritten wird – wäre der gegenständliche Antrag unzulässig und abzuweisen.
Gemäß K-AGO erhält der potentiell gewählte Volksvertreter sein [Mandat] erst dann, wenn eine entsprechende Angelobung stattgefunden hat.
Nunmehr wird von der Antragstellerin behauptet, dass keine Angelobung erfolgte. Aufgrund mangelnder Angelobung wäre sohin auch kein [Mandat] vom Antragsgegner gegeben gewesen.
In einem derartigen Fall ist allerdings ein Mandatsenthebungsverfahren mangels vorhandenen Mandats nicht zulässig.
[…]
[…] Weiters wäre die Verweigerung der Angelobung als Verzicht auf ein Mandat zu werten gewesen. Bei Verweigerung oder Verzicht ist eine nachträgliche Angelobung in der K-AGO nicht vorgesehen. Dies wird auch vom Amt der Kärntner Landesregierung entsprechend bestätigt.
Ist ein Verzicht der Ausübung eines Mandats gegeben, kann ebenfalls kein Mandatsenthebungsverfahren eingeleitet werden.
Es wäre dann am Bürgermeister gelegen gewesen, die nächstgewählte Person als Ersatzgemeinderat anzugeloben, was allerdings nicht erfolgte." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3.Die Angelobung der Mitglieder und Ersatzmitglieder in der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Stall war Gegenstand eines Verfahrens der Staatsanwaltschaft Klagenfurt wegen des von ****** ******** geäußerten Verdachtes der Verwirklichung von strafbaren Handlungen (Amtsmissbrauch, Urkundenfälschung). Über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes vom legte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Ermittlungsakten zu diesem Verfahren vor. Auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes, die Bezug habenden Akten oder Aktenteile in dieser Angelegenheit vorzulegen, teilte das Amt der Kärntner Landesregierung mit, dass im Zuge der Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt bereits sämtliche Aktenteile als Beilagen vorgelegt worden seien und darüber hinaus keine weiteren Akten vorlägen.
4.Der Verfassungsgerichtshof hat am eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der sowohl dem Vertreter des Antragstellers als auch dem Vertreter des Antragsgegners Gelegenheit gegeben worden ist, ihre Standpunkte zu Sachverhaltsaspekten und Rechtsfragen darzulegen.
II.Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen der Kärntner Allgemeinen Gemeindeordnung – K-AGO, LGBl 66/1998 idF LGBl 3/2015, lauten wie folgt:
"§21
Zusammentritt des neugewählten Gemeinderates
(1) Der neugewählte Gemeinderat ist binnen vier Wochen nach der Wahl vom bisherigen Bürgermeister einzuberufen. Die Einberufung hat so zu erfolgen, daß der neugewählte Gemeinderat innerhalb von sechs Wochen nach der Wahl zu seiner ersten Sitzung zusammentreten kann. Von der Einberufung ist bis zu einer Woche nach Zustellung der Entscheidung der Landeswahlbehörde abzusehen, wenn ein Einspruch gegen die Wahl bei der Gemeindewahlbehörde eingebracht worden ist. Von der Einberufung ist auch abzusehen, wenn die Wahl des Gemeinderates für nichtig erklärt wird.
(1a) Die Tagesordnung der ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderates hat jedenfalls in nachstehender Reihenfolge die Angelobung der Mitglieder des Gemeinderates (§21 Abs 3), die Angelobung des neugewählten Bürgermeisters (§25), die Angelobung von Ersatzmitgliedern des Gemeinderates (§21 Abs 4), die Wahl der Vizebürgermeister und der sonstigen Mitglieder des Gemeindevorstandes sowie deren Ersatzmitglieder (§24), die Angelobung der Vizebürgermeister und der sonstigen Mitglieder des Gemeindevorstandes sowie deren Ersatzmitglieder (§25) und die Bildung und Wahl der Ausschüsse (§26) zu enthalten. Eine Umstellung der Reihenfolge dieser Tagesordnungspunkte ist unzulässig.
(2) Im neugewählten Gemeinderat hat der nach der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 neugewählte Bürgermeister (§23 Abs 1) – auch vor seiner Angelobung – den Vorsitz zu führen. Ist der neugewählte Bürgermeister verhindert, so hat bis zur Angelobung des neugewählten Bürgermeisters das an Jahren älteste Mitglied des Gemeinderates – auch vor seiner Angelobung – den Vorsitz zu führen.
