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VfGH vom 05.12.2005, v76/05

VfGH vom 05.12.2005, v76/05

Sammlungsnummer

17729

Leitsatz

Aufhebung einer Wasserleitungsgebührenordnung mangels ordnungsgemäßer Kundmachung; Anschlag lediglich einer Niederschrift einer Gemeinderatssitzung über die Beschlussfassung und nicht des Verordnungstextes nicht ausreichend im Sinne des Kundmachungserfordernisses der Tiroler Gemeindeordnung

Spruch

Die Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch (Beschluss des Gemeinderates der Gemeinde Patsch vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 12. bis , in der Fassung des Beschlusses vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 28. Jänner bis , sowie des Beschlusses vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. September bis ) wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1584/04 das Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Berufungsbescheid vom schrieb der Gemeindevorstand der Gemeinde Patsch dem Beschwerdeführer für die Errichtung eines Wohn- und Wirtschaftsgebäudes auf einem im Gemeindegebiet gelegenen Grundstück auf Grund der Wasserleitungsgebührenordnung dieser Gemeinde eine Wasseranschlussgebühr in Höhe von EUR 4.399,70 vor.

Der dagegen erhobenen Vorstellung gab die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom Folge; der Bescheid des Gemeindevorstandes wurde aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an diese Gemeindebehörde verwiesen. Begründend heißt es dazu, die nach § 3 der Wasserleitungsgebührenordnung als Bemessungsgrundlage der Anschlussgebühr dienende Baumasse sei (entgegen der Rechtsauffassung der Gemeindebehörde) nicht in sinngemäßer Anwendung des Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetzes, sondern nach der (im Zeitpunkt der Erlassung der Gebührenordnung noch in Kraft stehenden) Bestimmung des § 20 der Tiroler Bauordnung (idF LGBl. Nr. 33/1989) zu ermitteln; überdies sei die Gemeindebehörde ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gerecht geworden.

2. Bei Behandlung der gegen diesen Vorstellungsbescheid erhobenen Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "einer Anschlußgebühr," in § 1, des § 2 Abs 1 sowie des § 3 der Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch entstanden; er hat daher am beschlossen, diese Verordnungsstellen von Amts wegen einem Normenprüfungsverfahren zu unterziehen.

In diesem Verfahren erstattete nur der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens eine schriftliche Äußerung.

3. Die Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch vom in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung des Beschlusses vom lautet auszugsweise samt Überschriften (die in Prüfung gezogenen Teile sind hervorgehoben):

"Der Gemeinderat hat mit Sitzungsbeschluß vom auf Grund des § 15 Abs 3 Z 5 ... FAG. 1989, BGBl. Nr. 6]87/1988 nachstehende Wasserleitungsgebührenordnung erlassen:

§1 Einteilung der Gebühren

Für den Anschluß eines Grundstückes an die Wasserversorgungsanlage der Gemeinde Patsch und für den laufenden Wasserbezug sowie für die Benutzung von Wasserzählern erhebt die Gemeinde Benützungsgebühren in Form einer Anschlußgebühr, einer laufenden Gebühr (Wassergebühr)[,] einer Bauwassergebühr und einer Zählergebühr. Im Falle der Errichtung von neuen Hochbehältern, neuen Quellfassungen, neuen Versorgungsleitungen, Tiefbrunnen, Pumpanlagen und dergleichen behält sich die Gemeinde das Recht der Vorschreibung einer Erweiterungsgebühr vor.

§2 Entstehen der Gebührenpflicht

(1) Die Pflicht zur Entrichtung der Anschlußgebühr entsteht mit dem Zeitpunkt der Beendigung der nach § 6 der Wasserleitungsordnung von der Gemeinde durchzuführenden Anschlußarbeiten.

Bei Zu- und Umbauten und bei Wiederaufbau von abgerissenen oder zerstörten Gebäuden entsteht die Gebührenpflicht mit Baubeginn.

(2)-(4) ...

