VfGH vom 04.03.1981, WII-1/81

VfGH vom 04.03.1981, WII-1/81

Sammlungsnummer

9044

Leitsatz

Art141 Abs 1 litc B-VG; Abweisung des Antrages des Bundesrates, sein Mitglied Dr. Paul Kaufmann des Mandates für verlustig zu erklären;

keine Geltendmachung eines gesetzlichen Mandatsverlusttatbestandes in der Bedeutung dieser Verfassungsbestimmung;

VerfGG 1953; § 67 Abs 2 dieses Gesetzes enthält keine abschließende Regelung der Legitimation zur Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern; die Legitimationsvoraussetzungen zur Anfechtung der Wahlen zum Bundesrat sind aus Art 141 B-VG unmittelbar abzuleiten

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Heribert Pölzl war Abgeordneter zum Stmk. Landtag und legte laut Schreiben an den Landtagspräsidenten vom sein Mandat wegen Krankheit zurück. Mit Bescheid der Stmk. Landesregierung vom , Z 1-Vst.La 1/176-1978, wurde ihm auf seinen Antrag hin gemäß § 21 des Stmk. Bezügegesetzes vom , LGBl. 28/1973, im Hinblick auf ein ärztliches Gutachten vom ab ein vorzeitiger monatlicher Ruhebezug als Landtagsabgeordneter aus Krankheitsgründen zuerkannt.

1.1.2. In der Folge wählte der Stmk. Landtag in der 2. Sitzung seiner IX. Periode vom Otto Hofmann-Wellenhof zum Mitglied des Bundesrates und Heribert Pölzl zum Ersatzmann dieses Mandatars (Beschluß Nr. 4).

In einer an den Präsidenten des Stmk. Landtages gerichteten Zuschrift vom gab Otto Hofmann-Wellenhof die Erklärung ab, daß er sein Mandat als Mitglied des Bundesrates mit zurücklege.

1.1.3. Der Stmk. Landtag faßte daraufhin in der 23. Sitzung der IX. Periode vom den Beschluß, Heribert Pölzl gemäß § 11.A. der Bundesratsgeschäftsordnung zu beurlauben, solange er die ihm aus Krankheitsgründen zuerkannte vorzeitige Pension beziehe, und wählte anschließend in derselben Sitzung - in Nachbesetzung des infolge des Verzichts von Otto Hofmann-Wellenhof freiwerdenden Bundesratsmandates - Dr. Paul Kaufmann mit Wirksamkeit vom zum Mitglied des Bundesrates (Beschluß Nr. 305). Laut Sitzungsprotokoll wurde dieses Wahlergebnis vom Landtagspräsidenten sogleich in öffentlicher Sitzung verkündet.

Der Vorsitzende des Bundesrates berief Dr. Paul Kaufmann als neues Bundesratsmitglied zur 405. Sitzung des Bundesrates am ein; in dieser Sitzung wurde Dr. Kaufmann angelobt.

1.2.1. Am selben Tag () beschloß der Bundesrat in seiner 406. Sitzung gemäß Art 141 Abs 1 litc B-VG, an den VfGH den Antrag zu stellen, Dr. Paul Kaufmann seines Mandates als Mitglied des Bundesrates für verlustig zu erklären. Dieser Antrag wurde vom Vorsitzenden des Bundesrates namens dieses Vertretungskörpers am beim VfGH eingebracht.

