VfGH vom 01.12.1998, V67/98
Sammlungsnummer
15347
Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer BausperreV mangels Darlegung der beabsichtigten Änderungen des Raumplanes in der kundgemachten Verordnung
Spruch
Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Mödling vom , ZV 1894/93, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 18. November bis , war gesetzwidrig.
Die niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Gemeinderat der Gemeinde Mödling hat am eine Verordnung folgenden Inhalts erlassen:
"Gemäß § 9 der NÖ Bauordnung 1976 i.d.d.g.F. wird für das Gebiet, umschlossen von den Straßenzügen Hauptstraße, Freiheitsplatz, Herzoggasse, Schrannenplatz, Pfarrgasse, Kirchengasse, Brühler Straße, Babenbergergasse, und Badgasse (Hauptstraße), zum Zwecke der Überarbeitung des Bebauungsplanes eine Bausperre erlassen.
Die Bausperre gilt für einen Zeitraum von 2 Jahren.
Die Verordnung tritt mit dem auf dem Ablauf der Kundmachungsfrist gemäß § 59 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000-0 i.d.d.g.F. folgenden Tag in Kraft."
Die Verordnung wurde durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 18. November bis kundgemacht.
2. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B526/96 protokollierte Beschwerde gegen einen Bescheid der NÖ Landesregierung vom anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
2.1. Mit Ansuchen vom haben die - nunmehrige - Erstbeschwerdeführerin als Bauwerberin und der - nunmehrige - Zweitbeschwerdeführer als Grundstückseigentümer die Genehmigung des Abbruches des gesamten Bestandes und die Erteilung einer Baubewilligung für Neu-, Zu- und Umbauten auf dem Grundstück Fleischgasse 1 in 2340 Mödling beantragt.
2.2. Mit im Devolutionsweg ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde Mödling vom wurde dieser Antrag abgewiesen.
2.3. Die dagegen erhobene Vorstellung vom wurde mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin mit der Begründung abgewiesen, dass das beantragte Projekt den Zweck der für dieses Grundstück bestehenden Bausperre (die mit der oben unter Pkt. 1 wiedergegebenen Verordnung erlassen wurde) gefährden würde (Spruchpunkt II.), hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers mit der Begründung zurückgewiesen, dass er niemals als Bauwerber in Erscheinung getreten sei und daher im baubehördlichen Bewilligungsverfahren keine Parteistellung besessen habe (Spruchpunkt I.).
2.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich nunmehr die eingangs erwähnte, zu B526/96 protokollierte Beschwerde, in der die Beschwerdeführer die Gesetzwidrigkeit der dem Bescheid u.a. zugrundeliegenden Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Mödling vom behaupten. Dazu wird begründend ausgeführt, die bekämpfte Verordnung enthalte entgegen den Bestimmungen § 9 NÖ Bauordnung keine Angabe des Zweckes, der ihre Verhängung notwendig macht und sodann durch die Überarbeitung des Bebauungsplanes verwirklicht werden soll.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof beschloss aus Anlass dieser Beschwerde am gemäß Art 139 Abs 1 B-VG, die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Mödling vom , ZV 1894/93, zu prüfen. Er ging von ihrer Präjudizialität aus und bezweifelte die Gesetzmäßigkeit deshalb, weil sie die beabsichtigte Änderung des Bebauungsplanes nicht zum Ausdruck bringe. Im Einzelnen legte der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken wie folgt dar:
"Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur (vgl VfSlg. 9910/1983, 10953/1986, 11743/1988, 13150/1992, 14376/1995, u.a. auch zur Rechtslage in Niederösterreich) die Auffassung vetreten, daß anläßlich der Verhängung einer Bausperre die beabsichtigten Änderungen des Raumplanes in der kundgemachten Verordnung soweit zum Ausdruck zu bringen sind, daß die Verordnung über die Bausperre einen Maßstab für die baubehördliche Entscheidung im Einzelfall liefert und die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ermöglicht. Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Auffassung, daß auch die Vorschrift des § 9 NÖ BauO 1976 über die Erlassung befristeter Bausperren derart auszulegen ist, daß in der Verordnung über die befristete Bausperre selbst die Änderungsabsicht mit hinreichender Deutlichkeit hervortritt. Zufolge § 9 Abs 4 NÖ BauO hat die Bausperre nämlich die Wirkung, daß 'Bescheide nach den Bestimmungen der Abschnitte III und VII dieses Gesetzes (diese Abschnitte enthalten v.a. Regelungen betreffend Grundabteilungen und Bauplatzerklärungen bzw. bewilligungspflichtige Bauvorhaben) nicht erlassen werden dürfen, wenn durch sie der Zweck der Bausperre gefährdet wird.'
Der Verfassungsgerichtshof ist weiters vorläufig der Auffassung, daß es - anders als die belangte Behörde offensichtlich meint - für den Adressaten der Bausperre nicht ausreicht, wenn die grundsätzliche Planungsabsicht dem Protokoll der Gemeinderatssitzung, in der die Bausperrenverordnung beschlossen wurde, zu entnehmen ist."
2. Der Gemeinderat der Gemeinde Mödling legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der er im Wesentlichen ausführt:
"Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling verkennt nicht, daß der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur die Auffassung vertritt, daß anläßlich der Verhängung einer Bausperre die beabsichtigten Änderungen des Raumplanes in der kundgemachten Verordnung soweit zum Ausdruck zu bringen sind, daß die Verordnung über die Bausperre einen Maßstab für die baubehördliche Entscheidung im Einzelfall liefert und die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ermöglicht und daß im Wortlaut der gegenständlichen Verordnung nur allgemein der Zweck genannt wurde, dessen Erreichung die Bausperre dienen soll.
