VfGH vom 27.09.1986, V7/86

VfGH vom 27.09.1986, V7/86

Sammlungsnummer

11001

Leitsatz

AutomatenV des Bürgermeister der Gemeinde Nußdorf-Debant vom ; keine Deckung des (weiten) Untersagungsbereiches der Verordnung in § 52 Abs 4 GewO (unter Hinweis auf Erk. VfSlg. 10594/1985); Aufhebung der Verordnung als gesetzwidrig

Spruch

I. Die Z 5 in § 1 Abs 1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant (Bezirk Lienz) vom , mit welcher aufgrund des § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981 die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im BGBl. kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim VfGH ist zu B665/84 ein Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vom richtet. Mit diesem Bescheid wurde eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom als unbegründet abgewiesen, mit welchem der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach § 367 Z 15 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), iVm. 1 Abs 1 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant vom (künftig: AutomatenV) zu einer Geldstrafe von 2500 S, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe von 5 Tagen verurteilt wurde. Das angefochtene Erkenntnis wurde jedoch insofern abgeändert, als die Verwaltungsübertretung auf § 367 Z 15 GewO iVm. "§1 Abs 1 lita" der AutomatenV gestützt wurde (V7/86).

1.2. Weiters ist zu B824/84 ein Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde desselben Bf. anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vom richtet, mit dem der Bf. wegen der gleichen Verwaltungsübertretung (gemäß § 67 Z 15 GewO iVm. § 1 Abs 1 Z 5 lita der AutomatenV), die er zu einem anderen Zeitpunkt begangen habe, bestraft wurde (V6/86).

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerden beschlossen, die Z 5 in § 1 Abs 1 der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.

2.2. § 1 Abs 1 der Verordnung - die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:

"(1) Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten (z.B.: Kaugummiautomaten an Hauswänden, Zäunen usw.), die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im Umkreis von 200 m von der Volksschule Nußdorf und Volks-, Sonder- und Hauptschule Debant;

2. im Umkreis von 200 m vom Kindergarten Nußdorf-Debant, Industriestraße;

3. im Umkreis von 200 m vom Kinderspielplatz Nußdorf-Debant, Pestalozzistraße;

4. im Umkreis von 200 m vom SOS-Kinderdorf in Debant;

5. im Umkreis von 200 m von Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs (Post, ÖBB- u. Schülerzubringerdienst)

a) im Bereich der Großglockner Bundesstraße B 107a in Debant (auf Höhe der Schuhfabrik GABOR, Getränkevertrieb SCHWARZER, des Gasthauses Dolomitenrast und Kaufhauses FIECHTNER, der Volks-, Haupt- und Sonderschule Nußdorf-Debant)

b) im Bereich der Drautal-Bundesstraße B 100 (auf Höhe des Gasthauses 'Kristallstüberl' in Debant)

c) im Bereich Nußdorf-Dorfplatz und Nußdorf-Wartschensiedlung

untersagt."

2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z 4 angeführten Plätze und Räume

untersagen."

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:

"Mit der in Prüfung gezogenen Regelung wird u. a. eine Verbotszone in einem Umkreis von 200 m für bestimmte Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs im Sinne des § 52 Abs 4 Z 2 und 3 GewO verfügt. Die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle scheint § 52 Abs 4 GewO zu widersprechen, weil die Festlegung eines 'näheren Umkreises' als Verbotszone nur nach dessen Z 1 und 5, also für Schulen und Plätze, die von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden, vorgesehen ist, nicht aber nach dessen Z 2 und 3, die Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und Schulbushaltestellen betreffen und ein Verbot, Automaten aufzustellen, lediglich in unmittelbarer Nähe der Haltestellen erlauben (vgl. ).

Der VfGH hat aber auch das weitere Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle dem Einleitungssatz des Abs 4 des § 52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu ). Hieran gemessen ist nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 200 m einer Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs gegeben ist.

Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist. § 1 Abs 1 Z 5 der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Nußdorf-Debant vom dürfte zufolge seiner sprachlichen Fassung untrennbar sein und daher zur Gänze mit Gesetzwidrigkeit seines Inhaltes belastet sein."

3. Die Verfahren sind zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe.

4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat zu den Verfahren (gleichlautende) Äußerungen erstattet. Der Bürgermeister der Gemeinde Nußdorf-Debant hat weder die Verwaltungsakten vorgelegt noch eine Äußerung erstattet.

Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu diesen Bedenken wie folgt Stellung:

"In seinem Erkenntnis vom , GZ V36/84, ist der VfGH davon ausgegangen, daß bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie schließt sich den Bedenken des VfGH gegen die durch die in Prüfung gezogen Regelung geschaffene Verbotszone in einem Umkreis von 200 m bestimmter Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs grundsätzlich an.

Die Festlegung einer Verbotszone in einem Umkreis von mehr als 50 m von bestimmten Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs scheint jedoch dann nicht völlig ausgeschlossen, wenn für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels bestimmter Automaten, geeignete Anbringungs- oder Aufstellungsorte erst in einer größeren Distanz als 50 m zu finden sind oder wenn die durchschnittliche Wartezeit der unmündigen Minderjährigen bei Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs größer ist als jene Gehzeit, die sie zum Aufsuchen von im näheren Umfeld der Schulbus- bzw. Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs aufgestellten Automaten und zur Rückkehr zu der betreffenden Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs benötigen.

Mangels Kenntnis des am Ort gegebenen Sachverhaltes kann im vorliegenden Fall aber keine abschließende Beurteilung vorgenommen werden.

Es ist auch nicht völlig undenkbar, daß die Schutzbedürftigkeit unmündiger Minderjähriger in Hinsicht auf die durch die gewerbliche Tätigkeit mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, ausgelösten unüberlegten Geldausgaben auch noch im Umkreis von 200 m einer Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs gegeben ist und damit auch die Voraussetzungen des Einleitungssatzes des § 52 Abs 4 GewO 1973 vorliegen. Zu der verbreiteten Erscheinung, daß sich der Appetit auf die durch die Automaten angebotenen Waren gleichsam von einem Mitglied einer Gruppe unmündiger Minderjähriger auf die anderen Mitglieder dieser Gruppe überträgt, kann es unter Umständen auch noch im Umkreis von 200 m von einer Schulbus- bzw. Aufnahmestelle des öffentlichen Verkehrs kommen.

Im Hinblick auf das Vorgesagte sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall V36/84 vom zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zur Frage, was unter "bei" einer Haltestelle verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes geäußert:

"Der VfGH verschließt sich auch nicht der Überlegung des Bürgermeisters, daß die konkreten Umstände dafür maßgeblich sind, ob ein Untersagungsbereich weiter oder enger zu ziehen ist. Der VfGH ist jedoch der Meinung, daß für Haltestellen im Ortsbereich die Festlegung eines Umkreises von 300 m im Gesetz keinesfalls Deckung findet; das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, da bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet."

Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des § 52 Abs 4 GewO abzugehen. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat lediglich darauf verwiesen, daß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine größere Distanz als 50 m im Umkreis von Haltestellen zu rechtfertigen wäre, konnte aber nicht begründen, warum im konkreten Fall die Festlegung eines Umkreises von 200 m gerechtfertigt sein sollte.

Daraus ergibt sich, daß die aufgeworfenen Bedenken zutreffen und die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle nicht dem Gesetz entspricht.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.