VfGH vom 01.12.2011, v73/11
Sammlungsnummer
19569
Leitsatz
Verordnungsermächtigung des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes betr das Inverkehrbringen von Rohmilch und Rohrahm angesichts des einzuhaltenden Verfahrens, der Einbindung von wissenschaftlichem Sachverstand und der gesetzlichen Zielbestimmung ausreichend determiniert; keine Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der Rohmilchverordnung
Spruch
I. § 14 Z 1 des Bundesgesetzes über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz - LMSVG), BGBl. I Nr. 13/2006, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
II. § 6 Z 1 der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Rohmilch und Rohrahm (Rohmilchverordnung), BGBl. II Nr. 106/2006, wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.
Im Übrigen wird das Verordnungsprüfungsverfahren eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1243/09 das Verfahren über eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:
1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 90 Abs 3 Z 2 des Bundesgesetzes über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz - LMSVG), BGBl. I 13/2006, (im Folgenden: LMSVG) eine Verwaltungsstrafe in Höhe von € 200,-
(Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes sei und Rohmilch von Kühen durch einen Milchautomaten direkt an Konsumenten abgebe. Anlässlich einer am durchgeführten lebensmittelpolizeilichen Kontrolle sei festgestellt worden, dass die entnommene Rohmilchprobe die durch § 6 der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Rohmilch und Rohrahm (Rohmilchverordnung), BGBl. II 106/2006, (im Folgenden: RohmilchVO) festgesetzte höchstzulässige Keimzahl um das 12-fache überschritten habe.
1.2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung
wurde mit Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Z uvs-2009/23/1035-4, als unbegründet abgewiesen.
1.3. In der dagegen erhobenen, auf Art 144 B-VG
gestützten Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungs- bzw. gesetzwidriger Normen geltend gemacht.
1.4. Der unabhängige Verwaltungssenat in Tirol legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen; auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet. Der Bundesminister für Gesundheit gab auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes eine mit datierte Stellungnahme ab.
2. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des § 14 Z 1 LMSVG sowie die Gesetzmäßigkeit der RohmilchVO von Amts wegen zu prüfen.
2.1. In seinem Prüfungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig sei und dass er bei Behandlung dieser Beschwerde die Bestimmung des § 6 der RohmilchVO - welche in ihrer Ziffer 1 lita die höchstzulässige Keimzahl in roher Kuhmilch normiere - anzuwenden habe. Weiters ging der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass er bei der Beurteilung der Frage, ob die genannte Bestimmung der RohmilchVO gesetzmäßig sei, auch die Ziffer 1 des § 14 LMSVG anzuwenden habe, da diese die Grundlage für die genannte Verordnungsbestimmung sei.
2.2. Sein Bedenken gegen § 14 Z 1 LMSVG legte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss wörtlich wie folgt dar:
"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass Art 10 Abs 8 lita der Verordnung (EG) 853/2004 es den Mitgliedstaaten überlässt, einzelstaatliche Vorschriften (unter Einhaltung der allgemeinen Bestimmungen des Vertrags) beizubehalten oder einzuführen, mit denen das Inverkehrbringen von Rohmilch oder Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, untersagt oder eingeschränkt wird. Von dieser unionsrechtlichen Ermächtigung dürfte der österreichische Bundesgesetzgeber mit § 14 Z 1 LMSVG Gebrauch gemacht haben.
§14 Z 1 LMSVG scheint die Bundesministerin für
Gesundheit und Frauen [seit BGBl. I 95/2010: Bundesminister für Gesundheit] 'nach Anhören des Ständigen Hygieneausschusses der Codexkommission [seit BGBl. I 95/2010: Codexkommission] im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft mit Verordnung' zu einer derartigen Einschränkung oder Untersagung des Inverkehrbringens von Rohmilch oder Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, zu ermächtigen.
Nähere gesetzliche Determinanten für den Verordnungsgeber scheinen jedoch zu fehlen und dürften sich selbst unter Heranziehung der in § 2 LMSVG normierten Zielbestimmung nicht auffinden lassen. Es scheint daher vom Gesetzgeber keine nähere Regelung getroffen worden zu sein, die es ermöglichen würde, die in der Verordnung festgelegte Keimzahl hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit der gesetzlichen Grundlage überprüfen zu können.
