VfGH vom 10.10.2005, v65/05
Sammlungsnummer
17659
Leitsatz
Diskriminierung gleichgeschlechtlicher haushaltsführender Hausgenossen durch die Mitversicherung lediglich andersgeschlechtlicher Partner in der Krankenversicherung; kein Abstellen auf das Vorhandensein von Kindern; keine sachliche Rechtfertigung dieser Differenzierung nach dem Geschlecht bzw nach der sexuellen Orientierung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; Aufhebungsumfang abgestellt auf die Vermeidung rechtspolitischer Entscheidungen des Gerichtshofes betreffend die Definition des Angehörigenbegriffs
Spruch
I. § 123 Abs 8 litb des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 282/1981, sowie § 83 Abs 8 Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 643/1989, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
II. § 22 Abs 1 der Satzung 2003 der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, Verlautbarung Nr. 5/2003 (umbenannt in § 21 Abs 1 durch die Verlautbarung Nr. 28/2004), sowie § 12 der Satzung 2003 der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, Verlautbarung Nr. 61/2003, werden als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Der Beschwerdeführer der zu B47/05 und B48/05 anhängigen Verfahren ist als Dienstnehmer in der Krankenversicherung nach dem ASVG pflichtversichert und beantragte im Juli 2004 bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse die Anerkennung der Anspruchsberechtigung seines Lebensgefährten als Angehöriger im Sinne des § 123 Abs 8 litb ASVG. Gleiches beantragte er unter Berufung auf § 83 Abs 8 GSVG bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft im Hinblick auf die Pflichtversicherung als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH.
Mit den in den Beschwerdeverfahren angefochtenen Bescheiden des Landeshauptmannes von Niederösterreich wird seinen Einsprüchen gegen die abweisenden Bescheide der Sozialversicherungsträger keine Folge gegeben. Die bezogenen Vorschriften sähen (unter den näher festgelegten Bedingungen) nur die Anspruchsberechtigung andersgeschlechtlicher Personen vor.
Die Beschwerden machen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgefährten und einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz geltend.
Aus Anlass dieser vorläufig als zulässig beurteilten Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit jener anscheinend anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen ein, die das Erfordernis der Andersgeschlechtlichkeit als Voraussetzung des Leistungsanspruchs für nicht verwandte oder verschwägerte Personen aufstellen. Zugleich zog er die von der gesetzlichen Ermächtigung mit derselben Einschränkung Gebrauch machenden Satzungsbestimmungen der beteiligten Versicherungsträger in Prüfung.
Er ging von folgender Rechtslage aus:
Nach § 123 ASVG besteht unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung auch für bestimmte Angehörige. Als Angehörige gelten - neben Ehegatten und Kindern (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und nur ausnahmsweise darüber hinaus), mit dem Versicherten in Hausgemeinschaft lebende Stiefkinder und Enkel und gewisse Pflegekinder (Abs2) - auch Abs 7:
"... jeweils ... eine Person aus dem Kreis der Eltern, Wahl-, Stief- und Pflegeeltern, der Kinder, Wahl-, Stief- und Pflegekinder, der Enkel oder der Geschwister des (der) Versicherten, die seit mindestens zehn Monaten mit ihm (ihr) in Hausgemeinschaft lebt und ihm (ihr) seit dieser Zeit unentgeltlich den Haushalt führt, wenn ein im gemeinsamen Haushalt lebender arbeitsfähiger Ehegatte nicht vorhanden ist. Angehöriger aus diesem Grund kann nur eine einzige Person sein".
Nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers kann durch die Satzung schließlich bestimmt werden (Abs8), dass
"a) auch andere als die in den Abs 2 und 4 bis 7 bezeichneten Verwandten und die Wahl- und Stiefeltern des (der) Versicherten als Angehörige gelten, wenn sie mit dem (der) Versicherten in Hausgemeinschaft leben und von ihm (ihr) ganz oder überwiegend erhalten werden;
b) mit dem (der) Versicherten nicht verwandte andersgeschlechtliche Personen den im Abs 7 genannten Angehörigen unter den dort bezeichneten Voraussetzungen gleichgestellt sind."
§ 83 GSVG trifft eine gleichartige Regelung ohne einen dem Abs 7 des § 123 ASVG entsprechenden Teil, enthält aber ebenfalls die Ermächtigung (Abs8), in der Satzung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers vorzusehen, dass
"eine mit dem (der) Versicherten nicht verwandte bzw. nicht verschwägerte andersgeschlechtliche Person, die seit mindestens zehn Monaten mit ihm (ihr) in Hausgemeinschaft lebt und ihm (ihr) seit dieser Zeit unentgeltlich den Haushalt führt, den im Abs 2 genannten Angehörigen gleichgestellt wird, wenn ein im gemeinsamen Haushalt lebender arbeitsfähiger Ehegatte nicht vorhanden ist. Angehöriger aus diesem Grund kann nur eine einzige Person sein."
