VfGH vom 08.06.2017, V65/2016
Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung in Innsbruck
Spruch
Punkt 4. der Verordnung des Stadtmagistrates der Stadt Innsbruck vom wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1.Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E566/2016 eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom wurde über den Beschwerdeführer im zu E566/2016 protokollierten Verfahren eine Geldstrafe in der Höhe von € 40,– (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt, weil er am in Innsbruck, Innerkoflerstraße HNr 15, Richtung Norden ein näher bezeichnetes KFZ gelenkt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 7 km/h überschritten habe. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Tirol aus, es stehe fest, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung begangen habe. Hinsichtlich der Gesetzeskonformität der gegenständlichen Verordnung bestehen aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Tirol keinerlei Bedenken. Angesichts des vorliegenden Falles sei die Strafbemessung schuld- und tatangemessen.
2.Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Punktes 4. der Verordnung des Stadtmagistrates der Stadt Innsbruck vom entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Verordnungsbestimmung von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
3.Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
3.1.Der Stadtmagistrat der Stadt Innsbruck habe in seiner Äußerung vorgebracht, Ziel der hier maßgeblichen Verordnung im Zeitpunkt ihrer Erlassung sei der Schutz der Anrainer vor Lärmimmissionen gewesen, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Innerkoflerstraße an der Universitätsklinik Innsbruck vorbeiführe.
3.2.Gemäß § 43 Abs 2 lita StVO 1960 seien von der Behörde zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe, wenn und insoweit es zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist, durch Verordnung für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken für alle oder bestimmte Fahrzeugarten oder für Fahrzeuge mit bestimmten Ladungen dauernde oder zeitweise Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote zu erlassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes habe einer solchen Verordnungserlassung sowohl eine nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt als auch eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse voranzugehen.
Des Weiteren führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss aus:
"3.3. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass im vorliegenden Fall vor Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung kein entsprechendes Ermittlungsverfahren stattgefunden hat, um alle für die gebotene Interessenabwägung relevanten Sachverhalte hinsichtlich der Belästigung, vor der die Verordnung schützen sollte, zu ermitteln. Der Verordnungsakt selbst konnte nicht vorgelegt werden. Aus den vorgelegten Unterlagen geht hervor, dass die in Rede stehende Geschwindigkeitsbeschränkung Teil eines größeren Verkehrsplanungsprojektes war. Im Hinblick auf ein Nachtfahrverbot im Bereich der Universitätsklinik Innsbruck dürften auch Lärmmessungen stattgefunden haben. Inwiefern die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h auf der gesamten Länge der Innerkoflerstraße zwischen Egger-Lienz-Straße und Innrain für eine Lärmreduktion im Bereich des Klinikareals erforderlich ist, dürfte aus den vorgelegten Unterlagen aber nicht hervorgehen. Im Hinblick darauf, dass die verordnungserlassende Behörde selbst ins Treffen führt, die Verkehrsbeschränkung sei zum Schutz der Anrainer vor Lärmimmissionen erlassen worden, dürfte es auch nicht ausreichen, dass die 'Abwertung' der Bedeutung der Innerkoflerstraße im Vergleich zum Innrain Teil eines größeren Verkehrsplanungsprojektes war."
