VfGH vom 24.02.2011, v76/10
Sammlungsnummer
19308
Leitsatz
Unsachlichkeit der Beschränkung des Anwendungsbereichs der erhöhten Prozentgrenze bei Überschreitung der Zuverdienstgrenze für Rückforderungen von Karenzgeldbezügen in bestimmten Härtefällen auf Geburten ab 2002; genereller Ausschluss der Bezieherinnen von Karenzgeld von der neuen Regelung; Diskriminierung gegenüber Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld durch strengeres Rückforderungsregime
Spruch
I. Die Wortfolge "und gilt für Geburten nach dem " in § 4 der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, mit der Kriterien für Härtefälle nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz festgelegt werden (KBGG-Härtefälle-Verordnung), BGBl. II Nr. 405/2001, idF BGBl. II Nr. 91/2004 wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die aufgehobene Wortfolge ist nicht mehr anzuwenden.
III. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Mit einem auf Art 139 B-VG gestützten Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof (im Folgenden: OGH), der Verfassungsgerichthof wolle aussprechen, dass die Wortfolge "und gilt für Geburten nach dem " in § 4 der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, mit der Kriterien für Härtefälle nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz festgelegt werden (KBGG-Härtefälle-Verordnung), BGBl. II 405/2001, idF BGBl. II 91/2004 gesetzwidrig war.
2. Der Antrag wird aus Anlass eines beim OGH anhängigen Revisionsverfahrens gestellt, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt: Die nunmehrige Klägerin (deren Tochter am geboren worden war) bezog für den Zeitraum vom bis Karenzgeld in bestimmter Höhe, zugleich aber ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Mit Bescheid vom widerrief die Steiermärkische Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des Karenzgeldes für den genannten Zeitraum, da das Erwerbseinkommen den Grenzbetrag gemäß § 2 Abs 1 Z 3 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (in der Folge: KBGG) um 14,37 Prozent überschritten hatte, und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin auf Feststellung, nicht zum Ersatz der empfangenen Leistungen verpflichtet zu sein, ab und verpflichtete die Klägerin, das im genannten Zeitraum bezogene Karenzgeld binnen 14 Tagen zurückzuzahlen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge; dies mit der Begründung, eine geringfügige, unvorhersehbare Überschreitung iSd § 1 KBGG-Härtefälle-Verordnung liege nur bei einer Überschreitung des Grenzbetrags gemäß § 2 Abs 1 Z 3 KBGG um nicht mehr als 10 Prozent vor. Die Anhebung dieses Prozentsatzes auf 15 Prozent (BGBl. II 91/2004) gelte gemäß § 4 KBGG-Härtefälle-Verordnung nur für Geburten nach dem und daher nicht für die Klägerin.
Der OGH verweist zu Beginn seiner Sachausführungen auf die hg. Judikatur, wonach Stichtagsregelungen bei Änderung der Rechtslage im Regelfall nicht nur zulässig sind, sondern sogar notwendig sein können. Er vertritt jedoch die Auffassung, dass die vorliegende Stichtagsregelung wegen Unsachlichkeit zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führt. Wörtlich heißt es sodann:
"5.1. Wie schon unter Punkt 1. am Ende erwähnt, ging der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 2 Abs 6 KGG offensichtlich davon aus, dass Kinderbetreuungsgeldbezieher und Karenzgeldbezieher hinsichtlich der Zuverdienstgrenze gleichgestellt werden sollten (siehe auch RV 620 BlgNR 21. GP 72). Das liegt auch deshalb nahe, weil es sich beim Karenzgeld um eine auf vorheriger Beitragsleistung beruhende Sozialversicherungsleistung handelt, während das Kinderbetreuungsgeld nicht von einer vorherigen Beitragsleistung abhängt; es würde daher einen gewissen Wertungswiderspruch darstellen, wenn der Anspruch auf die vergleichbare Sozialversicherungsleistung hinsichtlich der Zuverdienstgrenze an strengere Prämissen gebunden würde.