§3 Berechnung der Anschluß- und der Erweiterungsgebühr

(1) Bemessungsgrundlage ist die Baumasse, ermittelt nach den Bestimmungen des § 20 Abs 1 bis 3 TBO. Bei landwirtschaftlichen Betrieben werden Stallungen, Tenne und Geräteschuppen von der Berechnung für die Bemessungsgrundlage ausgenommen.

(2) Bei Zu- und Umbauten und bei Wiederaufbau von abgerissenen oder zerstörten Gebäuden entsteht die Gebührenpflicht nur insofern, als die Bemessungsgrundlage den Umfang der früheren übersteigt. Abs 2 1. Satz gilt nur, wenn die frühere Bemessungsgrundlage bereits einmal Grundlage für die Ermittlung einer Anschlußgebühr nach dieser Wasserleitungsgebührenordnung oder nach einer früheren Wasserleitungsgebührenordnung war.

(3) Die Anschlussgebühr beträgt ATS 27,25 (€ 1,98) incl. MWSt pro m³ der Bemessungsgrundlage.

(4) Bei Gewerbebetrieben im Sinne der Gewerbeordnung beträgt die Anschlußgebühr ATS 21,19 (€ 1,54) incl. MWSt je m³ der Bemessungsgrundlage.

(5) Für Schwimmbecken sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen ist zusätzlich eine Anschlussgebühr von ATS 99,07 (€ 7,2) incl. MWSt pro m³ Rauminhalt des Schwimmbeckens zu entrichten.

(6) Die Anschlußgebühr wird bescheidmäßig vorgeschrieben und ist binnen einem Monat fällig zu stellen.

...

§7 Gebührenschuldner

Zur Entrichtung der Gebühren sind die Eigentümer der angeschlossenen Grundstücke verpflichtet. Die Nutznießer haften anteilsmäßig für die richtige und rechtzeitige Entrichtung der Gebühren. ...

§8 Verfahrensbestimmungen

Für das Verfahren gelten die Bestimmungen der Tiroler Landesabgabenordnung, LGB[l]. Nr. 34/1984 in der jeweils gültigen Fassung."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit des Verfahrens:

1. Bei dem in Prüfung gezogenen Verwaltungsakt - der (wie der Anlassfall zeigt) von den Gemeindebehörden vollzogen wird und so ein Mindestmaß an Publizität erlangt hat (vgl. VfSlg. 12.382/1990 mwN) - handelt es sich um eine Verordnung iS des Art 139 B-VG.

2. Zweifel an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Teile der Wasserleitungsgebührenordnung der Gemeinde Patsch sind nicht entstanden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde zwar der vom Beschwerdeführer erhobenen Vorstellung stattgegeben und der Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde Patsch aufgehoben; soweit sich die belangte Behörde hiebei jedoch auf andere als in der Vorstellung vorgetragene Gründe gestützt hat, die für die Gemeindebehörde im fortgesetzten Verfahren bindende Wirkung entfalten (vgl. § 120 Abs 5 der Tiroler Gemeindeordnung 2001), besteht - anders als in den zB den Beschlüssen VfSlg. 12.437/1990 und 15.252/1998 zugrunde liegenden Fällen - zumindest die (für die Beschwerdelegitimation erforderliche) Möglichkeit, dass der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in einem subjektiven Recht verletzt hat.

3. Das Verfahren erweist sich damit als zulässig.

B. In der Sache:

1. Der Verfassungsgerichtshof hegte in seinem Prüfungsbeschluss das Bedenken, die im Jahr 1991 vom Gemeinderat der Gemeinde Patsch beschlossene Stammfassung der Wasserleitungsgebührenordnung sei nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden. Dieses Bedenken erweist sich als begründet.

1.1. § 53 Abs 1 der - im Zeitpunkt der Erlassung der Wasserleitungsgebührenordnung (vgl. zur Relevanz dieses Zeitpunktes für die Frage der rechtmäßigen Kundmachung einer Verordnung zB VfSlg. 12.382/1990, S 588/589 mwN) maßgebenden - Tiroler Gemeindeordnung 1966, LGBl. Nr. 4, schrieb vor, dass "[a]lle Beschlüsse und Verfügungen der Gemeindeorgane, die Verpflichtungen oder Belastungen der Gemeindebewohner zum Inhalt haben ..., ... binnen einer Woche nach Beschlußfassung durch öffentlichen Anschlag während zweier Wochen und in sonst ortsüblicher Weise in der Gemeinde kundzumachen" sind. Zu diesen "Beschlüssen und Verfügungen" gehören auch Verordnungen wie die Wasserleitungsgebührenordnung (vgl. VfSlg. 16.377/2001 mwN).