1.2.2. Der Bundesrat vertritt in seinem Antrag die Rechtsauffassung, daß Dr. Paul Kaufmann vom Stmk. Landtag am rechtsgültig, jedoch verfassungswidrig zum Mitglied des Bundesrates gewählt worden sei und begründet diese Meinung - zusammenfassend gegliedert und sinngemäß wiedergegeben - wie folgt:

1.2.2.1. Nach dem Erk. des VfGH VfSlg. 2514/1953 besitze eine zum Ersatzmann des Bundesrates gewählte Person einen Rechtsanspruch darauf, bei Ausscheiden jenes Bundesratsmitglieds, dem sie zugeordnet sei, an die freiwerdende Stelle zu treten. Nur ein nicht bloß konkludent, sondern ausdrücklich erklärter Verzicht des Ersatzmannes könne ein Nachrücken rechtmäßig hindern. Einen derartigen Verzicht habe Heribert Pölzl nicht abgegeben. Krankheit allein aber hemme den Nachrückungsvorgang nicht: Im vorliegenden Fall sei offensichtlich die Tatsache der Zuerkennung einer Abgeordnetenpension aus Krankheitsgründen im Jahr 1978 als ausreichender Grund dafür angesehen worden, Heribert Pölzl zu beurlauben und ein neues Mitglied des Bundesrates zu wählen. Die Rechtsordnung enthalte jedoch keine Bestimmung des Inhaltes, daß ein Ersatzmitglied des Bundesrates ohne seine ausdrückliche Zustimmung beurlaubt werden dürfe. Zwar besage § 11 Bundesratsgeschäftsordnung, daß Urlaube "für längere Zeit" der Landtag erteile, der das Mitglied entsendet habe, doch sei Heribert Pölzl im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Landtags (über die Beurlaubung) überhaupt noch nicht Mitglied des Bundesrates gewesen, weil das seinerzeitige Mitglied Otto Hofmann-Wellenhof erst mit Wirksamkeit vom auf sein Mandat verzichtet hätte. Die Auffassung, es sei zulässig, einen Mandatar ohne seinen ausdrücklichen Antrag zu beurlauben, widerstreite dem Prinzip des freien Mandates (Art56 B-VG). Der gewählte Mandatar habe ein Recht auf Ausübung seines Mandats, das ihm nicht durch Beurlaubung genommen werden dürfe. Überdies sei § 11 Bundesratsgeschäftsordnung eine begünstigende Bestimmung, die bloß Grundlage für die Entbindung der Mitglieder des Bundesrates von ihrer Anwesenheitspflicht bilde. Die Handhabung dieser Norm durch den Stmk. Landtag verkehre den Normsinn geradezu in sein Gegenteil. Es werde hier ein Zusammenhang zwischen der seinerzeitigen Zuerkennung einer Pension als Landtagsabgeordneter und der Ausübung eines Mandates im Bundesrat hergestellt, der rechtlich unbegründet sei.

Sollte in den Voraussetzungen der Pensionszuerkennung mittlerweile eine Änderung eingetreten sein, könne die Pensionsfrage unter Umständen neu aufgerollt werden. Keinesfalls aber dürfe der Gesundheitszustand des Heribert Pölzl im Jahr 1978 ohne nähere Prüfung zur Beurlaubung im Jahr 1980 führen. Die Tatsache, daß Heribert Pölzl am , also nur einen Monat nach Gewährung seiner Pension aus Krankheitsgründen, zum Ersatzmitglied des Bundesrates gewählt worden sei, zeige deutlich, daß der Stmk. Landtag dem im Zeitpunkt der Pensionszuerkennung, das ist der , angenommenen Gesundheitszustand für die Frage des Nachrückens auf eine etwa freiwerdende Stelle eines Mitglieds des Bundesrates keine Relevanz beigemessen habe. Aber selbst eine rechtmäßige Beurlaubung könne noch nicht die Wahl eines neuen Bundesratsmitgliedes rechtfertigen, denn sie bedeute ihrem Wesen nach - wie schon angeführt - nichts anderes als eine Entbindung von der Verpflichtung zur Teilnahme an den Bundesratssitzungen; der Standpunkt des Stmk. Landtages müsse zum Ergebnis führen, daß ein beurlaubtes Mitglied des Bundesrates während der Dauer seines Urlaubs vom Ersatzmann vertreten werden könne, obwohl ein Ersatzmann für ein zeitweilig verhindertes Bundesratsmitglied nach herrschender Auffassung nicht einzutreten habe. In der rechtswissenschaftlichen Literatur seien gesundheitliche Gründe bisher nie als Verhinderung angesehen worden, die zur Neubesetzung eines Mandates führen müßten. In aller Regel könnten derartige Gründe die betroffene Person nicht an der Abgabe einer Verzichtserklärung hindern; jene seltenen Fälle, in denen eine solche Erklärung ausgeschlossen sei, müßten im Interesse der Glaubwürdigkeit der demokratischen Repräsentation und des Grundsatzes des freien Mandates in Kauf genommen werden. Denn höher noch als die Annahme, daß allgemeine Vertretungskörper auch tatsächlich vollständig zusammengesetzt sein sollen, stehe die Bedachtnahme auf die persönliche Verantwortung, die ein Mandatar mit der Wahl übernehme.