5.2. Die Verordnung, mit der Kriterien für Härtefälle nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz festgelegt werden (KBGG-Härtefälle-Verordnung), wurde mit der Verordnung BGBl II 2004/91 (nur) in der Form geändert, dass in § 1 lita der Ausdruck '10 %' durch den Ausdruck '15 %' ersetzt und ein § 4 angefügt wurde, wonach die geänderte Fassung der Verordnung mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft tritt und für Geburten nach dem gilt.
Das Datum des Geltungsbeginns ist insofern nahe liegend, als für alle Geburten nach dem das Kinderbetreuungsgeld gebührt (§49 Abs 1 KBGG). Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber übersehen hat, dass die Zuverdienst- und Rückforderungsregelungen des KBGG und die KBGG-Härtefälle-Verordnung übergangsweise auch für Fälle des Karenzgeldbezugs gelten, erscheint es doch überraschend, dass grundsätzlich eine Gleichstellung von Karenzgeldbeziehern und Kinderbetreuungsgeldbeziehern hinsichtlich Zuverdienst und Rückforderung angestrebt wurde, aber für einen spezifischen Teilbereich doch wieder unterschiedliche Regelungen gelten sollten.
5.3. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung ist nicht erkennbar. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich die Regelungen zu den Zuverdienstgrenzen und den Rückforderungsmöglichkeiten im Fall eines unrechtmäßigen Bezugs von Kinderbetreuungsgeld und Karenzgeld (für Geburten ab ) aneinander angleichen. Ein Größenschluss aus dem Charakter der auf Beiträgen beruhenden Karenzgeldleistung (im Vergleich zum Kinderbetreuungsgeld, das nicht von einer vorherigen Beitragsleistung abhängt) spricht eher dafür, dass Karenzgeldbezieher in Bezug auf die Zuverdienstgrenzen und die Rückforderungsmöglichkeiten nicht schlechter gestellt sein sollen als Kinderbetreuungsgeldbezieher.
In diesem Sinn bestehen Bedenken dagegen, dass die Wortfolge 'und gilt für Geburten nach dem ' in § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (in der Fassung BGBl II 2004/91) dem Art 7 B-VG entspricht."
3. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend erstattete eine Äußerung, in der er die Abweisung des Antrags beantragt.
Da der Geltungsbereich des KBGG auch den Regelungsbereich der auf ihm beruhenden KBGG-Härtefälle-Verordnung begrenze, wäre es dem Verordnungsgeber gar nicht möglich gewesen, auch Sachverhalte zu erfassen, die vor dem für das KBGG selbst geltenden Geburtenstichtag gelegen sind. Wenn aber (nach der Judikatur des OGH) der Verweis des § 39 des Karenzgeldgesetzes (in der Folge: KGG) auf § 31 KBGG dazu geeignet sei, die KBGG-Härtefälle-Verordnung idF BGBl. II 405/2001 unbeschadet der ihr immanenten Stichtagsregelung auch auf Karenzgeldbezieher anzuwenden, dann müsse dies ebenso für die Verordnung in ihrer geänderten Fassung gelten. Eine differenzierte Behandlung von Karenzgeld- und Kinderbetreuungsgeldbeziehern liege daher gar nicht vor.
Der Bundesminister weist außerdem darauf hin, dass eine Aufhebung der Rückwirkungsanordnung dazu führen würde, dass die Anhebung des Geringfügigkeitskriteriums des § 1 lita KBGG-Härtefälle-Verordnung von 10 auf 15 Prozent erst mit dem der Kundmachung der Verordnung folgenden Tag, somit mit , auf alle Leistungsbezieher anzuwenden gewesen wäre. Für die Klägerin im Anlassverfahren, bei der es um die Rückforderung für das Jahr 2003 geht, wäre daher nichts gewonnen.
4. Die Klägerin im Anlassverfahren erstattete eine Äußerung, in der sie den Argumenten des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend entgegentritt.
