VfGH vom 05.10.2011, v70/11
Sammlungsnummer
19527
Leitsatz
Gesetzwidrigkeit von Verordnungen über die Bildung von Disziplinarsenaten für niederösterreichische Landesbeamte; keine ausreichende Kundmachung; Übermittlung an ausgewählte Empfänger nicht ausreichend
Spruch
I.1. Die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008", LAD1-DIS-10/003-2008, der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung war gesetzwidrig.
2. Die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren", LAD1-DIS-10/004-2009, der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Niederösterreich verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vom , mit dem die Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen einen Bescheid der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Disziplinarsenat für die Verwendungsgruppe B, mit dem über den Beschwerdeführer wegen mit Disziplinaranzeige vom angezeigter Dienstpflichtverletzungen die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von 2,5 Dienstbezügen, das sind € 4.957,75, unter Bewilligung der Abstattung in 24 Monatsraten verhängt und der Beschwerdeführer zum Ersatz der Verfahrenskosten im Ausmaß von 10 % des um die Kinderzulage verminderten Dienstbezuges, das sind € 198,31, verpflichtet worden war, abgewiesen wurde.
2. Aus Anlass dieser Beschwerde entstand beim Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die Bestimmungen über den Disziplinarsenat für die Verwendungsgruppe B der Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung für das Kalenderjahr 2008 sowie die Wortfolge "Für die bereits seit den Vorjahren anhängige Disziplinarverfahren gilt primär die zuletzt getroffene Einteilung (siehe LAD1-DIS-10/003-2008)." in der für vor dem anhängige Verfahren maßgeblichen Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung - die genannten Geschäftseinteilungen wurden vorläufig als Rechtsverordnungen qualifiziert - gesetzwidrig sein könnten. Der Verfassungsgerichtshof leitete daher mit Beschluss vom - vorläufig davon ausgehend, dass es sich dabei um Verordnungsbestimmungen iSd Art 139 Abs 1 B-VG handle - gemäß dieser Verfassungsbestimmung ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der genannten Verordnungsbestimmungen ein.
3. Der Vorsitzende der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung als - nach der Aktenlage - verordnungserlassende Behörde legte die Akten betreffend die Erlassung der Geschäftseinteilungen vor und erstattete eine Äußerung, in der er die Einstellung des Verordnungsprüfungsverfahrens beantragt.
Auch die Niederösterreichische Landesregierung als oberste zur Vertretung der Verordnungen berufene Behörde und der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens als im Verordnungsprüfungsverfahren beteiligte Partei erstatteten jeweils eine Äußerung zum Prüfungsbeschluss; der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens beantragte dabei "Kostenzuspruch für alle regelmäßig anfallenden Kosten zuzüglich USt".
II. Rechtslage
1.1.1. Der mit "Disziplinarrecht" überschriebene IV. Teil der NÖ Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972 - DPL 1972, LGBl. 2200-0 (WV) in der Fassung vor der 3. DPL-Novelle 2008 (LGBl. 2200-65), sieht in § 102 die Bildung einer Disziplinarkommission beim Amt der Landesregierung und in § 103 die Bildung einer Disziplinaroberkommission beim Amt der Landesregierung vor. Die Disziplinarkommission ist gemäß § 101 Z 2 lita DPL 1972 zur Erlassung von Disziplinarerkenntnissen, die Disziplinaroberkommission gemäß § 101 Z 3 lita DPL 1972 zur Entscheidung über Berufungen gegen die genannten Disziplinarerkenntnisse der Disziplinarkommission zuständig.
1.1.2. Für die Disziplinarkommission (und die Disziplinaroberkommission) sehen die §§102 bis 105 DPL 1972 - auszugsweise - Folgendes vor:
"§102
Disziplinarkommission
(1) Die Disziplinarkommission […] besteht aus einem Vorsitzenden, der erforderlichen Anzahl von Stellvertretern des Vorsitzenden und weiteren Mitgliedern. Der Vorsitzende und die Stellvertreter müssen rechtskundig sein.
(2) Der Vorsitzende, seine Stellvertreter und die weiteren Mitglieder der Disziplinarkommission sind von der Landesregierung mit Wirkung vom 1. Jänner auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Die Landesregierung ist hinsichtlich der Hälfte der weiteren Mitglieder an Vorschläge der Zentralpersonalvertretung gebunden.