Die vorgelegten Verordnungsakten enthalten ein Schriftstück mit folgendem Wortlaut:

"NIEDERSCHRIFT

Nr. 21

aufgenommen am im Sitzungszimmer der Gemeinde Patsch anläßlich der dort stattgefundenen Gemeinderatssitzung.

...

Tagesordnung

1.-3. ...


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4.
Festsetzung der Wassergebührenordnung
5.
...

Beschlüsse


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...


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Zu Pkt. 4)

Die Wassergebührenordnung wird wie im Entwurf des Gemeindevorstandes einstimmig erlassen.

...

Wer sich durch die Beschlü[ss]e in seinen R[e]chten verletzt fühlt, kann innerhalb der Kundmachung[s]frist dagegen Beschwerde erheben.

Der Bürgermeister:

[Unterschrift]"

Nach der Aktenlage wurde (nur) diese "Niederschrift" am an der Amtstafel der Gemeinde Patsch angeschlagen und am abgenommen. Im Verordnungsprüfungsverfahren wurde weder behauptet noch ist hervorgekommen, dass auch der Text der in diesem Schriftstück erwähnten Gebührenordnung - durch Anschlag an der Amtstafel - verlautbart worden wäre.

1.2. Durch den öffentlichen Anschlag einer derartigen Kundmachung, in der lediglich festgestellt wird, dass eine bestimmte Verordnung erlassen wurde, nicht aber auch der Text dieser - kundzumachenden - Verordnung wiedergegeben wird, ist dem Erfordernis des § 53 Abs 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 nicht entsprochen worden.

Die Verordnungen des Gemeinderates der Gemeinde Patsch vom , vom und vom (betreffend §§3, 4 und 6 der Wasserleitungsgebührenordnung) sind von diesem Fehler zwar nicht betroffen, doch reicht die ordnungsgemäße Kundmachung einer Novelle, die sich - wie hier - nur auf einzelne Bestimmungen der Stammverordnung bezieht, nicht aus, den dieser Stammvorschrift anhaftenden Kundmachungsmangel zu sanieren (vgl. VfSlg. 16.377/2001, 16.548/2002, 16.690/2002).

2. Die als gesetzwidrig erkannte Verordnung steht in ihrer präjudiziellen Fassung mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung; es war daher mit Aufhebung gemäß Art 139 Abs 3 B-VG und nicht mit einem Ausspruch gemäß Art 139 Abs 4 B-VG vorzugehen (vgl. zuletzt etwa mwN).

Da nicht bloß der in Prüfung gezogene - im Anlassfall präjudizielle - Teil der Verordnung, sondern in gleicher Weise auch die übrigen Verordnungsbestimmungen vom festgestellten Kundmachungsmangel betroffen sind, war gemäß Art 139 Abs 3 litc B-VG die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Umstände, die dem im Sinne des Art 139 Abs 3 letzter Satz B-VG entgegenstünden, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auf spätere Novellierungen der Gebührenordnung war insoweit nicht Bedacht zu nehmen (vgl. dazu neuerlich VfSlg. 16.377/2001).

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der Verordnung beruht auf Art 139 Abs 5 letzter Satz B-VG. Die Kundmachungspflicht der Tiroler Landesregierung gründet in Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG iVm § 60 Abs 2 VfGG und § 2 Abs 1 litj des Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetzes.

3. Dem Beschwerdeführer des Anlassverfahrens waren für den von ihm eingebrachten Schriftsatz Kosten nicht zuzusprechen, weil das VfGG für Verfahren nach Art 139 B-VG - sieht man vom hier nicht gegebenen Fall des § 61a VfGG ab - einen Kostenersatz nicht vorsieht.

C. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.