II. Rechtslage
1. Das KBGG wurde mit BGBl. I 103/2001 erlassen, trat am in Kraft und ist für Geburten nach dem anzuwenden.
§ 31 Abs 4 KBGG lautet in der Stammfassung BGBl. I 103/2001:
"Rückforderungen, die gemäß den Abs 1 bis 3 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen bis zur Hälfte derselben aufgerechnet werden; sie vermindern den Leistungsanspruch entsprechend. Der Krankenversicherungsträger kann bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände (Härtefälle), insbesondere in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers,
1. die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,
2. die Rückforderung stunden,
3. auf die Rückforderung verzichten.
Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung die Kriterien für Härtefälle sowie Art und Weise der Rückforderung festzulegen."
2. Das KGG ist auf Geburten bis anzuwenden. Für Geburten ab dem wurden die Bestimmungen des KGG hinsichtlich der Anspruchsdauer und der zu beachtenden Zuverdienstgrenzen neben dem Karenzgeld und dem Zuschuss zum Karenzgeld für Bezugszeiträume ab dem mit BGBl. I 103/2001 an jene des KBGG angepasst (vgl. insbesondere §§2 Abs 6, 11 Abs 3, 15 Abs 3 und 17 Abs 4 KGG).
Für die Rückforderung von Karenzgeldbezügen, die gesetzlich nicht gebührt hätten, wird in § 39 KGG idF BGBl. I 71/2003 für Bezugszeiträume ab dem (vgl. § 57 Abs 20 KGG) Folgendes festgelegt:
"§31 KBGG ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Kinderbetreuungsgeldes das Karenzgeld oder die Teilzeitbeihilfe und an die Stelle der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse die jeweils zuständige Gebietskrankenkasse tritt."
3. Auf Grund der in § 31 Abs 4 KBGG normierten Verordnungsermächtigung hat der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen mit BGBl. II 405/2001 die KBGG-Härtefälle-Verordnung erlassen. Diese lautet wie folgt:
"§1. Als Härtefälle gelten:
a) Fälle einer geringfügigen, unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze. Eine geringfügige, unvorhersehbare Überschreitung liegt nur dann vor, wenn die Grenzbeträge gemäß den §§2 Abs 1 Z 3 und 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 10% überstiegen werden. In solch einem Falle ist auf die Rückforderung zu verzichten.
b) Fälle, in denen die Voraussetzungen für eine Rückforderung dem Grunde nach erfüllt sind, jedoch auf Grund der individuellen Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des/der Verpflichteten eine Rückforderung ganz oder teilweise oder zum gegebenen Zeitpunkt als unbillig erscheint.
§ 2. Die konkrete Ausgestaltung einer Rückforderung nach § 1 litb richtet sich mit folgender Ausnahme nach den Bestimmungen der §§60 bis 62 Bundeshaushaltsgesetz:
Werden Ratenzahlungen bewilligt oder Rückforderungen gestundet, so dürfen keine Zinsen ausbedungen werden.
§ 3. Liegt ein laufender Bezug einer Leistung gemäß § 1 Kinderbetreuungsgeldgesetz vor, können Rückforderungen bis zur Hälfte des laufenden Leistungsbezuges aufgerechnet werden."
Mit BGBl. II 91/2004 wurde im § 1 lita dieser Verordnung der Ausdruck "10%" durch den Ausdruck "15%" ersetzt und dem § 3 folgender § 4 angefügt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Der § 1 lita in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 91/2004 tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft und gilt für Geburten nach dem ."
Die Kundmachung erfolgte am ; die neue Fassung ist somit am in Kraft getreten.
Mit Ablauf des ist die KBGG-Härtefälle-Verordnung außer Kraft getreten; auf Anspruchsüberprüfungen betreffend die Kalenderjahre 2002 bis 2007 ist sie jedoch weiterhin anzuwenden (§49 Abs 15 KBGG idF BGBl. I 76/2007).
