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VfGH vom 03.03.2005, v60/04

VfGH vom 03.03.2005, v60/04

Sammlungsnummer

17476

Leitsatz

Aufhebung der im Ärztegesetz enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung zur Herabsetzung des Anspruches auf Witwen-/Witwerversorgung bei einem mehr als 15-jährigen Altersunterschied der Ehepartner in der Satzung wegen eines Verstoßes gegen das Determinierungsgebot; in der Folge Aufhebung der entsprechenden Bestimmung der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien mangels gesetzlicher Deckung

Spruch

I. § 102 Abs 8 Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 110/2001, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. § 24 Abs 4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, kundgemacht in "doktorinwien" 4/2002, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Verordnungsbestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Die Wiener Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1664/03 eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Die Beschwerdeführerin hat am den Arzt i.R. Dr. W. geheiratet. Der zwischen ihnen bestehende Altersunterschied betrug etwa 27 Jahre. Sie lebten bis zu seinem Tod am in aufrechter Ehe. Am hat die Beschwerdeführerin die Zuerkennung der Witwenversorgung nach der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien beantragt.

Der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien hat diesem Antrag Folge gegeben und gemäß §§22 und 24 der Satzung eine monatliche Witwenversorgung in Höhe von € 277,80 brutto gewährt. Die von der Beschwerdeführerin gegen die Höhe ihrer Witwenversorgung erhobene Beschwerde hat der Beschwerdeausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien mit Bescheid vom - gestützt auf § 24 Abs 4 der Satzung - abgewiesen.

2. Aus Anlass der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 102 Abs 8 Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 110/2001, sowie gemäß Art 139 Abs 1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des § 24 Abs 4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, kundgemacht in "doktorinwien" 4/2002, einzuleiten.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hegte zunächst das Bedenken, dass § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 in Widerspruch zu Art 18 B-VG stehen dürfte:

"[…]

Im vorliegenden Zusammenhang scheint es der Gesetzgeber unterlassen zu haben, eine nähere Regelung darüber zu treffen, in welchem Ausmaß und ab welchem Zeitpunkt eine Minderung der Witwen-/Witwerversorgung vorgesehen werden kann; er dürfte die diesbezügliche Regelung zur Gänze der Satzung, also dem Verordnungsgeber, überlassen haben. Die Ermächtigung in § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 scheint also gegen das aus Art 18 B-VG abzuleitende Determinierungsgebot zu verstoßen."

2.2. Darüber hinaus hegte der Gerichtshof das Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Regelung mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz nicht im Einklang stehen dürfte:

"[…] Die in der Verordnungsermächtigung des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 vorgesehene Möglichkeit der Minderung der Witwen-/ Witwerversorgung dürfte nämlich auch plötzliche und intensive Eingriffe in bestehende Rechtspositionen, auf deren Bestand die Rechtsunterworfenen berechtigterweise vertrauen durften, (vgl. dazu die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Vertrauensschutz, zB VfSlg. 15.936/2000; ; jeweils mwN) zulassen. Eine gesetzliche Grundlage zur Minderung der Witwen-/Witwerversorgung war bis zum Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 110/2001 am nicht vorhanden. Der Gesetzgeber hat mit der zitierten Novelle jedoch die Möglichkeit geschaffen, ab einem Altersunterschied der Ehepartner von mehr als 15 Jahren den Anspruch auf Witwen-/Witwerversorgung herabzusetzen; dadurch, dass er aber für diesen Fall anscheinend keinerlei Übergangsregelung vorgesehen hat, dürfte er die Betroffenen in ihrem berechtigten Vertrauen auf die seit langem bestehende Rechtslage (…) enttäuscht haben, zumal auch davon auszugehen ist, dass mit zunehmender Dauer einer Ehe Ehepartner auch Dispositionen im Hinblick auf ein potentielles Ableben eines Partners treffen. Die Verordnungsermächtigung scheint schwerwiegende Eingriffe zuzulassen, zumal in dieser Bestimmung weder eine betragsmäßige oder prozentuelle Grenze für die Minderung der Witwen-/Witwerversorgung festgelegt ist, noch andere Kriterien normiert werden, die den Verordnungsgeber verpflichten, solche Eingriffe zu vermeiden.

