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VfGH vom 26.06.2020, WI5/2020

VfGH vom 26.06.2020, WI5/2020

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung des Wahlverfahrens einer Gemeinderatswahl mangels Beschwerdeeinbringung bei der Landes-Hauptwahlbehörde; Unzulässigkeit der direkten Anfechtung der Gemeinderatswahl vor dem VfGH

Spruch

Die Anfechtung wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren

1. Am fand die Wahl des Gemeinderates der Stadtgemeinde Litschau statt, der die von den wahlwerbenden Parteien "Österreichische Volkspartei (ÖVP)", "Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ)", "Bürgerbewegung Litschau (BBL)" sowie "Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)" eingebrachten Wahlvorschläge zugrunde lagen.

2. Von den 1.853 bei dieser Gemeinderatswahl abgegebenen gültigen Stimmen entfielen gemäß der von der Gemeindewahlbehörde Litschau am an der Amtstafel angeschlagenen Kundmachung des Ergebnisses auf:

ÖVP1.263 (15 Gemeinderatsmandate)

SPÖ 395 (5 Gemeinderatsmandate)

BBL 135 (1 Gemeinderatsmandat)

FPÖ60 (0 Gemeinderatsmandate)

3. Mit der vorliegenden, am eingebrachten und mit "Anfechtung gemäß Art 141 B-VG" bezeichneten Eingabe beantragt die Anfechtungswerberin die Aufhebung des Wahlverfahrens zur Gemeinderatswahl 2020 in der Stadtgemeinde Litschau ab Beginn der Auflage des Wählerverzeichnisses.

Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , WIV1/2020 ua, betreffend 75 auf Art 141 Abs 1 liti iVm litj B-VG gestützte Anfechtungen gegen im Wesentlichen gleichartige Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, mit denen Beschwerden bezüglich Streichungen aus dem Wählerverzeichnis jeweils zurückgewiesen worden sind, im Ergebnis ausgesprochen habe, dass das der am in der Stadtgemeinde Litschau abgehaltenen Gemeinderatswahl zugrunde gelegte Wählerverzeichnis gesetzwidrig erstellt worden sei. Der Gemeinderatswahl sei somit kein rechtsgültig abgeschlossenes Wählerverzeichnis zugrunde gelegt worden. Folglich sei das am von der Gemeindewahlbehörde kundgemachte Wahlergebnis rechtswidrig. Die festgestellte Unrichtigkeit des Wählerverzeichnisses könne jedoch – da es sich um 75 Stimmen handle, die abgezogen entweder bei der SPÖ oder der BBL eine Verschiebung der Mandatsverteilung bewirken würden – auf das Wahlergebnis von Einfluss sein, weswegen die Wahl aufzuheben sei. Zum Zeitpunkt der Kundmachung des Wahlergebnisses sei das einschlägige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes im Verfahren betreffend die Wählerverzeichnisse noch nicht vorgelegen, weswegen eine darauf gestützte Wahlanfechtung gemäß § 56 ff. NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994) zu diesem Zeitpunkt denkunmöglich gewesen sei. Die vorliegende, auf die Aufhebung der Gemeinderatswahl gerichtete Anfechtung müsse daher zulässig sein, da ansonsten die Rechtsordnung keine Möglichkeit vorsehen würde, rechtswidrige Vorgänge im Zusammenhang mit der Erstellung der Wählerverzeichnisse durch Aufhebung der jeweiligen Wahl entsprechend zu sanktionieren.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (NÖ GRWO 1994), LGBl 0350-0 idF LGBl 0350-10, lauten wie folgt:

"

10. Abschnitt

Wahlanfechtung

§56

Anfechtung der Wahl

Das Wahlergebnis kann von den zustellungsbevollmächtigten Vertretern der Wahlparteien, die einen Wahlvorschlag erstattet haben, und von jedem Wahlwerber, der behauptet, in seinem passiven Wahlrecht verletzt worden zu sein, durch Beschwerde angefochten werden. Die Anfechtung kann wegen behaupteter Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren erfolgen.

§57

Verfahren

Die Beschwerde muß schriftlich binnen zwei Wochen ab dem ersten Tag der Kundmachung des Wahlergebnisses bei der Gemeinde eingebracht werden. Die Beschwerde muß einen begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens oder eines Teiles davon enthalten. Der Vorsitzende der Gemeindewahlbehörde muß die Beschwerde innerhalb von drei Tagen samt den Wahlakten der Landes-Hauptwahlbehörde zur Entscheidung vorlegen.

§58

Entscheidungen der Landes-Hauptwahlbehörde

(1) Einer Beschwerde muß die Landes-Hauptwahlbehörde stattgeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen ist und außerdem auf das Wahlergebnis von Einfluß war. In der Entscheidung muß angegeben werden, ob das Wahlverfahren ganz oder teilweise aufgehoben wird. Im letzten Fall muß angegeben werden, ab welchem Zeitpunkt das Wahlverfahren wiederholt werden muß.

(2) Wird der Beschwerde stattgegeben, weil eine passiv nicht wahlberechtigte Person für gewählt erklärt wurde, muß die Wahl dieser Person für nichtig erklärt werden. In einem solchen Fall muß die Besetzung des Mandates wie beim Ausscheiden eines Gemeinderatsmitgliedes erfolgen.

(3) Wenn einer Beschwerde stattgegeben wird, weil einer wählbaren Person die Wählbarkeit aberkannt wurde, muß in der Entscheidung ausgesprochen werden, ob die Wahl einer anderen Person nichtig geworden ist.

(4) Wenn die Beschwerde verspätet, mit einem Formmangel oder von einer zur Einbringung nicht berechtigten Person erhoben wird, muß die Beschwerde zurückgewiesen werden.