(3) Erstattet die Zentralpersonalvertretung innerhalb eines Monates nach Aufforderung durch die Landesregierung keinen Vorschlag, so hat die Landesregierung die weiteren Mitglieder zu bestellen, ohne an einen Vorschlag gebunden zu sein.
§103
Disziplinaroberkommission
(1) Die Disziplinaroberkommission […] besteht aus einem Vorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern. Der Vorsitzende muß rechtskundig sein, ein Mitglied muß der Verwendungsgruppe B und ein Mitglied der Verwendungsgruppe C angehören. Für den Vorsitzenden und die zwei Mitglieder sind je zwei Ersatzmitglieder für den Fall der Verhinderung zu bestellen, die dieselben Voraussetzungen erfüllen müssen.
(2) Der Vorsitzende, die Mitglieder und die Ersatzmitglieder der Disziplinaroberkommission sind von der Landesregierung mit Wirkung vom 1. Jänner auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Die Landesregierung ist hinsichtlich eines Mitgliedes und dessen Ersatzmitglieder an Vorschläge der Zentralpersonalvertretung gebunden.
§104
Mitgliedschaft zur Disziplinarkommission […]
(1) Zu Mitgliedern der Disziplinarkommission […] dürfen nur Beamte des Dienststandes bestellt werden, gegen die kein Disziplinarverfahren anhängig ist.
(2) Ein Beamter hat der Bestellung zum Mitglied der Disziplinarkommission […] Folge zu leisten.
(3) Die Mitgliedschaft zur Disziplinarkommission […] ruht vom Zeitpunkt der Einleitung eines Disziplinarverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluß, während der Zeit der Suspendierung, einer gänzlichen Dienstfreistellung, der Erteilung eines Urlaubes von mehr als drei Monaten und der Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes nach dem Wehrgesetz 1990 […] oder des Zivildienstes nach dem Zivildienstgesetz 1986 […] .
(4) Die Mitgliedschaft zur Disziplinarkommission […] endet mit dem Ablauf der Bestellungsdauer, mit der rechtskräftigen Verhängung einer Disziplinarstrafe, mit dem Übertritt oder einer Versetzung in den Ruhestand sowie mit der Beendigung des Dienstverhältnisses.
(5) Im Bedarfsfalle sind die Kommissionen durch Neubestellung von Kommissionsmitgliedern für den Rest der Funktionsdauer zu ergänzen.
§105
Disziplinarsenate
(1) Die Disziplinarkommission entscheidet in Senaten. Die Senate bestehen aus dem Vorsitzenden der Kommission oder einem seiner Stellvertreter als Senatsvorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern. Jedes Kommissionsmitglied darf mehreren Senaten angehören.
(2) Ein Mitglied des Senates der Disziplinarkommission muß auf Vorschlag der Zentralpersonalvertretung bestellt worden sein.
(3) [...]
(4) Der Vorsitzende der Disziplinarkommission hat mit seinen Stellvertretern jeweils bis zum Jahresschluß für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte unter diese zu verteilen. Gleichzeitig ist die Reihenfolge zu bestimmen, in der die weiteren Kommissionsmitglieder bei der Verhinderung eines Senatsmitgliedes als Ersatzmitglieder in die Senate eintreten. Die Zusammensetzung der Senate darf nur im Falle unbedingten Bedarfes geändert werden."
1.1.3. § 110 DPL 1972 lautet wie folgt:
"§110
Parteien
Parteien im Disziplinarverfahren sind der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt. Die Stellung als Partei kommt ihnen mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Disziplinaranzeige zu."
1.2. Zufolge ArtI Z 8 der 3. DPL-Novelle 2008, LGBl. 2200-65, gemäß ArtII Z 2 dieser Novelle in Kraft getreten am , sind die bisherigen §§96 bis 114w des IV. Teiles der DPL 1972 entfallen. Nunmehr sind gemäß § 95 DPL 1972 in der Fassung der 3. DPL-Novelle 2008 auf Beamte nach der DPL 1972 die Bestimmungen des (mit "Disziplinarrecht" überschriebenen) 11. Abschnittes des NÖ Landes-Bedienstetengesetzes - NÖ LBG, LGBl. 2100-0, sinngemäß anwendbar.