[…] Die Regelung des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 scheint aber auch insofern gegen das aus dem Gleichheitssatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot zu verstoßen, als sie die Möglichkeit der Minderung der Witwen-/Witwerversorgung ausschließlich an das Kriterium des Altersunterschiedes der Ehepartner knüpft und auf Umstände wie insbesondere die Dauer des Bestehens der Ehe keinerlei Bedacht nimmt."

2.3. Bezüglich der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung führte der Gerichtshof im Prüfungsbeschluss aus:

"Sollten […] die dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 zutreffen, so dürfte die Verordnungsbestimmung des § 24 Abs 4 der Satzung der notwendigen gesetzlichen Grundlage im Sinne des Art 18 B-VG entbehren und wäre somit gesetzwidrig.

[…] Darüber hinaus hegt der Gerichtshof auch folgendes Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des § 24 Abs 4 der Satzung:

§ 24 Abs 4 der Satzung legt fest, dass sich die Höhe der Witwen-/Witwerversorgung bei einem Altersunterschied von 15 Jahren auf 42 v.H. der in § 24 Abs 1 genannten Leistungen verringert. Dies scheint in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 zu stehen, wonach die Satzung eine Minderung der Witwen-/Witwerversorgung vorsehen kann, wenn der Altersunterschied mehr als 15 Jahre beträgt."

3. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung im Gesetzesprüfungsverfahren Abstand genommen. Für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Regelung beantragt sie, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen. Diese Frist erscheine erforderlich, "damit der Wohlfahrtsfonds die entsprechenden administrativen, organisatorischen und allenfalls finanziellen Vorbereitungen treffen kann und seitens des zuständigen Ressorts die notwendigen legistischen Vorkehrungen in die Wege geleitet werden können."

4. Die Wiener Landesregierung hat den Genehmigungsakt betreffend die in "doktorinwien" 4/2002 kundgemachte Änderung der Satzung vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung aber Abstand genommen.

5. Die verordnungserlassende Behörde - die Vollversammlung der Ärztekammer für Wien - hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken gegen § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 entgegentritt, § 24 Abs 4 der Satzung mit dem Hinweis auf die ihrer Ansicht nach unbedenkliche gesetzliche Grundlage verteidigt und die Einstellung des Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahrens beantragt.

6. Aus Anlass einer beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien betreffend die Zuerkennung der Witwenversorgung gemäß § 24 Abs 4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien stellte der Verwaltungsgerichtshof den zu G18/05, V10/05 protokollierten Antrag auf Aufhebung des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 und des § 24 Abs 4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien. Er schloss sich den oben wiedergegebenen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes an.

II. Zur Rechtslage:

1. Im Rahmen der von den Ärztekammern geschaffenen Versorgungseinrichtungen hat der Gesetzgeber erstmals in der Novelle zum Ärztegesetz, BGBl. Nr. 50/1964, geldliche Zuwendungen an Hinterbliebene im Falle des Ablebens eines Kammerangehörigen vorgesehen, wobei auf die Gewährung von Zuwendungen für bestimmte Versorgungsfälle kein Rechtsanspruch bestand. In Fortentwicklung dieser Regelung normierte sodann § 43f Abs 5 Ärztegesetz idF BGBl. Nr. 229/1969, in welchem Umfang der Witwe ein Versorgungsanspruch zuerkannt werden soll; die Witwenversorgung wurde sohin mit 50 v.H. der Alters- oder Invaliditätsversorgung, die dem Verstorbenen im Zeitpunkt seines Ablebens gebührt hat oder gebührt hätte, festgelegt. Der angeführte Prozentsatz wurde in weiterer Folge durch die Bestimmung des § 68 Abs 5 Ärztegesetz 1984 idF BGBl. Nr. 314/1987, auf 60 v.H. erhöht. Seitdem wurde der Witwe ein Versorgungsanspruch von 60 v.H. der Alters- oder Invaliditätsversorgung, die dem Verstorbenen im Zeitpunkt seines Ablebens gebührt hat oder gebührt hätte, zugesprochen.