(3) Die Mitglieder des neugewählten Gemeinderates haben vor dem Gemeinderat durch die Worte 'Ich gelobe' folgendes Gelöbnis abzulegen: 'Ich gelobe, der Verfassung, der Republik Österreich und dem Land Kärnten Treue zu halten, die Gesetze zu beachten, für die Selbstverwaltung einzutreten, meine Amtspflicht unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, die mir obliegende Verschwiegenheit zu wahren und das Wohl der Gemeinde nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern.'
(4) Es sind mindestens so viele Ersatzmitglieder des Gemeinderates anzugeloben, als die einzelnen Gemeinderatsparteien Mitglieder im Gemeinderat haben.
(5) Später eintretende Mitglieder des Gemeinderates haben das Gelöbnis bei der ersten Sitzung des Gemeinderates, an der sie teilnehmen, zu leisten.
(6) Ein Gelöbnis unter Beschränkungen oder Vorbehalten gilt als verweigert. Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.
(6a) Ein Mitglied (Ersatzmitglied) des Gemeinderates darf vor der Ablegung des Gelöbnisses abgesehen von einer Vorsitzführung nach Abs 2 keine sonstigen Handlungen als Mitglied (Ersatzmitglied) des Gemeinderates setzen.
(7) Die auf Grund des Wahlvorschlages derselben Partei von der Gemeindewahlbehörde als gewählt erklärten Mitglieder des Gemeinderates bilden eine Gemeinderatspartei (Fraktion) im Sinne dieses Gesetzes. Eine Gemeinderatspartei kann auch aus einem Mitglied des Gemeinderates bestehen. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinderatspartei leitet sich von der Kandidatur auf demselben Wahlvorschlag ab und ist von späteren Willenserklärungen unabhängig.
[…]
§25
Angelobung des Bürgermeisters und der sonstigen Mitglieder des Gemeinde-vorstandes, Amtsperiode des Gemeindevorstandes
(1) Der Bürgermeister und die Vizebürgermeister haben nach ihrer Wahl bei den sich nach der Tagesordnung ergebenden Tagesordnungspunkten (§21 Abs 1a) in die Hand des Bezirkshauptmannes oder eines von ihm aus dem Kreis der rechtskundigen Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft bestimmten Vertreters vor dem Gemeinderat das in § 21 Abs 3 vorgeschriebene Gelöbnis abzulegen. Die weiteren Mitglieder des Gemeindevorstandes und die Ersatzmitglieder haben dieses Gelöbnis in die Hand des Bürgermeisters abzulegen. Mit der Angelobung beginnt das Amt.
(2) Die Amtsperiode des neugewählten Gemeindevorstandes beginnt, sobald zwei Drittel der gewählten Mitglieder angelobt sind.
(3) Die Amtsperiode des Gemeindevorstandes endet mit der Amtsperiode des Gemeinderates (§20).
[…]
7. Abschnitt
Stellung der Mitglieder des Gemeinderates
§27
Pflichten
(1) Die allgemeinen Pflichten der Mitglieder des Gemeinderates ergeben sich aus dem Gelöbnis.
(2) Die Mitglieder des Gemeinderates sind im besonderen verpflichtet, zu den Sitzungen des Gemeinderates und der Ausschüsse, deren Mitglieder sie sind, rechtzeitig zu erscheinen und daran bis zum Schluß teilzunehmen. Ist ein Mitglied verhindert, dieser Verpflichtung hinsichtlich der Sitzungen des Gemeinderates nachzukommen, so hat es dies – ausgenommen bei unvorhersehbaren Ereignissen – dem Gemeindeamt unter Angabe des Grundes so rechtzeitig bekanntzugeben, daß die Einberufung eines Ersatzmitgliedes noch möglich ist.
(3) Der Bürgermeister hat ein Mitglied des Gemeinderates, das seine besonderen Pflichten (Abs2) verletzt, schriftlich unter Hinweis auf die Rechtsfolgen (§31 Abs 1 litc) zum Erscheinen bei der nächsten Sitzung aufzufordern.