1.2.2.2. Ein Antrag auf Mandatsverlust sei gemäß § 71 Abs 1 VerfGG 1953 "aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund" zu stellen. Sollte man nicht annehmen, daß der Stmk. Landtag die Nachwahl unter der falschen Prämisse eines konkludenten Mandatsverzichts des Heribert Pölzl vollzogen habe, sehe der Bundesrat diesen "gesetzlichen Grund" für den Mandatsverlust des Dr. Kaufmann unmittelbar in den Bestimmungen des Art 35 B-VG gelegen. Aus Art 35 Abs 1 B-VG gehe nämlich hervor, daß die Mitglieder des Bundesrates und ihre Ersatzmänner von den Landtagen für die Dauer der Gesetzgebungsperiode gewählt würden. Nach einheitlicher Lehre und Judikatur trete ein Ersatzmann im Fall des Ausscheidens des Mitgliedes des Bundesrats, dem er zugeordnet sei, an dessen Stelle. Werde nun entgegen Art 35 Abs 1 B-VG das Nachrücken des für die gesamte Dauer der Gesetzgebungsperiode gewählten Ersatzmannes dadurch verhindert, daß der Landtag ein neues Mitglied wähle, liege darin ein Mandatsverlusttatbestand (für den Neugewählten), wenn man vom Erk. des VfGH VfSlg. 2514/1953 ausgehe. Diesem Erk. sei zu entnehmen, daß Art 34 B-VG unmittelbar als eine den Mandatsverlust vorsehende gesetzliche Bestimmung dann heranzuziehen sei, wenn die Zusammensetzung des Bundesrates dem letzten Volkszählungsergebnis widerspreche. Gleiches müsse gelten, wenn ein Landtag entgegen den Bestimmungen der Bundesverfassung ein Mitglied des Bundesrates neu wähle, obwohl ein Ersatzmann nachzurücken hätte.

1.2.2.3. Ein auf Art 141 Abs 1 litc B-VG gegründeter Antrag - setzt der Bundesrat fort - bilde vorliegend den einzigen Rechtsbehelf, der geeignet sei, zur Vernichtung des Beschlusses des Stmk. Landtags vom über die Wahl des Dr. Paul Kaufmann zum Mitglied des Bundesrates zu führen und damit die absolute Nichtigkeit dieses Landtagsbeschlusses auszuschließen, ziehe doch ein durch einen Rechtsbehelf nicht bekämpfbarer Mangel eines normativen Aktes nach Lehre und Rechtsprechung (VfSlg. 6277/1970) absolute Nichtigkeit - dieses Aktes - nach sich. Nun sei aber absolute Nichtigkeit, da sie jedermann die Beurteilung eines Rechtsaktes aufbürde, vom Standpunkt der Rechtssicherheit aus eine überaus problematische Erscheinung; das Recht des Bundesrates, ein Rechtsmittel zu ergreifen, das die Vernichtung des der Mandatsinnehabung des Dr. Paul Kaufmann zugrundeliegenden Aktes ermögliche, dürfe darum nicht restriktiv ausgelegt werden. Eine Anfechtung der Wahl des Dr. Kaufmann gemäß Art 141 Abs 1 lita B-VG sei keinesfalls in Betracht gekommen; denn dazu seien gemäß § 67 Abs 2 VerfGG 1953 Wählergruppen (Parteien) berechtigt, die - bei einer durch die Wahlordnung vorgeschriebenen Wahlbehörde - Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig vorgelegt haben. Einen Wahlvorschlag in der Sitzung des Stmk. Landtags vom habe nur die ÖVP eingebracht, dem durch die Wahl des Dr. Kaufmann entsprochen worden sei. Die Annahme, daß die zweite im Landtag vertretene Partei (SPÖ) zur Wahlanfechtung legitimiert gewesen wäre, treffe nicht zu, denn für einen Wahlvorschlag der SPÖ im Rahmen der Einzelnachwahl vom hätten nach der im Erk. VfSlg. 788/1927 vertretenen Auffassung des VfGH keine gültigen Stimmen abgegeben werden können.