Der Umstand, dass es sich bei der Verordnungsermächtigung des § 14 Z 1 LMSVG um die Ausgestaltung eines durch eine Unionsverordnung eröffneten Spielraumes zu handeln scheint, dürfte - wie unter Punkt III.2.1. dargelegt - nichts daran ändern, dass § 14 Z 1 LMSVG offenbar gegen das aus Art 18 B-VG abzuleitende, den Gesetzgeber bindende Determinierungsgebot verstößt (vgl. dazu etwa VfSlg. 15.189/1998).
Schließlich vermögen auch die Ausführungen des Bundesministers für Gesundheit in der Stellungnahme vom , wonach die in der RohmilchVO festgelegte Keimzahl 'auf der früheren Rechtslage, nämlich der außer Kraft getretenen Milchhygieneverordnung', beruhe, diese vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht zu zerstreuen."
2.3. Hinsichtlich der zur Gänze in Prüfung gezogenen RohmilchVO führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass nach ständiger Judikatur die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmung, welche die Verordnung trage, zur Folge habe, dass die Verordnung der erforderlichen gesetzlichen Grundlage entrate. Bei Zutreffen des Bedenkens werde die RohmilchVO daher zur Gänze aufzuheben sein.
3. Der Bundesminister für Gesundheit erstattete mit eine Äußerung und beantragte, die RohmilchVO nicht als gesetzwidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung der RohmilchVO wurde beantragt, gemäß Art 139 Abs 5 B-VG für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von sechs Monaten zu bestimmen; für den Fall der Aufhebung auch der gesetzlichen Grundlage wurde beantragt, diese Frist mit achtzehn Monaten zu bestimmen, um die diesfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.
4. Die Bundesregierung erstattete mit eine Äußerung, in der sie dem Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt und beantragt, die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben; für den Fall der Aufhebung wurde beantragt, gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, da zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes jedenfalls eine Ersatzregelung getroffen werden müsse.
II. Rechtslage
1. Art 10 Abs 8 lita der Verordnung (EG) 853/2004, ABl. 2004 L 139 S 55, mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs [im Folgenden: Verordnung (EG) 853/2004] lautet idgF:
"(8) Ein Mitgliedstaat kann aus eigener Initiative und unter Einhaltung der allgemeinen Bestimmungen des Vertrags einzelstaatliche Vorschriften beibehalten oder einführen, mit denen
a) das Inverkehrbringen von Rohmilch oder Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, in seinem Hoheitsgebiet untersagt oder eingeschränkt wird
[...]"
2.1. § 2 LMSVG, der die Zielbestimmung dieses Gesetzes enthält, lautet:
"Zielbestimmung
§2. (1) Ziel dieses Bundesgesetzes ist der Gesundheitsschutz des Verbrauchers sowie der Schutz des Verbrauchers vor Täuschung. Diese Ziele sind durch die in der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. Nr. L 31 vom ) dargelegten Grundsätze der Risikoanalyse, des Vorsorgeprinzips und der Transparenz zu gewährleisten.
(2) Dieses Bundesgesetz dient ferner der Umsetzung und Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, die den Geltungsbereich dieses Gesetzes betreffen."
2.2. § 14 LMSVG lautete im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde im Anlassfall (die in Prüfung gezogene Ziffer 1, die durch die Novellierung des § 14 leg.cit. durch BGBl. I 95/2010 nicht verändert wurde, ist hervorgehoben):
"Rohmilch
§14. Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen kann nach Anhören des Ständigen Hygieneausschusses der Codexkommission im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft mit
Verordnung
1. das Inverkehrbringen von Rohmilch oder Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, einschränken oder untersagen oder
2. die Verwendung von Rohmilch, die hinsichtlich des Gehalts an Keimen und somatischen Zellen nicht den Kriterien des Anhangs III Abschnitt IX der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 entspricht, zur Herstellung von Käse mit einer Alterungs- oder Reifezeit von mindestens 60 Tagen und von Milchprodukten, die in Verbindung mit der Herstellung solchen Käses gewonnen werden, unter bestimmten Voraussetzungen gestatten."