2. Mit der Novelle zum Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 110/2001, wurde (erstmals) die Herabsetzung des Anspruchs auf Witwenversorgung ermöglicht, wenn der Altersunterschied der Ehepartner mehr als 15 Jahre beträgt. Die Novelle trat am in Kraft.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 idF BGBl. I Nr. 110/2001, lauten (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Versorgungsleistungen

§ 97. Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind Leistungen zu gewähren

1. an anspruchsberechtigte Kammerangehörige für den Fall des Alters, der vorübergehenden oder dauernden Berufsunfähigkeit,

2. […],

3. an Hinterbliebene im Falle des Ablebens eines anspruchsberechtigten Kammerangehörigen.

§98. (1) Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind im einzelnen folgende Versorgungsleistungen zu gewähren:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
Altersversorgung,
2.
Invaliditätsversorgung,
3.
Kinderunterstützung,
4.
Witwen- und Witwerversorgung,
5.
Waisenversorgung und
6.
Todesfallbeihilfe.

(2) - (4) […]

(5) Die Leistungen gemäß Abs 1 sind von der Satzung so festzusetzen, dass die Summe der Beitragszahlungen unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung der Leistungsempfänger unter Anwendung versicherungsmathematischer Grundsätze langfristig der Summe der Leistungen entspricht. Bei der Festsetzung der individuellen Leistungsansprüche ist die Höhe der geleisteten Beiträge zu berücksichtigen. Abweichungen von diesen Grundsätzen sind zulässig, soweit sie zur Finanzierung bereits zuerkannter Leistungen notwendig sind.

(6) - (7) […]"

"§102. (1) Nach dem Tod eines (einer) Kammerangehörigen oder Empfängers (Empfängerin) einer Alters- oder Invaliditätsversorgung ist seiner Witwe (ihrem Witwer), die (der) mit ihm (ihr) im Zeitpunkt des Todes in aufrechter Ehe gelebt hat, die Witwen(Witwer)versorgung zu gewähren.

(2) Die Witwen(Witwer)versorgung wird nicht gewährt, wenn die Ehe erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres des Kammerangehörigen oder Empfängers einer Alters- oder Invaliditätsversorgung geschlossen und zum Zeitpunkt des Todes des Kammerangehörigen oder Empfängers einer Alters- oder Invaliditätsversorgung weniger als drei Jahre lang bestanden hat. Dies gilt nicht, wenn der Tod des Ehegatten durch Unfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, aus der Ehe ein Kind hervorgegangen ist oder hervorgeht, durch die Eheschließung ein Kind legitimiert worden ist, oder im Zeitpunkt des Todes des Ehegatten dem Haushalt der Witwe ein Kind des Verstorbenen angehört hat, das Anspruch auf Waisenversorgung hat.

(3) Witwen(Witwer)versorgung gebührt, sofern nicht ein Ausschließungsgrund nach Abs 2 vorliegt, auf Antrag auch dem Gatten, dessen Ehe mit dem Kammerangehörigen für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihm der Kammerangehörige zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) auf Grund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer durch Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte. Hat der frühere Ehegatte gegen den verstorbenen Kammerangehörigen nur einen befristeten Anspruch auf Unterhaltsleistungen gehabt, so besteht der Anspruch auf Witwen(Witwer)versorgung längstens bis zum Ablauf der Frist. Die Witwen(Witwer)versorgung darf die Unterhaltsleistung nicht übersteigen, auf die der frühere Ehegatte gegen den verstorbenen Kammerangehörigen an seinem Sterbetag Anspruch gehabt hat, es sei denn

1. das auf Scheidung lautende Urteil enthält den Ausspruch nach § 61 Abs 3 Ehegesetz, dRGBl. 1938 I S 807,

2. die Ehe hat mindestens 15 Jahre gedauert und

3. der frühere Ehegatte hat im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des Scheidungsurteils das 40. Lebensjahr vollendet.

