VfGH vom 18.09.2015, V96/2015

VfGH vom 18.09.2015, V96/2015

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen einer Verordnung über die Zusammensetzung der Disziplinarsenate der Disziplinarkommission für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck für das Jahr 2014 mangels ortsüblicher Kundmachung

Spruch

I. Die Wortfolge

"Rückwirkend zum setze ich als Vorsitzender der Disziplinarkommission für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck für das Kalenderjahr 2014 folgenden Senat für sämtliche Geschäfte ein:

Dr. Herbert Köfler, Senatsvorsitzender (Stellvertreter: Mag. Alois Glatzl)

Mag. Ferdinand Neu, Senatsmitglied (Ersatzmitglied: DA Erika Schmeissner-

Schmid)

Christof Peintner, Senatsmitglied (Ersatzmitglied: Ing. Hubert Kluge)

Dieser Senat ist somit für alle Angelegenheiten zuständig, die ihm das Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz überträgt."

der Verordnung über die "Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG" für das Kalenderjahr 2014 war gesetzwidrig.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E266/2015 eine auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der Beschwerdeführer im Anlassverfahren steht als Beamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Innsbruck. Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Disziplinarkommission für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck (im Folgenden: Disziplinarkommission) vom gemäß § 77 Abs 2 Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz 1970 (im Folgenden: IGBG) mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert.

1.2. Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die gegen den Bescheid der Disziplinarkommission erhobene Beschwerde gemäß § 28 Abs 1 VwGVG ab. In der Sache wird begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass die Suspendierung keine Strafe sei, sondern mit ihr bestimmte Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis zum Ruhen gebracht würden. Der vorliegende begründete Verdacht der Missachtung einer Weisung sei geeignet, den Dienstbetrieb an der Dienststelle ernsthaft in Frage zu stellen, sodass die Voraussetzungen für die Verhängung einer Suspendierung erfüllt seien.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im verfassungsgerichtlichen Verfahren Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Bestimmungen der "Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG" für das Kalenderjahr 2014 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Verordnungsbestimmungen von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"[…] Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Wortfolge, die die Zusammensetzung des Senates der Disziplinarkommission regelt, als Geschäftseinteilung zu werten und somit im Lichte des § 67 IGBG als Rechtsverordnung zu qualifizieren ist (vgl. auch VfSlg 18.287/2007 samt dem zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ).

[…] Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist. Das Landesverwaltungsgericht Tirol dürfte bei der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die in Prüfung gezogene Wortfolge angewendet haben, weil es sich ausdrücklich mit der Zuständigkeit der Disziplinarkommission auseinandersetzt; auch der Verfassungsgerichtshof dürfte diese Bestimmung bei seiner Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden haben, sodass die Bestimmung hier präjudiziell in der Bedeutung des Art 139 Abs 1 B VG sein dürfte.

[…] Die in Rede stehende Wortfolge dürfte die Geschäftseinteilung für den Senat der Disziplinarkommission für das Jahr 2014 darstellen; sie dürfte somit als Rechtsverordnung zu qualifizieren sein (vgl. zB das Erkenntnis VfSlg 17.771/2006 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg 18.287/2007 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg 19.072/2010 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg 19.230/2010 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss , sowie das Erkenntnis , V65/2013 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ).

[…] Die als Geschäftseinteilung zu qualifizierende Wortfolge dürfte auch Eingang in die Rechtsordnung gefunden haben; so scheint sie insbesondere durch die Weiterleitung an die Mitglieder und Ersatzmitglieder der Disziplinarkommission ein gewisses Mindestmaß an Publizität erlangt zu haben (vgl. , V65/2013).

[…] In der Sache hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Wortfolge mangelhaft kundgemacht worden ist:

[…] Als Rechtsverordnung des Vorsitzenden der Disziplinarkommission hätte die in Rede stehende Geschäftseinteilung – mangels besonderer Kundmachungsvorschriften – ortsüblich kundgemacht werden müssen (vgl. VfSlg 19.072/2010 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ; ; zur erforderlichen 'gehörigen' Kundmachung von Verordnungen bei Fehlen gesetzlicher Kundmachungsvorschriften zB VfSlg 4865/1964, 16.281/2001, 18.323/2007), dh. in einer solchen Art, dass alle Adressaten von der Verordnung Kenntnis erhalten können (vgl. VfSlg 3714/1960, 19.072/2010 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ; ).