3. Die zur Gänze in Prüfung gezogene (und daher zur Gänze hervorgehobene) RohmilchVO lautet:
"Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Rohmilch und Rohrahm (Rohmilchverordnung)
Auf Grund des § 14 Z 1 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes - LMSVG, BGBl. I Nr. 13/2006, geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 151/2005, wird im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft verordnet:
Geltungsbereich
§1. Diese Verordnung regelt das Inverkehrbringen von Rohmilch und Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind sowie damit in Zusammenhang stehende Behandlungs- und Kennzeichnungvorschriften.
Allgemeine Bestimmungen
§2. (1) Rohmilch und Rohrahm dürfen nur direkt vom Tierhalter an den Endverbraucher oder an Einzelhandelsunternehmen und von diesen Einzelhandelsunternehmen direkt an den Endverbraucher abgegeben werden.
(2) Rohmilch und Rohrahm dürfen nicht an Schulen und Kindergärten abgegeben werden. Andere Einrichtungen der Gemeinschaftsversorgung, denen Rohmilch oder Rohrahm gemäß Abs 1 abgegeben wird, dürfen diese nur zum Zwecke der Herstellung von Speisen und Getränken verwenden, die einem Erhitzungsverfahren unterzogen werden, mit dem eine ausreichend hohe Kerntemperatur erzielt wird, um die Abtötung von pathogenen Mikroorganismen sicherzustellen.
Milchautomaten
§3. Rohmilch kann durch einen nach anerkannten
Kriterien geprüften Milchautomaten abgegeben werden, wenn gewährleistet ist, dass die Rohmilch durch den Milchautomaten oder dessen Standort keine hygienisch nachteilige Beeinträchtigung erfährt.
Zeitpunkt der Abgabe
§4. Rohmilch darf nur am Tag der Gewinnung und an den zwei darauf folgenden Tagen abgegeben werden. Rohrahm darf nur am Tag der Gewinnung der Rohmilch oder am darauf folgenden Tag aus dieser hergestellt und abgegeben werden.
Kennzeichnung
§5. (1) Unbeschadet der Bestimmungen der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993 - LMKV, BGBl. Nr. 72/1993 in der jeweils geltenden Fassung, ist Rohmilch zum unmittelbaren menschlichen Verzehr mit dem Hinweis 'Rohmilch, vor dem Verzehr abkochen' und Rohrahm mit dem Hinweis 'Rohrahm, nur zur Herstellung von durcherhitzten Speisen verwenden' zu deklarieren.
(2) Bei Rohmilch und Rohrahm, die nicht gemäß der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993 - LMKV zu kennzeichnen sind und nicht zum unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle bestimmt sind, hat der Hinweis gemäß Abs 1 - bei Abgabe an den Endverbraucher - auf einem Aushang, den der Endverbraucher einsehen kann, deutlich lesbar zu erfolgen. Bei Abgabe an Einzelhandelsunternehmen ist auf dem Transportbehälter und auf den die Ware begleitenden Dokumenten, wie Lieferschein oder Rechnung 'Rohmilch' oder 'Rohrahm' anzugeben.
Kriterien
§6. Rohmilch muss folgende Kriterien erfüllen:
1. Rohe Kuhmilch:
a) Keimzahl bei 30°C (pro ml): = 50 000;
b) Somatische Zellen (pro ml): = 400 000.
2. Rohmilch von anderen Tierarten: Keimzahl bei 30°C (pro ml): = 500 000.
Personenbezogene Bezeichnungen
§7. Bei den in dieser Verordnung verwendeten personenbezogenen Bezeichnungen gilt die gewählte Form für beide Geschlechter.
Schlussbestimmung
§8. Diese Verordnung wurde unter Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. Nr. L 204 vom und des Artikels 10 Abs 5 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs, ABl. Nr. L 139 vom , berichtigt durch ABl. Nr. L 226 vom , notifiziert."