Von dieser Möglichkeit haben die hier in Betracht kommenden Satzungen 2003 der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse und der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft wie folgt Gebrauch gemacht:
Die Gebietskrankenkasse:
"§22. (1) Außer den Angehörigen nach § 123 Abs 2 bis 5 und Abs 7 ASVG gilt als Angehöriger eine mit dem Versicherten nicht verwandte andersgeschlechtliche Person, wenn sie seit mindestens zehn Monaten mit dem Versicherten in Hausgemeinschaft lebt und ihm seit dieser Zeit unentgeltlich den Haushalt führt, wenn ein im gemeinsamen Haushalt lebender arbeitsfähiger Ehegatte nicht vorhanden ist und die Angehörigeneigenschaft nicht nach § 123 Abs 9 und 10 ASVG ausgeschlossen ist. Angehöriger aus diesem Grunde kann nur eine einzige Person sein." (umbenannt in § 21 Abs. 1 durch die Verlautbarung Nr. 28/2004)
Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft:
"§12. Den im § 83 Abs 2 GSVG genannten Angehörigen ist eine mit dem (der) Versicherten nicht verwandte bzw. nicht verschwägerte andersgeschlechtliche Person gleichgestellt, die seit mindestens zehn Monaten mit ihm (ihr) in Hausgemeinschaft lebt und ihm (ihr) seit dieser Zeit unentgeltlich den Haushalt führt, wenn ein im gemeinsamen Haushalt lebender arbeitsfähiger Ehegatte nicht vorhanden ist."
II. Die Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der wiedergegebenen Teile des § 123 Abs 8 ASVG und des § 83 abs. 8 GSVG - und davon abgeleitet die Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der genannten Satzungsbestimmungen - formulierte der Verfassungsgerichtshof wie folgt:
"Wohl hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B935/98, die Behandlung einer ähnlichen Beschwerde unter Hinweis auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers als aussichtslos abgelehnt und der Verwaltungsgerichtshof am , Zl. 98/08/0218, die an ihn abgetretene Beschwerde abgewiesen und unter anderem Folgendes ausgeführt:
'Eine Verletzung von Art 8 i.V.m. Art 14 EMRK kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil aus Art 8 EMRK keine Gewährleistung bestimmter sozialer Rechte abgeleitet werden kann und daher der Schutzbereich dieser Bestimmung gar nicht betroffen ist.
Was die gleichheitsrechtlichen Bedenken betrifft, so darf nicht übersehen werden, dass die Regelung des § 56 Abs 6 B-KUVG an sich geschlechtsneutral ist, jedoch im Ergebnis nach der sexuellen Orientierung unterscheidet. Bei Anstellen einer Durchschnittsbetrachtung erfolgt das Zusammenleben verschiedengeschlechtlicher Personen bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen des § 56 Abs 6 B-KUVG in der Regel zum Zwecke einer Lebensgemeinschaft, während im Falle des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Personen auch dann, wenn eine Person den Haushalt führt, in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ohne weiteres von einer (diesfalls homosexuellen) Lebensgemeinschaft ausgegangen werden kann. Ohne Schaffung der Möglichkeit der Registrierung von solchen Lebensgemeinschaften ist die Unterscheidung homosexueller Lebensgemeinschaften von bloßen Wohngemeinschaften objektiv schwer zu treffen; es kann - will man nicht bloße Behauptungen genügen lassen - nur mit sehr hohem Verwaltungsaufwand und heiklen Ermittlungen über sensible Daten des Privatlebens die für eine sachgerechte Vollziehung notwendige Trennschärfe erreicht werden. Diese Unterschiede im Tatsächlichen vermögen die unterschiedliche Behandlung heterosexueller und homosexueller Lebensgemeinschaften noch zu rechtfertigen, sodass der Verwaltungsgerichtshof - gleich dem Verfassungsgerichtshof - derzeit auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung hegt.'
Der Verfassungsgerichtshof kann an der seinem Ablehnungsbeschluss zugrundeliegenden vorläufigen Einschätzung nun aber nicht mehr festhalten.