[…] Eine solche Kundmachung dürfte nicht erfolgt sein, weil lediglich die Übermittlung an ausgewählte Empfänger mit dem Wesen der Kundmachung einer generellen Norm nicht vereinbar sein dürfte, zumal die im vorliegenden Fall gewählte Vorgangsweise – die Zusendung eines E-Mails an den Stellvertreter des Senatsvorsitzenden, die Mitglieder des Senates sowie die Ersatzmitglieder – auch nicht geeignet war, alle Normadressaten (die Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck) vom Inhalt der Verordnung in Kenntnis zu setzen (vgl. VfSlg 16.281/2001, 17.944/2006 und 18.035/2006 samt dem zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ; 19.072/2010 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss sowie 19.230/2010 und den zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ). Auch der Umstand, dass bei der Disziplinarkommission nur ein einziger Senat eingerichtet wurde und diesem sämtliche Aufgaben der Disziplinarkommission zugewiesen wurden, dürfte am Verordnungscharakter der in Prüfung gezogenen Regelung nichts ändern (vgl. auch VfSlg 18.287/2007 samt dem zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss ).

[…] Weiters dürfte die Prüfung gezogene Regelung, der zu Folge die Disziplinarkommission offenbar nur aus einem Senat besteht, gegen § 67 Abs 1. und 3 IGBG verstoßen. Aus dieser Bestimmung scheint sich nämlich zu ergeben, dass die Disziplinarkommission in 'Senaten' entscheidet und somit – auch wenn die Anzahl der Senate samt ihrer Bildung sowie die Geschäftsverteilung auf diese im Ermessen des Vorsitzenden der Disziplinarkommission liegen dürfte – mindestens zwei Senate zu bilden sind (vgl. auch VfSlg 18.287/2007 samt dem zugrunde liegenden Prüfungsbeschluss )."

4. Der Vorsitzende der Disziplinarkommission hat die Akten betreffend die in Prüfung gezogene Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken im Wesentlichen wie folgt entgegengetreten wird:

"Laut Beschluss geht der Gerichtshof 'vorläufig davon aus, dass die Wortfolge, die die Zusammensetzung des Senates der Disziplinarkommission regelt, als Geschäftseinteilung zu werten und somit im Lichte des § 67 IGBG als Rechtsverordnung zu qualifizieren ist.'

Mit Wirkung vom wurde das Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz im Bereich des Disziplinarrechtes umfassend novelliert (LGBl Nr 3/2003). Seither wird im Stadtmagistrat Innsbruck die von mir […] geschilderte Praxis gelebt. Von einer ortsüblichen Kundmachungspflicht der Senatsbildung und Geschäftsverteilung ist nie ausgegangen worden, zumal § 67 IGBG im Unterschied zu § 101 Abs 5 BDG eine solche auch nicht vorsieht. Für den jeweiligen Vorsitzenden der Disziplinarkommission stellte die jährliche Geschäftsverteilung auch keine Rechtsverordnung dar. Sie wurde und wird als interne Verwaltungsverordnung angesehen, die sich allein an die Mitglieder des jeweils gebildeten Senates richtet.

Dem vom Gerichtshof angesprochenen Publizitätsgedanken der Senatsbildung und der Geschäftsverteilung wird aber unabhängig davon Genüge getan, weil dem Beschuldigten im Verhandlungsbeschluss die Senatszusammensetzung bekannt zu geben und die Möglichkeit einzuräumen ist, ein Senatsmitglied abzulehnen (§88 Abs 3 IGBG). Von diesem Recht machte der Beschuldigte im gegenständlichen Fall auch Gebrauch. Die Senatszusammensetzung wird dem Angezeigten auch schon mit Zustellung des Einleitungsbeschlusses bekannt gegeben.

Zusammenfassend können daher dazu die Bedenken des Gerichtshofes nicht geteilt werden.

[…]

Laut Beschluss des Gerichtshofs dürfte die in 'Prüfung gezogene Regelung, der zu Folge die Disziplinarkommission offenbar nur aus einem Senat besteht, gegen § 67 Abs 1[…] und 3 IGBG verstoßen.'

Seit der oben zitierten umfassenden Novellierung des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes im Bereich des Disziplinarrechtes für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck wird vom jeweiligen Vorsitzenden der Disziplinarkommission im Einvernehmen mit der Personalvertretung jährlich nur mehr ein Disziplinarsenat für alle Geschäfte gebildet. Dies war in Ansehung der geringen Geschäftsfälle – im statistischen Durchschnitt der letzten 15 Jahre weit weniger als eine Anzeige jährlich – auch leicht ausreichend.