Gemäß ArtII Z 3 der 3. DPL-Novelle 2008 sind Verfahren, die vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der 3. DPL-Novelle 2008 nach dem IV. Teil dieses Gesetzes anhängig wurden, nach den vor diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen von der zuletzt gebildeten Disziplinarkommission und Disziplinaroberkommission zu Ende zu führen.
2.1. Die - für vor dem anhängige Verfahren maßgebliche - Geschäftseinteilung "Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren" der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, LAD1-DIS-10/004-2009, lautet - auszugsweise - wie folgt (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Frau
Dr. W M
[…]
[…]
Frau
Dipl. Psychiatr. Gesundheits- u. Krankenschwester
T P
[…]
[…]
LAD1-DIS-10/004-2009 […]
[…]
Betrifft
Disziplinarkommission beim Amt der NÖ Landesregierung (gemäß ArtII Zi. 3 der 3. DPL Novelle 2008);
Disziplinarsenate für (vor dem ) bereits anhängige Verfahren
Es wird darauf hingewiesen, dass gemäß ArtII Zi. 3 der 3. DPL Novelle 2008, LGBl. 2200-65, jene Verfahren, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Novelle () nach dem IV. Teil dieses Gesetzes anhängig wurden, nach den vor diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen von der zuletzt gebildeten Disziplinarkommission und Disziplinaroberkommission zu Ende zu führen sind. […]
Als Vorsitzender der Disziplinarkommission beim Amt der NÖ Landesregierung habe ich gemäß § 105 Abs 4 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972 (DPL 1972), LGBl. 2200-60, im Einvernehmen mit meinen beiden Stellvertretern festgelegt, die Zusammensetzung der
Disziplinarsenate für die bereits anhängigen Verfahren
gegenüber dem Jahr 2008 möglichst unverändert zu belassen.
[…]
Der Vorsitzende der Disziplinarkommission
beim Amt der NÖ Landesregierung
Dr. Schütt
elektronisch unterfertigt
Beilage 1 zu LAD1-DIS-10/004-2009
Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren
(§105 DPL 1972)
[…]
Für die bereits seit den Vorjahren anhängige Disziplinarverfahren gilt primär die zuletzt getroffene Einteilung (siehe LAD1-DIS-10/003-2008).
[…]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
2.2. Die Geschäftseinteilung "Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008" der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, LAD1-DIS-10/003-2008, lautet - auszugsweise - wie folgt (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"An alle
Mitglieder der Disziplinarkommission
beim Amt der NÖ Landesregierung
[…]
LAD1-DIS-10/003-2008
[…]
Betrifft
Disziplinarkommission beim Amt der NÖ Landesregierung; Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008
Als Vorsitzender der Disziplinarkommission beim Amt der NÖ Landesregierung habe ich gemäß § 105 Abs 4 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972 (DPL 1972), LGBl. 2200-60, mit meinen beiden Stellvertretern festgelegt, die Zusammensetzung der
Disziplinarsenate für das Jahr 2008
gegenüber dem Jahr 2007 möglichst unverändert zu belassen.
Bei den Senaten Nr. 1, 2, 3 und 6 wurden - vor allem bedingt durch das Ausscheiden einzelner Kommissionsmitglieder - inhaltliche Änderungen vorgenommen.
Das für das Jahr 2008 gültige Verzeichnis liegt bei […].
Der Vorsitzende der Disziplinarkommission
beim Amt der NÖ Landesregierung
Dr. Schütt
elektronisch unterfertigt
Beilage 1 zu LAD1-DIS-10/003-2008
Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008
(§105 DPL 1972)
Die Geschäfte werden auf die nachstehenden Disziplinarsenate in der Weise verteilt, dass jeweils die Verwendungsgruppe des Beschuldigten für die Zuweisung an den entsprechenden Senat maßgebend ist.
Bei Verhinderung eines Senatsmitgliedes tritt ein ihm zugeordnetes Ersatzmitglied (in der angeführten Reihenfolge) in den Disziplinarsenat ein.
Das gleiche gilt für den Fall, dass kein Senatsmitglied der Verwendungsgruppe des beschuldigten Beamten angehört […]. Sollten dafür mehrere in Betracht kommen, ist zuerst das von der ZPV vorgeschlagene Ersatzmitglied heranzuziehen.
Für bereits seit den Vorjahren anhängige Disziplinarverfahren gilt primär die zuletzt getroffene Einteilung (siehe LAD1-DIS-10/002-2007).
