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VfGH vom 12.12.2006, WI-5/06

VfGH vom 12.12.2006, WI-5/06

Sammlungsnummer

18036

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung der Nationalratswahl 2006 durch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ); keine Bedenken gegen die so genannte Vierprozentklausel und die Einteilung in Regionalwahlkreise in Hinblick auf das Verhältniswahlsystem

Spruch

Der Anfechtung der Wahl zum Nationalrat vom wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit der vorliegenden Wahlanfechtung begehrt die einschreitende wahlwerbende Partei mit näherer Begründung, der Verfassungsgerichtshof wolle

"das Verfahren zur Wahl für den Nationalrat am zur Gänze, also von Beginn an, [...] für nichtig erklären und als rechtswidrig aufheben."

Die Bundeswahlbehörde legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Wahlanfechtung beantragt.

Der Verfassungsgerichtshof brachte die Wahlanfechtung auch den anderen Parteien zur Kenntnis, die an der angefochtenen Wahl teilgenommen haben. Keine dieser Parteien erstattete jedoch eine Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Wahlanfechtung erwogen:

1. Die anfechtende Wählergruppe bringt zum einen vor, dass § 100 Abs 1 Nationalratswahlordnung 1992 (NRWO)

"dem gleichen, unmittelbaren, geheimen und

persönlichen Wahlrecht und vor allem dem Grundsatz der Verhältniswahl, wie dies in Artikel 26 (1) B-VG normiert ist",

widerspreche. Die "4%-Hürde" bewirke - so die anfechtende Wählergruppe weiter -,

"dass das gleiche Wahlrecht und vor allem der Grundsatz der Verhältniswahl verletzt sind, da jene wahlberechtigten Männer und Frauen, die einer wahlwerbenden Partei, die nicht 4% der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht, die Stimme geben, nicht im Nationalrat repräsentiert sind, sohin all jene wahlwerbenden Parteien, die nicht 4% der abgegebenen gültigen Stimmen auf Bundesebene erreichen (und kein 'Grundmandat' erlangen), nicht im Verhältnis ihrer Stärke im Nationalrat vertreten sind."

Diesem Vorbringen ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Modifizierung des Verhältniswahlsystems durch eine derartige - alternative, also die durch die Regelung über das "Grundmandat" bewirkte "Eintrittsschwelle" abschwächende - Prozentklausel entgegen zu halten (vgl. VfSlg. 15.616/1999, S 326 Pkt. 2.2.1. uHa. VfSlg. 8852/1980 und 14.035/1995).

2. Zum anderen behauptet die anfechtende

Wählergruppe, dass die

"vom einfachen Gesetzgeber eingerichteten 'Regionalwahlkreise' (§§3, 4, 5 NRWO 1992) [sowie die §§96 bis 101 NRWO] der wahlkreisweisen Repräsentation und damit dem Verhältniswahlrecht"

widersprächen. Dazu führt sie im Einzelnen aus:

"Die Wahlzahl für das sogenannte erste wie für das zweite Ermittlungsverfahren wird mit dem Landeswahlkreis als Bezugsgröße nach dem Verfahren Hare ermittelt (§96 Abs 2 NRWO 1992), die gesamthafte Mandatsstärke im Landeswahlkreis wird nach § 101 NRWO 1992 mit der Einschränkung des § 100 Abs 1 durchgeführt. Durch das 'erste Ermittlungsverfahren' nach § 97 NRWO 1992 wird lediglich die Teilmenge der gesamthaft erreichten Mandate ermittelt, die nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen auf die Kandidaten der wahlwerbenden Parteien nach Maßgabe der Regionalparteilisten vergeben werden, eine Verhältniswahl im Regionalwahlkreis findet nicht statt. Das in Artikel 26 Abs 1 B-VG normierte Verhältniswahlprinzip, das auch auf die Regionalwahlkreise anzuwenden ist, ist durch die derzeitige NRWO 1992 in keinster Weise gewährleistet. Unter Anwendung von § 4 Abs 5 NRWO 1992 für die gegenständliche Wahl für den Nationalrat sind beispielsweise für den Regionalwahlkreis 7E-Osttirol nach der Zahl [der] in diesem Regionalwahlkreis gültigen Stimmen 86,76% der gültigen Stimmen für die Erringung eines Mandates erforderlich. Im Regionalwahlkreis 2D-Kärnten Ost, dem nominell 4 Mandate zugewiesen sind, konnte eine wahlwerbende Partei mit 26,01% der Stimmen kein Mandat erreichen, obschon sie dies bei einem Wahlzahlverfahren im Regionalwahlkreis nach jedem in Österreich angewandten Wahlzahlverfahren (Hare, Hagenbach-Bischoff) wie wohl auch nach jedem anderen sinnvoll mit dem Grundsatz der Verhältniswahl zu vereinbarendem Wahlzahlverfahren erreicht hätte.

[...]