(5) Entscheidungen der Landes-Hauptwahlbehörde, mit der Wahlverfahren ganz oder teilweise aufgehoben werden, müssen durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde kundgemacht werden."

III. Erwägungen

1. Der vorliegende Antrag nimmt ausdrücklich undifferenziert nur auf Art 141 B-VG Bezug (arg.: "Anfechtung gemäß Art 141 B-VG" auf dem Rubrum). Angesichts des Wortlautes des Antrags im engeren Sinn und seiner im vorliegenden Schriftsatz ausgeführten Begründung ist jedoch zweifelsfrei von einer auf Art 141 Abs 1 lita B-VG gestützten Anfechtung der Gemeinderatswahl der Stadtgemeinde Litschau durch die Anfechtungswerberin, die "Bürgerbewegung Litschau (BBL)", auszugehen (vgl dazu insbesondere den Wortlaut des Antrags im engeren Sinn, der wie folgt lautet: "Der Anfechtungswerber stellt sohin den Antrag[,] der Verfassungsgerichtshof wolle dieser Wahlanfechtung Folge geben und das Wahlverfahren zur Gemeinderatswahl 2020 in der Stadtgemeinde Litschau ab Beginn der Auflage des Wählerverzeichnisses aufheben"; vgl auch die auf das Wesentliche zusammengefasste Begründung zuvor unter Punkt I.3.).

2. Gemäß Art 141 Abs 1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, zu denen auch ein Gemeinderat zu zählen ist (vgl bereits VfSlg 4985/1965). Nach Art 141 Abs 1 zweiter Satz B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

3. Gemäß § 68 Abs 1 VfGG muss eine Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht werden.

3.1. Ein derartiger, die unmittelbare Anfechtung der Wahl des Gemeinderates der Stadtgemeinde Litschau beim Verfassungsgerichtshof ausschließender Instanzenzug wird durch die Bestimmung des § 57 NÖ GRWO 1994 vorgesehen. Demgemäß hat die Anfechtung einer Wahl – wegen behaupteter Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren (vgl § 56 NÖ GRWO 1994) – mit schriftlicher Beschwerde an die Landes-Hauptwahlbehörde (vgl § 58 NÖ GRWO 1994) binnen zwei Wochen ab dem ersten Tag der Kundmachung des Wahlergebnisses zu erfolgen (vgl ua). Eine direkte Anfechtung der vorliegenden Gemeinderatswahl vor dem Verfassungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

3.2. Das Wahlergebnis der am durchgeführten Gemeinderatswahl wurde von der Gemeindewahlbehörde gemäß § 55 NÖ GRWO 1994 am an der Amtstafel der Stadtgemeinde Litschau kundgemacht. Wie in der vorliegenden Anfechtung selbst dargelegt wird, wurde von der Anfechtungswerberin keine auf die Anfechtung der Gemeinderatswahl der Stadtgemeinde Litschau abzielende Beschwerde bei der Landes-Hauptwahlbehörde eingebracht. Vielmehr wurde die vorliegende Anfechtung unmittelbar beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Wie soeben dargelegt, ist aber im Falle der Anfechtung einer Gemeinderatswahl wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren zuvor binnen der gesetzlich vorgesehenen Frist eine entsprechende Beschwerde an die Landes-Hauptwahlbehörde zu erheben. Die vorliegende Anfechtung ist somit mangels vorheriger Beschreitung des dafür vorgesehenen Instanzenzuges zurückzuweisen (vgl idS etwa VfSlg 19.328/2011; ua).

4. Wenn die Anfechtungswerberin in der Begründung ausführt, dass zum Zeitpunkt der Kundmachung des Wahlergebnisses das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , WIV1/2020 ua, noch nicht vorgelegen und für sie eine vorherige Anfechtung daher denkunmöglich gewesen sei, so ist dem zu entgegnen, dass es sich bei Anfechtungen von Entscheidungen betreffend die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) bzw Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) gemäß Art 141 Abs 1 liti iVm litj B-VG einerseits und bei Verfahren zur Anfechtung einer Wahl gemäß Art 141 Abs 1 lita B-VG andererseits um jeweils getrennte (Rechtschutz-)Verfahren handelt (vgl idS etwa VfSlg 18.729/2009, 20.259/2018 jeweils mwN; siehe für das einfachgesetzlich vorgesehene Berichtigungs- und Beschwerdeverfahren § 23 ff. NÖ GRWO 1994 sowie für die Bestimmungen betreffend die Wahlanfechtung § 56 ff. NÖ GRWO 1994).

5. Im Übrigen hat auch der Verfassungsgerichtshof – anders als die Anfechtungswerberin vermeint – mit Erkenntnis vom , WIV1/2020 ua, nicht bereits die "Unrichtigkeit des Wählerverzeichnisses" festgestellt. Es wurde gerade nicht über die Rechtmäßigkeit der in diesen Fällen nicht erfolgten Streichung von 75 Personen aus dem Wählerverzeichnis und somit der inhaltlichen Entscheidung über die diesbezüglich gemäß § 23 ff. NÖ GRWO 1994 eingebrachten Berichtigungsanträge abgesprochen. Vielmehr war Gegenstand dieser zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art 141 Abs 1 liti iVm litj B-VG nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Beschwerden, die gegen die Entscheidungen der Gemeindewahlbehörde eingebracht wurden, mit der die insgesamt 75 Berichtigungsanträge auf Streichung von Personen aus dem Wählerverzeichnis abgewiesen wurden.

IV. Ergebnis

1. Die Anfechtung ist daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:WI5.2020
Schlagworte:
Wahlen, Gemeinderat, VfGH / Wahlanfechtung, Instanzenzug

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