III. Erwägungen
1. Prozessvoraussetzungen
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Der Antrag des OGH richtet sich gegen jene Wortfolge in § 4 KBGG-Härtefälle-Verordnung idF BGBl. II 91/2004, die anordnet, dass die Anhebung des Überschreitungsprozentsatzes von 10 auf 15 Prozent (erst) für Geburten nach dem gilt. Diese Norm ist am in Kraft getreten. Allerdings ordnet § 49 Abs 15 KBGG idF BGBl. I 76/2007 an, dass die KBGG-Härtefälle-Verordnung idF BGBl. II 91/2004 auf Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 weiterhin anzuwenden ist. Im Hinblick auf § 39 KGG bezieht sich dies auch auf Überprüfungen des Anspruches auf Karenzgeld in diesem Zeitraum. Die hier strittige Anspruchsüberprüfung wurde im Jahr 2008 eingeleitet und betrifft das Jahr 2003. Es ist daher jedenfalls denkmöglich, dass der OGH bei seiner Entscheidung darüber, ob im Anlassverfahren ein Härtefall iSd § 31 KBGG iVm § 39 KGG vorliegt, die Übergangsbestimmung des § 4 KBGG-Härtefälle-Verordnung anzuwenden hat. Auch der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend bestreitet dies nicht.
1.3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Frage, ob eine anwendbare Norm, deren Verfassungsmäßigkeit zur Prüfung gestellt wird, noch in Kraft steht oder bereits außer Kraft getreten ist, keine Frage der Zulässigkeit des Antrages, sondern eine solche der Sachentscheidung, die der Verfassungsgerichtshof an der jeweiligen Situation auszurichten hat (vgl. VfSlg. 8871/1980 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Es ist deshalb für die Frage der Zulässigkeit des vorliegenden Antrags nicht von Bedeutung, dass das antragstellende Gericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit begehrt hat, obwohl die angefochtene Norm gemäß § 49 Abs 15 KBGG idF BGBl. I 76/2007 mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich noch in Geltung steht (vgl. auch unten Pkt. IV.2.).
1.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg. 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg. 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der antragstellende Gerichtshof geht davon aus, dass aufgrund der Wortfolge "und gilt für Geburten nach dem " in der Übergangsbestimmung des § 4 KBGG-Härtefälle-Verordnung auf Geburten bis zum (und damit auf Karenzgeldbezieher) für die Rückforderung von Karenzgeld im Jahr 2003 (ausbezahlt aus Anlass der Geburt eines Kindes im April 2001) nicht der mit der Novelle BGBl. II 91/2004 in § 1 lita der Verordnung erhöhte Überschreitungsprozentsatz von 15 Prozent, sondern weiterhin ein Prozentsatz von nur 10 Prozent anzuwenden ist. Dass es dadurch zu einer Differenzierung von Karenzgeld- und Kinderbetreuungsgeldbezieherinnen kommt, hält der OGH für gleichheitswidrig. Damit ist er letztlich im Recht.
2.3. Auszugehen ist davon, dass eine zeitliche Differenzierung, wie sie typischerweise durch eine Stichtagsregelung bewirkt wird, im Allgemeinen nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verstößt, weil es im Wesen einer Änderung materiellrechtlicher Bestimmungen liegt, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Es steht daher grundsätzlich auch in der rechtspolitischen Freiheit des Verordnungsgebers festzulegen, wann eine neue, den Normadressaten begünstigende Bestimmung in Kraft treten soll und für welche Fälle sie zu gelten hat. Dabei bleibt es ihm im Prinzip überlassen, den Stichtag festzulegen, ohne dass es für die Wahl des Stichtages einer Rechtfertigung bedarf. In diesem Sinn weist jede Stichtagsregelung auch ein gewisses Maß an Beliebigkeit auf. Es müsste besondere Gründe geben, warum gerade ein bestimmter Stichtag unsachlich ist (vgl. zB VfSlg. 17.238/2004).