1.2.3. Der Stmk. Landtag begehrte in einer schriftlichen Stellungnahme die Abweisung des Antrags des Bundesrates.

Zur Begründung wurde - kurz zusammengefaßt - ausgeführt, der Bundesrat stütze seinen Antrag auf Mandatsverlust nach Art 141 Abs 1 litc B-VG auf den Umstand, daß Dr. Paul Kaufmann rechtswidrig zum Mitglied des Bundesrates gewählt worden sei. Über die Anfechtung einer Wahl zum allgemeinen Vertretungskörper "Bundesrat" müsse aber ausnahmslos im Verfahren nach der lita des Art 141 Abs 1 B-VG entschieden werden. Das Verfahren nach der litc des Art 141 Abs 1 B-VG sei nur für den Fall vorgesehen, daß ein allgemeiner Vertretungskörper beantrage, auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder zu erkennen, um zu bewirken, daß der Gewählte sein Mandat zufolge eines Mandatsverlusttatbestandes schon vor Ablauf der Funktionsperiode verliere. Mit dem vorliegenden Antrag behaupte aber der Bundesrat der Sache nach keineswegs, daß Dr. Paul Kaufmann einen Tatbestand verwirklicht habe, an den das Gesetz den Mandatsverlust knüpfe, wie dies etwa nach § 4.A. der Bundesratsgeschäftsordnung zutreffe. Es werde vielmehr - wie eingangs erwähnt - bereits die Wahl des Dr. Kaufmann zum Mitglied des Bundesrates als rechtswidrig bekämpft, wofür nur der - allerdings innerhalb der schon versäumten Frist des § 68 Abs 1 VerfGG 1953 zu beschreitende - Weg nach Art 141 Abs 1 lita B-VG offenstehe.

2. Über den Antrag des Bundesrates wurde erwogen:

2.1. Art 141 Abs 1 B-VG lautet in seinen hier maßgebenden Teilen: "Der VfGH erkennt a) über die Anfechtungen der Wahl des Bundespräsidenten, von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern und zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen; ... c) auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder; ... Die Anfechtung (der Antrag) kann auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens beziehungsweise auf einen gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper, in einem mit der Vollziehung betrauten Organ einer Gemeinde oder in einem satzungsgebenden Organ (Vertretungskörper) einer gesetzlichen beruflichen Vertretung gegründet werden ...".

2.2. Unterscheidend zwischen der Anfechtung von Wahlen (lita) und dem Antrag auf Mandatsverlust (litc) überträgt somit Art 141 Abs 1 B-VG dem VfGH als Wahlgerichtshof - neben anderen Kompetenzen - zum einen die Zuständigkeit zur Überprüfung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern - so auch zum Bundesrat (Art35 B-VG) -, zum andern die Kompetenz zum Ausspruch des von Wahlanfechtungen unabhängigen Mandatsverlustes. Für jeden dieser beiden Rechtsbehelfe sieht Art 141 Abs 1 B-VG, wie der Schlußabschnitt dieser Verfassungsbestimmung ergibt, unterschiedliche materielle Voraussetzungen vor, und zwar für die Wahlanfechtung - mangels einer im Art 141 Abs 1 B-VG enthaltenen Einschränkung - jede (behauptete) Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens (§67 Abs 1 VerfGG 1953), für den Antrag auf Mandatsverlust hingegen einen "gesetzlich vorgesehenen Grund" für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper (§71 Abs 1 VerfGG 1953), wobei Art 141 B-VG die Festlegung dieser - für einen Mandatsverlustantrag maßgebenden - Tatbestände des Mandatsverlustes der einfachen Gesetzgebung überläßt.