Folgt man nämlich der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle Karner, EGMR , Nr. 40016/98 (ÖJZ 2004, 36) [mit weiteren Nachweisen] - einem Fall zwar aus dem Anwendungsbereich des Art 8 EMRK, der aber für das Benachteiligungsverbot als solches von allgemeiner Bedeutung sein dürfte -, so scheint dann, wenn das Gesetz nicht auf die Ehe oder Verwandtschaft abstellt, sondern das Bestehen einer Lebensgemeinschaft genügen lässt, eine Differenzierung nach dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung in Ermangelung besonders schwerwiegender Gründe ('weighty reasons', 'serious reasons') eine Verletzung des Art 14 EMRK zu sein und als diskriminierend auch gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen. Im vorliegenden Zusammenhang kann der Verfassungsgerichtshof solche Gründe vorläufig nicht finden. Dass es hier nicht auf eine umfassende Lebensgemeinschaft, sondern nur auf eine längerfristige Hausgemeinschaft und die unentgeltliche Haushaltsführung (in Ermangelung eines im gemeinsamen Haushalt lebenden arbeitsfähigen Ehegatten) ankommt, dürfte vielmehr eher gegen die sonach erforderliche besondere sachliche Rechtfertigung der im Ergebnis getroffenen Unterscheidung nach dem Geschlecht sprechen.
...
Allenfalls wird auch zu prüfen sein, ob die Aufhebung als rechtswidrig befundener Normen auf die Worte 'andersgeschlechtliche' zu beschränken ist."
Die Bundesregierung meint, es genüge die Aufhebung des Wortes "andersgeschlechtliche" in den in Prüfung stehenden Vorschriften, um deren allfällige Rechtswidrigkeit zu beseitigen, und hält den Prüfungsumfang
"daher zu weit gezogen, da durch eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen in Hinkunft auch andersgeschlechtlichen Personen keine Anspruchsberechtigung mehr zukäme; im Ergebnis würde der Regelung damit ein vollständig veränderter, dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Inhalt gegeben (vgl. VfSlg. 14.308/1995, 15.031/1997)."
In der Sache hält die Bundesregierung fest,
"dass der Gesetzgeber in der Beschreibung des Angehörigenbegriffs grundsätzlich von familiären Beziehungen ausgeht und sich auch beim Tatbestand der Mitversicherung von Lebensgefährtinnen und -gefährten ausdrücklich auf andersgeschlechtliche Personen bezieht.
Der Sinn der begünstigten Mitversicherung liegt nach Ansicht der Bundesregierung neben dem sozialen Element nicht zuletzt in der Förderung der Familien. Da die Mehrkosten der begünstigten Mitversicherung durch die Allgemeinheit der Versicherten zu tragen sind und bei gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass in dieser Beziehung keine Kinder entstehen und aufgezogen werden, wird das Element der Familienförderung für diese Beziehungen verneint."
Für den Fall der Aufhebung beantragt die Bundesregierung eine Frist von achtzehn Monaten für eine notwendige Anpassung von nicht in Prüfung gezogenen Parallelbestimmungen.
Die beteiligten Sozialversicherungsträger haben die Verwaltungsakten vorgelegt, auf eine Stellungnahme in der Sache aber verzichtet.
Der Beschwerdeführer der Anlassverfahren regt an, die Aufhebung auf das ihn diskriminierende Wort zu beschränken.
III. Die Verfahren sind zulässig.
An der Zulässigkeit der Anlassbeschwerden sind keine Zweifel entstanden. Anders als in dem mit VfSlg. 15.805/2000 erledigten Fall besteht ein Anspruch des Versicherten selbst "für Angehörige".
Entgegen der Ansicht der Bundesregierung ist aber auch die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen und Satzungsbestimmungen gegeben, weil nicht einzelne Worte, sondern jedenfalls ganze Sätze (und mit ihnen untrennbar verbundene Sätze) angewendet werden müssen und die im Prüfungsbeschluss aufgeworfene Frage, ob die Aufhebung auf je ein Wort zu beschränken ist, eine Frage des Aufhebungsumfanges, nicht aber des Prüfungsumfanges ist.
IV. Die vom Gerichtshof geäußerten Bedenken treffen auch zu. Die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen diskriminieren gleichgeschlechtliche haushaltsführende Hausgenossen und verstoßen gegen den Gleichheitssatz.
Das Verfahren hat nicht ergeben, dass die in den Prüfungsbeschlüssen gezogenen Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle Karner unzutreffend wären. Es geht hier wie dort um die Reichweite des Verbotes der Benachteiligung wegen des Geschlechts und damit zusammenhängender sonstiger Anschauungen nach Art 14 EMRK im Hinblick auf das in der geprüften Gesetzesbestimmung vorgesehene Erfordernis der Andersgeschlechtlichkeit, und es geht dort wie da um ein Recht, das als solches von der Konvention nicht gewährleistet war bzw. ist. Wohl ist jeweils im Einzelfall und vor dem Hintergrund des jeweiligen Sachgebietes zu prüfen, ob eine Differenzierung nach dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung sachlich gerechtfertigt ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt aber offenbar - und dass ist das Wesentliche - für jede solche Unterscheidung besonders schwerwiegende Gründe.
Gründe dieser Art hat der Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht gesehen. Insbesondere das Ausreichen einer längerfristigen Hausgemeinschaft bei unentgeltlicher Haushaltsführung schien ihm gegen eine Unterscheidung nach dem Geschlecht zu sprechen.