III. Erwägungen
1. Prozessvoraussetzungen
Im Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren ist
nichts vorgebracht worden und auch nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit dieser Verfahren spräche. Allerdings erweist sich der Prüfungsumfang hinsichtlich der - mit Blick auf einen allfälligen Ausspruch nach Art 139 Abs 3 B-VG - zur Gänze in Prüfung gezogenen RohmilchVO als überschießend; ausgenommen von dem im Anlassfall präjudiziellen § 6 Z 1 RohmilchVO ist das Verordnungsprüfungsverfahren daher im Übrigen einzustellen.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Prüfungsbeschluss - auf das Wesentliche zusammengefasst - das Bedenken geäußert, dass die Verordnungsermächtigung des § 14 Z 1 LMSVG gegen das aus Art 18 B-VG abzuleitende, den Gesetzgeber bindende Determinierungsgebot verstoßen könnte, da weder unionsrechtliche Bestimmungen noch die Zielbestimmung des LMSVG (respektive das LMSVG an sich) hinreichend Determinanten zur Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes enthalten würden.
2.2. Diese Annahme hat sich als nicht zutreffend
erwiesen:
2.2.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in
ständiger Rechtsprechung (vgl. zB VfSlg. 15.354/1998 mwH) die Auffassung, dass durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union der Verwaltung keine generelle Ermächtigung zur Umsetzung von Unionsrecht durch Rechtsverordnungen erteilt wurde; auch wurde Art 18 Abs 2 B-VG nicht so weit verändert, dass den Verwaltungsorganen die Befugnis übertragen worden wäre, Regelungen des Unionsrechts - soweit sie einer mitgliedstaatlichen Durchführung überhaupt zugänglich sind - unter Ausschaltung des Gesetzgebers zu konkretisieren (VfSlg. 15.189/1998, 15.354/1998).
Nach der Bundesverfassung (Art18 Abs 2 B-VG) sind Verordnungen nur "auf Grund der Gesetze" zu erlassen. Das heißt, dass eine Verordnung bloß präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (s. etwa VfSlg. 11.639/1988 und die dort zitierte Vorjudikatur sowie VfSlg. 14.895/1997). Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnung vollziehbar sein, müssen daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg. 4644/1964, 4662/1964, 5373/1966, 7945/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art 18 Abs 1 (und 2) B-VG in Widerspruch (s. zB VfSlg. 4072/1961, 14.512/1996 und 16.902/2003 sowie VfSlg. 17.476/2005).
Die Grenze zwischen einer noch ausreichenden
materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation wird in einzelnen Fällen nicht immer leicht zu bestimmen sein. Entscheidungskriterium ist hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann (s. zB VfSlg. 1932/1950, 2294/1952, 4072/1961, 11.859/1988).
Dabei sind in Ermittlung des Inhalts des Gesetzes
alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen lässt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art 18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. VfSlg. 8395/1978, 11.639/1988, 14.644/1996, 15.447/1999 und 16.137/2001).
2.2.2. Die Bundesregierung geht - auf das Wesentliche zusammengefasst - davon aus, dass in der Verordnungsermächtigung des § 14 Z 1 LMSVG keine formalgesetzliche Delegation erkannt werden könne, da das Vorgehen des Verordnungsgebers letztlich hinreichend determiniert sei. Diesbezüglich verweist die Bundesregierung auf die Zielbestimmung des § 2 LMSVG, auf einen veränderlichen "Stand der Wissenschaft", der es mit sich bringe, dass an den Grad der Determination keine zu hohen Anforderungen zu stellen seien, sowie auf die Einbindung der mit spezifischem Fachwissen ausgestatteten Codexkommission in das Verordnungserlassungsverfahren.
Diese Sicht der Bundesregierung trifft im Ergebnis zu:
Gemäß § 14 Z 1 LMSVG kann die Bundesministerin für
Gesundheit und Frauen (seit BGBl. I 95/2010: Bundesminister für Gesundheit) nach Anhören des Ständigen Hygieneausschusses der Codexkommission (seit BGBl. I 95/2010: Codexkommission) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, mit Verordnung das Inverkehrbringen von Rohmilch oder Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, einschränken oder untersagen. § 2 Abs 2 LMSVG hält fest, dass das LMSVG "ferner der Umsetzung und Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, die den Geltungsbereich dieses Gesetzes betreffen", dient.