Im Stadtmagistrat Innsbruck wird seit Juli 2001 nicht mehr pragmatisiert. Der Anteil der Beamten an der Gesamtbelegschaft beträgt mit Stand Juli 2015 nur mehr 11 % (168 Personen). Die Einrichtung nur eines Senates entspricht daher auch den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit.

Zusammenfassend können daher auch dazu die Bedenken des Gerichtshofes nicht geteilt werden.

In rechtlicher Hinsicht darf ergänzend ausgeführt werden wie folgt:

[…] Zur Rechtsqualität des Beschlusses betreffend die Zusammensetzung der Disziplinarsenate:

Laut den im Beschluss zitierten Bestimmungen des Innsbrucker Gemeindebeamtengesetzes sind der Bürgermeister und die Disziplinarkommission Disziplinarbehörden der Landeshauptstadt Innsbruck (§62 IGBG). Die Mitglieder der Disziplinarkommission sind gemäß § 66 IGBG vom Bürgermeister auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Der Vorsitzende, der ebenfalls vom Bürgermeister zu bestellen ist, hat in der Folge für das laufende Jahr und jeweils bis zum Jahresschluss für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte auf diese zu verteilen.

Aus diesen Bestimmungen ergibt sich nicht, dass der Vorsitzende die Bildung der Senate aus den bestellten Mitgliedern im Wege einer 'Verordnung' vorzunehmen hat. Die Bildung der Senate mittels einfachen Beschlusses des Vorsitzenden ist daher durchaus mit § 67 Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz vereinbar.

Nach den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B VG) dürfen nur Verwaltungsbehörden (im formellen Sinn) Verordnungen erlassen. Unter Verordnung sind generelle Rechtsvorschriften zu verstehen, die von Verwaltungsbehörden erlassen werden und die sich ihrem Inhalt nach an die Rechtsunterworfenen (nach außen) richten. […]

Da nach § 62 Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz der Vorsitzende der Disziplinarkommission keine Disziplinarbehörde und damit auch keine Verwaltungsbehörde ist, ist der gegenständliche Beschluss des Vorsitzenden, mit dem die Zusammensetzung des Disziplinarsenates der Landeshauptstadt Innsbruck für das Jahr 2014 festgelegt wird, nicht als Rechtsverordnung zu qualifizieren.

[…] Zur Zulässigkeit der Bildung von lediglich einem Senat:

Nach § 67 IGBG hat die Disziplinarkommission in Senaten zu entscheiden. Die Senate haben aus dem Vorsitzenden der Kommission oder einem seiner Stellvertreter als Senatsvorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern zu bestehen. Jedes Kommissionsmitglied darf mehreren Senaten angehören.

Betreffend die Zusammensetzung der Senate bestimmt § 67 IGBG, dass der Vorsitzende der Disziplinarkommission sogleich nach seiner Bestellung für das laufende Jahr und jeweils bis zum Jahresschluss für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte auf diese zu verteilen hat.

Der Wortlaut 'die Disziplinarkommission hat in Senaten zu entscheiden' sagt lediglich aus, dass eine Entscheidung durch einzelne Mitglieder nicht zulässig ist, sondern in jedem Fall eine Entscheidung durch einen Senat zu erfolgen hat. Diese Bestimmung normiert jedoch nicht, ob tatsächlich ein oder mehrere Senate zu bilden sind, sondern räumt lediglich die Option ein, mehrere Senate einzurichten. Der Wortlaut 'die Senate zu bilden und die Geschäfte auf diese zu verteilen', ist wörtlich so zu interpretieren, dass 'die Senate' nur optional zu verstehen ist und auch die Bildung von lediglich einem Senat zulässig ist. Ansonsten müsste vor dem Wort 'Senate' das Wort 'mehrere' oder die Wortfolge 'mindestens zwei' enthalten sein." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

5. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat eine Äußerung erstattet, in der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wird:

"[...] Zur mangelhaften Kundmachung der Geschäftseinteilung

Nachforschungen des Beschwerdeführers haben ergeben, dass tatsächlich nur die betroffenen Mitglieder und Ersatzmitgliedern der Disziplinarkommission das als Verordnung zu qualifizierende Schreiben über die Geschäftseinteilung erhalten haben dürften. Eine Kundmachung in ortsüblicher Weise ist nicht erfolgt.