Soweit allgemeine Vertretungskörper in Betracht kommen, handelt folglich die lita des Art 141 Abs 1 B-VG - und nur sie - von der Überprüfung des Wahlvorganges, der Wahl selbst, die nachfolgende litc jedoch vom vorzeitigen Erlöschen der durch eine solche Wahl erlangten Funktion und damit des Rechtes auf Mandatsausübung bis zum Ablauf der Funktionsperiode (Mandatsverlust): Rechtswidrigkeiten im Zug des Kreationsvorgangs können demgemäß stets nur unter dem Gesichtspunkt der lita des Art 141 Abs 1 B-VG mit Wahlanfechtung erfolgreich geltend gemacht werden; einen Mandatsverlustgrund - wie ihn ein Ausspruch nach Art 141 Abs 1 litc B-VG (§71 VerfGG 1953) zwingend verlangt (s. VfSlg. 2514/1953) - geben sie niemals ab. Die vom VfGH schon wiederholt (s. VfSlg. 7669/1975, 8602/1979) bejahte Notwendigkeit einer strengen Auslegung und Abgrenzung der einzelnen Tatbestände des Art 141 B-VG, die der hier vertretenen Auffassung zugrunde liegt, wird nicht zuletzt angesichts der differenzierten zeitlichen Zulässigkeit der mit dieser Verfassungsbestimmung geschaffenen Rechtsbehelfe (der Wahlanfechtung und des Mandatsverlustantrags) deutlich: Die Anfechtung einer Wahl zu einem allgemeinen Vertretungskörper muß binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens eingebracht sein (§68 Abs 1 VerfGG 1953). Demgegenüber ist ein Antrag auf Erklärung des Mandatsverlustes nach Art 141 Abs 1 litc B-VG - vom Fall einer im Gesetz vorgesehenen verwaltungsbehördlichen Entscheidungszuständigkeit abgesehen - an keine Frist gebunden: Nach § 71 Abs 1 Satz 1 VerfGG 1953 kann ein allgemeiner Vertretungskörper beim VfGH "jederzeit" den Antrag stellen, eines seiner Mitglieder aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund seines Mandates für verlustig zu erklären.

2.3. Der VfGH hatte demgemäß zu prüfen, ob die vom Bundesrat zur Begründung seines Antrags vorgebrachten Umstände einem gesetzlichen Mandatsverlusttatbestand in der dargelegten Bedeutung des Art 141 Abs 1 litc B-VG zu unterstellen sind:

2.3.1. Der Bundesrat erblickt im Fall Dr. Paul Kaufmann einen derartigen unmittelbar aus Art 35 Abs 1 B-VG erfließenden gesetzlichen Mandatsverlustgrund, wie bereits zu 1.2.2.2. wiedergegeben, in der Hinderung des Nachrückens des gewählten Ersatzmannes (Heribert Pölzl) durch verfassungswidrige Nachwahl eines neuen Bundesratsmitglieds (Dr. Paul Kaufmann) an Stelle des vorzeitig ausgeschiedenen Mitglieds (Otto Hofmann-Wellenhof) und bezieht sich dabei zur Stützung seines Rechtsstandpunktes auf das Erk. des VfGH VfSlg. 2514/1953.