Solche Gründe liegen im vorliegenden Fall jedoch in der Tat vor: Durch das KBGG, BGBl. I 103/2001, wurde mit dem Kinderbetreuungsgeld eine neue, das Karenzgeld ersetzende und umfassender konzipierte Sozialleistung geschaffen. Es ist für Geburten nach dem anzuwenden und am in Kraft getreten (§49 Abs 1 KBGG). Das KGG gilt für Ansprüche aufgrund von Geburten vor dem (§60 KGG), wobei allerdings seine Bestimmungen für Geburten zwischen dem und dem mit BGBl. I 103/2001 den Bestimmungen des KBGG angenähert wurden. Nach diesen Vorschriften gelten für Bezieherinnen von Karenzgeld ab dem die Regelungen des KBGG über die Anspruchsdauer und die zu beachtenden Zuverdienstgrenzen (vgl. §§2 Abs 6, 11 Abs 3, 15 Abs 3 und 17 Abs 4 KGG idF BGBl. I 103/2001). Mit BGBl. I 71/2003 wurde auch § 39 KGG neu gefasst und die Rückforderung von Karenzgeldbezügen, die gesetzlich nicht gebührt hätten, durch Verweis auf § 31 KBGG für Bezugszeiträume ab an das KBGG angepasst. Die Materialien (RV 59 BlgNR 22. GP, 352) führen dazu aus, dass damit "insbesondere auch die auf Grund des § 31 Abs 4 letzter Satz des Kinderbetreuungsgeldgesetzes erlassene KBGG-Härtefälle-Verordnung, BGBl. II Nr. 405/2001, anwendbar werden [soll]".
Der Gesetzgeber wollte somit ersichtlich die zentralen Regelungen des KBGG über Dauer und Höhe des Anspruches, aber auch die Regelungen über die zu beachtenden Zuverdienstgrenzen und die Rechtsfolgen der Überschreitung dieser Grenzen auf die Bezieherinnen von Karenzgeld erstrecken, sofern es sich um Geburten ab dem handelte. Auch die bei Rückforderungen maßgebliche Definition der Härtefälle sollte nach dem Willen des Gesetzgebers im Bereich des Karenzgeldes in gleicher Weise gelten wie im Bereich des Kinderbetreuungsgeldes. Mit diesen gesetzlichen Vorgaben ist es aber nicht in Einklang zu bringen, wenn der Verordnungsgeber den Anwendungsbereich der erhöhten Prozentgrenze der KBGG-Härtefälle-Verordnung auf Geburten ab dem beschränkt und damit Bezieherinnen von Karenzgeld generell (somit auch für Geburten ab dem ) von der neuen Regelung ausschließt und sie einem strengeren Rückforderungsregime unterwirft als die Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld. Für eine solche Differenzierung ist angesichts der ansonsten intendierten und verwirklichten Gleichstellung von Karenzgeld und Kinderbetreuungsgeld für Geburten ab kein sachlicher Grund zu sehen.
Sollte die Äußerung des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend so zu verstehen sein, dass er die Auffassung vertritt, der OGH hätte die von ihm angefochtene Wortfolge im Hinblick auf § 39 KGG schlicht ignorieren können, so ist ihm entgegenzuhalten, dass die vom OGH anzuwendende Rechtslage angesichts des klaren Wortlautes eine solche Vorgangsweise jedenfalls nicht nahe legte, weil in diesem Fall offen bliebe, welche normative Bedeutung dann der Einschränkung überhaupt zukommen sollte.
Der Verfassungsgerichtshof teilt somit im Ergebnis die Bedenken des antragstellenden Gerichtshofes.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die angefochtene Wortfolge war daher aufzuheben.
2. Die aufgehobene Bestimmung steht mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung (vgl. § 49 Abs 15 KBGG idF BGBl. I 76/2007). Es ist daher im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe zB VfSlg. 8709/1979; 12.930/1991; 13.153/1992; 13.881/1994; 16.115/2001; 17.551/2005) mit einer Aufhebung nach Abs 3 des Art 139 B-VG und nicht mit einem Ausspruch nach Abs 4 der eben genannten Verfassungsbestimmung vorzugehen.
3. Der Verfassungsgerichtshof sah sich veranlasst, von der Ermächtigung des Art 139 Abs 6 B-VG Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist.
4. Die Verpflichtung des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden weiteren Ausspruchs erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs 2 VfGG iVm § 4 Abs 1 Z 4 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.