Richtig ist, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des Disziplinarverfahrens über die Zusammensetzung der Disziplinarkommission informiert worden ist. Entgegen der Rechtsansicht der Disziplinarkommission reicht dies jedoch nicht aus, um dem 'Publizitätsgedanken' für die Kundmachung einer Geschäftsverteilung im Sinne einer Verordnung nachzukommen […]. Allein der Umstand, dass § 67 IGBG keine 'ortsübliche Kundmachungspflicht' vorsieht, befreit nicht von der Einhaltung dieser Voraussetzung. Vielmehr hätte die als Rechtsverordnung zu qualifizierende Geschäftseinteilung, eben weil besondere Kundmachungsvorschriften im § 67 IGBG fehlen, ortsüblich kundgemacht werden müssen, damit alle Adressaten von der Verordnung Kenntnis erlangen können.

Im [Ü]brigen ist richtig, dass der Beschwerdeführer von seinem Recht, ein Senatsmitglied abzulehnen, gemäß § 88 Abs 3 IGBG Gebrauch gemacht hat. Nun ist jedoch jener Fall eingetreten, dass der Beschwerdeführer wieder nicht weiß, wer nun tatsächlich bzw schlussendlich in seiner Sache entscheiden wird. Der Beschwerdeführer hat mit Ablehnungsantrag vom […] Herrn Mag. [XY] als Mitglied der Disziplinarkommission abgelehnt. Mittlerweile hat der Beschwerdeführer jedoch erfahren, dass das für Herrn Mag. [XY] bestellte Ersatzmitglied […] im Krankenstand ist. Soweit bekannt, ist das Ende des Krankenstandes derzeit leider nicht absehbar. Aus diesem Grund musste mit Schreiben der Disziplinarkommission vom bereits die für anberaumte mündliche Verhandlung abgesagt werden.

Die Möglichkeit nach § 88 Abs 3 IGBG ersetzt keinesfalls eine ortsübliche Kundmachung der Geschäftseinteilung, vielmehr setzt diese Möglichkeit eine Kundmachung der Geschäftseinteilung voraus. Es ist daher davon auszugehen, dass die Geschäftseinteilung bzw Zusammensetzung des Senates der Disziplinarkommission für BeamtInnen der Landeshauptstadt Innsbruck für das Kalenderjahr 2014' zur Gänze gesetzwidrig ist.

Für das Jahr 2015 existiert offenbar keine Geschäftseinteilung. Laut § 67 Abs 3 IGBG hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission sogleich nach seiner Bestellung (der Zeitpunkt der Bestellung ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt) für das laufende Jahr und jeweils bis zum Jahresschluss für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte auf diese zu verteilen (etc).

Laut dem im Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom […] wiedergegebenen Text der nun zu prüfenden Verordnung gibt es offenbar lediglich eine Geschäftseinteilung für das Jahr 2014. Danach setzte der Vorsitzende der Disziplinarkommission für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck den in der Folge genannten Senat ausdrücklich nur für das Kalenderjahr 2014 und nicht auch für das Folgejahr ein.

Dies ist insofern von Bedeutung, als das Disziplinarverfahren erst mit 'Beschluss' vom […], also im Jahr 2015, eingeleitet worden ist und das Suspendierungsverfahren zwar im Jahre 2014 eingeleitet worden ist, aber nach wie vor andauert. Der Beschwerdeführer hat erst im Rahmen des Disziplinarverfahrens durch den Verhandlungsbeschluss vom […] von der Zusammensetzung des Senates erfahren.

[…] Bestellung lediglich eines Senates

Die Disziplinarkommission bestätigt im Rahmen ihrer Äußerung […], dass nur ein Senat errichtet worden ist. Entgegen der Ansicht der Disziplinarkommission verstößt dieser Umstand gegen die Regelung des § 67 IGBG. Dieser ist nämlich nicht als Option für die Bildung mehrerer Senate zu sehen. Der Wortlaut der Gesetzesstelle stellt auf die Bildung 'mehrerer' Senate ab. Sollte dies als Option verstanden werden, so müsste der Gesetzeswortlaut entweder lauten: 'Die Disziplinarkommission hat in zumindest einem Senat .... oder ... hat in einem oder mehreren Senaten zu entscheiden ...'. Die tatsächlich im Gesetzestext gewählte Formulierung '... hat in mehreren Senaten zu entscheiden ...' lässt jedoch keinen Raum für die seitens der Disziplinarkommission nunmehr gewünschten Auslegung als 'Option'.

Die Argumentation der Disziplinarkommission, dass von der Bestellung mehrerer Senate aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit abgesehen worden sei, geht fehl. Es kann nicht sein, dass insbesondere die Rechte auf ein faires Verfahren und den gesetzlichen Richter der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit zum Opfer fallen.