Beilage 2 zu LAD1-DIS-10/003-2008
DISZIPLINARSENATE beim Amt der NO Landesregierung
für das Kalenderjahr 2008
lfd. Nr. Disziplinarsenat Senatsvor- weitere weitere
für die sitzender Mitglieder - Mitglieder -
ZPV Dienstg.
[…]
2 Verwendungs- R Dr. M Z W (B) Z M (B)
gruppe B […] […] […]
und K7
Ersatz: S Dr. G S K (B) L O (K7)
[…] […] […]
W J (B) J A (B)
[…] […]
[…]"
III. Erwägungen
1.1. Zur Frage der Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens führte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss Folgendes aus:
"Die Beschwerde scheint zulässig zu sein.
Die in Rede stehenden Bestimmungen der Geschäftseinteilungen der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung dürften als Rechtsverordnungen zu qualifizieren sein (vgl. zB das Erkenntnis VfSlg. 17.771/2006 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg. 18.287/2007 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , sowie das Erkenntnis V88,89/10, und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , B1250/08).
Diese Geschäftseinteilungen dürften auch Eingang in die Rechtsordnung gefunden haben; so scheinen sie insbesondere durch die Weiterleitung an die Mitglieder der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung ein gewisses Mindestmaß an Publizität erlangt zu haben (vgl. zB auch das Erkenntnis VfSlg. 17.771/2006 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis VfSlg. 18.287/2007 und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , das Erkenntnis , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , sowie das Erkenntnis V88,89/10, und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss , B1250/08).
Weiters geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass er die im Spruch genannten Regelungen bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides (in Beurteilung der Frage, ob der Disziplinarsenat für die Verwendungsgruppe B der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung für die Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zuständig war) anzuwenden hätte; die im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung in Geltung stehende, für vor dem bereits anhängige Verfahren maßgebliche Geschäftseinteilung 'Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren' verweist nämlich mit der in Prüfung gezogene Wortfolge auf die Geschäftseinteilung 'Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008' der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Auch die belangte Behörde dürfte die in Prüfung gezogenen Bestimmungen angewendet haben, weil der erstbehördliche Bescheid ersichtlich von dem auf der Grundlage der Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung für das Kalenderjahr 2008 gebildeten Disziplinarsenat für die Verwendungsgruppe B der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung erlassen worden war. Es dürften daher diese Bestimmungen hier präjudiziell in der Bedeutung des Art 139 Abs 1 B-VG sein."
1.2. Dem treten der Vorsitzende der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung und die Niederösterreichische Landesregierung in ihren im Verordnungsprüfungsverfahren erstatteten Äußerungen nicht entgegen. Es ist auch sonst nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens spräche. Das Verfahren ist daher zulässig.
2.1. In der Sache äußerte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss u.a. das folgende Bedenken:
"In der Sache hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die in Prüfung gezogenen Regelungen mangelhaft kundgemacht worden sind:
Als Rechtsverordnungen des Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung hätten die in Rede stehenden Geschäftseinteilungen - da besondere Kundmachungsvorschriften im Gesetz nicht enthalten sind - ortsüblich kundgemacht werden müssen (vgl. ; zur erforderlichen 'gehörigen' Kundmachung von Verordnungen bei Fehlen gesetzlicher Kundmachungsvorschriften zB VfSlg. 4865/1964, 16.281/2001, 18.323/2007), dh. in einer solchen Art, dass alle Adressaten von der Verordnung Kenntnis erhalten können (vgl. VfSlg. 3714/1960; ). Eine solche Kundmachung dürfte nicht erfolgt sein [...].
Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass die Übermittlung des Verordnungstextes an ausgewählte Empfänger mit dem Wesen der Kundmachung einer generellen Norm nicht vereinbar ist, zumal die im vorliegenden Fall gewählte Vorgangsweise auch nicht geeignet war, alle Normadressaten vom Inhalt der Verordnung in Kenntnis zu setzen (vgl. VfSlg. 16.281/2001)."