Dazu ist jedoch auszusagen, daß die Aufnahme eines bestimmten Zweckes um so schwieriger ist, je größer und je baurechtlich sensibler das Gebiet ist, für das die Bausperre erlassen wurde. Gemäß § 9 Abs 1 NÖ Bauordnung 1976 ist hauptsächlicher Zwecke der Bausperre die Sicherung der Durchführung einer beabsichtigten Änderung des Bebauungsplanes. Im Zentrum von Mödling ist es in letzter Zeit für die Gemeindeverwaltung völlig unvorhersehbar zu mehreren Absichten gekommen, einige Hausgärten, die für die mittelalterliche Struktur des Zentrums der Stadtgemeinde Mödling unverzichtbar sind, vollkommen zu verbauen. Zu einer eigenen Grundlagenforschung, die es möglich gemacht hätte, die beabsichtige Änderung des Bebauungsplanes in diesem Gebiet genauer zu definieren, blieb zu wenig Zeit, sodaß als einzige Möglichkeit blieb, allgemein als Ziel der Verordnung die Überarbeitung des Bebauungsplanes aufzunehmen. Damit war - zumindestens allgemein - ein Zweck der Bausperre definiert, der eine Änderung des Bebauungsplanes nach allen Richtungen ermöglichen sollte. Daraus folgt auch, daß mit dieser Verordnung bewirkt wurde, daß überhaupt kein Bauvorhaben durchgeführt werden soll.
Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling regt an zu überprüfen, ob nicht
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- | durch die allgemeine Zielvorgabe in der Verordnung und den obigen Erläuterungen dazu | |||||||||
- | durch die Dokumentation der grundsätzlichen Planungsabsichten im Protokoll der Gemeinderatsitzung vom , TOP:46 und | |||||||||
- | aufgrund der Tatsache, daß die beabsichtigten Änderungen den jeweils Betroffenen unter Hinweis auf die Bausperre persönlich mitgeteilt worden sind, |
den durch § 9 NÖ Bauordnung 1976 festgelegten Publizitätserfordernissen entsprochen wurde."
3. Auch die NÖ Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den oben wiedergegebenen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes mit folgenden Argumenten entgegentritt:
"Die NÖ Landesregierung verkennt nicht, daß der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur die Auffassung vertritt, daß anläßlich der Verhängung einer Bausperre die beabsichtigten Änderungen des Raumplanes in der kundgemachten Verordnung soweit zum Ausdruck zu bringen sind, daß die Verordnung über die Bausperre einen Maßstab für die baubehördliche Entscheidung im Einzelfall liefert und die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ermöglicht und daß im Wortlaut der gegenständlichen Verordnung nicht ausdrücklich der Zweck genannt wurde, dessen Erreichung die Bausperre dienen soll. Dennoch wird seitens der NÖ Landesregierung angeregt zu überprüfen, ob nicht
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- | durch die allgemeine Zielvorgabe in der Verordnung | |||||||||
- | durch die Dokumentation der grundsätzlichen Planungsabsichten im Protokoll der Gemeinderatssitzung, in der die Bausperrenverordnung beschlossen wurde und | |||||||||
- | aufgrund der Tatsache, daß die beabsichtigten Änderungen den jeweils Betroffenen unter Hinweis auf die Bausperre persönlich mitgeteilt worden sind, |
den durch § 9 NÖ Bauordnung 1976 festgelegten Publizitätserfordernissen entsprochen wurde."
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat erwogen:
1. Die in Prüfung gezogene Verordnung ist in dem zu B526/96 protokollierten, gemäß Art 144 B-VG zulässigen Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof jedenfalls insoferne präjudiziell, als gestützt auf die dadurch für das Grundstück Fleischgasse 1 verhängte Bausperre das Ansuchen der Erstbeschwerdeführerin um Erteilung einer Baubewilligung für dieses Grundstück abgewiesen wurde (Spruchpunkt II. des angefochtenen Vorstellungsbescheides).
Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.
2. Das Verordnungsprüfungsverfahren hat nichts ergeben, was die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung zerstreut hätte. Der Verfassungsgerichtshof sieht - auch angesichts der in den Äußerungen des Gemeinderates der Gemeinde Mödling und der NÖ Landesregierung vorgetragenen Argumente - keinen Anlass im vorliegenden Fall von seiner im Prüfungsbeschluss wiedergegebenen Vorjudikatur abzugehen.
Ausgehend davon ist er mit Blick auf den hier vorliegenden Fall v.a. der Auffassung, dass auch die Vorschrift des § 9 NÖ BauO 1976 über die Erlassung befristeter Bausperren derart auszulegen ist, dass in der Verordnung über die befristete Bausperre selbst die Änderungsabsicht mit hinreichender Deutlichkeit hervortritt, und es für den Adressaten der Bausperre auch nicht ausreicht, wenn die grundsätzliche Planungsabsicht dem Protokoll der Gemeinderatssitzung, in der die Bausperrenverordnung beschlossen wurde, zu entnehmen ist.
Der Verfassungsgerichtshof kommt somit zum Ergebnis, dass die in Prüfung gezogene Verordnung (die bloß für einen Zeitraum von zwei Jahren ab ihrem mit erfolgten Inkrafttreten in Geltung stand) mit der angenommenen Gesetzeswidrigkeit belastet war.
3. Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art 139 Abs 5 erster und zweiter Satz B-VG.