(4) […]

(5) Die Witwen(Witwer)versorgung und die Versorgung des früheren Ehegatten dürfen zusammen jenen Betrag nicht übersteigen, auf den der verstorbene Kammerangehörige Anspruch gehabt hat. Die Versorgung des früheren Ehegatten ist erforderlichenfalls entsprechend zu kürzen. Die Witwen(Witwer-)versorgung mehrerer früherer Ehegatten ist im gleichen Verhältnis zu kürzen. Ist kein(e) anspruchsberechtigte(r) Witwe(r) vorhanden, dann ist die Versorgung des früheren Ehegatten so zu bemessen, als ob der Kammerangehörige eine(n) anspruchsberechtigte(n) Witwe(r) hinterlassen hätte. Die Satzung kann davon abweichend den nach Abs 7 für die Witwen(Witwer)versorgung vorgesehenen Betrag als Höchstgrenze bestimmen. Die Satzung kann trotzdem die Überschreitung der Höchstgrenze nach Abs 7 vorsehen, wenn Kammerangehörige, die sich nach einer Scheidung wieder verehelichen, einen in der Satzung vorgesehenen Zusatzbeitrag tatsächlich geleistet haben. Das Ausmaß der Anteile und der allenfalls erforderlichen Kürzung des Anspruchs der Witwe (des Witwers) und des (der) früheren Ehegatten ist in der Satzung festzulegen.

(6) Im Falle der Wiederverehelichung erlischt der Anspruch auf Witwen(Witwer)versorgung.

(7) Die Witwen(Witwer)versorgung beträgt 60 vH der Alters- oder Invaliditätsversorgung, die dem Verstorbenen im Zeitpunkt seines Ablebens gebührt hat oder gebührt hätte. Je nach der gemäß § 92 festzustellenden finanziellen Sicherstellung der Leistungen kann diese bis 75 vH erhöht werden.

(8) Beträgt der Altersunterschied der Ehepartner mehr als 15 Jahre, kann die Satzung eine Minderung der Witwen(Witwer)versorgung vorsehen."

"§212. Nach dem Ärztegesetz 1984 im Zeitpunkt seines Außerkrafttretens bestehende Ansprüche und Anwartschaften auf Versorgungs- oder Unterstützungsleistungen aus dem Wohlfahrtsfonds bleiben unberührt."

3. Die Vollversammlung der Ärztekammer für Wien hat in ihrer Sitzung vom Änderungen der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien beschlossen. Unter anderem wurde gemäß Punkt 17. der Änderungen nach § 24 Abs 3 ein neuer Abs 4 angefügt. Die Änderungen wurden in "doktorinwien" 4/2002 kundgemacht; Punkt 17. der Änderungen trat gemäß ArtII am in Kraft.

§ 24 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien idF der Kundmachung in "doktorinwien" 4/2002 lautet (der in Prüfung gezogene Absatz ist hervorgehoben):

"Höhe der Witwen-(Witwer-)Versorgung

§ 24

(1) Die Witwen-(Witwer-)Versorgung besteht aus

a) zwei Dritteln der Grundpension;

b) zwei Dritteln jenes Betrages an Zusatzleistung und erweiterter Zusatzleistung, auf den das verstorbene Fondsmitglied bzw. der verstorbene Empfänger einer Alters- oder Invaliditätsversorgung Anspruch gehabt hätte oder gehabt hat.

(2) Im Falle des Todes eines Fondsmitgliedes ist für die Ermittlung der Grundpension § 19 sinngemäß anzuwenden.

(3) Der Anspruch auf Witwen-(Witwer-)Versorgung erlischt im Falle der Wiederverehelichung der (des) Berechtigten.

(4) Die Höhe der Witwen-/Witwerversorgung nach Abs 1 verringert sich bei einem Altersunterschied der Ehepartner von 15 Jahren auf 42 v.H. der genannten Leistungen und reduziert sich um weitere 2 v.H. jährlich für jedes weitere über 15 Jahre hinausgehende Jahr. Die Witwen-/Witwerversorgung beträgt jedoch mindestens 20 v.H. jenes Betrages, auf den das verstorbene Fondsmitglied oder der verstorbene Versorgungsempfänger Anspruch gehabt hat oder gehabt hätte. Die Altersdifferenz der Ehepartner und der aufgrund dieser Altersdifferenz errechnete Prozentsatz der Witwen-/Witwerversorgung werden auf 2 Kommastellen genau kaufmännisch gerundet."