2.2. Der Vorsitzende der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung und die Niederösterreichische Landesregierung äußern sich dazu - im Wesentlichen gleichlautend - wie folgt:
"Die Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission über die Bildung des Disziplinarsenates für die Verwendungsgruppe B für das Kalenderjahr 2008 wurde mit Schreiben des Vorsitzenden der Disziplinarkommission vom nicht nur sämtlichen Mitgliedern der Disziplinarkommission, sondern auch an den Vorsitzenden, beide Stellvertreter, die Mitglieder und Ersatzmitglieder der Disziplinaroberkommission, an den Disziplinaranwalt und die beiden Stellvertreter, die Abteilung Personalangelegenheiten A, die Landespersonalvertretung, den Zentralbetriebsrat der NÖ Landeskrankenhäuser und NÖ Landespensionisten- und Pflegeheime sowie der Abteilung Landesamtsdirektion übermittelt.
Die Kundmachung der Geschäftseinteilung erfolgte somit nicht nur durch deren Zustellung an Einzelpersonen, sondern wurde u.a. auch den Abteilungen Landesamtsdirektion und Personalangelegenheiten des Amtes der NÖ Landesregierung sowie der Landespersonalvertretung und dem Zentralbetriebsrat der genannten NÖ Anstalten übermittelt. Damit wurde sowohl den im gesamten NÖ Landesdienst maßgeblichen Abteilungen zur Wahrung der Dienstgeberinteressen sowie den zur Wahrung der Dienstnehmerinteressen maßgeblichen gesetzlichen Vertretungen die Geschäftseinteilung publiziert. Daraus resultiert, zumal die Dienstgeber- und Dienstnehmerinteressen von den genannten Abteilungen und Einrichtungen für alle NÖ Landesbediensteten, somit auch für alle in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich stehenden Bediensteten - bezogen auf deren Rechte und Pflichten - landesweit wahrzunehmen sind, dass die Geschäftseinteilung auch allen NÖ Landesbeamten uneingeschränkt zugänglich gewesen ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Beamtenschaft als besonders qualifizierter Adressatenkreis der Geschäftseinteilungen zu werten ist, zumal jeder Beamte die durch seine Ausbildung im NÖ Landesdienst erlangten Kenntnisse über seine dienstlichen Pflichten und Rechte bei der jeweils vor seiner Übernahme in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich zu absolvierenden Dienstprüfung beweisen muss.
Meines Erachtens wurde dem erforderlichen Publizierungsgebot der in Prüfung gezogenen Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission für das Kalenderjahr 2008 ausreichend entsprochen.
Vollständigkeitshalber wird bemerkt, dass auch die Geschäftseinteilungen der Disziplinarkommission für die vorangegangenen Jahre sowie für vor dem anhängige Verfahren auf die selbe Art allgemein zugänglich gemacht wurden."
2.3. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, jenes oben, unter Pkt. III.2.1. wiedergegebene Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen, dass die in Prüfung gezogenen Regelungen deshalb gesetzwidrig sind, weil sie nicht ordnungsgemäß kundgemacht wurden.
Eine - da besondere Kundmachungsvorschriften im Gesetz nicht enthalten sind, erforderliche - gehörige Kundmachung der Geschäftseinteilungen in dem Sinn, dass alle Adressaten von diesen unter den gleichen Bedingungen Kenntnis erlangen können, haben der Vorsitzende der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung und die Niederösterreichische Landesregierung mit ihrem Vorbringen nämlich nicht dargetan:
Die von den genannten Behörden vorgebrachten Umstände, dass die Geschäftseinteilungen "auch den Abteilungen Landesamtsdirektion und Personalangelegenheiten des Amtes der NÖ Landesregierung sowie der Landespersonalvertretung und dem Zentralbetriebsrat der genannten NÖ Anstalten übermittelt [wurden]", woraus "resultiert, zumal die Dienstgeber- und Dienstnehmerinteressen von den genannten Abteilungen und Einrichtungen für alle NÖ Landesbediensteten […] wahrzunehmen sind, dass die Geschäftseinteilung[en] auch allen NÖ Landesbeamten uneingeschränkt zugänglich gewesen [sind]", und "dass die Beamtenschaft als besonders qualifizierter Adressatenkreis der Geschäftseinteilungen zu werten ist, zumal jeder Beamte die durch seine Ausbildung im NÖ Landesdienst erlangten Kenntnisse über seine dienstlichen Pflichten und Rechte bei der jeweils vor seiner Übernahme in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich zu absolvierenden Dienstprüfung beweisen muss", genügen nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße (ortsübliche) Kundmachung der Geschäftseinteilungen. Die Übermittlung der Geschäftseinteilungen an ausgewählte Empfänger ist nämlich nicht geeignet, alle Normadressaten von ihrem Inhalt in Kenntnis zu setzen, zumal weder einer Bestimmung noch dem Anschreiben an die verschiedenen Organisationseinheiten ein Hinweis auf den Ort zu entnehmen ist, an dem die Geschäftseinteilungen zur allgemeinen Einsicht aufliegen (vgl. , und den zu Grunde liegenden Prüfungsbeschluss ).