Gerade hier hat die Bestellung von lediglich einem Senat nun dazu geführt, dass die Disziplinarkommission faktisch handlungs- und entscheidungsunfähig ist. Wie bereits erwähnt, musste bereits die für anberaumte mündliche Verhandlung wegen des Krankenstandes [eines Mitglieds] abgesagt werden. […] Die mit der dadurch verlängerten Verfahrensdauer verbundenen Vermögenseinbußen des Beschwerdeführers aufgrund der Bezugskürzung sind evident." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

6. Die Tiroler Landesregierung und das Landesverwaltungsgericht Tirol haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 67 Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz 1970, LGBl 44, idF LGBl 3/2003, lautet samt Überschrift wie folgt:

"§67

Disziplinarsenate

(1) Die Disziplinarkommission hat in Senaten zu entscheiden. Die Senate haben aus dem Vorsitzenden der Kommission oder einem seiner Stellvertreter als Senatsvorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern zu bestehen. Jedes Kommissionsmitglied darf mehreren Senaten angehören.

(2) Ein Mitglied des Senates muss ein auf Vorschlag der Personalvertretung bestelltes Mitglied sein.

(3) Der Vorsitzende der Disziplinarkommission hat sogleich nach seiner Bestellung für das laufende Jahr und jeweils bis zum Jahresschluss für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte auf diese zu verteilen. Gleichzeitig ist die Reihenfolge zu bestimmen, in der die weiteren Kommissionsmitglieder bei der Verhinderung eines Senatsmitgliedes als Ersatzmitglieder in die Senate eintreten. Die Zusammensetzung der Senate darf nur im Falle unbedingten Bedarfes geändert werden."

2. Die "Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG" bzw. "Senatsbildung" für die Disziplinarkommission für das Kalenderjahr 2014 lautet im Wesentlichen wie folgt (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Der Vorsitzende der Disziplinarkommission

für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck

Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG

MagIbk/3313/MD-PA/1

Sg. Mitglieder und Ersatzmitglieder der Disziplinarkommission,

[…]

Rückwirkend zum setze ich als Vorsitzender der Disziplinarkommission für Beamte der Landeshauptstadt Innsbruck für das Kalenderjahr 2014 folgenden Senat für sämtliche Geschäfte ein:

Dr. Herbert Köfler, Senatsvorsitzender (Stellvertreter: Mag. Alois Glatzl)

Mag. Ferdinand Neu, Senatsmitglied (Ersatzmitglied: DA Erika Schmeissner-

Schmid)

Christof Peintner, Senatsmitglied (Ersatzmitglied: Ing. Hubert Kluge)

Dieser Senat ist somit für alle Angelegenheiten zuständig, die ihm das Innsbrucker Gemeindebeamtengesetz überträgt.

[…]

Dr. Herbert Köfler

Vorsitzender der Disziplinarkommission" (Zitat ohne die im Original enthaltenen

Hervorhebungen)

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Rahmen der Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens im Wesentlichen erwogen, dass es bei der in Prüfung gezogenen Wortfolge der "Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG" um eine als Rechtsverordnung zu qualifizierende Geschäftseinteilung handeln dürfte, die durch Weiterleitung an die Mitglieder der Disziplinarkommission auch Eingang in die Rechtsordnung gefunden haben dürfte. Diesen Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes tritt der Vorsitzende der Disziplinarkommission insoweit entgegen, als die "Geschäftseinteilung" eine interne Verwaltungsverordnung darstelle, die sich allein an die Mitglieder des Senates richte. Weiters handle es sich beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission um keine Verwaltungsbehörde im formellen Sinn, weshalb sein "Beschluss [über] die Zusammensetzung des Disziplinarsenates für das Jahr 2014" nicht als Rechtsverordnung qualifiziert werden könne.