(4) Die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Gemeinderates erstreckt sich auf die ihnen ausschließlich in Ausübung ihres Mandates bekanntgewordenen Tatsachen, die im Interesse der Gemeinde oder einer anderen Gebietskörperschaft oder der Parteien die Geheimhaltung erfordern; sie erstreckt sich insbesondere auf Verhandlungsgegenstände, die in nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen oder in Ausschußsitzungen behandelt wurden. Die Verschwiegenheitspflicht besteht nach Enden des Mandates weiter.
(5) Der Bürgermeister darf von der Verschwiegenheitspflicht entbinden, wenn es das Interesse der Gemeinde erfordert. Die Entbindung des Bürgermeisters von der Verschwiegenheitspflicht obliegt dem Gemeindevorstand.
[…]
§30 Beginn und Enden des Mandates
(1) Das Mandat eines Mitgliedes des Gemeinderates beginnt mit dem Tag des Zusammentrittes des neugewählten Gemeinderates, bei später eintretenden Mitgliedern mit dem Tag der Teilnahme an ihrer ersten Sitzung.
(2) Das Mandat eines Mitgliedes des Gemeinderates endet durch Tod, durch einen an das Gemeindeamt gerichteten schriftlichen Verzicht, durch Nichtigerklärung der Wahl, durch Mandatsverlust oder mit dem Tag des Zusammentrittes des neugewählten Gemeinderates.
§31
Mandatsverlust
(1) Ein Mitglied des Gemeinderates ist seines Mandates für verlustig zu erklären, wenn es
a) das vorgeschriebene Gelöbnis (§21 Abs 3, 5 und 6) verweigert;
b) nach erfolgter Wahl nach der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 die Wählbarkeit verliert oder wenn nachträglich ein Grund bekannt wird, der seine Wählbarkeit gehindert hätte;
c) durch zwei Monate den Eintritt in den Gemeinderat schuldhaft verzögert hat oder es während eines ununterbrochenen Zeitraumes von zwei Monaten den Sitzungen des Gemeinderates oder der Ausschüsse, deren Mitglied es ist, ohne triftigen Grund ferngeblieben ist.
(2) Der Gemeinderat hat den Antrag auf Mandatsverlust an den Verfassungs-gerichtshof zu stellen, wenn er einen der Fälle des Abs 1 für gegeben erachtet.
(3) Abs 1 und 2 gelten in gleicher Weise für Ersatzmitglieder des Gemeinderates."
III.Erwägungen
1.Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1.Gemäß Art 141 Abs 1 erster Satz litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof – soweit einfachgesetzlich nicht eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht vorgesehen ist (vgl. Art 141 Abs 1 erster Satz litj B-VG) – "auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder". Ein solcher Antrag kann "auf einen gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper" gegründet werden (Art141 Abs 1 zweiter Satz B-VG). Von dieser Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes erfasst ist unter anderem die Entscheidung über den Verlust des Mandates als Mitglied eines Gemeinderates (vgl. zB VfSlg 15.950/2000, 18.497/2008, 19.983/2015; und WII2/2016), der in Art 117 Abs 1 lita B-VG als "allgemeiner Vertretungskörper" definiert wird. Eine bestimmte Frist für die Einbringung eines Antrages auf Verlustigerklärung eines Mandates gemäß Art 141 Abs 1 litc B-VG ist nicht vorgesehen (vgl. auch § 71 Abs 1 VfGG).
1.2.Gemäß § 31 Abs 2 K-AGO hat der Gemeinderat den Antrag auf Mandatsverlust an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, wenn er einen der Gründe des § 31 Abs 1 K-AGO für den Verlust des Mandates als Mitglied oder Ersatzmitglied des Gemeindesrates einer Kärntner Gemeinde für gegeben erachtet. Der Gemeinderat hat mit einfacher Mehrheit über eine Antragstellung gemäß Art 141 Abs 1 litc B-VG zu beschließen (§39 Abs 1 K-AGO). Wird ein solcher Beschluss gefasst, hat der Bürgermeister namens des Gemeinderates einen entsprechenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof einzubringen (vgl. auch § 71 Abs 1 letzter Satz VfGG). Eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht über den Mandatsverlust ist nach der K-AGO dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht vorgelagert.