4.Die verordnungserlassende Behörde hat Unterlagen betreffend das Zustandekommen der in Prüfung gezogenen Verordnung vorgelegt (der Originalakt betreffend die Verordnungserlassung ist nach Angaben der Behörde in Verstoß geraten) und eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
Der Magistrat der Stadt Innsbruck führt – entgegen seiner im zu E566/2016 protokollierten Verfahren erstatteten Äußerung – aus, dass der Lärmschutz "weder die gesetzliche Grundlage noch das vorrangige Ziel der Verordnung" sei. Im Wesentlichen wird Folgendes vorgebracht:
"Zusammengefasst ergibt sich, dass die Innerkoflerstraße i[m] Zuge der Erlassung der Verordnung in ihrer Verkehrsbedeutung auf eine verkehrsberuhigte Anlegerstraße mit Parkfunktion reduziert wurde. Durch bauliche Maßnahmen wurden dringend erforderliche Parkmöglichkeiten geschaffen, weshalb es notwendig war, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit mit 30 km/h zu begrenzen, um die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Außerdem war bereits zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung ein Kindergarten und ein Sportplatz in der Innerkoflerstraße situiert, weshalb verstärkt Kinder und Jugendliche dort anzutreffen waren und sind. Weiters führt die Innerkoflerstraße direkt an der Universitätsklinik Innsbruck vorbei. Damit war bereits im Jahr 1986 in diesem Bereich eine erhöhte Frequenz an Einsatzfahrzeugen, Fußgängern und Privaten, meist ortsunkundigen Fahrzeuglenkern zu verzeichnen. Auch die unmittelbare Nähe zur Universität Innsbruck bringt damals wie heute eine Erhöhung des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs mit sich.
[…]
Dieser besonderen Gefahrensituation ist man mit der Geschwindigkeitsbegrenzung wirksam begegnet. Da auch in angrenzenden Straßen, welche eine vergleichbare Bedeutung für den Verkehr aufweisen und baulich ähnlich ausgestaltet sind, eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verordnet wurde, hat die gegenständliche Verkehrsbeschränkung zu dem eine Verlagerung des Verkehrs von den angrenzenden Straßen auf die Innerkoflerstraße verhindert."
5.Weder die Tiroler Landesregierung noch die im Anlassfall beschwerdeführende Partei haben eine Äußerung erstattet.
II.Rechtslage
1.§43 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl 159 idF BGBl I 39/2013, lautet auszugsweise:
"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
a) […]
b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;
c) – d) […]
(1a) […]
(2) Zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe, hat die Behörde, wenn und insoweit es zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist, durch Verordnung
a) für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken für alle oder für bestimmte Fahrzeugarten oder für Fahrzeuge mit bestimmten Ladungen dauernde oder zeitweise Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote zu erlassen,
b) zu bestimmen, daß mit bestimmten Arten von Fahrzeugen oder mit Fahrzeugen mit bestimmten Ladungen nur bestimmte Straßen oder bestimmte Arten von Straßen befahren werden dürfen (Routenbindung) oder
c) zu bestimmen, daß in bestimmten Gebieten oder auf bestimmten Straßen Vorrichtungen zur Abgabe von Schallzeichen nicht betätigt werden dürfen, es sei denn, daß ein solches Zeichen das einzige Mittel ist, um Gefahren von Personen abzuwenden (Hupverbot).
Bei der Erlassung solcher Verordnungen ist einerseits auf den angestrebten Zweck und andererseits auf die Bedeutung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse Bedacht zu nehmen.
(2a) – (11) […]."
2.Die Verordnung des Stadtmagistrates der Stadt Innsbruck vom lautet auszugsweise (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Verordnung
Auf Grund der Bestimmungen der §§43 und 94b der StVO 1960 i.d.g.F. wird einvernehmlich mit dem gemeinderätlichen Verkehrsausschuß, der Bundespolizeidirektion Innsbruck und dem städtischen Tiefbauamt als Straßenerhalter, im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs folgende Verkehrsregelung verfügt:
1. - 3. […]
4. 'Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h' (§52/10a bzw. § 52/10b StVO 1960 i.d.g.F.)
Innerkoflerstraße: Im Bereich zwischen der Egger-Lienz- bzw. Holzhammerstraße und dem Innrain.
5. - 9. […]
Dieser Verordnung entgegenstehende Verkehrsregelungen werden hiedurch gleichzeitig außer Kraft gesetz[t].
Für den Bürgermeister:
Der Abteilungsleiter:
Im Auftrag: […]"
III.Erwägungen
1.Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Da der Beschwerdeführer im zu E566/2016 protokollierten Anlassverfahren wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h in Innsbruck, Innerkoflerstraße HNr 15, Richtung Norden bestraft worden ist, ist die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle in diesem Beschwerdeverfahren präjudiziell. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art 139 Abs 1 B-VG zulässig.