Der vom Unionsrecht in Art 10 Abs 8 lita der Verordnung (EG) 853/2004 den Mitgliedstaaten eingeräumte Spielraum wird vom österreichischen Bundesgesetzgeber somit dahingehend ausgenutzt, dass er den Verordnungsgeber gemäß § 14 Z 1 LMSVG zur Einhaltung eines bestimmten Verfahrens verpflichtet, wodurch die Einbindung sachverständiger Verkehrskreise sichergestellt ist (vgl. zum gesetzlichen Auftrag und zur Zusammensetzung der Codexkommission auch § 77 LMSVG). Darüber hinaus ist der Verordnungsgeber bei Erlassung der Verordnung gemäß § 2 Abs 1 erster Satz LMSVG verpflichtet, den "Gesundheitsschutz des Verbrauchers" und den "Schutz des Verbrauchers vor Täuschung" zu berücksichtigen. § 2 Abs 1 zweiter Satz LMSVG verweist zudem konkret auf die Unionsrechtslage und legt damit zusätzlich die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundsätze der Risikoanalyse, des Vorsorgeprinzips und der Transparenz fest (vgl. in diesem Zusammenhang VfSlg. 18.317/2007, wonach eine - hier gerade eben nicht vorliegende - pauschale Verweisung auf Unionsrecht dem aus Art 18 B-VG abzuleitenden Bestimmtheitsgebot widerspricht).
Angesichts des Verständnisses der gesetzlichen
Grundlage im oben dargelegten Sinn und angesichts eines sich ständig weiterentwickelnden "Standes der Wissenschaft" in Verbindung mit dem Interesse des Verbrauchers am Gesundheitsschutz (wie der Bundesminister für Gesundheit in seiner Äußerung darlegt, ist Milch "wegen ihrer komplexen Zusammensetzung ein ausgezeichneter Nährboden für Mikroorganismen (z. B. Listeria monocytogenes, EHEC, Salmonella etc.)") ist der Inhalt des § 14 Z 1 LMSVG als gesetzliche Grundlage im Sinne des Art 18 B-VG hinreichend. Auch entspricht es schließlich der gesetzlichen Grundlage, wenn der Verordnungsgeber, nach Einhaltung des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens, die Keimbelastung mit einer nicht zu überschreitenden (absoluten) Keimzahl begrenzt.
Der Bundesminister für Gesundheit weist in seiner
Äußerung außerdem darauf hin, dass die in der RohmilchVO festgelegte Keimzahlgrenze der höchsten Qualitätsklasse entspreche; sie sei auf Grund der Fortentwicklung der hygienischen Bedingungen, der guten landwirtschaftlichen Praxis und der Lagerhaltung bei der Produktion von Rohmilch, sowie der Tiergesundheit im Allgemeinen und der Kontrolle in den 1980er Jahren auf der Grundlage der Fachexpertenmeinung Anfang der 1990er Jahre in Rechtsvorschriften aufgenommen worden. Dies zeigt deutlich, dass es sich bei der festgelegten Keimzahl um einen fachlich fundierten Wert handelt.
2.2.3. Zusammenfassend ist der Verfassungsgerichtshof somit nunmehr der Auffassung, dass in einer Zusammenschau der genannten Aspekte - einzuhaltendes Verfahren, Einbindung von wissenschaftlichem Sachverstand, Zielbestimmung des LMSVG - die Verordnungsermächtigung des § 14 Z 1 LMSVG jenen Determinierungsgrad aufweist, der dem Regelungsgegenstand adäquat ist (vgl. etwa VfSlg. 15.354/1998, 17.057/2003; ua.).
Festzuhalten ist daher, dass das im Prüfungsbeschluss aufgeworfene Bedenken zerstreut und § 14 Z 1 LMSVG nicht verfassungswidrig ist.
2.3. Da § 6 Z 1 RohmilchVO somit auf einer verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzlichen Grundlage basiert, vermag der Verfassungsgerichtshof auch sein im Prüfungsbeschluss formuliertes Bedenken nicht mehr aufrechtzuerhalten, die genannte Bestimmung könne der erforderlichen gesetzlichen Grundlage entraten.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Es war daher auszusprechen, dass § 14 Z 1 LMSVG
nicht als verfassungswidrig und § 6 Z 1 RohmilchVO nicht als gesetzwidrig aufgehoben werden; im Übrigen war das Verordnungsprüfungsverfahren aus dem dargelegten Grund einzustellen.
2. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.