1.3.Der vorliegende, vom Bürgermeister der Gemeinde Stall namens des Gemeinderates der Gemeinde Stall, vertreten durch ihren Rechtsvertreter, eingebrachte Antrag ist von einem entsprechenden Beschluss des Gemeinderates gedeckt. In der – ordnungsgemäß einberufenen – Gemeinderatssitzung am hat der Bürgermeister den Gemeinderat über das Vorliegen eines gesetzlich vorgesehenen Grundes für den Verlust des Mandates des ****** ******** als Ersatzmitglied des Gemeinderates informiert. Der Gemeinderat hat in der Folge bei Anwesenheit von mehr als zwei Drittel der 15 Gemeinderatsmitglieder mehrheitlich (10:5 Stimmen, zum Präsenzquorum vgl. § 37 Abs 1 K-AGO) dem Antrag des Bürgermeisters, beim Verfassungsgerichtshof die Verlustigerklärung des Mandates des ****** ******** zu beantragen, zugestimmt.
1.4.Der Antrag des Gemeinderates der Gemeinde Stall ist sohin zulässig.
2.In der Sache
2.1.Auf Grund des Vorbringens der Parteien und der vorgelegten Unterlagen sowie der Ergebnisse der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom geht der Verfassungsgerichtshof von folgendem Sachverhalt aus:
2.1.1.Am fanden in Kärnten allgemeine Gemeinderatswahlen statt. Dabei erhielt u.a. ****** ******** ein Mandat als Ersatzgemeinderat im Gemeinderat der Gemeinde Stall. In der ersten Sitzung des Gemeinderates am , zu der alle gewählten Bewerber ordnungsgemäß geladen worden und großteils erschienen waren, führte der nach der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 (K-GBWO 2002) neu gewählte Bürgermeister gemäß § 21 Abs 2 K-AGO den Vorsitz und gelobte zunächst gemäß § 21 Abs 3 K-AGO die neu gewählten Mitglieder des Gemeinderates an. Als gewählt erklärter Bürgermeister der Gemeinde Stall legte sodann Peter Ebner vor dem Gemeinderat gemäß § 25 Abs 1 K-AGO in die Hand des Bezirkshauptmannes das in § 21 Abs 3 K-AGO vorgeschriebene Gelöbnis ab. Der neu gewählte und angelobte Bürgermeister ließ sodann den Amtsleiter den Bewerbern zum Ersatzgemeinderat die in § 21 Abs 3 K-AGO vorgesehene Gelöbnisformel vorlesen und forderte die Bewerber auf, einzeln hervorzutreten und das Gelöbnis zu leisten.
2.1.2.Nachdem der Amtsleiter die Gelöbnisformel einmal vorgelesen hatte, trat anschließend jeder einzelne der Bewerber zum Gemeinderat hervor und sprach vor dem Gemeinderat die Worte "ich gelobe". Nach der Angelobung des Bürgermeisters wurden die Namen der Bewerber zum Ersatzgemeinderat sowie die Gelöbnisformel vom Amtsleiter verlesen. Die zeitlich vor dem Bewerber ****** ******** angelobten (Ersatz-)Mitglieder reichten dem Bürgermeister jeweils die Hand, nachdem sie die Worte "ich gelobe" gesprochen hatten und unterschrieben sodann die bereits vorbereitete Niederschrift. Als der gewählte Bewerber ****** ******** an der Reihe war, trat er zwar vor, sprach jedoch nicht die Gelöbnisformel und reichte dem Bürgermeister nicht die Hand dazu, sondern es kam zu folgendem Wortwechsel (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen, in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof vorgehaltenes Transkript des übermittelten Tonbandprotokolles):
"BGM Ebner:
Wenn du nicht willst tut es mir leid, dann gibt es keine Angelobung für dich, wenn du mir die Hand nicht gibst.
****** ********:
Macht auch nichts.
BGM Ebner:
Dann gibt es nichts.
****** ********:
Tun wir halt das nächste Mal.
BGM Ebner:
Ja, tut mir leid, wenn du mir die Hand nicht gibst und nicht gelobst. Hr. Bezirkshauptmann?
****** ********:
Ich gelobe kann ich wohl sagen.