2.In der Sache
2.1.Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung treffen aus nachstehenden Gründen nicht zu:
2.2.Vorauszuschicken ist, dass die Stadt Innsbruck in ihrer Äußerung vom ausdrücklich vorgebracht hat, zum Zeitpunkt der Erlassung der Geschwindigkeitsbeschränkung sei "vorrangiges Ziel der Verordnung der Schutz der Anrainer vor Lärmimmissionen" gewesen. Weiter "damals wurden bei amtlich durchgeführten Lärmmessungen stark erhöhte Werte gemessen, weshalb eine Reduzierung der zulässigen Geschwindigkeit dringend erforderlich war. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Straße unmittelbar an der Innsbrucker Universitätsklinik vorbeiführt und zahlreiche Patientenzimmer zur Straße hin ausgerichtet sind." (vgl. Seite 2 der im Anlassverfahren [E566/2016] erstatteten Äußerung der Stadt Innsbruck vom ). Aus dem Verwaltungsakt der belangten Behörde im Anlassfall ergibt sich, dass der Magistrat der Stadt Innsbruck auch im dem Anlassfall zugrunde liegenden Verwaltungsstrafverfahren eine Stellungnahme mit einer ähnlichen Begründung erstattet hat (vgl. E-Mail an die LPD Tirol vom ).
2.3.Der Verfassungsgerichtshof hegte im Wesentlichen das Bedenken, dass im Hinblick auf das Ziel der Lärmreduktion kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei. Da die Lärmreduktion aber nicht Ziel der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung war, hat sich dieses Bedenken als nicht zutreffend erwiesen.
2.4.Der Stadtmagistrat der Stadt Innsbruck hat im nunmehrigen Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung erstattet, in der er ausführt, die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung sei nicht aus Gründen des Lärmschutzes, sondern im Zuge eines größeren Verkehrsprojektes, bei dem die Innerkoflerstraße im Vergleich zum Innrain "abgewertet" worden sei, erlassen worden. Aus den vorgelegten Unterlagen ergeben sich die Überlegungen zu diesem Verkehrsplanungsprojekt. Sie enthalten insbesondere einen Bericht des damit befassten "Komitees zur Klärung von Verkehrsfragen im Universitätsbereich" bestehend aus Vertretern der Stadt Innsbruck und Vertretern der Universität Innsbruck. Daraus geht hervor, dass der Innrain ausgebaut und zum Hauptverkehrsweg gemacht werden soll und demgegenüber die Innerkoflerstraße "abgewertet" werden soll. Dementsprechend soll – unter anderem – für die Innerkoflerstraße eine Geschwindigkeitsbeschränkung erlassen werden sowie die Streckenführung und Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel verlegt werden.
2.5.Auf Grund dieser Unterlagen geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass die in Prüfung gezogene Verordnung nicht aus Gründen des Lärmschutzes erlassen worden ist.
2.6.Damit sind aber auch die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung zerstreut.
2.7.Darüber hinaus ist anzumerken, dass sich aus den vorgelegten Unterlagen ausreichend Gründe ergeben, aus denen die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im vorliegenden Fall gerechtfertigt ist. Der Verfassungsgerichtshof kann der verordnungserlassenden Behörde aus dem Blickwinkel der Voraussetzungen des § 43 Abs 1 litb Z 1 StVO 1960 nicht entgegentreten, wenn sie – ausgehend von den beabsichtigten Hauptverkehrswegen – für die Innerkoflerstraße die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h reduziert (vgl. ).
2.8.Die im Prüfungsbeschluss gehegten Bedenken haben sich somit als nicht zutreffend erwiesen.
IV.Ergebnis
1.Die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung ist daher nicht als gesetzwidrig aufzuheben.
2.Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:V65.2016 |
Schlagworte: | Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, Verordnungserlassung |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.
Fundstelle(n):
EAAAE-29765