III. 1. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was den vorläufigen Annahmen über die Zulässigkeit des Anlassbeschwerdeverfahrens bzw. über die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen entgegenstehen könnte. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, erweist sich das Verfahren als zulässig.

2. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen.

2.1. Das in Art 18 B-VG zum Ausdruck kommende Legalitätsprinzip verlangt u.a. die ausreichende Determinierung des Inhalts einer Verordnung durch das Gesetz. Damit eine Verordnung als ausreichend determiniert angesehen werden kann, muss ihr Inhalt im Gesetz hinreichend bestimmt sein, d.h. es müssen schon aus dem Gesetz selbst alle wesentlichen Merkmale der Verordnungsregelung ersehen werden können (vgl. zB VfSlg. 2294/1952, 4662/ 1964, 7945/1976, 10.899/1986, 11.938/1988); eine Verordnung hat nur zu präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes: VfSlg. 7945/1976, 9226/1981 ua.). Auch Organe der Selbstverwaltungskörper sind zur Erlassung von Verordnungen nur "auf Grund der Gesetze" iSd. Art 18 Abs 2 B-VG befugt (vgl. VfSlg. 3993/1961, 4886/1964, 13.464/1993, 16.206/2001; vgl. explizit ablehnend zum Gedanken eines "gelockerten Legalitätsprinzipes" für autonome Satzungen bereits VfSlg. 7903/1976).

2.2. Mit der in Prüfung gezogenen Bestimmung des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 hat der Gesetzgeber zur Minderung der Witwen-/Witwerversorgung ermächtigt, wenn der Altersunterschied der Ehepartner mehr als 15 Jahre beträgt. Er hat es jedoch unterlassen, eine nähere Regelung darüber zu treffen, in welchem Ausmaß und ab welchem Zeitpunkt eine Minderung der Witwen-/Witwerversorgung vorgesehen werden kann; er hat die diesbezügliche Regelung zur Gänze der Satzung, also dem Verordnungsgeber, überlassen. Die Auffassung der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien, eine nähere Determinierung sei nicht möglich, "weil sich die Minderung aus den jeweils im Versorgungswerk verwendeten Parametern ergibt", ist für den Verfassungsgerichtshof schon vor dem Hintergrund der oben dargestellten Judikatur zu Art 18 B-VG nicht nachvollziehbar. Die Ermächtigung in § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 verstößt aus diesem Grund gegen das aus Art 18 B-VG abzuleitende Determinierungsgebot.

2.3. § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 war schon aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben. Auf die weiteren im Prüfungsbeschluss formulierten Bedenken war bei diesem Ergebnis nicht mehr einzugehen.

3.1. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 9535/1982) hat die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmung, die die Verordnung trägt, zur Folge, dass die Verordnung der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt.

3.2. Da § 24 Abs 4 der Satzung aufgrund der Aufhebung des § 102 Abs 8 ÄrzteG 1998 der notwendigen gesetzlichen Grundlage im Sinne des Art 18 B-VG entbehrt, war die Verordnungsbestimmung schon deshalb als gesetzwidrig aufzuheben.

IV. 1. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

Der Ausspruch, dass frühere Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

2. Die Verpflichtung der Wiener Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs 2 (iVm § 61) VfGG sowie § 138 Abs 2 Z 8 Wiener Stadtverfassung.

3. Der Ausspruch, dass § 24 Abs 4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art 139 Abs 6 B-VG.

Mit dieser Verfügung erübrigt sich auch eine weitere Erledigung des vom Verwaltungsgerichtshof gestellten, zu G18/05, V10/05 protokollierten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsantrags, dessen formelle Einbeziehung in das Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozessgeschehen nicht mehr möglich war.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.