BH ********:
Ist so! "
2.1.3.Als der Antragsgegner ****** ******** an der Reihe für seine Angelobung war, sprach er folglich die Worte "ich gelobe" nicht vorbehaltslos und eindeutig aus. Dieser Sachverhalt wurde in allen für die Beurteilung der Frage des Mandatsverlustes entscheidenden Umständen in der mündlichen Verhandlung von den Verfahrensparteien bestätigt.
2.2.Dem Antrag des Gemeinderates der Gemeinde Stall ist aus den nachstehenden Erwägungen stattzugeben:
2.2.1.Die Gründe für die Verlustigerklärung eines Mandates in einem Verfahren gemäß Art 141 Abs 1 litc B-VG ergeben sich aus den für den jeweiligen Vertretungskörper einschlägigen Bestimmungen, insbesondere aus den Geschäftsordnungsgesetzen der allgemeinen Vertretungskörper und den Wahlordnungen. Hinsichtlich der Verlustigerklärung eines Mandates als Mitglied eines Gemeinderates in einer Kärntner Gemeinde finden sich die maßgeblichen Verlustgründe in § 31 Abs 1 K-AGO. Liegt einer der gesetzlich vorgesehenen, strikt nach ihrem Wortlaut zu interpretierenden (vgl. zu Mandatsverlustverfahren zuletzt VfSlg 19.983/2015 mwN; und WII2/2016) Gründe vor, hat der Verfassungsgerichtshof nach entsprechender Antragstellung unmittelbar den Ausspruch über die Verlustigerklärung des Mandates vorzunehmen.
2.2.2.Gemäß § 31 Abs 1 lita K-AGO stellt die Weigerung, das Gelöbnis (§21 Abs 3, 5 und 6 K-AGO) in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten, einen Grund für einen Mandatsverlust dar.
2.2.3.Die Ablegung des Gelöbnisses ist in der ersten Sitzung des Gemeinderates vorgesehen. Ablauf und Form sind in § 21 K-AGO näher geregelt. § 21 Abs 3 K-AGO sieht vor, dass die Mitglieder des neugewählten Gemeinderates vor dem Gemeinderat durch die Worte "Ich gelobe" folgendes Gelöbnis abzulegen haben: "Ich gelobe, der Verfassung, der Republik Österreich und dem Land Kärnten Treue zu halten, die Gesetze zu beachten, für die Selbstverwaltung einzutreten, meine Amtspflicht unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, die mir obliegende Verschwiegenheit zu wahren und das Wohl der Gemeinde nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern." Gemäß § 21 Abs 6 K-AGO ist lediglich die Beifügung einer religiösen Beteuerung zulässig; ein Gelöbnis unter Beschränkungen oder Vorbehalten gilt hingegen als verweigert.
2.2.4.Die Tagesordnung der ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderates hat jedenfalls die in § 21 Abs 1a K-AGO zwingend vorgesehene Reihenfolge einzuhalten. Auf die Angelobung der Mitglieder des Gemeinderates (§21 Abs 3 K-AGO) folgen die Angelobung des neugewählten Bürgermeisters (§25 K-AGO) und die Angelobung von Ersatzmitgliedern des Gemeinderates (§21 Abs 4 K-AGO) sowie weitere ausdrücklich genannte Punkte. Der Bürgermeister und die Vizebürgermeister haben nach ihrer Wahl in die Hand des Bezirkshauptmannes oder eines von ihm aus dem Kreis der rechtskundigen Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft bestimmten Vertreters vor dem Gemeinderat das in § 21 Abs 3 K-AGO vorgeschriebene Gelöbnis abzulegen. Die weiteren Mitglieder des Gemeindevorstandes und deren Ersatzmitglieder haben dieses Gelöbnis in die Hand des Bürgermeisters abzulegen (§25 K-AGO; vgl. auch Erläut. zum Gesetz vom , mit dem die Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung, das Klagenfurter Stadtrecht 1998 und das Villacher Stadtrecht 1998 sowie die Kärnter Gemeindehaushaltsordnung geändert werden, LGBl 3/2015). In der ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderates sind mindestens so viele Ersatzmitglieder des Gemeinderates