Die Bundesregierung will einen Unterscheidungsgrund in der Absicht der Förderung von Familien mit Kindern sehen, die es in gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften nicht geben könne. Die in Prüfung stehende Regelung stellt aber nicht auf das Vorhandensein von Kindern ab und es ist auch nicht zu erkennen, dass die Mitversicherung eines haushaltsführenden Hausgenossen oder Partners einen nennenswerten Anreiz in diese Richtung schaffen sollte oder könnte. Im Vordergrund steht vielmehr offenkundig die im Gesetz umschriebene Tatsache der unentgeltlichen Haushaltsführung in häuslicher Gemeinschaft. Eine familienpolitische Zielsetzung hätte der Gesetzgeber ohne weiteres durch eine Einschränkung auf eine Hausgemeinschaft mit Kindern erreichen können. Dass vielleicht eine einschlägige Nebenwirkung eintritt, reicht für die getroffene Unterscheidung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass das Beitragsrecht unter anderem darauf abstellt, ob der Mitversicherte sich der Kindererziehung widmet oder gewidmet hat.
Der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dieser Frage kann aber auch mit den Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofs in dessen Erkenntnis vom nicht mehr begegnet werden. Mögen auch dem Gesetzgeber nur Lebensgemeinschaften vorgeschwebt sein, nach dem Gesetz kommt es auf das Vorliegen einer solchen nicht an. Eine Abgrenzung von Lebensgemeinschaften zu bloßen Wohngemeinschaften ist daher nicht nötig; vielmehr genügt neben der "Hausgemeinschaft" die unentgeltliche Hauhaltsführung, und die Feststellung und Kontrolle dieser Voraussetzungen bereitet bei gleichgeschlechtlichen Personen keine größeren Schwierigkeiten als bei andersgeschlechtlichen.
Auch andere hinreichende Gründe für die Voraussetzung der Andersgeschlechtlichkeit sind nicht erkennbar.
Die gesetzlichen Regelungen sind daher als diskriminierend und dem Gleichheitssatz widersprechend verfassungswidrig.
Mit dem Wegfall der Ermächtigungsnormen werden auch die darauf gestützten Satzungsbestimmungen gesetzwidrig.
V. Die Bundesregierung meint in gewissem Widerspruch zu ihrer Behauptung, es sei dem Gesetzgeber um ein familienpolitisches Anliegen gegangen, diesem sei nicht zusinnbar, die Mitversicherung nicht verwandter oder verschwägerter Personen gänzlich entfallen zu lassen.
Die dem Verfassungsgerichtshof obliegende Abwägung ist indessen nicht so zu verstehen, dass die Folgen der Aufhebung der ganzen rechtswidrigen Norm gegen die Folgen der bloßen Aufhebung von Teilen abzuwägen wären. Vielmehr soll die erforderliche rechtspolitische Entscheidung dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, nicht aber der Verfassungsgerichtshof sie durch Teilaufhebung in eine bestimmte Richtung lenken. Treffen die Behauptungen der Bundesregierung über die Ziele des Gesetzgebers nämlich zu (die er nach dem Dargelegten verfehlt hätte), so bleiben verschiedene Möglichkeiten, sie verfassungsrechtlich einwandfrei zu verwirklichen. Er muss nicht die Mitversicherung aller Haushaltsführenden ermöglichen und er könnte bisher Mitversicherte durch Übergangsbestimmungen vor unerwünschten Nachteilen bewahren. Der Verfassungsgerichtshof wertet daher eine Ausweitung des Angehörigenbegriffs (durch Beseitigung bloß der Worte "andersgeschlechtliche") als eine im Verhältnis zu den Vorstellungen des Gesetzgebers intensive, und daher nicht dem Verfassungsgerichtshof zukommende Veränderung des Gesetzesinhaltes. Die geprüften Normen waren daher zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
Umso mehr gilt das für die Sozialversicherungsträger in Bezug auf die in Prüfung gezogenen Satzungsbestimmungen.
Zu den Anträgen, für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen gemäß Art 140 Abs 5 und Art 139 Abs 5 B-VG eine angemessene Frist zu bestimmen, war zu bedenken, dass dem Gesetzgeber einerseits Gelegenheit gegeben werden soll, die ihm als erforderlich erscheinenden legistischen Maßnahmen zu treffen, während andererseits die Problematik der Aufrechterhaltung einer als konventionswidrig erkannten Rechtslage für den davon betroffenen Personenkreis durch die Möglichkeit der Selbstversicherung (§16 ASVG) weitgehend ausgeglichen wird; unter diesen Umständen hält der Verfassungsgerichtshof eine Frist von neun Monaten für zumutbar und ausreichend.
Von einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden (§19 Abs 4 Satz 1 VfGG).