Beispielsweise entfielen auf die wahlwerbende Partei 'Liste Dr. Martin - für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit' im Landeswahlkreis Niederösterreich 29.831 gültige Stimmen. Die Wahlzahl für den Landeswahlkreis Niederösterreich lag bei

27.914 gültigen Stimmen. Damit hatte diese wahlwerbende Partei die Wahlzahl des Landeswahlkreises erreicht. Ausschließlich aufgrund der Bestimmungen des § 100 Abs 1 NRWO 1992 wurde ihr aber kein Mandat zugewiesen. Das verfassungsgesetzlich normierte und vom VfGH wiederholt bekräftigte Verhältniswahlrecht ist sohin durch § 100 Abs 1 NRWO 1992 nicht

verwirklicht. Die bereits ... angeführte und vom

Verfassungsgerichtshof bekräftigte wahlkreisweise Repräsentation als Verwirklichung des Verhältniswahlrechtes wird sohin durch § 100 Abs 1 NRWO 'von außen' nämlich durch die verfassungswidrige '4%-Hürde' vernichtet."

Insoweit die anfechtende Wählergruppe damit erneut die Verfassungswidrigkeit der "4%-Hürde" gemäß § 100 Abs 1 NRWO behauptet, ist auf Pkt. 1 zu verweisen. Im Übrigen teilt der Verfassungsgerichtshof die geltend gemachten Bedenken aus dem folgenden Grund nicht:

Die Regelungen über die Regionalwahlkreise, einschließlich jener über das in diesen durchzuführende erste Ermittlungsverfahren, wurden mit dem Bundesgesetz

BGBl. 1992/471 geschaffen. Die am selben Tag vom Bundesverfassungsgesetzgeber beschlossene B-VG-Novelle BGBl. 1992/470 sah eine Änderung des Art 26 Abs 2 B-VG vor, der zu Folge die für die Wahl des Nationalrates zu schaffenden "Wahlkreise" (deren Grenzen die Landesgrenzen nicht schneiden dürfen) "in räumlich geschlossene Regionalwahlkreise zu untergliedern" sind.

Dazu ist den Materialien zur genannten B-VG-Novelle (RV 447 BlgNR 18. GP 3) Folgendes zu entnehmen:

"Durch die vorgesehene Neufassung des Art 26 Abs 2 B-VG soll die Unterteilung der Wahlkreise in Regionalwahlkreise bundesverfassungsgesetzlich vorgesehen werden. ...

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis

VfSlg. 11.168/1986 die Eigenart der Wahlkreise darin erblickt, daß die zu vergebenden Mandate auf gebietsmäßig abgegrenzte Einheiten aufgeteilt werden 'und den wahlwerbenden Parteien auf Grund des Stimmverhältnisses im jeweiligen Wahlkreis in einem die wahlkreisweise Mandatsvergabe bezweckenden Ermittlungsverfahren zugewiesen werden'. Ob letzteres bei den Regionalwahlkreisen der Fall ist, kann bezweifelt werden. Da nämlich die Zuteilung der Mandate im Regionalwahlkreis nicht nach der Wahlzahl im Regionalwahlkreis, sondern nach der Wahlzahl im Landeswahlkreis erfolgen soll, könnte die Auffassung vertreten werden, den wahlwerbenden Parteien würden die Mandate nicht auf Grund des Stimmverhältnisses im jeweiligen Wahlkreis (hier: Regionalwahlkreis) zugewiesen. Um daraus resultierende verfassungsrechtliche Bedenken auszuschließen, empfiehlt es sich, für die Regionalwahlkreise eine verfassungsgesetzliche Grundlage zu schaffen."

Im Hinblick darauf kann kein Zweifel daran bestehen, dass die hier in Betracht kommenden Regelungen der NRWO für die Regionalwahlkreise in der genannten Bestimmung des B-VG ihre "verfassungsgesetzliche Grundlage" finden.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis VfSlg. 15.616/1999 (S 326 Pkt. 2.2.1.) die Auffassung vertrat, dass die "wahlkreisweise Repräsentation" durch die mit der B-VG-Novelle BGBl. 1992/470 bewirkte Änderung des Art 26 B-VG, nämlich mit der dadurch geschaffenen Regelung des Abs 2 dritter Satz über das abschließende Ermittlungsverfahren im gesamten Bundesgebiet nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, an Bedeutung verloren hat.

3. Aus Art 141 Abs 1 zweiter und dritter Satz B-VG

sowie aus den §§67 Abs 1, 69 Abs 2 und 70 Abs 1 VfGG ergibt sich, dass der Verfassungsgerichtshof das Wahlverfahren nur in den Grenzen der behaupteten Rechtswidrigkeit zu überprüfen hat, dass er aber darüber hinaus die Gesetzmäßigkeit des Wahlverfahrens von Amts wegen einer weiteren Überprüfung nicht unterziehen darf (vgl. zB VfSlg. 15.616/1999 mwH).

4. Da die von der anfechtenden Wählergruppe

behaupteten Rechtswidrigkeiten nicht erwiesen werden konnten, war die Wahlanfechtung abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne

Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.