anzugeloben, als die einzelnen Gemeinderatsparteien Mitglieder im Gemeinderat haben (§21 Abs 4 K-AGO). Später eintretende Mitglieder des Gemeinderates haben das Gelöbnis bei der ersten Sitzung des Gemeinderates, an der sie teilnehmen, zu leisten (§21 Abs 5 K-AGO). Das Mandat eines Mitgliedes des Gemeinderates beginnt mit dem Tag des Zusammentrittes des neugewählten Gemeinderates, bei später eintretenden Mitgliedern mit dem Tag der Teilnahme an ihrer ersten Sitzung (§30 Abs 1 K-AGO). Ein Mitglied (Ersatzmitglied) des Gemeinderates darf vor der Ablegung des Gelöbnisses abgesehen von einer Vorsitzführung nach § 21 Abs 2 K-AGO keine sonstigen Handlungen als Mitglied (Ersatzmitglied) des Gemeinderates setzen (§21 Abs 6a K-AGO). Mit der ersten Teilnahme an einer Sitzung (§30 Abs 1 K-AGO) beginnt das Mandat des Mitgliedes des Gemeinderates. Daraus folgt, dass jene Ersatzmitglieder, die bereits zur ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderates geladen worden sind und bei dieser anwesend waren, zu diesem Zeitpunkt ihr Gelöbnis zu leisten haben. Geschieht das nicht, so ist die Bestimmung zum Mandatsverlust bei Verweigerung des Gelöbnisses anzuwenden.
2.2.5.Aus der K-AGO ergibt sich nicht, dass einem (Ersatz-)Mitglied, das ordnungsgemäß geladen wurde, um angelobt zu werden und an einer Sitzung des Gemeinderates teilzunehmen (in der Regel handelt es sich um die erste Sitzung iSd § 21 K-AGO), eine weitere Möglichkeit zur Ablegung des Gelöbnisses gegeben werden muss, wenn es bereits einmal verweigert worden ist.
2.2.6.Wie sich aus dem Antrag des Gemeinderates und unter Berücksichtigung der schriftlichen Eingaben des Gemeinderates der Gemeinde Stall, der "Gegenäußerung" des Antragsgegners und insbesondere aus der mündlichen Verhandlung am ergibt, hat ****** ******** während der Sitzung des Gemeinderates zur Angelobung der neuen Mitglieder und Ersatzmitglieder das Gelöbnis nicht in der vorgeschriebenen Form abgelegt. Das Gelöbnis ist mit den Worten "ich gelobe" – mit der Möglichkeit eine religiöse Beteuerung beizufügen (§21 Abs 6 K-AGO) – zu leisten. Mit den im Zuge der Angelobung gesprochenen Worten "Ich gelobe kann ich wohl sagen" ist nicht das in § 21 Abs 3 K-AGO gesetzlich vorgesehene Gelöbnis geleistet worden.
2.2.7.Der Antragsgegner war auch nicht zu einer nachfolgenden Sitzung zu laden und in dieser anzugeloben, daher hat ****** ******** das in § 21 Abs 3 K-AGO vorgesehene Gelöbnis auch danach nicht abgelegt.
2.2.8.Das Vorbringen des Antragsgegners, der Antrag des Gemeinderates sei "unzulässig und abzuweisen", weil der potentiell gewählte Volksvertreter sein Mandat erst dann erhalte, wenn eine Angelobung stattgefunden habe und demnach kein Mandatsenthebungsverfahren zulässig sei, geht ins Leere. Einerseits hätte bei dieser Auslegung die Bestimmung über den Mandatsverlust bei Verweigerung des Gelöbnisses keinen praktischen Anwendungsbereich, andererseits ergibt sich aus der insoweit vergleichbaren niederösterreichischen Rechtslage, dass gegen diese Regelungstechnik keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. VfSlg 19.983/2015).
2.3.Damit ist der Grund für den Mandatsverlust gemäß § 31 Abs 1 lita K-AGO erfüllt.
IV.Ergebnis
Dem Antrag des Gemeinderates der Gemeinde Stall wird daher stattgegeben. ****** ******** wird seines Mandates als Ersatzmitglied des Gemeinderates der Gemeinde Stall für verlustig erklärt.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:WII1.2017 |
Schlagworte: | Gemeinderecht, Gemeinderat, Wahlen, VfGH / Mandatsverlust |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.