1.2. Zur Erlassung der in Prüfung gezogenen Geschäftseinteilung war allein der Vorsitzende der Disziplinarkommission berufen (vgl. § 67 Abs 3 IGBG), denn der Vorsitzende hat "die Senate zu bilden und die Geschäfte auf diese zu verteilen". Der Vorsitzende der Disziplinarkommission ist somit durch § 67 Abs 3 IGBG ausdrücklich zur Erlassung der Geschäftseinteilung im eigenen Namen ermächtigt und er wird insoweit als verordnungserlassendes Organ tätig (vgl. § 101 Abs 4 BDG 1979 idF vor der Novelle BGBl I 140/2011 sowie VfSlg 19.072/2010).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt es für die Qualifikation einer behördlichen Enuntiation als Verordnung im Sinne des Art 139 B VG u.a. auf ihre rechtsgestaltende Außenwirkung an: Die Enuntiation muss die Rechtssphäre eines unbestimmten Adressatenkreises gestalten (vgl. zB die Erkenntnisse VfSlg 11.467/1987, 13.632/1993, 17.244/2004, 17.806/2006, 18.495/2008, 19.848/2014). In diesem Sinn handelt es sich bei der Geschäftseinteilung um eine zuständigkeitsbegründende Rechtsvorschrift, die (in Zusammenschau mit der ebenfalls in § 67 Abs 3 IGBG normierten festen Geschäftsverteilung) ein Recht des einzelnen Beamten auf Entscheidung durch den – vom Vorsitzenden der Disziplinarkommission festgelegten – zuständigen Senat bedeutet, sodass sie als Rechtsverordnung anzusehen ist (VfSlg 14.985/1997, 17.771/2006, 19.230/2010).

1.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen – in dieser Hinsicht äußerten die am vorliegenden Verfahren Beteiligten nichts Gegenteiliges –, ist das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt zulässig.

2. In der Sache

2.1. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss das Bedenken, dass eine Kundmachung der als Rechtsverordnung zu wertenden Geschäftseinteilung des Vorsitzenden der Disziplinarkommission nicht erfolgt sein dürfte. Diesem Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hält der Vorsitzende der Disziplinarkommission im Wesentlichen entgegen, dass § 67 IGBG eine Kundmachung der Geschäftseinteilung nicht vorsehe.

2.2. Die in Rede stehende Geschäftseinteilung ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als Rechtsverordnung zu qualifizieren (vgl. schon Punkt. II.1.2. sowie zB die Erkenntnisse VfSlg 17.771/2006, 18.287/2007, 19.072/2010, 19.230/2010). Als Rechtsverordnung hätte die Geschäftseinteilung – da besondere Kundmachungsvorschriften im Gesetz nicht enthalten sind – ortsüblich kundgemacht werden müssen (vgl. VfSlg 19.072/2010, 19.527/2011; ; zur erforderlichen "gehörigen" Kundmachung von Verordnungen bei Fehlen gesetzlicher Kundmachungsvorschriften vgl. zB VfSlg 4865/1964, 16.281/2001, 18.323/2007), dh. in einer solchen Art, dass alle Adressaten von der Verordnung Kenntnis erhalten können (vgl. VfSlg 3714/1960, 19.072/2010, 19.848/2014; ).

Eine solche Kundmachung, die geeignet ist, alle Normadressaten – nämlich die Beamten der Landeshauptstadt Innsbruck – vom Inhalt der Verordnung in Kenntnis zu setzen, ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Gemäß den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten und der Äußerung des Vorsitzenden der Disziplinarkommission ist die in Rede stehende Geschäftseinteilung ausschließlich den Mitgliedern und Ersatzmitgliedern der Disziplinarkommission zur Kenntnis gebracht worden; eine darüber hinausgehende ortsübliche Kundmachung ist nicht erfolgt.

Auch das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, es liege ein Verstoß gegen § 67 Abs 1 und 3 vor, weil die Disziplinarkommission nur aus einem Senat besteht, hat sich als zutreffend erwiesen (vgl. VfSlg 18.287/2007 zur inhaltlich vergleichbaren Bestimmung des § 109 Oö. StGBG 2002).

Die Geschäftseinteilung "Zusammensetzung der Disziplinarkommission gem. § 67 IGBG" erweist sich daher als gesetzwidrig.

2.3. Die im Spruch genannte Wortfolge der – mit "Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG" betitelten – Verordnung gilt ihrem ersten Satz zufolge "für das Kalenderjahr 2014". Im Hinblick auf diese Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof den Ausspruch darauf zu beschränken, dass die Verordnung gesetzwidrig war.

IV. Ergebnis

1. Gemäß Art 139 Abs 4 iVm Art 139 Abs 3 Z 3 B VG war aus den unter III.2.2. dargelegten Gründen auszusprechen, dass die im Spruch genannte Wortfolge der Verordnung "Zusammensetzung der Disziplinarsenate gem. § 67 IGBG" gesetzwidrig war.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art 139 Abs 5 zweiter Satz B VG iVm § 2 Abs 1 litj Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetz 2013, LGBl 125/2013.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:V96.2015