Dieser Rechtsauffassung des Bundesrates kann nicht beigetreten werden. Wohl trifft es zu, daß der VfGH im Erk. VfSlg. 2514/1953 zum Ausdruck brachte, ein Mandatsverlustgrund nach Art 141 Abs 1 litc B-VG müsse nicht ausnahmslos einfachgesetzlich normiert sein, sondern könne sich auch unmittelbar aus der Bundesverfassung (Art34 Abs 2 B-VG) ergeben, doch ist damit für den Mandatsverlustantrag des Bundesrates nichts zu gewinnen. Denn es kommt hier nicht darauf an, ob ein Mandatsverlusttatbestand auch unmittelbar aus dem B-VG ableitbar ist; der Antrag scheitert daran, daß er nach Inhalt und Zielsetzung bloß damit begründet wird, die Nachwahl selbst sei verfassungswidrig gewesen, also einzig und allein die - ausschließlich mit Wahlanfechtung nach Art 141 Abs 1 lita B-VG bekämpfbare - Wahl des Dr. Paul Kaufmann zum Mitglied des Bundesrates anficht, nicht aber gesetzliche Gründe für einen zeitlich nachfolgenden Verlust des durch diese Wahl erlangten Mandates aufzeigt und geltend macht. In diesem maßgebenden Punkt unterscheidet sich der mit Erk. VfSlg. 2514/1953 behandelte Fall grundsätzlich vom hier gegebenen: Denn damals ging es nicht - wie bei Dr. Kaufmann - um die Wahl zum Bundesratsmitglied selbst, sondern um ein bereits gewähltes Mitglied des Bundesrates, dessen Stelle dem entsendenden Bundesland nach dem Ergebnis der letzten allgemeinen Volkszählung und der vom Bundespräsidenten gemäß Art 34 Abs 3 B-VG erlassenen Entschließung fortan nicht mehr zukam, worin allein ein unmittelbar aus dem B-VG (Art34 Abs 2) erfließender Mandatsverlusttatbestand gesehen wurde. Im gegenständlichen Fall soll aber der Mandatsverlustgrund nicht nach vollzogener Wahl eingetreten sein, sondern - wie der Bundesrat darzutun sucht - bereits im Wahlakt selbst liegen. Eine solche Gleichsetzung eines behauptetermaßen rechtswidrigen Kreationsaktes mit einem Mandatsverlusttatbestand des Art 141 Abs 1 litc B-VG ist jedoch angesichts des Umstandes, daß dem Mandatsverlust die Mandatserlangung - und damit die Wahl zum Mandatar - vorausgehen muß, schon begrifflich ausgeschlossen. Zudem müßte die gegenteilige Rechtsmeinung - wegen der hier zu bejahenden Zulässigkeit der Nachwahlanfechtung gemäß Art 141 Abs 1 lita B-VG (s. dazu die folgenden Ausführungen unter 2.3.2.) - zu einer partiellen Doppelgleisigkeit in der Rechtsverfolgung führen, weil sie - wenngleich verschiedenen Parteien - die Möglichkeit zur Bekämpfung ein und desselben Wahlaktes einerseits unter dem Aspekt der - befristeten - Wahlanfechtung nach Art 141 Abs 1 lita B-VG, anderseits unter dem Gesichtspunkt des - unbefristeten - Mandatsverlustantrags nach Art 141 Abs 1 litc B-VG eröffnet.

Beizufügen bleibt, daß sich für die nach Meinung des Bundesrates denkbare Sachverhaltsdeutung, der Stmk. Landtag sei in seiner Sitzung vom von einem Mandatsverzicht des Heribert Pölzl ausgegangen, welche Annahme sich später als unrichtig erwiesen habe, keine zureichenden Anhaltspunkte bieten, zumal die Tatsache der damals ausgesprochenen Beurlaubung des Heribert Pölzl entgegensteht. Davon abgesehen, könnte eine derartige verfehlte Annahme im Zeitpunkt der Wahl des Dr. Paul Kaufmann zum Mitglied des Bundesrates - der Rechtsmeinung des Bundesrates zuwider - gleichfalls nur für die Frage der Rechtmäßigkeit der Nachwahl unter dem Blickwinkel des Art 141 Abs 1 lita B-VG bedeutsam sein.