Im Verordnungsprüfungsverfahren ist auch sonst nichts hervorgekommen, was das oben, unter Pkt. III.2.1. wiedergegebene Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass die in Prüfung gezogenen Regelungen deshalb gesetzwidrig sind, weil sie nicht ordnungsgemäß kundgemacht wurden, zerstreut hätte.
Die in Prüfung gezogenen Regelungen erweisen sich daher schon aus diesem Grund als gesetzwidrig, ohne dass dem übrigen Bedenken gegen diese Bestimmungen weiter nachgegangen werden musste.
3. Gemäß Art 139 Abs 3 litc B-VG hat der Verfassungsgerichtshof dann, wenn er im Verordnungsprüfungsverfahren zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde, die ganze Verordnung aufzuheben. Art 139 Abs 4 B-VG bestimmt, dass der Verfassungsgerichtshof, wenn die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist und das Verfahren von Amts wegen eingeleitet wurde, auszusprechen hat, ob die geprüfte Verordnung gesetzwidrig war; dabei gilt Abs 3 sinngemäß.
3.1. Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft nicht nur die - im Anlassfall präjudiziellen - Bestimmungen der in Rede stehenden Verordnungen, sondern in gleicher Weise auch die übrigen Verordnungsbestimmungen; es ist daher jeweils hinsichtlich der ganzen Verordnung auszusprechen, dass sie gesetzwidrig war bzw. als gesetzwidrig aufgehoben wird. Umstände, die dem iSd Art 139 Abs 3 letzter Satz B-VG entgegenstünden, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
3.2. Die - mit "Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008", LAD1-DIS-10/003-2008, betitelte - Verordnung galt für das Jahr 2008. Dieser in Prüfung gezogenen Verordnung wurde durch die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren", LAD1-DIS-10/004-2009, materiell derogiert. Im Hinblick darauf hat der Verfassungsgerichtshof den Ausspruch darauf zu beschränken, dass die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008", LAD1-DIS-10/003-2008, gesetzwidrig war.
Die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren", LAD1-DIS-10/004-2009, steht nach wie vor in Geltung: Sie gilt kraft ArtII Z 3 der 3. DPL-Novelle 2008 (s. oben Pkt. II.1.2.), die noch in Geltung ist. Der genannten Verordnung wurde durch keine andere Verordnung materiell derogiert; der gemäß § 95 DPL 1972 in der Fassung der 3. DPL-Novelle 2008 auf Beamte nach der DPL 1972 ab sinngemäß anwendbare (mit "Disziplinarrecht" überschriebene) 11. Abschnitt des NÖ LBG sieht nämlich nicht vor, dass die Disziplinarkommission in Senaten zu entscheiden hat. Es ist nicht auszuschließen, dass vor dem bei der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung anhängige Verfahren noch anhängig sind. Es ist daher auszusprechen, dass die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren", LAD1-DIS-10/004-2009, als gesetzwidrig aufgehoben wird.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Es war daher auszusprechen, dass die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für das Kalenderjahr 2008", LAD1-DIS-10/003-2008, der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gesetzwidrig war und dass die Verordnung "Bildung der Disziplinarsenate für bereits anhängige Verfahren", LAD1-DIS-10/004-2009, der Disziplinarkommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung als gesetzwidrig aufgehoben wird.
2. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche gründet sich auf Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und auf Art 139 Abs 5 zweiter Satz B-VG.
3. Kosten waren nicht zuzusprechen, weil in Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen gemäß den §§57 bis 61 VfGG ein Kostenersatz nicht vorgesehen ist (und nur in dem - hier nicht gegebenen - Fall des § 61a VfGG in Betracht kommt) und Kosten für Interventionen im amtswegig eingeleiteten Normenprüfungsverfahren im Anlassverfahren durch den dort zuzusprechenden Pauschalsatz abgegolten werden.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.