Zusammenfassend ergibt sich, daß die vom antragstellenden Bundesrat zur Begründung seines Antrags angeführten Umstände im Fall Dr. Paul Kaufmann keinen gesetzlich vorgesehenen Mandatsverlusttatbestand nach Art 141 Abs 1 litc B-VG verwirklichen, sondern nur die nicht in Prüfung stehende Frage der Verfassungswidrigkeit der (Bundesrats-)Nachwahl vom betreffen.

2.3.2. Der VfGH vermag dem Bundesrat - wie in diesem Zusammenhang beizufügen bleibt - aber auch nicht beizupflichten, daß bei Verneinung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Mandatsverlustausspruchs keinerlei Rechtsbehelf zur verfassungsgerichtlichen Nachprüfung der Wahl des Dr. Kaufmann zum Mitglied des Bundesrates auf ihre Verfassungsmäßigkeit offengestanden und der mit schweren rechtlichen Fehlern behaftete Landtagsbeschluß über diese Wahl darum als absolut nichtig zu betrachten sei (s. 1.2.2.3.). Denn diese Rechtsauffassung des Bundesrates trifft schon vom Ansatz her nicht zu, weil die besagte Nachwahl eines Bundesratsmitgliedes - entgegen der vom Bundesrat vertretenen Meinung - mit Wahlanfechtung nach Art 141 Abs 1 lita B-VG bekämpfbar gewesen wäre, für die allerdings nur die Anfechtungsfrist des § 68 Abs 1 VerfGG 1953 offenstand:

Nach § 67 Abs 2 Satz 2 VerfGG 1953 sind zur Anfechtung von Wahlen ua. zu den allgemeinen Vertretungskörpern (§67 Abs 1 VerfGG 1953) "Wählergruppen (Parteien) berechtigt, die bei einer durch die Wahlordnung vorgeschriebenen Wahlbehörde Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig vorgelegt haben, und zwar durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter". Ferner kann nach § 67 Abs 2 letzter Satz VerfGG 1953 eine Wahlanfechtung "auch der Wahlwerber einbringen, der behauptet, daß ihm die Wählbarkeit im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt wurde". Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß diese Regelung des VerfGG, wie schon Aufbau und Systematik zeigen, auf die Anfechtung von Volkswahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern (insbesondere Nationalrats-, Landtagswahlen) zugeschnitten ist und die - kraft Art 35 Abs 1 B-VG den Landtagen übertragenen - Wahlen der Mitglieder des Bundesrates überhaupt nicht berücksichtigt. Läge in dieser Gesetzesnorm eine abschließende Regelung der Legitimation zur Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern - einschließlich der Wahlen zum Bundesrat -, verstieße sie gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG. Denn in diesem Fall wären zur Anfechtung von Bundesratswahlen - verstünde man unter den in § 67 Abs 2 Satz 2 VerfGG 1953 bezeichneten anfechtungslegitimierten "Wählergruppen (Parteien)" grundsätzlich die im Landtag vertretenen Parteien, denen Art 35 Abs 1 B-VG die Beteiligung an der Wahl zum Bundesrat sichert (VfSlg. 788/1927, 1499/1932) - einzig und allein Wählergruppen befugt, die Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig vorgelegt haben. Im vorliegenden Nachwahlfall wäre also unter solchen Bedingungen - worauf der Bundesrat in seinem Antrag zutreffend hinweist - nur jene Partei anfechtungslegitimiert, deren Wahlvorschlag vom Landtag (durch Wahl des Dr. Kaufmann) ohnedies entsprochen wurde, ein dem Sinn und Zweck der verfassungsmäßig garantierten Wahlüberprüfung geradezu zuwiderlaufender Norminhalt, für den sich keinerlei sachliche Rechtfertigung finden ließe. Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung zwingt darum zur Feststellung, daß § 67 Abs 2 VerfGG 1953 (anders als etwa die allgemeine Vorschrift des § 68 Abs 1 VerfGG 1953 über die Befristung der Anfechtungsbefugnis) sich auf Wahlen zum Bundesrat gar nicht beziehen kann, sodaß die Anfechtungslegitimation für derartige Wahlen im VerfGG 1953 ungeregelt blieb. Die demnach nur lückenhafte gesetzliche Festlegung der Anfechtungsberechtigten für Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern führt dazu, daß die Legitimationsvoraussetzungen zur Anfechtung der Wahlen zum Bundesrat aus Art 141 B-VG unmittelbar abzuleiten sind: Die Rechtslage ist damit jener vergleichbar, die schon vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom über die Organisation und über das Verfahren des VfGH, BGBl. 364/1921 (VerfGG 1921), bestand; damals vertrat der VfGH der Sache nach die Rechtsauffassung, daß in Ermangelung eines Verfahrensgesetzes Grundlage für die Einbringung der Anfechtung einer Wahl zum Bundesrat die entsprechenden Bestimmungen des B-VG selbst seien (s. VfSlg. 18/1921, ferner 39/1921, vgl. auch die Beschlüsse des WI-12/80, WI-14/80). Auf den vorliegenden Fall sinngemäß übertragen bedeutet dies, daß zur Anfechtung der Nachwahl zum Bundesrat vom nach Sinn und Zweck der Regelung des Art 141 Abs 1 lita B-VG jedenfalls die nach der konkreten Interessenlage in Betracht kommenden im Landtag vertretenen Parteien (Landtagsfraktionen) legitimiert sind; desgleichen aber jedenfalls auch Heribert Pölzl als Ersatzmann des Bundesrates, der durch die Nachwahl im Hinblick auf die Nachrückung im Recht auf Ausübung des freien Mandates beeinträchtigt sein könnte. (Eine solche Anfechtung der Nachwahl vom wurde von Heribert Pölzl gemäß Art 141 Abs 1 lita B-VG - am - auch tatsächlich eingebracht, jedoch vom WI-4/81, als verspätet zurückgewiesen.)

Angesichts dieser Rechtslage kann der VfGH - wie bereits dargelegt - dem Bundesrat nicht zustimmen, wenn er zur Erwägung stellt, die Wahl des Dr. Paul Kaufmann zum Mitglied des Bundesrates als absolut nichtig zu werten. Denn der Bundesrat wäre mit dieser Rechtsmeinung allein schon deshalb im Unrecht, weil er im gegebenen Zusammenhang von der unzutreffenden Voraussetzung ausgeht, daß gegen die Nachwahl vom kein Rechtsbehelf, und zwar weder nach Art 141 Abs 1 lita B-VG noch nach Art 141 Abs 1 litc B-VG, eingeräumt sei, was mit Rücksicht auf die wenngleich befristete Möglichkeit einer Anfechtung dieser Nachwahl nach Art 141 Abs 1 lita B-VG nicht der Fall ist.

2.4. Aus all dem folgt, daß - da Dr. Paul Kaufmann auf Grund der in Rede stehenden, nicht als absolut nichtig zu beurteilenden Nachwahl dem allgemeinen Vertretungskörper "Bundesrat" als Mitglied angehört - der an keine Frist gebundene und das Vorliegen eines Mandatsverlustgrundes behauptende Antrag des Bundesrates nach Art 141 Abs 1 litc B-VG zwar zulässig, aber unbegründet ist, weil die zur Antragsbegründung angeführten Umstände keinem gesetzlichen Mandatsverlusttatbestand in der Bedeutung des Art 141 Abs 1 litc B-VG zuzuordnen sind.

2.5. Aus diesen Erwägungen war der Antrag des Bundesrates nach Art 141 Abs 1 litc B-VG als unbegründet abzuweisen.